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JUSTIZ/180: Omagh-Anschlag - BBC belastet britischen Geheimdienst (SB)


Omagh-Anschlag - BBC belastet britischen Geheimdienst

Beim GCHQ verfolgte man die Bombenleger auf Schritt und Tritt


Seit dem Bombenanschlag in der nordirischen Kleinstadt Omagh, bei dem am 15. August 1998 29 Menschen getötet, darunter eine mit Zwillingen schwangere Frau, und mehr als 100 schwer verletzt wurden, besteht der Verdacht, daß Elemente des britischen Sicherheitsapparats das Massaker entweder zuließen oder tatkräftig unterstützten. Am 14. Oktober hat John Ware in der renommierten BBC-Nachrichtensendung Panorama diesem Verdacht neue Nahrung geliefert. Bei Recherchen hat der langjährige Nordirland-Korrespondent und Terrorismus-Experte herausgefunden, daß damals die Mobiltelefone der unmittelbaren Anschlagsbeteiligten vom General Communications Headquarters (GCHQ), dem britischen, im südenglischen Cheltenham angesiedelten Pendant zur amerikanischen National Security Agency (NSA), die ganze Zeit abgehört und ihre Bewegungen verfolgt wurden.

Der Anschlag von Omagh ereignete sich zu einem historisch sehr wichtigen Zeitpunkt. Im Frühjahr 1998 hatten die pro-britischen, protestantischen Unionisten mit Sinn Féin, dem politischen Arm der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), ein Abkommen getroffen, das den nordirischen Bürgerkrieg beenden sollte. Bei Volkbefragungen auf beiden Seiten der irisch-irischen Grenze, das heißt in Nordirland selbst, wie auch in der Republik Irland, war das Abkommen angenommen worden und damit völkerrechtlich bindend. Im Lager des irischen Republikanismus war man über diese Entwicklung geteilter Meinung. Die Pragmatiker sahen die geplante Teilnahme der Sinn Féin an der nordirischen Provinzadministration und die Einrichtung eines neuen Nord-Süd-Rats, bestehend aus Regierungsvertretern aus Belfast und Dublin, als erste vorsichtige Schritte Richtung Wiedervereinigung. Gegner des Abkommens beklagten vor allem die Aufgabe des in der irischen Verfassung verankerten Anspruchs der Republik auf die ganze Insel als Staatsterritorium und befürchteten, daß durch die Verwandlung jenes Anspruchs in eine Willenserklärung zur friedlichen Wiedervereinigung die Unionisten eine Veto-Macht erhalten hätten, die den Traum von einem geeinten und freien Irland endgültig zum Platzen gebracht hätte.

Während sich die IRA an ihren Waffenstillstand hielt und die Diskussion über eine Außerdienststellung ihres umfangreichen Arsenals begonnen hatte, machten die republikanischen Gegner des Abkommens durch kleinere Aktionen auf sich aufmerksam. Es waren hauptsächlich zwei Spittergruppen, die sogenannte Continuity IRA und die Real IRA, die damals noch am bewaffneten Kampf gegen die Kräfte der britischen Krone in den sechs zum Vereinigten Königreich gehörenden, irischen Grafschaften festhielten. Zwar stellten die IRA-Abtrünnigen keine ernsthafte Gefahr für den Friedensprozeß dar, doch ein störendes Element waren sie allemal. Der Anschlag von Omagh, Hauptstadt der mehrheitlich von katholischen Nationalisten bewohnten, ländlichen Grafschaft Tyrone, hat die Verantwortlichen von der Real IRA sowie die Continuity IRA, schwer in Mißkredit gebracht. Darüber hinaus trug der blutigste Einzelanschlag seit Ausbruch der nordirischen "Troubles" im Jahre 1968 dazu bei, den irischen Republikanismus als ganzes zu diskreditieren, auch indem er die koordinierten Autobombenanschläge von Dublin und Monaghan, an denen nordirische Loyalisten und britische Militärs beteiligt waren und die am 17. Mai 1974 33 Menschen das Leben kosteten und 240 verletzten, in den Schatten stellte.

Nach dem Anschlag von Omagh bekannte sich die Real IRA zu der Schreckenstat, bedauerte diese und machte die Behörden für den Verlust an Menschenleben verantwortlich. Man habe lediglich Sachschaden anrichten wollen und deshalb rechtzeitig telefonische Warnungen durchgegeben, so die Erklärung der Real IRA. Tatsächlich hatte eine anonyme Person mit zwei Anrufen bei der Nachrichtenredaktion des privaten Fernsehsenders Ulster Television (UTV) in Belfast und einem beim Büro der Wohltätigkeitsorganisation Samaritans in Coleraine rechtzeitig vor einem Anschlag gewarnt. Der erste Anruf ging um 14.29 Uhr ein und lautete: "Bombe, Gerichtsgebäude von Omagh, Hauptstraße, 250 Kilo, Explosion 30 Minuten." Um 14.31 Uhr gab es zwei weitere telefonische Warnungen. Die eine lautete: "Martha Pope, 15 Minuten, Bombe, Omagh Town." In der zweiten hieß es, die Bombe befinde sich 200 Meter vom Gerichtsgebäude entfernt. Um 15.04 Uhr explodierte auf der Market Street, der Haupteinkaufsstraße von Omagh, in einer Entfernung von rund 350 Meter vom Gerichtsgebäude, die in einem gestohlenen, rotbraunen Vauxhall Cavalier versteckte 250-Kilo-Bombe. Entscheidend für den hohen Blutzoll der Explosion war die Tatsache, daß die örtliche Polizei fälschlicherweise die Gegend um das Gerichtsgebäude geräumt und die Menschen in die ohnehin am Samstagnachmittag belebte Market Street getrieben hatte.

Aus der jüngsten Panorama-Sendung John Wares geht hervor, daß einige Tage vor dem Anschlag von Omagh der Special Branch (Sicherheitspolizei) der Royal Ulster Constabulary (RUC), die heute Police Service of Northern Ireland (PSNI) heißt, das GCHQ in England formell um die telefonische Überwachung mehrerer mutmaßlicher Mitglieder der Real IRA gebeten hatte. Offenbar wurden daraufhin die Telefonanrufe der Betroffenen vom GCHQ live mitgeschnitten und die Position der fraglichen Mobiltelefone verfolgt. Dadurch muß es den Verantwortlichen beim GCHQ möglich gewesen sein, den Weg der Täter, die mit zwei Fahrzeugen, dem Bombenauto und einem Fluchtauto unterwegs waren, von Dundalk in der Irischen Republik über die Grenze nach Omagh zu verfolgen. Warum das GCHQ die relevanten Informationen an den RUC Special Branch trotz dessen ausdrücklicher Bitte nicht weitergegeben hat, kann sich niemand erklären und soll durch eine interne Untersuchung ermittelt werden. Man kann davon ausgehen, daß die britischen Behörden ihre bisherige Schutzvermutung, nämlich daß die Lauschoperation von Automaten durchgeführt wurde und es niemanden gab, der rechtzeitig die Gefahr erkannt hätte und eine Warnung hätte geben können, als Tatsache ausgeben werden.

Die naheliegende Erklärung für die Untätigkeit des GCHQ im entscheidenden Moment läuft darauf hinaus, daß machiavellistisch denkende Elemente des britischen Geheimdienstes von dem bevorstehenden Anschlag wußten und diesen zuließen, um die Gegner des Karfreitagsabkommens zu diskreditieren und einen für London schmeichelhaften Schlußstrich unter den nordirischen Bürgerkrieg zu setzen. Tatsächlich gibt es auch handfeste Hinweise, die - neben der Verwirrung um die telefonischen Warnungen und ihren Inhalt - für die Richtigkeit einer solch zynischen Interpretation der Ereignisse sprechen.

Im August 2001 brachte ein katholischer, ehemaliger britischer Soldat aus Nordirland, der unter dem Pseudonym Kevin Fulton bekannt ist, eigentlich Peter Keeley heißt und jahrelang als Doppelagent im Auftrag der berüchtigten Force Research Unit (FRU) des britischen Militärgeheimdienstes die IRA ausspioniert haben soll, die RUC mit der spektakulären Enthüllung, den Special Branch rechtzeitig über die konkreten Vorbereitungen der Real IRA für den Omagh-Anschlag informiert zu haben, in akute Bedrängnis. Der damalige RUC-Chef Ronnie Flanagan bestritt die Angaben Fultons auf das Vehementeste und versprach öffentlich, sich selbst umzubringen, sollten sie sich als wahr herausstellen. Als im Dezember 2001 die nordirische Polizeiombudsfrau Nuala O'Loan einen Bericht veröffentlichte, in dem sie die Richtigkeit der Angaben Fultons bestätigte und das Ergebnis der polizeilichen Untersuchung der "Pannen" von Omagh kritisierte, wollte sich niemand - am wenigsten Flanagan selbst - an das Harakiri-Versprechen des scheidenden RUC-Chefs erinnern.

Nach eigenen Angaben hat Fulton am späten Donnerstagabend des 13. August 1998, weniger als 48 Stunden vor dem Omagh-Anschlag, auf dem Parkplatz einer Kneipe in der grenznahen, in der Republik liegenden Stadt Dundalk den Bombenbauer getroffen, der gerade dabei war, das Düngemittel zur Verwendung als Sprengstoff zu mahlen, und dessen Kleider von dem Pulver zugestäubt waren (Von dieser Person, die Fulton "Mike" nennt und die in offiziellen Berichten lediglich als "A" identifiziert wird, ist bekannt, daß sie mit den Bombenlegern telefonierte, kurz nachdem diese das präparierte Auto auf der Market Street in Omagh abgestellt hatten). Am Morgen des 14. August hat Fulton Kontakt mit seinem Führungsoffizier beim Special Branch - seit dem Ausrufen des IRA-Waffenstillstandes im Jahr zuvor arbeitete der ehemalige Soldat als Spitzel für die RUC - aufgenommen und ihn unter Hinweis auf das beunruhigende Treffen mit dem Bombenbauer "Mike" vor dem bevorstehenden, größeren Anschlag gewarnt. Was man mit dieser Warnung anfing und warum sie ignoriert wurde, ist bis heute unklar. Seit der Veröffentlichung des O'Loan-Berichtes steht fest, daß die RUC bereits am 4. August einen anonymen Anruf erhalten hatte, bei dem sowohl der Zeitpunkt, der 15. August, als auch der Ort, Omagh, des zu erwartenden Anschlags genannt wurde. Möglicherweise war es dieser Anruf, der die Bitte der RUC an das GCHQ nach telefonischer Überwachung bekannter republikanischer Dissidenten veranlaßt hat.

Am 9. Januar 2002 hat Jeffrey Donaldson, damals prominentes Mitglied der Ulster Unionist Party (UUP), heute der Democratic Unionist Party (DUP), von seinem Privileg als Abgeordneter des britischen Unterhauses Gebrauch gemacht und unter Verweis auf eigene Quellen bei Polizei und Geheimdienst denjenigen, der die Omagh-Bombe baute und den Fulton zwei Tage vor dem Anschlag traf, als Patrick Joseph Blair identifiziert. Blair, der aus der nordirischen Grenzstadt Newry stammt und seit einiger Zeit auf der südlichen Seite der Grenze in Dundalk lebt, soll seit den siebziger Jahren ein aktives, ranghohes Mitglied der IRA gewesen sein, das an vielen Operationen im Raum South Armagh teilnahm.

In Irland glauben nicht wenige Menschen, allen voran die Mitglieder der Opferfamilien vom Omagh, daß der Anschlag nicht verhindert wurde, um Doppelagenten des britischen Staates innerhalb der Real IRA zu schützen. Es gibt starke Vermutungen, daß Blair einer dieser Doppelagenten ist. Doch im Falle von Omagh fungierte Blair nicht nur als Informant - wie Fulton -, sondern als Haupttäter, denn er hat die Autobombe gebaut. Daher drängt sich die Frage auf, inwieweit Blairs Führungsoffiziere in die Aktivitäten ihres Maulwurfs eingeweiht waren. Auffällig ist, daß Blair, obwohl Verdächtigter, weder von der Polizei in Nordirland noch in der Republik jemals zum Thema Omagh vernommen wurde (jedenfalls nicht offiziell!). Die einzige Erklärung hierfür ist, daß Blair den Schutz der Geheimdienste genießt. In einem Artikel, der am 13. Januar 2002 in der schottischen Zeitung Sunday Herald erschienen ist, zitierte Neil Mackay eine Quelle beim britischen Geheimdienst mit den Worten: "Wenn Blair ein Agent ist, dann ist er das Juwel in der Krone" - was die Unterwanderung der IRA und ihrer Splitterorganisationen betrifft.

Eine weitere Auffälligkeit, welche den Anschlag von Omagh mit denen von Dublin und Monaghan verbindet, spricht ebenfalls für eine Beteiligung staatlicher Stellen, nämlich die unübersehbare, peinliche Tatsache, daß in beiden Fällen, obwohl die Identität vieler der Tatbeteiligten bekannt ist, bis heute niemand wegen dieser Massenmorde rechtskräftig verurteilt worden ist. Im Spätherbst 2006 sollte Kevin Fulton beim Strafrechtsprozeß in Belfast gegen Kevin Hoey, die einzige Person, gegen die wegen direkter Beteiligung am Omagh-Anschlag jemals Anklage erhoben worden ist, als Zeuge für die Verteidigung auftreten. Danach wollte er in Dublin an einer öffentlichen Anhörung der Opferfamilien von Omagh teilnehmen, bei der unter anderem ausgelotet werden sollte, was die Polizei der Irischen Republik, die Garda Síochána, im Vorfeld des Anschlages wußte (Hierbei geht es vor allem um den Diebstahl desjenigen Autos, mit dem die Bombe über die Grenze zum Zielort transportiert wurde, durch einen bekannten Spitzel der Gardaí).

Doch bevor es dazu kommen konnte, wurde Fulton in England, wo er unter falscher Identität lebt, von Vertretern der Polizei und des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5 verhaftet und nach Nordirland verschleppt, wo man ihn fünf Tage lang "vernahm", bis man ihn, ohne Anklage zu erheben, wieder gehen ließ. Nach dieser eindrücklichen Belehrung über die Möglichkeiten des britischen Staates verzichtet Fulton auf die geplanten Auftritte beim Hoey-Prozeß und bei der öffentlichen Anhörung in Dublin. 2007 wurde Hoey in allen Anklagepunkten vom Vorwurf der Beteiligung am Omagh-Anschlag freigesprochen. Der Richter bezeichnete die Beweise gegen Hoey als "zusammengeschustert" und warf zwei Kriminalbeamten vor, Beweismittel gefälscht zu haben. Vor diesem Hintergrund ist mit keiner wirklichen Aufklärung der Überwachung der Omagh-Bombenleger durch das GCHQ zu rechnen.

9. Oktober 2008