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JUSTIZ/181: Nordirlands "Troubles" - Aufklärung unerwünscht (SB)


Nordirlands "Troubles" - Aufklärung unerwünscht

Londons "schmutziger Krieg" gegen die IRA soll geheim bleiben


Am 28. Januar soll eine Sonderkommission in Belfast einen Bericht der Öffentlichkeit präsentieren, der Vorschläge enthält, wie man künftig mit den unaufgeklärten Todesfällen in Verbindungen mit dem nordirischen Bürgerkrieg verfahren sollte. Presseberichten zufolge wird das Historical Enquiries Team (HET), das von Dr. Robin Eames, dem ehemaligen Primas der anglikanischen Kirche in Irland, und Denis Bradley, einem ehemaligen katholischen Priester und Journalisten, der in den siebziger und achtziger Jahren als inoffizieller Bote zwischen der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) und dem britischen Inlandsgeheimdienst MI5 agiert hatte, geleitet wird, empfehlen, einen Schlußstrich hinter den "Troubles", die von 1969 bis 1997 wüteten, zu ziehen. Rund zwei Drittel der 3700 gewaltsamen Todesfälle aus dieser Zeit gelten bis heute als juristisch unaufgeklärt. Von den Empfehlungen des HET wird am meisten der britische Staat profitieren, weil dadurch die Verwicklung dessen offizieller und inoffizieller Agenten in zahlreiche Attentate, Anschläge und Überfälle unaufgeklärt bleiben wird. Somit dürfte die Legende, in Nordirland hätten sich jahrelang haßerfüllte katholische Nationalisten und protestantische Loyalisten bzw. Unionisten gegenseitig die Köpfe eingeschlagen, während London hilflos zusehen mußte, für immer und ewig zementiert werden.

Als Grund, warum das HET angeblich eine Frist von drei bis vier Jahren setzen will, nach deren Ablauf es keine neuen Untersuchungskommissionen zu einzelnen Fällen aus der Zeit der "Troubles" geben soll, hieß es, die nordirische Gesellschaft solle die Chance zur Heilung erhalten, die Zeit sei endlich gekommen, sich von der Vergangenheit ab- und der Zukunft zuzuwenden. Tatsächlich erscheinen die damaligen Ereignisse wie ein böser Alptraum. Inzwischen regieren die Gegner von einst - vertreten durch die IRA-nahe Sinn Féin und die vom freipresbyterianischen Pfarrer Ian Paisley gegründete Democratic Unionist Party (DUP) - vom Belfaster Schloß Stormont aus die Provinz und sind dieser Tage vollauf mit der Finanzkrise und steigender Arbeitslosigkeit befaßt. Für Vergangenheitsbewältigung haben sie wenig bis gar keine Zeit.

Darüber hinaus sollen die HET-Mitglieder der Meinung sein, daß Nordirland ein Ende der "Kultur der Untersuchungen" bedarf. In diesem Zusammenhang wird auf das Paradebeispiel der Bloody Sunday Inquiry hingewiesen. Diese teurste aller Untersuchungskommissionen in der Geschichte des britischen Staates wurde 1998 von der Regierung Tony Blairs als Begleitmaßnahme für den damaligen "Friedensprozeß" ins Leben gerufen und hat bis heute mehr als 181 Millionen Pfund, das heißt mehr als 300 Millionen Euro, gekostet. 2005 wurde die Vernehmung der Zeugen abgeschlossen. 2007 sollte der Abschlußbericht vorgelegt werden. Zuletzt hieß es, wegen der Fülle an aufzuarbeitendem Material dürfte erst Ende dieses Jahres das Ergebnis der Untersuchung vorliegen.

Im nachhinein betrachtet, war die Einrichtung der Bloody Sunday Inquiry ein gelungener Schachzug Londons. Das meiste Geld, die meiste Energie und die meiste Aufmerksamkeit ging für die Untersuchung jenes Vorfalls drauf, deren Verlauf weitestgehend bekannt war und wo am allerwenigsten aufgeklärt werden mußte. Am 30. Januar 1972 hatten am hellichten Tag britische Fallschirmjäger das Feuer auf die Teilnehmer einer Bürgerrechtsdemonstration in Derry eröffnet und 13 katholische Zivilisten getötet. Warum die Soldaten damals so handelten, ob als Provokation gegenüber der IRA oder aus Mangel an Disziplin, scheint inzwischen niemand mehr richtig zu wissen.

Jedenfalls gibt es nicht wenige Fälle bzw. Komplexe der Troubles, in die man die Millionen für die Bloody-Sunday-Untersuchungskommission sinnvoller hätten investieren können und wo sie mehr zur historischen und juristischen Aufklärung beigetragen hätten. Die zwei wichtigsten sind natürlich die koordinierten Autobombenanschläge in Dublin und Monaghan, die am 17. Mai 1974 33 Menschen das Leben kosteten und die von loyalistischen Paramilitärs mit Verbindungen zur britischen Armee durchgeführt wurden, und der Autobombenanschlag von Omagh, der am 15. August 1998 29 Menschen tot zurückließ. Vom Omagh-Anschlag ist bekannt, daß ein Spitzel der nordirischen Polizei diese einen Tag vor der Schreckenstat rechtzeitig warnte und einige der Beteiligten nannte. Bis heute hat es keine vernünftige Erklärung gegeben, warum die Warnungen dieses Mannes, der das Pseudonym Kevin Fulton benutzt, nicht zur Verhinderung des Anschlages führten. Vielleicht ist es deswegen, weil der eigentliche Bombenbauer, der IRA-Abtrünnige Joseph Patrick Blair, selbst ein Doppelagent der britischen Geheimdienste war. Für London war Omagh ein gigantischer PR-Erfolg, da die Greueltat die irisch-republikanischen Gegner des wenige Monate zuvor zwischen Sinn Féin, Ulster Unionist Party (UUP) und Social Democratic Labour Party (SDLP) abgeschlossenen Karfreitagsabkommens in absoluten Mißkredit brachte.

Interessanterweise hat im Oktober letzten Jahres der Journalist, Nordirland-Kenner und Terrorismusexperte John Ware in der BBC-Sendung Panoroma enthüllt, daß beim Omagh-Anschlag die Mobiltelefone der Tatbeteiligten vom elektronischen Nachrichtendienst Großbritanniens, dem General Communications Headquarters (GCHQ) im südenglischen Cheltenham, abgehört wurden. Seitdem läuft eine Untersuchung, warum auch diese Beschattung folgenlos - jedenfalls was die Verhinderung des Massenmordes betrifft - blieb. Erhellendes ist von dieser Untersuchung jedoch nicht zu erwarten. Wie Richard Norton-Taylor am 26. Januar in der britischen Tageszeitung Guardian berichtete, hat bereits im Sommer 2008 gegenüber Ware der ehemalige Leiter der Omagh-Sonderermittlungskommission, Detective Chief Superintentant Norman Baxter, erklärt, daß Elemente der britischen Geheimdienste eine erfolgreiche Aufklärung des blutigsten Einzelanschlages der Troubles längst "sabotiert" hätten.

27. Januar 2009