Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → REDAKTION

JUSTIZ/183: Abhörskandal belastet Irlands Polizei und Politik (SB)


Abhörskandal belastet Irlands Polizei und Politik

Justizminister Alan Shatter in der Schußlinie



Als im vergangenen Frühjahr zwei parteiunabhängige Abgeordnete, Mick Wallace und Luke "Ming" Flanagan, zusammen mit der Sozialistin Clare Daly von der Minigruppierung United Left Alliance im Dáil, dem Unterhaus des Dubliner Parlaments, den Vorwurf erhoben, die irische Polizei, die Garda Síochána, streiche routinemäßig die Strafpunkte von ihr wohlgesonnenen Politikern, Sportlern, Geschäftsleuten und Medienvertretern aus dem Verkehrsregister, konnte niemand ahnen, was sich daraus für ein Mammutskandal entwickeln würde. Infolge der inzwischen aufgedeckten Einzelheiten mußte Polizeipräsident Martin Callinan am 25. März seinen Hut nehmen. Auch der Stuhl seines Dienstherrn, Justizminister Alan Shatter, wackelt gewaltig.

Die Informationen von Daly, Flanagan und Wallace stammten von zwei Whistleblowern, Martin McCabe und John Wilson, die seit Jahren vergeblich versucht hatten, auf dem internen Dienstweg Mißstände bei der Polizei zu beheben. Richtig explosiv wurde die Affäre um die Strafpunkte, als im Februar dieses Jahres die irische Ausgabe der Sunday Times einen Artikel veröffentlichte, in dem es hieß, die Telefone des Polizeiombudsmanns, an den sich McCabe und Wilson mit ihren Beschwerden gewandt hatten, würden "von einer staatlichen Stelle" abgehört. Dies hat sich laut Times-Journalist John Cooney aus der technischen Überprüfung ergeben, die eine renommierte britische Sicherheitsfirma durchgeführt hatte. Weil als mutmaßlicher Täter im Grunde nur die Garda in Frage kam, mauerten Justizminister Shatter und Polizeipräsident Callinan zunächst. Sie wischten das Ergebnis der britischen Studie mit der lächerlichen Behauptung vom Tisch, für die Hinweise auf eine vermeintliche Abhöraktion seien die WLAN-Funksignale eines nahegelegenen Internet-Cafés verantwortlich. Gleichwohl konnte Shatter nicht umhin, eine richterliche Untersuchung des Vorfalls anzuordnen.

Fast zeitgleich mit besagtem Artikel der Sunday Times wurde im Internet die spektakuläre Abschrift eines Gesprächs veröffentlicht, das einige Monate zuvor Whistleblower McCabe mit Oliver Connolly, dem Garda Confidential Recipient, an den sich von Rechts wegen irische Polizisten mit vertraulichen Informationen wenden können und sollen, geführt hatte. In der Abschrift trat ein ganzes Konvolut an Vorwürfen zutage, die weit über die Streichung irgendwelcher Strafpunkte hinausreichten. Es wurde zum Beispiel der Fall des großen Drogenschmugglers Kieran Boylan erörtert, der seit Jahren der Polizei als Informant zuarbeitet und deshalb niemals juristisch belangt werden kann. McCabe erwähnte zudem einen Mordfall, der vertuscht wurde, und Beispiele, in denen Unschuldige entgegen besseren Wissens der Polizei hinter Gitter gebracht wurden. Nachdem am 5. Februar Mick Wallace die Abschrift des Gesprächs im Dáil vorlas und sie damit aktenkundig machte, hat Shatter aus Verärgerung Connolly, den er selbst einige Jahre zuvor als Garda Confidential Recipient eingesetzt hatte, seines Amtes enthoben. Damit hat Shatter die Richtigkeit der am häufigsten zitierten Stelle des Gesprächs bestätigt. Connolly hatte McCabe vor einem Gang an die Presse und dem amtierenden Justizminister gewarnt:

Ich sage dir jetzt, Maurice, und das ist nur mein persönlicher Rat an dich. Wenn Shatter denkt, daß du ihn bescheißt, bist du erledigt ... Wenn Shatter vermutet, daß du es bist [der Geschichten in der Presse lanciert - Anm. d. SB-Red.], oder wenn er denkt oder vom Ombudsmann oder von der Polizei gesagt bekommt, hier versucht dieser Typ wieder über einen anderen Weg Druck auszuüben, wird er dich fertigmachen.

Doch die Entlassung Connollys und die Einsetzung einer richterlichen Untersuchungskommission konnten den Skandal nicht aufhalten. Das Gegenteil ist der Fall, denn die Affäre zieht immer weitere Kreise. Aufgrund des öffentlichen Drucks wurden McCabe und Wilson eingeladen, Mitte März vor dem Public Accounts Committee des Parlaments auszusagen. Unter Eid erhoben sie ihre schweren Vorwürfe erneut und machten dabei - der Auftritt wurde vollständig im parlamentseigenen Fernsehkanal im Internet und ausschnittsweise in allen wichtigten Nachrichtensendungen auf der Insel ausgestrahlt - einen guten Eindruck. Ganz anders wirkte der Polizeipräsident, als er anschließend vor dem PAC zum Themenkomplex befragt wurde. Statt Reue zu zeigen und Besserung zu geloben, sorgte Callinan mit der Aussage für allgemeine Empörung, die Enthüllungen McCabes und Wilsons seien "widerwärtig". Damit zeigte der Polizeichef einen derartigen Mangel an Takt, daß er nicht mehr zu halten war. Um weiteren Schaden von der Regierung abzuwenden, bat Premierminister Enda Kenny ihn um sein Rücktrittsgesuch, das er erhielt und annahm.

Die Öffentlichkeit hatte die Nachricht von der unfreiwilligen Pensionierung des Polizeipräsidenten noch nicht verdaut, als bereits am darauffolgenden Tag bekannt wurde, daß seit rund 30 Jahren sämtliche ein- und ausgehenden Telefonate aller größeren Polizeiwachen in Irland ohne Wissen der Beteiligten abgespeichert werden. Dies geht aus Gesprächen der Investigativjournalistin Nicola Tallant mit dem Garda-Ombudsmann hervor. Offenbar wurden nicht nur Journalisten ausspioniert, sondern auch Erkenntnisse aus Gesprächen zwischen Anwälten und Verdächtigen gewonnen, die anschließend vor Gericht verwendet wurden. Möglicherweise müssen nun zahlreiche Urteile aufgehoben werden. Das könnte nicht nur bedeuten, daß die Mitglieder der gefürchteten McCarthy-Dundon-Drogenbande aus Limerick entlassen werden müßten, sondern auch, daß der aktuelle Prozeß gegen die Verantwortlichen für die größte Pleite in der Geschichte Irlands, den Untergang der Anglo-Irish Bank, platzen könnte. Da die illegale Abhörpraxis in den Polizeiwachen Jahrzehnte zurückreicht, entlastet dies den amtierenden Justizminister geringfügig. Shatter dürfte daher die aktuellen Turbulenzen politisch überleben: Er zählt zu den engsten Vertrauten von Taoiseach (Premierminister) Kenny, und die Regierungskoalition aus der konservativen Partei Fine Gael und der sozialdemokratischen Labour Party verfügt im Dáil über eine satte Mehrheit von 102 der 166 Sitze.

29. März 2014