Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → REDAKTION

PARTEIEN/206: Sinn Féin erkennt die nordirische Polizei erstmals an (SB)


Sinn Féin erkennt die nordirische Polizei erstmals an


IRA-Sympathisanten wollen Nordirland von innen heraus erobern

Mit überwältigender Mehrheit haben die rund 900 Delegierten des Sonderparteitags der Sinn Féin in Dublin am 28. Januar dafür votiert, die nordirische Polizei anzuerkennen und mit ihr zusammenzuarbeiten. Mit dem "historischen" Beschluß des politischen Arms der Irisch- Republikanischen Armee (IRA) sollte ein Schlußstrich unter den sogenannten Troubles in Nordirland, die zwischen 1969 bis 1997 mehr als 3600 Menschen, darunter 300 Polizisten, das Leben kosteten, gezogen wie auch zugleich der Weg für die Teilnahme Sinn Féins an der geplanten interkonfessionellen Regierung in der einstigen Unruheprovinz freigemacht werden. Schließlich hatte die größte protestantische Partei, die Democratic Unionist Party (DUP) des Reverend Ian Paisley, ohne die die neue Regierung nicht gegründet und die Exekutivgewalt für Nordirland nicht von London an Belfast zurückübertragen werden kann, die Anerkennung von Polizei- und Justizwesen durch die Vertreter des irischen Republikanismus zur Bedingung gemacht.

Doch nun hat Sinn Féin, deren Anhänger sich jahrzehntelang aktiv oder passiv im Kampf gegen die britischen Staatsorgane befanden, diesen Schritt vollzogen, und jetzt ist die DUP gefragt. Viele in der Paisley- Partei betrachten die Sinn-Féin-Führung nach wie vor als "Terroristen", weshalb die DUP jetzt vor der Zerreißprobe zwischen denen, die zur Zusammenarbeit mit der Sinn Féin bereit sind, und denen, die ihren Groll gegenüber den einst militanten Befürwortern einer Wiedervereinigung Irlands nicht verwinden können, steht. Wie groß die Vorbehalte der DUP vis-à-vis Sinn Féin nach wie vor sind, zeigt die Tatsache, daß Paisley und Co. bei allen Verhandlungen über die Umsetzung des Karfreitagsabkommens von 1998 bis heute kein einziges Mal bilaterale Gespräche mit Gerry Adams, Martin McGuinness et al. geführt und mit den Sinn-Vertretern niemals direkt, sondern nur über Dritte wie die Premierminister Großbritanniens und Irlands, Tony Blair und Bertie Ahern, oder deren Minister oder Staatssekretäre kommuniziert haben.

Auf dem Sinn Féin Ard Fheis in einem Sitzungssaal der Royal Dublin Society (RDS) im Dubliner Nobelviertel Donnybrook wie bei verschiedenen Treffen der Parteiführung mit der Basis in den letzten Wochen haben sich einige einfache Parteimitglieder gegen eine Anerkennung der nordirischen Polizei ausgesprochen und darauf verwiesen, daß diese jahrelang loyalistische Paramilitärs bei Überfällen und Angriffen auf die katholische Bevölkerung in Nordirland gedeckt und unterstützt habe. Gerade die Richtigkeit dieses Vorwurfs der früheren heimlichen Zusammenarbeit zwischen der einst protestantisch-dominierten Royal Ulster Constabulary (RUC), die inzwischen zum Police Service of Northern Ireland (PSNI) "reformiert" worden ist, und der Ulster Volunteer Force (UVF) war am 22. Januar durch die Veröffentlichung eines entsprechenden, spektakulären Untersuchungsberichts der Polizeiombudsfrau Nuala O'Loan bestätigt worden.

Geschickt hat die Sinn-Féin-Führung auf dem Sonderparteitag die jüngsten Enthüllungen über die frühere staatliche Unterstützung protestantischer Todesschwadronen als Argument ins Feld geführt, warum die heutigen IRA-Sympathisanten die im Karfreitagsabkommen gebotenen Möglichkeiten zur Kontrolle der Arbeit des PSNI ergreifen sollten. Sinn Féin stehen zum Beispiel Sitze, die sie bisher nicht besetzt hat, in den neuen regionalen Polizeiaufsichtsgremien zu. Das Mitspracherecht Sinn Féins in Polizei- und Justizangelegenheiten wird darüber hinaus bedeutend zunehmen, sobald die Partei an der Provinzregierung beteiligt ist. Erst 2008 will London die volle Verantwortung für diesen hochsensiblen Bereich der neuen Exekutive in Belfast übertragen. Über dieses Thema laufen noch angespannte Gespräche zwischen den nordirischen Parteien und der britischen Regierung. Sinn Féin zum Beispiel lehnt eine Mitwirkung des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5 an der Arbeit des PSNI ab beziehungsweise möchte diese auf ein absolutes Minimum festgelegt haben. Ihrerseits will die DUP auf keinen Fall einen Vertreter der Sinn Féin als künftigen Innen- und/oder Justizminister haben. Deshalb gibt es bereits Gedankenspiele, wonach dieser Posten in Falle einer Regierungsbildung in Belfast an einen Vertreter entweder der Ulster Unionist Party (UUP) oder der nationalistischen Social Democratic Labour Party (SDLP) gehen soll.

Nachdem die IRA im Sommer 2005 ihr umfangreiches Waffenarsenal "außer Dienst gestellt" und das Ende ihres bewaffneten Kampfes erklärt hatte, hat nun Sinn Féin mit der Anerkennung des PSNI die letzte Konsequenz aus dem Karfreitagsabkommen, das die Teilung Irlands vorerst zementiert, gezogen. Nichtsdestotrotz haben die Vertreter Sinn Féins auf dem Sonderparteitag in Dublin erneut unmißverständlich klargemacht, daß sie unbedingt Verantwortung in der neuen Regierung in Belfast übernehmen wollen, um die Wiedervereinigung - mit friedlichen Mitteln versteht sich - vorantreiben zu können. Folglich wird die Anerkennung des nordirischen Ministaats einschließlich des PSNI als taktischer Rückzug, der dem höheren langfristigen Ziel diene, verstanden.

In der Tat sind diese Überlegungen wohlbegründet. Derzeit steht Sinn Féin in der Gunst der nationalistisch-katholischen Bevölkerung Nordirlands weit vor der gemäßigten SDLP. Wird Sinn Féin wie erwartet diese Position bei den geplanten Wahlen für das nordirische Parlament, die am 7. März stattfinden sollen, halten beziehungsweise weiter ausbauen, kann ihr nach den De-Hondt-Prinzipien des Karfreitagsabkommens ein Platz in der neuen Provinzregierung nicht verweigert werden beziehungsweise diese kann ohne die Vertreter des irischen Republikanismus nicht gegründet werden.

Doch dieses Szenario dürfte der DUP Unbehagen bereiten. Die Paisley- Partei, die gerade dadurch größte protestantische Partei geworden ist, daß sie jahrelang die UUP unter der früheren Leitung von David Trimble bezichtigte, mit dem Karfreitagsabkommen die königinstreue Bevölkerung Nordirlands an die "Terrorpaten" von "Sinn Féin/IRA" verraten zu haben, muß nun befürchten, von den eigenen enttäuschten Anhängern als Umfallerpartei beim kommenden Urnengang abgestraft zu werden. Bereits jetzt gibt es Berichte, wonach in den einzelnen Wahlkreisen DUP- Kandidaten aufgestellt werden, die gegen den Willen der Parteiführung offen das Karfreitagsabkommen wie auch die Vereinbarung vom schottischen St. Andrews Ende letzten Jahres ablehnen. Eine solche Entwicklung deutet auf schwere Flügelkämpfe innerhalb der DUP in den kommenden Wochen und Monaten hin, zumal die Frage der Nachfolgeschaft des Parteigründers, des inzwischen 81jährigen Reverend Paisley, nicht endgültig geregelt ist.

So gesehen kann Sinn Féin von der Entscheidung zur Anerkennung des PSNI nur profitieren. Sie sichert sich damit die Führung im nationalistischen Lager und damit eine Beteiligung an der Bildung einer künftigen nordirischen Regierung. Gleichzeitig bringt sie die DUP in Zugzwang. Gibt sich die DUP mit dem Ergebnis des Sinn-Féin- Parteitags nicht zufrieden oder stellt weitere Bedingungen, untergräbt sie die eigene Glaubwürdigkeit als verläßlicher Verwalter protestantischer Interessen. Gibt sie ihr Ja zur Bildung einer Koalition mit der Sinn Féin, werden nicht wenige ihrer Anhänger dies als Bruch mit den jahrelangen "No Surrender"-Parolen Paisleys verstehen und entsprechend sauer reagieren.

Der Blick Sinn Féins richtet sich zudem nicht nur auf die Verhältnisse in Belfast, sondern auch auf die in der irischen Hauptstadt. In der Republik Irland wird mit Parlamentswahlen im Frühsommer gerechnet. Aufgrund des geschicktes Taktierens von Sinn Féin, gepaart mit ihrem energischen Eintritt für die Wiedervereinigung und ihrem auffallend sozialen Engagement in den vernachlässigten Arbeitervierteln der größten Städte der Republik, kann die allirische Partei demnächst fest mit einer weiteren Zunahme der Zahl ihrer Sitze in Leinster House, dem Sitz des irischen Unterhauses, auch Dáil genannt, rechnen. Politbeobachter gehen aufgrund jüngster Umfragen davon aus, daß Sinn Féin im neuen Parlament über eine Sperrminorität verfügen wird und Ahern möglicherweise zu einer weiteren Amtszeit als Taoiseach verhelfen könnte. Der Preis dafür wäre ein verstärktes Engagement Dublins in inneririschen Angelegenheiten. Bereits jetzt zeichnet sich ein solcher Deal ab. Nachdem am 23. Januar die Ahern-Regierung ein bahnbrechendes, bis zu 1,2 Milliarden Euro teures Programm zur Verbesserung der grenzüberschreitenden sowie der nordirischen Infrastruktur vorgestellt hatte, war am nächsten Tag in der britischen Tageszeitung Guardian von einer "schleichenden Wiedervereinigung der Insel durch wirtschaftliche Maßnahmen" die Rede.

27. Januar 2007