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PARTEIEN/251: "Bankenrettungspaket" stößt in Irland auf Ablehnung (SB)


"Bankenrettungspaket" stößt in Irland auf Ablehnung

Abstimmung über Haushaltsentwurf 2011 könnte zu Neuwahlen führen


Als am 30. Dezember die 166 Abgeordneten des Unterhauses des irischen Parlamentes (Dáil) zusammentrafen, gab es enorm Gewichtiges zu besprechen, nämlich das zwei Tage zuvor von Spitzenmitgliedern der Regierungskoalition aus Fianna Fáil und den Grünen mit Vertretern des Internationalen Währungsfonds (IWF), der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Kommission der Europäischen Union (EU) vereinbarte, 85 Milliarden Euro schwere "Rettungspaket", mit dem der gigantische Schuldenberg der irischen Banken beglichen und der laufende Staatsdefizit innerhalb von nur 4 bis 5 Jahren auf ein Normalmaß gebracht werden sollen. Am 7. Dezember will die Regierung ihren Haushaltsentwurf für 2011, der Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen in Höhe von 6 Milliarden Euro vorsieht, dem Dáil vorlegen. Derzeit ist jedoch nicht klar, ob das Unterhaus dem Haushaltsentwurf und damit letztlich dem "Rettungsplan" zustimmt. Zu groß ist die Verärgerung in der Bevölkerung über das Mißmanagement der Krise durch Premierminister Brian Cowen und Finanzminister Brian Lenihan und über die soziale Unausgewogenheit des "Rettungsplans". Umfragen zufolge lehnt eine Zweidrittelmehrheit der irischen Bürger die im "Rettungspaket" vorgesehene Übernahme der Schulden der irischen Banken durch den irischen Steuerzahler ab.

In der Bevölkerung hat vor allem Fianna Fáil, die seit 1997 - zunächst mit Hilfe der neoliberalen Progressive Democrats (PDs) und seit drei Jahren mit der der Grünen - regiert, keinen Rückhalt mehr. Die nationalkonservativen "Soldaten des Schicksals" haben durch ihre legendären Verbindungen zur Bauindustrie und zum Bankensektor jene Immobilienblase erst aufkommen lassen, deren Platzen im September 2008 Lenihan mit der Abgabe einer schier unglaublichen 400 Milliarden Euro schweren Garantie für alle Kontoinhaber und Anleiheinhaber der ins Strudeln geratenen irischen Finanzinstituten abgegeben hat. Damals war der Schritt kritisiert worden, weil der irische Staat im Ernstfall Schulden in einer solch astronomischen Höhe niemals hätte bezahlen können. Doch der Ernstfall war gar nicht vorgesehen. Cowen, der zuvor Finanzminister unter Bertie Ahern war, und Lenihan meinten, mit der Garantie "die Märkte" erstmal beruhigen zu können, bis man einen leichteren Weg aus der Krise gefunden hat.

Zwei Jahre später ist es gerade jene Garantie, die den Volkszorn zum Kochen bringt, während der Ausweg aus der Krise immer mehr zum Gang durch das Tal der Tränen wird. Mit den Experten aus Washington, Frankfurt und Brüssel haben die "two brians", Cowen und Lenihan, drastische Kürzungen bei der Arbeitslosen- und Sozialhilfe sowie empfindliche Steuererhöhungen bei Gering- und Mittelverdienern vereinbart. Gleichzeitig werden die Reichen verschont, während frühere Investitionen ausländischer Finanzhäuser bei den irischen Pleitebanken in voller Höhe zurückgezahlt werden sollen. Gerade letzter Aspekt sorgt für große Verärgerung bei der irischen Bevölkerung.

Bei einer Debatte am 29. November im Londoner Unterhaus um die Beteiliung Großbritanniens mit einem Darlehen von 8 Milliarden Euro am "Rettungspaket" für Irland versuchte der britische Schatzmeister George Osborne zu erklären, warum bei solchen Operationen stets die Steuerzahler zur Kasse gebeten, die großen Finanzhäuser dagegen ungeschoren davon kommen. Unter Verweis auf die Verwerfungen im internationalen Finanzsystem infolge des Kollapses der New Yorker Investitionsbank Lehman Brothers vor zwei Jahren erklärte Osborne: "Aus Gründen der finanziellen und wirtschaftlichen Stabilität wurde beschlossen, daß es nicht möglich und auch nicht sinnvoll wäre, die großen Anleiheinhaber der irischen Banken zu bitten, einen Haarschnitt [eine Reduzierung der ihnen zustehenden Summen] zu akzeptieren. ... Kleinere Anleiheinhaber werden Verluste hinnehmen müssen und das ist angemessen." So spricht ein wahrer Sproß des alteingesessenen britischen Adels.

Was unter "wurde beschlossen", daß der "Haircut" für die Großbanken "nicht möglich" sei, zu verstehen ist, ging aus einem am 28. November veröffentlichten Artikel der irischen Zeitung Sunday Independent hervor. Reporter Jody Corcoran berichtete über den Stand der tagelangen, noch kurz vor dem Abschluß befindlichen Verhandlungen Dublins mit IWF, EZB und EU-Kommission. Laut Corcoran hatte die irische Delegation bei den Gesprächen in Dublin gegenüber den EU-IMF-Vertretern versucht die Möglichkeit zu erörtern, ob es für den irischen Staat nicht besser wäre, wenn es sich weigere, die Schulden seiner Banken zu übernehmen, und statt dessen für sie ein ordentliches Insolvenzverfahren einleite. Der Vorschlag ist offenbar auf keine große Zustimmung gestoßen. "Die Europäer flippten völlig aus", erklärte eine von Corcoran zitierte ranghohe Quelle innerhalb der irischen Regierung.

Daß bei den Verhandlungen mit schweren Bandagen gekämpft worden ist, läßt sich auch anhand von Äußerungen, die der irische Justizminister Dermot Ahern am 30. November im Interview mit dem irischen Rundfunk Raidió Teilifís Éireann (RTÉ) machte, ganz klar erkennen. Ahern hat an diesem Tag bekanntgegeben, daß er bei den nächsten Parlamentswahlen, mit denen im Frühjahr gerechnet wird, nicht mehr kandidieren, sondern sich aus "Gesundheitsgründen" völlig aus der Politik zurückziehen wird. Ahern war in den Tagen zuvor heftig kritisiert worden, weil er am 21. November, als noch die Entsendung einer IWF-EU-Delegation nach Dublin in der Vorbereitung befand, erklärte hatte, Berichte über bereits angelaufene Verhandlungen über ein "Rettungspaket" wären reine "Fiktion" gewesen. Gegenüber RTÉ erklärte Ahern, seitens der EZB hätte man "unglaublichen Druck" auf die Dubliner Regierung ausgeübt, auf das Irland unter dem IWF-EU-Rettungsschirm flüchte. "Es gab Leute von außerhalb dieses Landes, die versuchten uns dazu zu bringen, einen Antrag zu stellen und den Kampf aufzugeben. Dabei hatten wir es als Regierung nicht einmal in Erwägung gezogen", so Ahern. Dieser fügte hinzu, er nehme seit 13 Jahren an EU-Ministerberatungen teil, habe dabei viel über Solidarität gehört, doch jetzt, wo es hart auf hart komme, werde Irland jene Solidarität verweigert und stattdessen "den Wölfen zum Fraß vorgeworfen".

Bei der Debatte um den "Rettungsplan" haben die Oppositionsführer Enda Kenny von Fine Fael und Eamon Gilmore von der Labour Party, die vermutlich der nächsten Regierung vorstehen werden, Cowen und Lenihan bezichtigt, bei den Verhandlungen mit IWF, EZB und EU-Kommisssion einen katastrophal schlechten Deal für Irland herausgeholt und damit das Land praktisch zu einer jahrzehntelangen Schuldenkneckschaft verurteilt zu haben. Pearse Doherty, der frischgewählte Abgeordnete der oppositionellen Sinn Féin, hat angekündigt, seine Partei erwäge einen Gang zum Obersten Gerichtshof, um das "Rettungspaket", das die Regierung allein beschließen und dem Parlament nicht zur Abstimmung vorlegen will, zu blockieren. Sinn Féin will bekanntlich am 7. Dezember gegen den Haushaltsentwurf für 2011 stimmen. Sollten alle Fraktionsmitglieder von Fine Gael und Labour sowie die beiden unabhängigen Abgeordneten Michael Lowry und Jackie Healy-Rae und/oder irgendwelche Fianna-Fáil-Abweichler dies auch tun, werden die Karten neu gemischt. Dann stehen eventuell vorgezogene Neuwahlen und erneute Verhandlungen über die irische Finanzkrise wieder an.

1. Dezember 2010