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PARTEIEN/304: Irland feiert den Osteraufstand von 1916 (SB)


Irland feiert den Osteraufstand von 1916

Widersprüche kennzeichnen das Gedenken an Connolly, Pearse et al.


In Irland wurde über Ostern der Aufstand vor hundert Jahren mit viel Pomp und Zeremonie gefeiert. Bei jener Erhebung haben am Ostermontag 1916 rund 1.250 Mitglieder der Irish Volunteers, der sozialistischen Irish Citizens Army und der Frauenbrigade Cumann na mBan mehrere wichtige Gebäude in Dublin besetzt, vor den Granitsäulen des Hauptpostamts die Republik Irland ausgerufen und sich fast eine Woche lang den Angriffen von 16.000 britischen Soldaten widersetzt. Nach sechs Tagen schwerer Kämpfe waren 485 Menschen tot und weite Teile der Dubliner Innenstadt durch britisches Artilleriefeuer, unter anderem von den Schnellfeuergeschützen des Kriegsschiffs Helga, zerstört. Waren sich die meisten Iren anfangs über die Zweck- und Rechtmäßigkeit des Aufstands uneinig, änderte sich dies, als in den Wochen darauf die britischen Militärbehörden 16 Anführer der Rebellion einschließlich aller sieben Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung als Verräter erschießen ließen.

Ein Jahr nach Ende des Ersten Weltkriegs kam es zum Irischen Unabhängigkeitskrieg, der mit einer begrenzte Unabhängigkeit für 26 der 32 Grafschaften endete. Die sechs Grafschaften im Nordosten der Insel, deren mehrheitlich protestantische Bewohner sich in erster Linie als Briten betrachteten, blieben Teil des Vereinigten Königreichs. Irland wurde geteilt. Der Streit im katholisch-nationalistischen Lager über den ausgehandelten Friedensvertrag zwischen Dublin und London führte wiederum zum Irischen Bürgerkrieg, der von 1922 bis 1923 dauerte und bis heute nachwirkt.

Die beiden Parteien, welche die Politik der Republik Irland seit der Loslösung von Großbritannien dominieren, haben ihre Wurzeln im Bürgerkrieg. Die Gewinner, die Gründer der Partei Fine Gael, vertraten und vertreten bis heute diejenigen, die vom Handel mit England profitieren und Interesse an einer Versöhnung mit dem einstigen Kolonialherren haben, wie zum Beispiel die Großbauern und das Bürgertum. Fianna Fáil, deren Gründer im Bürgerkrieg unterlagen, hat sich stets als Verteidigerin der Kleinbauern und des gemeinen Volkes hervorgetan und lehnt die Teilung der Insel ab. Dessen ungeachtet haben sich beide Parteien zu nationalkonservativen Vertretern der bestehenden kapitalistischen Ordnung mit all ihren Vor- und Nachteilen entwickelt.

Am 26. Februar, nur wenige Wochen vor den Feierlichkeiten zum hundertjährigen Jubiläum des Easter Rising, fanden in Irland Parlamentswahlen statt, die ein interessantes Ergebnis hatten. Zum ersten Mal in der Geschichte haben Fianna Fáil und Fine Gael gemeinsam weniger als 50 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich vereinen können. Nach fünf Jahren in der Opposition hat sich Fianna Fáil von ihrem katastrophalen Ergebnis 2011 im Zuge der Finanzkrise erholt und die Zahl ihrer Abgeordneten von 20 auf 44 mehr als verdoppelt. Die regierende Fine Gael wurde vom Wähler für ihre unsoziale Austeritätspolitik bestraft. Zwar blieb sie stärkste Fraktion, doch die Zahl ihrer Mandate sank von 76 auf 50.

Die größte Verliererin der Wahl aber war die Labour Party. Wegen ihrer Mitverantwortung für drastische Steuererhöhungen und schmerzhafte Kürzungen der staatlichen Ausgaben vor allem in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Soziales schrumpfte die Vertretung der einstigen Arbeiterpartei im Dáil, dem irischen Unterhaus, von 33 auf 7 Sitze. Größte Profiteure der Unzufriedenheit der Wähler waren Sinn Féin, die neun Mandate hinzugewannen und künftig 23 Abgeordnete stellen, sowie linke Kleinparteien wie Independents-4-Change, die People-Before-Profits/Anti-Austerity-Alliance und die neuen Social Democrats, die jeweils 4, 4 und 3 Sitze gewannen, sowie die vielen anderen unabhängigen Kandidaten. Außerdem schafften die Grünen mit zwei Sitzen gerade noch wieder den Sprung ins Parlament.

Folglich fanden die Feierlichkeiten zum Osteraufstand vor dem Hintergrund einer Pattsituation im Parlament statt. Bei der ersten Sitzung der neuen Legislaturperiode am 10. März fand sich keine Mehrheit für einen Verbleib Enda Kennys als Taoiseach (Premierminister). Dennoch bleibt der Fine-Gael-Vorsitzende samt Kabinett vorerst geschäftsführend im Amt. Seit Bekanntgabe des offiziellen Wahlergebnisses sind Kenny und Fianna-Fáil-Chef Mícheál Martin eifrig dabei, jeweils eine Koalition zusammenzubasteln, mit der sie künftig eine Minderheitsregierung führen könnten.

Obwohl rechnerisch alles im 158sitzigen Dáil für eine große Koalition aus Fianna Fáil und Fine Gael spricht, sträuben sich beide Parteien heftig dagegen. Dafür gibt es wichtige Gründe. Erstens, weil beide Fraktionen eine Fortsetzung jener Austeritätspolitik befürworten, welche Fianna Fáil 2010 ursprünglich mit der Troika aus IWF, EZB und EU-Kommission beschlossen und Fine Gael weiter umgesetzt haben, befürchten sie zurecht, daß eine von ihnen bei der nächsten Wahl wie vor kurzem Labour und davor die Grünen in die Bedeutungslosigkeit abzustürzen wird. Zweitens, durch die erstmalige Koalition käme Fianna Fáil und Fine Gael die Existenzberechtigung - nämlich die These, daß sie sich politisch voneinander wesentlich unterscheiden - abhanden; jenes Märchen ließe sich künftig nicht mehr aufrechterhalten. Drittens, bliebe Sinn Féin mehrere Jahre lang die Führungsrolle auf den Oppositionsbänken überlassen, könnte ihr das am Ende einer regulären Legislaturperiode den Aufstieg zur größten Fraktion bescheren - was das Alptraumszenario für das bisherige Zwei-Parteien-Kartell schlechthin wäre.

Das 100jährige Jubiläum zum Osteraufstand spiegelte die unsicheren politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Irland wider. Am Ostersonntag fand der große Staatsakt vor dem Hauptpostamt im Zentrum Dublins quasi unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Die Polizei hatte den Prachtboulevard O'Connell Street komplett abgesperrt. Nur geladene Prominenz aus Politik, Wirtschaft, Sport und Medien nahm auf den Zuschauertribünen Platz. Einfache Bürger waren nirgendwo zu sehen, statt dessen unzählige Polizisten, Soldaten und Journalisten. Die Zwei-Klassen-Gesellschaft wurde am Ostermontag unterstrichen. An diesem Tag stand Dublin unter den Vorzeichen eines riesigen Volksfests: die O'Connell Street und das Hauptpostamt waren wieder frei zugänglich, die Museen waren geöffnet, es gab zahlreiche Konzerte und historische Aufführungen im Freien, viele Menschen nahmen in historischen Kostümen an den Feierlichkeiten teil.

Von der ganzen Politikerkaste, die an diesem Wochenende den gefallenen Helden von einst ihre Ehrerbietung erbrachte, hat nur eine Person wirklich überzeugen können - nämlich der irische Präsident Michael D. Higgins. Der angesehene Dichter und Universalgelehrte hat die Revisionisten - jene Kamarilla aus pro-britischen Historikern und Publizisten, die seit Jahren versuchen, den Osteraufstand als undemokratischen Akt irregeleiteter Radikalinskis zu brandmarken - in ihre Schranken verwiesen. In einem Interview, das Higgins dem staatlichen irischen Fernsehsender RTÉ gab und das am Osterwochenende ausgestrahlt wurde, hat die einstige Galionsfigur des linken Flügels der Labour Party den historischen Streit mit folgender kategorischer Aussage für die Anhänger der Republik entschieden: "Säße ich hier vor Ihnen als Staatsoberhaupt eines freien und unabhängigen Irlands, wenn es den Osteraufstand nicht gegeben hätte? Ehrlich gesagt, glaube ich es nicht." Higgins legte in einer Grundsatzrede im Dubliner Mansion House am Abend des Ostersonntags nach. Jahrelang habe man die Motive und die Handlungen der Männer und Frauen, die sich am Ostermontag 1916 gegen das britische Empire erhoben haben, untersucht und hinterfragt - und das sei auch gut so; irgendwann sei es jedoch an der Zeit, den "triumphalistischen Imperialismus" Großbritanniens zu Beginn des 20. Jahrhunderts einer genau so strengen Überprüfung zu unterziehen, so Higgins.

Die Revisionisten, angeführt vom ehemaligen Premierminister und Fine-Gael-Vorsitzenden John Bruton, lassen sich dennoch in ihrer einseitigen, Großbritannien-freundlichen Betrachtung nicht beirren. Jüngster Höhepunkt der Kampagne solcher Quislinge sind die vermeintlichen Erkenntnisse, welche der ehemalige irische Punk-Rocker und politische Schreihals Bob Geldof in den letzten Tagen im Fernsehen sowie in der Zeitung von sich gibt. Geldof, inzwischen ein von Königin Elizabeth II. geadelter Fernsehproduzent und Publizist, der seit mehr als 30 Jahren in London lebt, argumentiert, die Teilnehmer des Osteraufstands seien die Vorläufer der heutigen Selbstmordattentäter vom Islamischen Staat und Al Kaida. Derlei Polemik mag in der Medienmetropole an der Themse politisch opportun sein, mitnichten wird sie jedoch der Bedeutung jenes Ereignisses gerecht, das den Startschuß für die weltweite Anti-Kolonial-Bewegung des 20. Jahrhunderts abgegeben hat.

4. April 2016


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