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INTERVIEW/005: Rabbi Abraham Cooper zum Thema "Extremismus" (SB)


Interview mit Rabbi Abraham Cooper am 28. Juni in Dublin


Der 1950 in New York geborene Abraham Cooper gehört laut Newsweek zu den einflußreichsten Rabbinern in den USA und genießt auch international hohes Ansehen. Bereits in den siebziger Jahren verhandelte er mit der Führung in Moskau über die Ausreise von sowjetischen Juden nach Israel. 1977 gründete er zusammen mit Rabbi Marvin Hier in Los Angeles das nach dem berühmten Nazijäger benannte Simon Wiesenthal Zentrum, das neben der Anti-Defamation League als eines der wichtigsten jüdischen Menschenrechtsorganisationen gilt. Rabbi Cooper zählt zu den Gegnern der aktuellen Boykott-Kampagne gegenüber Israel wie auch seit mehr als zehn Jahren zu den eifrigsten Verfechtern der Verbannung politisch anstößigen Materials aus dem Internet. Auf dem Gipfeltreffen gegen gewalttätigen Extremismus in Dublin hatte der Schattenblick am 28. Juni die Gelegenheit, ein Interview mit ihm zu führen.

Rabbi Abraham Cooper - Foto: © 2011 by Schattenblick

Rabbi Abraham Cooper
Foto: © 2011 by Schattenblick
Schattenblick: Was macht ein Vertreter des Simon Wiesenthal Center hier auf dem Summit Against Violent Extremism? Gehören Sie zu den Organisatoren bzw. Ideengebern oder sind Sie einfach als Delegierter anwesend?

Abraham Cooper: Ich bin zwar einer von vielen Konferenzteilnehmern, habe aber über Facebook auch eine laufende Verbindung zu Google Youth. Wir vom Simon Wiesenthal Center bemühen uns, die Leute von Google über die neuesten Strategien aufzuklären, derer sich die Haß- und Terrorgruppen im Internet bedienen, und dafür zu sorgen, daß die wichtigsten Unternehmen ihren Pflichten als Online-Bürger nachkommen. Facebook zum Beispiel hat bereits Tausende anstößiger Seiten mit rassistischen, antisemitischen und terroristischen Inhalten vom Netz genommen. Und wir führen ähnliche Diskussionen mit Google - vor allem seit ihnen Youtube gehört. So gesehen ist meine Anwesenheit hier Ausdruck einer laufenden Kooperation. Sie hängt aber auch mit der Tatsache zusammen, daß sich unter den Teilnehmern der Podiumsdiskussionen Leute wie der Ex-Neonazi T. J. Leyden befinden, dessen persönliche Wandlung durch unser Museum of Tolerance in Los Angeles begünstigt wurde.

SB: Wenn ich mich richtig erinnere, sagte der ehemalige Skinhead Tim Zaal, der heute bei der Podiumsdiskussion um "Deformed Social Networks" ("Deformierte soziale Netzwerke") aufgetreten ist, er arbeite inzwischen für das Simon Wiesenthal Center. Habe ich das richtig gehört?

AC: Ja, das haben Sie. Tim hält mehrmals im Monat einen Vortrag in unserem Museum. Wie Sie vielleicht beobachtet haben, ist er ein sehr ehrlicher und effektiver Kommunikator, was gerade bei den Jugendlichen gut ankommt, denn sie können sich mit seinem Kampf identifizieren und sich hoffentlich von seiner Entscheidung, dem Haß schließlich den Rücken zu kehren, inspirieren lassen.

SB: Wenn man sich Tim Zaals Vergangenheit vor Augen führt, dann mutet der Weg zu Ihnen recht merkwürdig an. Er hätte sich doch zum Beispiel bei einer christlichen Selbsthilfegruppe oder ähnlichem engagieren können. Um es auf den Punkt zu bringen: Er ist im Grunde zu seinen einstigen Feinden übergelaufen. Wie sehen Sie das?

AC: Es stimmt schon. Im Falle von T. J. war es seine Mutter, die ihn zu uns brachte. Was ihn und Tim betrifft, so ist die Wandlung nicht von heute auf morgen erfolgt, sondern hat eine ganze Weile gedauert. Auf unserer Seite war es so, daß wir beiden Männern eine sehr lange Zeit nicht über den Weg trauten. Es ist eine interessante Tatsache, daß die Wandlung bei T. J. und Tim erst erfolgte, nachdem sie Väter geworden waren und sahen, wie ihr Haß von den eigenen Kindern absorbiert wurde, und dabei begriffen, was das für deren Werdegang oder weiteres Leben bedeuten würde. Das hat ihnen den letzten Schub gegeben und sie dazu motiviert, den endgültigen Bruch mit ihrer Vergangenheit zu vollziehen. Das zeigt uns, daß eine der größten Gaben, die wir als Menschen in uns tragen, die Möglichkeit zur Veränderung ist.

SB: Ich würde Ihnen gern eine Frage zu einem Aspekt der US-Innenpolitik stellen, die große außenpolitische Relevanz hat. In der Diskussion heute morgen mit Anne-Marie Slaughter hat Aicha el- Wafa, die Mutter von Zacarias Moussaoui, dem "20. Hijacker" des 11. September, ihre Hoffnung bezüglich eines Friedens und einer Versöhnung zwischen Israelis und Palästinensern zum Ausdruck gebracht. König Abdullah II. von Jordanien hat in seiner vor kurzem erschienenen Autobiographie ebenfalls die Vollendung des Friedensprozesses im Nahen Osten zur wichtigsten Voraussetzung für ein harmonisches Miteinander zwischen Israel und den arabischen Nachbarstaaten erhoben. Inwieweit müßte seitens der großen jüdischen Organisationen in den USA mehr Druck auf die Regierung in Israel ausgeübt werden, wie ihn Gruppen wie J-Street fordern, damit Tel Aviv endlich die Verhandlungen mit den Palästinensern zu einem vernünftigen und für alle Seiten akzeptablen Abschluß bringt?

AC: Ich glaube, daß die US-Innenpolitik für den Nahost-Friedensprozeß völlig irrelevant ist. Es wird erst dann Frieden geben, wenn Israels Nachbarn dazu bereit sind. Politische Initiativen von außen können wenig bis gar nichts bewirken. Ich vergleiche den Nahost-Friedenprozeß mit der teuersten Hochzeit aller Zeiten, bei der die USA und EU für die schönste Umgebung und das Beste an Essen und Musik gesorgt haben. Doch damit die Hochzeit über die Bühne geht, braucht man einen Bräutigam und eine Braut, die heiratswillig sind. Auf sie, die Israelis und die Palästinenser, kommt es letztendlich an. Wir können das beste Essen auftischen und die schönste Musik spielen, doch am Ende liegt die wichtigste Entscheidung nicht in unseren Händen, sondern muß von den Hauptakteuren kommen. Weit mehr als 85 Prozent der Israelis sind zum Frieden mit den Nachbarn und zu einer Zweistaatenlösung bereit - nicht aber zu einer Dreitstaatenlösung (Israel/Fatah-Westbank/Hamas-Gazastreifen - Anm. d. SB-Red.).

Die Palästinenser müssen das Hamas-Problem lösen. Und sie müssen zu der selben Einsicht wie die Israelis kommen, nämlich daß nicht alle ihre Forderungen in Erfüllung gehen können und sie an bestimmten Punkten Abstriche machen müssen, zum Beispiel beim Recht der Flüchtlinge auf Wiederkehr. Wenn sie sich schließlich für den Frieden entscheiden, wird er sich dermaßen schnell einstellen, daß wir uns wundern werden, warum es solange gedauert hat. Von daher, mit Respekt gegenüber J-Street und anderen Gruppen von außerhalb der Region, denke ich, daß ihre Bemühungen, auch wenn sie den hehrsten Motiven entstammen, entweder überflüssig sind oder manchmal das falsche Signal an diejenigen senden, welche die notwendige Kurskorrektur vornehmen müssen.

SB: Gleichzeitig wird gegenüber einigen zionistischen Organisationen in den USA wie dem American Israel Public Affairs Committee (AIPAC) der Vorwurf erhoben, sie sandten ebenfalls falsche Signale aus, indem sie den Hardlinern in Israel in ihrer unnachgiebigen Haltung den Rücken stärkten.

AC: AIPAC ist eine registrierte Lobby-Gruppe im Interesse des Staates Israel, und das Signal, das seine zehntausend Mitglieder bei der Jahresversammlung im Mai in Washington im Beisein von Präsident Barack Obama und Premierminister Benjamin Netanjahu aussandten, lautete, Israel sei zu einer Zweistaatenlösung bereit, die auch mit dem Austausch von Landstrichen einhergehen müßte. Letztlich läuft das Ganze auf fünf Worte hinaus: "Wir akzeptieren einen jüdischen Staat". Sobald Präsident Mahmud Abbas und seine Leute diese Worte über die Lippen bringen, wird es Frieden geben. Vorher nicht.

Die Schrecken der Gewalt: ob da die Liebe obsiegt? - ein auf dem Antiextremismusgipfel gemaltes Graffiti - Foto: © 2011 by Schattenblick

Die Schrecken der Gewalt: ob da die Liebe obsiegt? - ein auf dem Antiextremismusgipfel gemaltes Graffiti
Foto: © 2011 by Schattenblick

SB: Auf dieser Konferenz bekommt man den Eindruck, daß sich alle darüber einig sind, der "gewalttätige Extremismus" sei schlecht. Als jemand, der über Jahrzehnte durch die Kontaktaufnahme mit seinen Feinden wertvolle Erfahrungen gesammelt hat, wäre es da nicht vielleicht auch sinnvoll, Foren zu schaffen, wo sich ideologische Gegner treffen und austauschen können?

AC: Zunächst gebührt Google große Ehre dafür, eine wahnsinnig eklektische Mischung aus Leuten an einem Ort zusammengebracht zu haben. Zwar stimmt es, daß die Delegierten hier die gleiche Entscheidung getroffen haben, dem Extremismus abzuschwören, gleichwohl unterscheiden sich nicht nur die Umstände, wie sie dazu kamen, sondern auch ihre jeweiligen früheren Aktivitäten im großen Maße voneinander. Über die Vergangenheit dieser Leute sowie über ihre heutigen Bemühungen um eine bessere Welt etwas zu erfahren ist wichtig. Deshalb müßten solche Konferenzen wie diese häufiger stattfinden. Leider ist das nicht der Fall.

Gleichwohl stelle ich einen großen Unterschied unter den Teilnehmern fest. Auf der einen Seite hat man die Delegierten aus den USA und Lateinamerika: Ex-Neonazis, Ex-Guerillas, ehemalige Gangmitglieder et cetera. Sie haben sich alle vom Extremismus abgewandt, halten ihre Klagen der Gesellschaft gegenüber jedoch aufrecht. Gleichwohl erheben sie aber keine Forderungen als Preis dafür, daß sie der Gewalt abgeschworen haben. Auf der anderen Seite scheinen die Vertreter der islamischen Gruppierungen immer noch ihre Klagen in Bezug auf die Politik Washingtons oder Londons oder Jerusalems aufrechterhalten zu wollen. Doch es geht hier nicht um die jeweilige Beschwerde oder Klage, sondern darum, wie man sie im Rahmen der demokratischen Ordnung vorbringen und etwas zu ihrer Behebung unternehmen kann. Ein junger Moslem aus England brachte es heute morgen meines Erachtens gut auf den Punkt, als er erklärte, Islamist zu sein, könne keine berufliche Dauerbeschäftigung sein.

Was mich bisher auf der Konferenz besonders ermutigt hat, ist die gegenseitige Befruchtung, die sich auf dramatische und für mich völlig unerwartete Weise zugetragen hat, als sich die Menschen über die Unterschiede und Ähnlichkeiten ihrer religiös- und kulturbedingten Herkünfte, Motivlagen, Lebenskarrieren et cetera austauschten. Von daher möchte ich Google ein dickes Lob aussprechen, diese Tagung überhaupt organisiert zu haben. Als nächstes wird die Unternehmensleitung irgendwelche technische Lösungen ausprobieren, um den Extremismus im Netz einzudämmen. Das und alles, was sich aus der Konferenz entwickelt, werden wir mit größtem Interesse verfolgen. Wir haben zu diesem Thema bereits im Vorfeld der Konferenz einige Gespräche mit Google-Vertretern geführt, und das Digital Terrorism and Hate Project des Simon Wiesenthal Center kann bestätigen, daß die Verbreitung extremistischen Inhalts im Internet vor allem über soziale Netwerke erfolgt. Vor diesem Hintergrund ist uns jede Online-Hilfe, die wir erhalten können, um solche Umtriebe im Netz zu unterbinden oder ihnen zu begegnen, höchst willkommen. Daher begrüßen wir die Entscheidung von Google und auch von Facebook, eigenes Personal mit der Identifizierung und Entfernung von Internetseiten, über die Haß verbreitet wird, zu beauftragen.

Es hat zwar ein bißchen gedauert, aber endlich scheinen die großen Akteure im Internetgeschäft ihre soziale Verantwortung ernstnehmen zu wollen. Bei Google war mit der Übernahme von Youtube, wo in jeder Minute 48 Stunden Inhalt hochgeladen werden, der entscheidende Punkt erreicht. Die wichtigsten Internetanbieter haben endlich eingesehen, daß sie sich nicht mehr auf die Position der alten Telefongesellschaften zurückziehen und behaupten können, sie stellten nur die Verbindungen zur Verfügung und seien letztlich für den Inhalt, der darüber Verbreitung findet, nicht verantwortlich. Hoffentlich wird diese Erkenntnis die Online-Gemeinde dazu veranlassen, praktische Schritte zu unternehmen und einen Teil der riesigen Gewinne, die sie über das Internet erwirtschaften, für Zwecke einzusetzen, die der ganzen Gesellschaft zugute kommen.

SB: Rabbi Cooper, recht vielen Dank für das Gespräch.

Vorderansicht des neuen Dubliner Congress Centre von der neuen Samuel Beckett Bridge aus - Foto: © 2011 by Schattenblick

Vorderansicht des neuen Dubliner Congress Centre von der neuen Samuel Beckett Bridge aus
Foto: © 2011 by Schattenblick

19. Juli 2011