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INTERVIEW/040: Irlands neuer Widerstand - Die Not, die Wut, die Hoffnung ...    Pam Flynn & Fiona Healy im Gespräch (SB)


Interview mit Pam Flynn & Fiona Healy, Dublin, 27. Mai 2015


Die Entscheidung der irischen Regierung, die Verantwortung für die Wasserversorgung den Kommunen zu entziehen und sie einer neuen nationalen Wasserbehörde namens Irish Water zu übertragen, die Wassergebühren erheben und flächendeckend Wasserzähler installieren soll, hat zur Entstehung der größten Protestbewegung seit Jahrzehnten auf der grünen Insel geführt. Seit 2014 kommt es überall im Lande zu Aktionen des zivilen Ungehorsams, um den Einbau der Wasserzähler zu verhindern. Jüngsten Erhebungen zufolge weigern sich derzeit rund 60 Prozent der irischen Haushalte, sich bei Irish Water registrieren zu lassen. Über den erbitterten gesellschaftlichen Streit sprach der Schattenblick am 27. Mai in Dublin mit Pam Flynn und Fiona Healy, Mitglieder einer Anti-Wassergebühren-Gruppe in Baldoyle im Dubliner Nordosten.


Die Baldoyle Anti Water Meter Taskforce wirbt um Unterstützung - Foto: © 2015 by Baldoyle Anti Water Meter Taskforce

Pam Flynn & Fiona Healy verteilen Flyer vor den Baldoyle Shops
Foto: © 2015 by Baldoyle Anti Water Meter Taskforce

Schattenblick: Frau Flynn, bitte erzählen Sie uns, wie Sie dazu kamen, die Baldoyle Anti Water Meter Taskforce zu gründen.

PF: Ich bin Lehrerin für EDV, Internetnutzung und Textverarbeitung an der Schule für Erwachsenen- und Weiterbildung in Kilbarrack namens Klear. Als es losging mit den Wasserzählern, war eines der ersten Dinge, die ich darüber gehört habe, daß sie, weil sie nicht per Hand, sondern indirekt per Datenübertragung abgezählt werden sollten, Elektrosmog emittierten. Also las ich einige Studien von der Weltgesundheitsorganisation über die verschiedenen Strahlen, die solche Geräte abgeben. Die meisten galten als harmlos, aber da waren auch welche dabei, die möglicherweise Krebs auslösen könnten. Das hat mich beunruhigt, denn wir hatten drei Krebsfälle in meiner Familie - einer tödlich. Mein Mann hat zweimal Krebs gehabt, gilt als geheilt, und so soll er auch bleiben. Das war mein Antrieb zu sagen, wir dürfen solche Apparate nicht vor der eigenen Haustür eingebaut bekommen. Als in Irland die ersten Gruppen gegen die Wasserzähler gegründet wurden, hoffte ich, jemand würde das auch in Baldoyle machen. Als jedoch nichts geschah, begriff ich, daß ich dieser Jemand würde sein müssen und habe die Baldoyle Anti Water Meter Taskforce ins Leben gerufen, indem ich eine entsprechende Seite bei Facebook einrichtete und alle Interessierten zum Mitmachen aufrief.

SB: Wann genau war das?

PF: Das muß vor etwa einem Jahr gewesen sein.

Fiona Healy: Es war im April 2014. Im Mai stieß ich dazu.

SB: Sind Sie mit dem, was Sie seitdem erreicht haben, zufrieden?

PF: Ja und nein. Uns ging es darum, die Leute für das Thema der betrügerischen neuen Wassergebühren und alles, was damit zusammenhängt, zu sensibilisieren. Wir haben auch viele Menschen mobilisieren können, hauptsächlich über unsere Facebook-Seite. Es gibt aber viele Leute, insbesondere ältere Semester, die kaum oder gar nicht ins Internet gehen, ihre Informationen hauptsächlich vom staatlichen Rundfunk oder von der regulären Presse beziehen und daher eine einseitige, regierungsfreundliche Perspektive auf die ganze Debatte bekommen.

SB: Wie viele Follower hat denn die Facebook-Seite von der Baldoyle Anti Water Meter Task Force?

PF: Um die viertausend dürften es sein.

SB: Und wie viele von denen sind in Baldoyle und Umgebung ansässig?

PF: Das ist wirklich schwer zu sagen. Wir bekommen Kommentare, Likes, Anfragen aus ganz Dublin und dem restlichen Irland. Gleichwohl kennen viele Menschen, die in Baldoyle und den benachbarten Vierteln leben und die auf Facebook sind, unsere Seite und haben den Like-Knopf gedrückt. Unter diesen Menschen gibt es einen harten Kern an Aktivisten, die Sachen posten und bei Blockade-Aktionen mitmachen, sobald die von Irish Water beauftragten Bautrupps anrücken und hier in der Gegend Wasserzähler installieren wollen.

FH: Ich bin alleinerziehende Mutter, die von der Sozialhilfe lebt, kann mir einfach diese neuen Wassergebühren nicht leisten und weigere mich deshalb, sie zu bezahlen.

SB: Kannten Sie beide sich schon früher?

FH: Nein. Wir lernten uns erstmals an dem Vormittag kennen, als Bauarbeiter Wasserzähler vor Pams Haus installieren wollten.

PF: Ich hatte über Facebook einen Hilferuf gestartet, als am 7. Mai 2014 die Bauarbeiter mit ihren Wagen und ihrer Gerätschaft draußen vor der Tür auftauchten.


Polizist und Demonstranten stehen in Konfrontation um eine Baustelle von GMC Sierra in einer typischen Dubliner Reihenhaussiedlung - Foto: © 2015 by Baldoyle Anti Water Meter Taskforce

Die Polizei beobachtet eine Anti-Wasserzähler-Blockadeaktion im Dubliner Stadtteil Donaghmede im November 2014
Foto: © 2015 by Baldoyle Anti Water Meter Taskforce

SB: Und wie viele Menschen kamen, um Sie zu unterstützen?

PF: Da es werktags war und viele Menschen bei der Arbeit waren, kam nur eine Handvoll Hausfrauen, Fiona eingeschlossen, und ein Mann, der arbeitslos ist. Wir haben an viele Türen geklopft, aber die Leute, auf die wir trafen, wollten keinen Ärger. Es waren in der Regel Rentner. Bis zum Nachmittag hatten die Bauarbeiter etwa zwanzig Wasserzähler eingebaut. Da kamen dann aber ein paar Jugendliche von der Schule nach Hause, welche die Lage sofort checkten und unsere Reihen stärken wollten. Mit ihnen zusammen gingen wir zu der Stelle, wo gerade der nächste Wasserzähler eingebaut wurde, und haben versucht die Arbeiten zu verhindern. Da kam es zu unschönen Szenen. Die Bauarbeiter wollten unseren Akt des zivilen Ungehorsams nicht hinnehmen und haben uns herumgeschubst. Als sich ein Junge an den Hydraulikhammer klammerte, haben sie das Gerät einfach laufen lassen.

SB: Aber das ist doch illegal, denn es dürfte gegen die Nutzungsvorschriften verstoßen, oder?

PF: Natürlich. Eigentlich hätten sie das Gerät in dem Moment sofort ausschalten müssen, haben es aber nicht getan und dadurch eine schwere Verletzung des Jungen billigend in Kauf genommen. Auch wenn sie mit seinem Eingriff nicht einverstanden waren, handelten sie selbst, allesamt erwachsene Männer, vollkommen verantwortungslos.

SB: Haben sie die Polizei angerufen?

PF: Ja. Es kamen nach einer Weile zwei Beamte im Streifenwagen vorbei. Sie schauten sich die ganze Situation an und meinten, sie könnten nichts gegen uns unternehmen, denn es handele sich um eine friedliche Demonstration.

SB: Und das, obwohl Sie die Arbeiten behinderten und dem Bagger im Weg waren?

PF: Klar. Aus Sicht der Beamten handelte es sich um einen reinen zivilrechtlichen Streit. Sie konnten kein strafrechtlich relevantes Handeln feststellen, sind also wieder in ihr Auto eingestiegen und weggefahren. Allmählich gewann die Aktion an Fahrt. Es kamen immer mehr Menschen aus der Nachbarschaft um zu sehen, was los war. Die allermeisten von ihnen ergriffen für uns Partei und haben uns entweder zur Seite gestanden oder durch ihre bloße Anwesenheit die Lage für die Bauarbeiter unbequemer gemacht.

Nach einigen Stunden tauchte eine Frau von Irish Water auf, um nach dem Rechten zu schauen. Als diese Managerin die Videoaufnahmen in Augenschein nahm, welche die Bauarbeiter ihrerseits von der Konfrontation gemacht hatten, erkannte sie sofort, daß der Firma ein potentielles PR-Desaster drohte. Da war zu sehen, wie sie den Bagger trotz des Jungen, der sich daran klammerte, weiter arbeiten ließen. Da waren auch Bilder, wie sie wehrlose Hausfrauen rumgeschubst und einen anderen Jugendlichen zu Boden geworfen hatten. Als die Frau von Irish Water das alles sah, ist sie bleich im Gesicht geworden und hat sofort die Arbeiten für beendet erklärt. Die Bauarbeiter mußten das letzte Loch ohne eingebauten Wasserzähler wieder zumachen, ihre Geräte einpacken und sich davonmachen. Innerhalb einer Stunde waren sie verschwunden und sind seitdem nicht wieder aufgekreuzt.


Pam Flynn sitzt mitten auf den Betontrümmern des aufgebrochenen Bürgersteigs und hält sich mit einer Hand am Preßlufthammer fest - Foto: © 2015 by Baldoyle Anti Water Meter Taskforce

Pam Flynn im patriotischen Einsatz
Foto: © 2015 by Baldoyle Anti Water Meter Taskforce

FH: Einige Monate später hat eines Vormittags eine Bautruppe einer anderen Auftragsfirma ein paar Straßenzüge weiter begonnen, Wasserzähler zu installieren. Sie hatten vielleicht zehn geschafft, als wir dann mit einer kleineren Gruppe von vielleicht ein Dutzend Menschen auftauchten und den Arbeitern sagten, daß wir keine Wasserzähler in Baldoyle haben wollten. Statt sich auf einen Streit einzulassen, haben sie einfach ihre Sachen gepackt und die Siedlung verlassen.

SB: Aber die Lage hat sich verschärft, nachdem im vergangenen Herbst Irish Water vor Gericht eine Verfügung hat erwirken können, wonach sich die Demonstranten mindestens 20 Meter von der jeweiligen Baustelle entfernt aufhalten müssen und mehrere Protestierer vorübergehend ins Gefängnis gewandert sind, weil sie sich nicht daran gehalten haben. Wie erleben Sie seitdem die Proteste? Geht die Polizei energischer gegen die Demonstranten vor?

FH: Auf jeden Fall. Da hat die Polizei eine Zeitlang den Bauarbeitern geradezu geholfen, die Wasserzähler zu installieren. Es kamen manchmal bis zu 30 oder 40 Polizeibeamte, welche die Demonstranten einkesselten, bis die ganzen Wasserzähler in der jeweiligen Siedlung - einer vor jeder Behausung - installiert worden waren.

SB: Ist das auch in Baldoyle passiert?

FH: Bei uns noch nicht, aber in einigen Siedlungen in den benachbarten Stadtteilen Donaghmede, Clare hall und Edenmore. Eigentlich war es nicht Irish Water, sondern die Auftragsfirma GMC Sierra, die dem berüchtigten Milliardär und Steuerexilanten Denis O'Brien gehört, welche die Verfügung gegen die Anti-Wasserzähler-Protestler gerichtlich erstritten hat. Die Anordnung gilt somit nur für die Arbeiten von GMC Sierra im Großraum Dublin.

SB: Das heißt, die Regelung gilt nicht in anderen Landesteilen und auch nicht bei anderen Baufirmen?

FH: Korrekt.

SB: Und wann war das mit den Festnahmen von Derek Byrne und den vier anderen?

PF: Das war im Februar. Weil sie sich weigerten, eine Erklärung zu unterschreiben, wonach sie sich an die neue Regelung halten würden, mußten sie zweieinhalb Wochen im Mountjoy Gefängnis verbringen. Schließlich mußte der Richter sie aufgrund eines Formfehlers freilassen. In der Zwischenzeit hatte ihre Inhaftierung für große öffentliche Empörung gesorgt. Seit der Freilassung hält sich die Polizei bei den Einbauarbeiten für die Wasserzähler wieder merklich zurück. Die Beamten schalten sich nur noch ein, wenn ernsthaft Gewalttätigkeiten drohen, was angesichts des betont passiven Verhaltens der Demonstranten in der Regel nicht der Fall ist. Dennoch ist die Polizeipräsenz an den Baustellen seit der Verhängung der Verfügung deutlich größer als vorher.

FH: Letzte Woche hat die Polizei in Sallynoggin zum ersten Mal seit längerem wieder einen Beteiligten einer Sitzblockade einer Gruppe Anti-Wasserzähler-Demonstranten namens Stephen Bennett verhaftet. Die Verhaftung wurde mit der Störung der öffentlichen Ordnung begründet. Bis heute sitzt Stephen hinter Gittern, weil er sich weigert, sich an die vom Gericht verhängten Bedingungen - Hinterlegung einer größeren Kaution, nächtliches Ausgehverbot, Fernhalten von Wasserzähler-Installationsarbeiten - zu halten. [1] Der Verdacht besteht, daß die Justiz an ihm ein Exempel statuieren will, denn er ist als einer der führenden Köpfe hinter den Anti-Wasserzähler-Protestaktionen im Süden Dublins bekannt.

PF: Was die Polizei an Stephen stört, ist die Tatsache, daß er alles andere als aggressiv oder laut auftritt. Als Aktivist bleibt er immer ruhig, leise, zuvorkommend, aber gleichzeitig in seinem Beharren auf sein Recht auf öffentliche Versammlung absolut unnachgiebig. Er kennt sich in den Gesetzen sowie in der irischen Verfassung bestens aus und bringt die Polizisten damit in Rage.

FH: Mit der Verhaftung von Stephen Bennett wollen die Behörden den Leuten angst machen, denn niemand will ins Gefängnis. Das ist klassische Einschüchterung. Zum Glück scheint es bei den Anti-Wasserzähler-Protesten bislang nicht zu funktionieren. Der Zulauf sowohl bei den täglichen Blockadeaktionen als auch den großen Protestmärschen ist immer noch recht hoch.

PF: Viele Aktivisten, ich eingeschlossen, haben die Angst vor einer Festnahme verloren. Wenn es passiert, passiert es halt. Aber wegen dieser Androhung gebe ich den Kampf gegen Irish Water und die mögliche Privatisierung einer der wichtigsten Ressourcen Irlands nicht auf.


Fiona Healy und Mitstreiterinnen halten das Banner der Baldoyle Anti Water Meter Taskforce hoch - Foto: © 2015 by Baldoyle Anti Water Meter Taskforce

Auch Baldoyle war bei der gigantischen Anti-Wasserzähler-Demo im November 2014 vertreten
Foto: © 2015 by Baldoyle Anti Water Meter Taskforce

SB: Könnte man sagen, daß Sie beide sich durch ihre Involvierung in diese Kampagne politisch radikalisiert haben?

PF: Auf alle Fälle.

FH: Ich denke, unsere Augen sind geöffnet worden, was Korruption und politische Machenschaften in diesem Land betrifft. Ich glaube, viele von uns sind zu der Erkenntnis gekommen, daß wir weiter kämpfen müssen, wenn wir eine halbwegs ordentliche Zukunft für unsere Kinder wollen. Gerade dieser Tage hat die amtierende Regierung beschlossen, den staatlichen Anteil an Aer Lingus, der nationalen irischen Luftlinie, an ein internationales Konsortium zu verkaufen. Dazu bestand überhaupt keine Notwendigkeit, denn Aer Lingus schreibt seit Jahren schwarze Zahlen. Es wird dennoch gemacht, weil irgendwelche Insider, die über politische Verbindungen verfügen, einen Reibach machen wollen. Dasselbe gilt für Irish Water. Die Pläne zu dessen Privatisierung liegen längst in der Schublade. Vorher müssen aber Politik, Justiz und Medien die ganze Bevölkerung unter Druck setzen, sich bei Irish Water als Kunde zu registrieren, während flächendeckend die Wasserzähler angebracht und dadurch scheinbar vollendete, nicht veränderbare Tatsachen geschaffen werden.

SB: In Verbindung mit den Anti-Wasserzähler-Protesten ist vielfach der Vorwurf der Politisierung der Polizeiarbeit erhoben worden. Stimmen Sie dem zu? Wie würden Sie ihr Verhältnis zur Polizei beschreiben? Haben Ihre Erfahrungen bei den Protesten Ihre Meinung über die Polizei verändert?

PF: In ganz Irland hat das Ansehen der Polizei durch die Art und Weise, wie sie sich von der Politik hat instrumentalisieren lassen, um einfache Bürger zu drangsalieren und wie Verbrecher zu behandeln, enorm gelitten. Das Bild vom unbewaffneten, irischen Polizeibeamten als Freund und Helfer, das bis vor kurzem weitgehend herrschte, hat in den vergangenen eineinhalb Jahren schweren Schaden genommen. Im Verhältnis zwischen Bürger und Polizei in Irland wäre es nicht übertrieben von einem Paradigmenwechsel zu sprechen.

Wir haben aus Polizeikreisen erfahren, daß die Moral bei den Beamten vollkommen am Boden liegt. Wegen der staatlichen Kürzungen werden viele kleine Polizeiwachen auf dem Land geschlossen und Überstunden kaum genehmigt. Ungeachtet dessen soll die Polizei überall und zu jeder Zeit GMC Sierra und den anderen Auftragsfirmen helfen, gegen den Willen der Bevölkerung Wasserzähler zu installieren. Wir haben uns sagen lassen, daß sich viele Polizisten krank melden, sobald sie mitbekommen, daß für den nächsten Tag die Begleitung der Wasserzählerinstallateure auf dem Dienstplan steht.

FH: Leider hat das Phänomen dazu geführt, daß die Beamten, die dann die Aktionen der Anti-Wasserzähler-Protestler sozusagen im Zaum halten sollen, diejenigen sind, die tendentiell Bock auf Konfrontation haben. Dabei wissen sie, daß sie die volle Rückendeckung der Politik genießen, wenn sie mit den Demonstranten brutal umspringen.

SB: In einigen Fällen in Dublin ist es auch zum Einsatz vermummter privater Sicherheitsdienstleister gekommen, welche die Anti-Wasserzähler-Aktivisten mit Videokameras filmten und sie mit Sprüchen wie "Wir wissen, wo du wohnst" bzw. "Wir wissen alles über dich" bedroht und einzuschüchtern versucht haben. Bei diesen Leuten, die ziemlich massiv auftraten, soll es sich um Mitarbeiter von Firmen handeln, die von ehemaligen Polizisten und Elitesoldaten der irischen Armee gegründet wurden. Was wissen Sie darüber?

PF: Das ist in Stoneybatter, einem Viertel der nördlichen Innenstadt von Dublin, passiert. Es war Denis O'Briens GMC Sierra, die zwecks Verstärkung dort das Unternehmen Pulse Security eingesetzt hat. Das sind wirklich unangenehme Leute, die auf das Recht des Stärkeren setzen. Eine Freundin von mir, Deborah, wohnt in Stonybatter. Eines Nachts, als sie zu Fuß auf dem Heimweg war, wurde sie von finsteren Gestalten verfolgt, die sie irgendwann einholten, gegen die Wand drückten und ihr ins Gesicht sagten, sie nehme nicht mehr an den Anti-Wasserzähler-Protesten teil, wenn sie wisse, was gut für sie sei. Danach war sie fix und fertig. Kurz darauf hat sie eine Fehlgeburt gehabt, was sie auf dieses traumatische Erlebnis zurückführt. Bis heute hat sie die Geschichte nicht ganz überwunden.

SB: Gelang es GMC Sierra, die Wasserzähler in Stoneybatter doch noch zu installieren?

FH: Leider ja. Die Einwohner haben ihnen die Arbeit so schwer gemacht wie möglich. Es zog sich alles in die Länge. Aber am Ende hat sich GMC Sierra durchgesetzt. Die Menschen da sagten danach, sie fühlten sich, als seien sie kollektiv vergewaltigt worden.

SB: Mitte bis Ende der Nullerjahre tobte eine heftige Kontroverse um den Bau einer Pipeline zwischen dem Corrib-Gasfeld im Nordatlantik und einer Gasaufbereitungsanlage in Rossport in der Grafschaft Mayo an der Nordwestküste Irlands, die der internationale Energiekonzern Shell gegen den Willen der dortigen Bevölkerung errichten wollte. Damals hat das brutale Vorgehen der irischen Polizei gegen die Aktivisten der Gruppe Shell to Sea, die vor allem die Aufbereitung auf See und nicht an Land durchgeführt haben wollte, für Empörung gesorgt. Die Polizei wurde dabei über Jahre von privaten Sicherheitsfirmen unterstützt. Angesichts der staatlichen Maßnahmen gegen die Anti-Wasserzähler-Bewegung gewinnt man den Eindruck, daß die irische Polizei nun landesweit die berüchtigten Praktiken umsetzt, die sie über Jahre in Rossport üben konnte. Stimmen Sie dem zu?


Irlands Regierung bringt ein Großaufgebot der Bereitschaftspolizei gegen das eigene Volk in Stellung - Foto: © 2015 by Baldoyle Anti Water Meter Taskforce

Die Kildare Street, an der das irische Parlament liegt, anläßlich der großen Anti-Wassergebühren-Demo im Belagerungszustand
Foto: © 2015 by Baldoyle Anti Water Meter Taskforce

PF: Absolut. Ich kann mich noch erinnern, wie mich damals die Berichte aus Rossport im Fernsehen entsetzten. Ich habe mir niemals vorstellen können, daß ich solche Zustände vor der eigenen Haustür erleben würde. Aber tatsächlich ist es so gekommen. Rossport ist inzwischen überall.

FH: Bezeichnend ist auch die Tatsache, daß Dennis O'Brien 2013 die Firma Topaz - eine Fusion der Tankstellenketten der beiden Hauptbeteiligten an der Förderung von Gas aus dem Corrib-Feld, Shell und Statoil - von der irischen Bad Bank, Irish Banking Resolution Corporation (IBRC), günstig ersteigert hat. Im selben Jahr bekam Topaz den höchst einträglichen Zuschlag, die irische Armee und Polizei mit Treibstoff zu versorgen. Vermutlich hat O'Brien im Gegenzug im vergangenen Jahr Ex-Premierminister Brian Cowen in den Topaz-Vorstand geholt.

SB: Sind die Proteste gegen Irish Water und gegen die Einführung von Wasserzählern ein themenspezifisches Phänomen oder muß man sie als Teil einer größeren Reaktion auf die Austeritätspolitik der Regierung der vergangenen Jahre begreifen?

FH: Die Anti-Wasserzähler-Proteste sind ganz klar Ausdruck der allgemeinen Unzufriedenheit mit der Art und Weise, wie den einfachen Menschen durch Steuererhöhungen und Kürzungen staatlicher Ausgaben die Kosten der irischen Bankenkrise aufgebürdet wurden. Was als Proteste einzelner Gruppen begann, ist inzwischen zu einer regelrechten Massenbewegung geworden, deren Teilnehmer inzwischen über Wege einer gesellschaftlichen Transformation und einer Veränderung der Politik in progressiver Richtung diskutieren. Es geht nicht mehr nur um die Privatisierung des Wassersystems, sondern um den Kampf gegen Wohnungsnot, Billigjobs, Arbeitslosigkeit et cetera. Die Teilnahme an den Blockadeaktionen hat vielerorts das Gemeindeleben der Menschen bereichert. Leute haben erstmals entdeckt, daß sie, wenn sie zusammenhalten, nicht alles mit sich machen lassen müssen. Viele erfolgreiche Proteste gegen die Installation von Wasserzählern hatten richtigen Volksfestcharakter. Dagegen war die Polizei machtlos. Selbst wenn sie einige Teilnehmer festnahmen, war das bedeutungslos. Die Leute ließen sich aufs Revier mitnehmen, dort das Prozedere über sich ergehen und reihten sich nach einer kurzen Unterbrechung wieder in die Menschenkette ein.

SB: Haben Sie dabei Unterstützung seitens der Politik, sei es von Parteien oder unabhängigen Parlamentsabgeordneten oder Stadtsratverordneten, erfahren und wie würden Sie sie einschätzen?

PF: Von den etablierten Parteien, Fine Gael, Fianna Fáil und Labour, ist niemand gekommen. Dagegen sind unabhängige Kommunalpolitiker sowie Vertreter von der People Before Profit Alliance (PBPA) und Sinn Féin erschienen und haben sich demonstrativ an den Menschenketten beteiligt und sich den Bauarbeitern mit ihren Baggern und der Polizei in den Weg gestellt. Denise Mitchell, Sinn-Mitglied im Dubliner Stadtrat für den Bezirk Beaumont/Donaghmede, und Mary Lou McDonald, Vizepräsidentin von Sinn Féin, die für den Dubliner Bezirk Dublin Central im irischen Unterhaus sitzt, haben sich zum Beispiel an den Anti-Wassergebührprotesten in ihren jeweiligen Vierteln demonstrativ beteiligt.

FH: Stadtrat John Lyons von People Before Profit, der den Bezirk Dublin North Central vertritt, war und ist bei den Anti-Wasserzähler-Protesten sehr aktiv. Meines Erachtens war das auch ein wesentlicher Grund, warum er bei den Kommunalwahlen im Mai 2014 erstmals gewählt wurde. Dasselbe gilt für Michael O'Brien von der Anti-Austerity Alliance, der die Menschen in Beaumont/Donaghmede im Dubliner Stadtrat vertritt. Beide sind gute Politiker - volksnah, stets ansprechbar und zuverlässig.

SB: Wie stark sind die an der Kampagne gegen Irish Water und die Einführung von Wasserzählern beteiligten Gruppen vernetzt? Tauscht man sich untereinander aus?

PF: Ich betreibe unsere Facebook-Seite und stehe damit sozusagen in Dauerkontakt mit mehr als 200 ähnlichen Gruppen über ganz Irland verteilt. Ich berichte auf unserer Seite, wenn bei uns was los ist oder ansteht, und poste wiederum die interessantesten Meldungen von den anderen Gruppen. Sie alle haben Leute, die für sie dasselbe machen. Dadurch stärken wir uns gegenseitig.

Mit Dublin Says No hat alles angefangen. Als Anfang 2014 die Koalitionsregierung aus Fine Gael und Labour ihre Pläne zur flächendeckenden Einführung von Wasserzählern bekanntgab, hat sich eine Gruppe Bürger unter dem Namen Dublin Says No gebildet und ihr den Kampf angesagt (inzwischen ist Dublin Says No die größte Protestgruppe Irlands). Daraus hat sich ein Lauffeuer entwickelt, das schnell das ganze Land erfaßt hat. Im Sommer 2014 wurde der Dachverband Right2Water gegründet, der dann im vergangenen Herbst die großen Massendemonstrationen mit jeweils mehreren hunderttausend Teilnehmern maßgeblich organisierte.


Die Baldoyle Anti Water Meter Taskforce marschiert mit eigenem Banner - Foto: © 2015 by Baldoyle Anti Water Meter Taskforce

Pam Healy und Mitstreiter auf der großen Anti-Wassergebühren-Demo in November 2014
Foto: © 2015 by Baldoyle Anti Water Meter Taskforce

SB: Inwieweit ist die ungeheure Stärke der Anti-Wassergebühren-Proteste darauf zurückzuführen, daß es derzeit in Irland viele Arbeitslose gibt, die gerade zu Hause waren, als die Bautrupps in ihren Siedlungen anrückten, so daß sie dadurch deren Arbeit behindern bzw. unmöglich machen konnten?

PF: Das hat eine gewisse Rolle gespielt. Doch entgegen der Schilderung der Medien, wonach die Protestler fast alle nur aus Sozialhilfeempfängern und Arbeitslosen bestanden, nahmen Menschen aus allen gesellschaftlichen Gruppen wie Angestellte, sei es Vollzeit oder Teilzeit, Freiberufler, Hausfrauen, Rentner, jugendliche Schüler et cetera an den Aktionen teil. Und selbst wenn Arbeitslose oder Sozialhilfeempfänger überproportional beteiligt waren, was macht das aus? Hat man kein Anrecht mehr auf das Meinungs- und Versammlungsrecht, nur weil man staatliche Unterstützung erhält? Auch wenn einige konservative Pressekommentatoren diesen Standpunkt praktisch vertreten, weise ich dies als undemokratisch zurück.

FH: In der Irish Daily Mail wurde ich als Unruhestifterin diffamiert, die als alleinerziehende Mutter von Sozialhilfe lebe und lieber Krawall mache, als mich um mein Kind zu kümmern.

SB: Die mediale Hetzkampagne gegen Sie, Frau Healy, war doch eine Reaktion auf die schlechte Presse, welche Regierung und Polizei bekamen, als bei YouTube die Videoaufnahmen erschienen, wie Sie von zwei Polizisten mit voller Wucht gegen einen Poller geworfen wurden, nur weil Sie die Staatskarosse von Enda Kenny blockierten, als der Premierminister eine Veranstaltung im Mansion House, der Residenz des Dubliner Bürgermeisters, verlassen wollte, nicht wahr?

FH: So ist es.

SB: War das am Rande des großen Protestmarschs im vergangenen November?

FH: Nein. Es war das Wochenende darauf. Der Anlaß war eine Buchvorstellung im Dubliner Mansion House, der Kenny beiwohnte. Wir - Pam, ich und vielleicht zwei Dutzend anderer Aktivisten - wollten draußen lediglich ein kleines Zeichen des Protests setzen. Gegenüber der Polizei, die mit 50 Bereitschaftspolizisten erschien, waren wir deutlich in der Minderheit.

SB: In der allgemeinen Berichterstattung hieß es, Sie hätten sich mit einem Plakat in der Hand Kennys Wagen in den Weg gestellt, gerade als dieser das Gelände des Mansion House verließ und auf der regulären Straße fuhr. Stimmt das?

FH: Nein. Die meisten Polizisten standen links und rechts der Aus- und Einfahrt zum Mansion House. Weil ich nicht in irgendwelche Gedränge oder von der Polizei herumgeschubst werden wollte, hatte ich mich mit ein paar anderen Leuten 15 bis 20 Meter die Dawson Street hinauf - entgegen der Fahrtrichtung - auf dem Bürgersteig postiert. Irgendwann habe ich gemerkt, wie eine Frau von mehreren Beamten, die sie unter die Arme gegriffen hatten, aus Richtung des Mansion House über die Straße gezogen wurde und hinter einem Bus verschwand. Es handelte sich um Bernie Hughes, eine der Wassergebührprotestlerinnen, die später, Anfang 2015, vorübergehend ins Gefängnis gesteckt werden würde. Mein erster Reflex war, hinterher zu laufen, um sicherzustellen, daß der Frau nichts geschah. Darum wandte ich mich an einen Polizisten, um zu fragen, ob ich die Straße überqueren dürfte. Am Anfang des Videomitschnitts bei YouTube kann man mich deutlich hören, wie ich deswegen den Beamten mit "Entschuldigen Sie ..." anspreche.

Doch gerade in dem Moment kam Kennys Auto, das in die falsche Richtung fuhr, denn die Dawson Street ist eine Einbahnstraße, langsam an mir vorbei. Ich sah ihn auf dem Rücksitz sitzen mit einem selbstzufriedenen Grinsen, hörte wie einige Demonstranten um mich skandierten, "Kenny, Kenny, Kenny ...", schlug von der Seite her mit der Hand auf die Haube und rief mit "... Out! Out! Out!" (Ich habe also zu keinem Zeitpunkt vor dem Wagen gestanden). Daraufhin haben drei Polizisten mich sofort gepackt und mich mit voller Wucht gegen diesen Poller auf dem Bürgersteig geschleudert.


Zwei Polizeibeamte schleudern Fiona Healy durch die Gegend - Foto: © 2015 by Baldoyle Anti Water Meter Taskforce

Ein Bild, das Ende letzten Jahres für mediale Aufregung sorgte
Foto: © 2015 by Baldoyle Anti Water Meter Taskforce

SB: In einigen Berichten heißt es - was man auf dem Video nicht sieht -, daß sich ein dritter Polizist rechtzeitig dazwischen stellte und sie abfing, sonst wären sie wirklich sehr schwer verletzt worden.

FH: Das stimmt nur bedingt. Der dritte Beamte ist mit seinem Knie zwischen mich und den Poller gegangen, was den Aufprall etwas gedämpft hat. Nichtsdestotrotz war ich durch den Aufprall atemlos und konnte kaum sprechen. Ich war völlig schockiert. Mir taten Hüfte sowie der Kopf- und Nackenbereich tierisch weh. Ich rang nach Luft. Es kamen einige Demonstranten, um mir zu helfen. Während ich kaum sprechen oder stehen konnte, hat sich kein Polizist vergewissert, ob bei mir alles in Ordnung wäre. Das hat mich verärgert. Nachdem ich mich einigermaßen wieder gefaßt hatte, bin ich zu einem der Polizisten gegangen, der an dem Vorfall beteiligt war, um ihn zur Rede zu stellen. Ich zog meine Jeans kurz herunter und zeigte ihm meine blessierte Hüfte, die verkratzt war und anzuschwellen begann, und fragte ihn, ob er das für akzeptabel halte. Er antwortete mir verachtungsvoll mit dem Spruch "Job erledigt". In den darauffolgenden Tagen hat die Schwellung stark zugenommen. Nach einer gewissen Bedenkzeit habe ich mich im Februar entschieden, Beschwerde einzulegen.

SB: Haben Sie Anzeige erstattet?

PF: Wenn einem in Irland so etwas passiert, kann man nicht zur Polizei gehen und Anzeige erstatten, denn sie nehmen keine Anzeigen gegen die eigenen Kollegen an.

SB: Was macht man statt dessen?

PF: Man muß die Beschwerde bei der Garda Síochána Ombudsman Commission (GSOC) einreichen. Leider ist es so, daß die GSOC seit ihrer Gründung 2007 die allermeisten Beschwerden gegen die Polizei nach einer Überprüfung für nichtig und strafrechtlich irrelevant erklärt hat - was nicht gerade für die Unabhängigkeit der Behörde spricht. Der mangelnde Aufklärungswille erklärt sich aus dem Umstand, daß GSOC nicht selbst ermittelt. Sie entscheidet zunächst lediglich darüber, ob die Beschwerde angenommen wird oder nicht. Wird sie angenommen, gibt GSOC sie an einen Polizeikommissar weiter, der die Sachlage untersuchen soll. Also ermittelt die Polizei in Fällen möglichen Polizeifehlverhaltens selbst. Was dabei rauskommt, kann sich jeder ausdenken. Genügt einem das Ergebnis der GSOC-Untersuchung nicht, hat man immer noch die Möglichkeit, eine zivilrechtliche Klage gegen den oder die Polizeibeamten anzustrengen. Aber das ist teuer.

FH: Irgendwann um Ostern herum fand ich eine Visitenkarte im Briefkasten. Offenbar hatte ich Besuch von der Polizei gehabt, als ich ich nicht zu Hause war. Ich rief die Nummer an. Der Beamte am anderen Ende der Leitung bat mich, in das Polizeirevier Pearse Street zwecks eines Gesprächs zu kommen. Mir war die Sache nicht ganz geheuer, denn die Polizisten, die mich mißhandelten, kamen aus der Pearse Street Garda Station. Ich rief deshalb vorsichtshalber den Beamten bei der GSOC an, der meinen Fall betreut. Er ging der Sache nach und fand heraus, daß es nichts mit der GSOC-Untersuchung zu tun hatte, sondern daß die Polizei in Pearse Street eine Ermittlung gegen mich wegen Störung der öffentlichen Ordnung anstrebte. Das sollte sozusagen die Retourkutsche für meine Beschwerde bei der GSOC werden. Wäre ich blöd genug gewesen, allein nach Pearse Street zu gehen, hätten sie mich vermutlich vernommen und versucht mich in Widersprüche zu verwickeln bzw. mich dazu zu bringen, mich selbst zu belasten. Also habe ich einen Anwalt eingeschaltet und seitdem von der Angelegenheit nichts mehr gehört. Die GSOC-Untersuchung läuft jedenfalls noch.

SB: Ursprünglich wollten Sie, Frau Flynn, gar kein Interview geben, denn Sie hatten schlechte Erfahrungen mit der Presse gemacht. Könnten Sie uns das näher erklären?

PF: Mich hat die üble Berichterstattung über diesen Vorfall mit Fiona vor dem Mansion House wirklich erschreckt. Sie war das Opfer, wurde aber entgegen den Tatsachen von den Medien zur Übeltäterin aufgebauscht. Das hat meinen Glauben an die freie Presse erschüttert.

FH: Das Video von dem Vorfall erschien einen Tag später, am Sonntag, und machte Furore. Ich bekam von alledem nichts mit, denn wegen der Verletzung habe ich mir ein paar Tage Ruhe gegönnt und bin zu Hause geblieben. An dem Mittwoch danach nahm ich erstmals wieder an einer Protestaktion der Baldoyle Anti Water Meter Task Force hier in der Gegend teil. Zu meinem Erstaunen waren da Leute von der Presse, die Fotos machten, unter anderem mindestens ein Journalist von der Irish Daily Mail, dem Schwesterblatt des gleichnamigen britischen Boulevardblatts. Niemand von denen ist auf mich zugegangen. Ich habe auch kein Interview gegeben. Dessen ungeachtet gab es am nächsten Tag auf der Titelseite von der Daily Mail einen diffamierenden Bericht über mich mit Bildern. Demnach war ich eine Vollzeit-Krawallmacherin auf Staatskosten, die ihr dreijähriges Kind vernachlässige. Das stimmt vorn und hinten nicht. Ich bin zwar eine alleinerziehende Mutter, die Sozialhilfe bekommt, nehme aber nur an Protesten zwischen neun und ein Uhr teil, während mein Sohn, der eigentlich sechs und nicht drei Jahre alt ist, in der Schule ist. Außerhalb dieser Zeit bin ich meistens zu Hause und kümmere mich um ihn. Deshalb sieht man mich nachmittags bei keinen Protesten und bei abendlichen Treffen unserer Gruppe auch nicht. Während mein Name und Konterfei in der Zeitung veröffentlicht wurde, waren die Journalisten, die den Artikel schrieben, zu feige, die eigenen Namen darunter zu stellen. Es wurde für den Artikel kein Autor genannt.


Demonstranten in Warnwesten mit Kerzen in der Hand säumen nachts die gegenüberliegende Straßenseite vor der Coolock Garda Station - Foto: © 2015 by Baldoyle Anti Water Meter Taskforce

Mahnwache gegen Polizeigewalt vor dem Revier an der Oscar Traynor Road im Norddubliner Stadtteil Coolock
Foto: © 2015 by Baldoyle Anti Water Meter Taskforce

SB: Vor einigen Tagen wurde in der Presse gemeldet, Umweltminister Alan Kelly von der Labour Party hätte den Anti-Wassergebührprotesten erfolgreich getrotzt, die Kampagne habe ihren Zenit überschritten und sei am Abflauen. Deckt sich diese Behauptung mit Ihren Erfahrungen? Lassen die Proteste und die Zahl der Teilnehmer nach?

PF: Politik und Medien wollen den Leuten das einreden, aber es ist kompletter Blödsinn.

FH: GMC Sierra hat ihre Arbeiten in Dublin aufgrund des großen Widerstands vorerst abgebrochen und konzentriert sich auf die ländlichen Regionen. Es scheint dadurch weniger Konfrontationen zu geben, weil die großen Medien schneller und häufiger über Sachen berichten, die in Dublin passieren, als auf dem Land. Dort kommen Berichte über Protestaktionen bestenfalls in die Lokalblätter, die nur kleine Auflagen haben, und erregen somit keine große Aufmerksamkeit. Soweit ich es beurteilen kann, kommt die Installation der Wasserzähler auf dem Land auch nicht besonders schnell voran. Zwar scheint die Installation von Wasserzählern zum Beispiel in den Grafschaften Kildare und Laois ziemlich glatt über die Bühne gegangen zu sein, dafür aber wurden die Bauarbeiter in der Grafschaft Donegal von der örtlichen Bevölkerung regelrecht verjagt. Die Städte Cork und Waterford haben sich als Hochburgen der Anti-Wasser-Protestler erwiesen.

SB: Wie stark sind die Synergien zwischen der Kampagne gegen Irish Water und den verschiedenen anderen Gruppen, die gegen die Austeritätspolitik der Regierung mit ihren ganzen Kürzungen in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Soziales protestieren? Wird der aufgeflammte Sozialkampf bei der bevorstehenden Parlamentswahl Ende dieses Jahres oder Anfang 2015 seinen Niederschlag etwa durch ein Erstarken der irischen Linken finden?

PF: Man kann es nur hoffen. Obwohl, wenn ich das Ergebnis der jüngsten Nachwahl im Bezirk Carlow-Kilkenny betrachte, die am selben Tag wie die Volksbefragung über die gleichgeschlechtliche Ehe stattfand und mit einem Sieg für den Kandidaten von Fianna Fáil ausging, kommen mir Zweifel. Am 7. Juni findet jedenfalls im Red Cow Moran Hotel in Dublin das sogenannte National Forum statt. Dort wollen Vertreter der verschiedenen Protestgruppen gegen Wassergebühren zusammenkommen, um zu beraten, erstens, wie wir unseren Kampf gegen Irish Water verstärken und die Regierung zur Aufgabe ihrer Pläne zwingen können, und zweitens, wie wir den durch unsere Kampagne entstandenen Aktivismus auf der Ebene der Nachbarschaften und der Gemeinden für weitergehende politische Zwecke kanalisieren können. Schließlich sind nicht wenige Menschen, die in ihren Nachbarschaften die Straßenproteste gegen den Einbau der Wasserzähler organisiert haben, bereits politisch aktiv gewesen, sei es im Kampf gegen die Schließung eines regionalen Krankenhauses, gegen die geplante Vergabe von Lizenzen zum Fracking, gegen die Kürzungen bei der Arbeitslosen- und Sozialhilfe, gegen Wohnungsnot et cetera.

Hauptinitiator des National Forums ist die Anti-Austerity Alliance (AAA). Sie will alle linken Gruppen und politische Formationen dazu bringen, sich gegenseitig zu unterstützen, statt dauernd zu streiten. Ich finde den Ansatz gut, denn der Sieg von Fianna Fáil bei besagter Nachwahl in Carlow/Kilkenny sollte für alle eine heilsame Lehre sein. Bei den nächsten Parlamentswahlen wird die regierende Koalition aus Fine Gael und Labour, die momentan sehr unpopulär ist, eine Niederlage erleiden. Vermutlich wird es Labour, der Juniorpartner in der Koalition, am härtesten Treffen. Sie wird danach vermutlich nur noch über eine Handvoll Sitze verfügen. Mit ihr wird Fine Gael, die ebenfalls Sitze verlieren, aber vermutlich ihre Position als stärkste Fraktion verteidigen dürfte, keine erneute Koalition bilden können. Statt dessen droht zum ersten Mal eine große Koalition aus Fine Gael und Fine Fáil, die beide nationalkonservativ sind und die Politik der Republik Irland seit ihrer Gründung 1922 beherrscht haben. Um dieses Alptraumszenario zu verhindern, muß die irische Linke vereint kämpfen. Sonst haben wir gar keine Chance. Gerade beim Wahlsystem in Irland mit der übertragbaren Einzelstimmgebung ist es extrem wichtig, daß man nicht nur die Erststimme seinem Favoriten gibt, sondern die Zweit-, Dritt- und weiteren Stimmen auf die anderen linken Kandidaten, die vielleicht nicht so stark sind, aber die man immerhin noch mag, verteilt, um diesen eventuell zum Sieg gegen rechte Vertreter oder Parteien zu verhelfen.

SB: Herzlichen Dank, Pam Flynn und Fiona Healy, für dieses Interview.


Luftaufnahme zeigt riesige Menschenmenge auf der gesamten O'Connell Street im Herzen Dublins - Foto: © 2015 by Baldoyle Anti Water Meter Taskforce

Große Demonstration der Anti-Wassergebühren-Bewegung vor dem Dubliner Hauptpostamt GPO
Foto: © 2015 by Baldoyle Anti Water Meter Taskforce



Fußnoten:

[1] http://rebelbreeze.wordpress.com/tag/water-charges-protests

Bisherige Beiträge zur irischen Protestwelle im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → EUROPOOL → REPORT:

BERICHT/015: Irlands neuer Widerstand - Alte Nöte, junger Kampf (SB)
INTERVIEW/035: Irlands neuer Widerstand - dem Kapitalvampirismus ein Ende bereiten ...    Michael Taft im Gespräch (SB)
INTERVIEW/036: Irlands neuer Widerstand - Widerstand der Zukunft ...    Mick Wallace im Gespräch (SB)
INTERVIEW/037: Irlands neuer Widerstand - Wer sich notbewegt politisch regt ...    Aisling Hedderman im Gespräch (SB)
INTERVIEW/038: Irlands neuer Widerstand - Eigentum und Häuserkampf ...    Joe Conlon im Gespräch (SB)
INTERVIEW/039: Irlands neuer Widerstand - Sand im Getriebe ...    Byron Jenkins im Gespräch (SB)

8. August 2015


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