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INTERVIEW/052: Dublin - IRA-Geschichte im internationalen Vergleich ...    Diarmuid Breatnach im Gespräch (SB)


Interview mit dem Aktivisten und Blogger Diarmuid Breatnach am 11. Juli 2018 in Dublin


Diarmuid Breatnach ist Aktivist, Autor und Musiker. Auf seinem exzellenten Blog Rebel Breeze befaßt er sich mit unzähligen Themen aus einer kapitalismuskritischen, antiimperialistischen Perspektive. Nach eigenen Angaben lauten seine Hauptinteressen "History, song, revolutionary politics, creative writing". Breatnach stammt aus einer irisch-republikanischen Familie. Sein Vater Deasún Breathnach war mehr als zwölf Monate lang in den siebziger Jahren des 20 Jahrhunderts, also auf dem Höhepunkt der sogenannten "Troubles" in Nordirland, Chefredakteur von An Phoblacht (Die Republik), der Zeitung Sinn Féins, des politischen Arms der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), die damals im Kampf mit den britischen Streitkräften und protestantisch-loyalistischen Paramilitärs lag.

In den letzten Jahren hat sich Diarmuid Breatnach sehr stark für den Erhalt jener Häuserreihe in der Dubliner Moore Street engagiert, in die am 28. April 1916 die Anführer des Osteraufstands wegen des Großbrands im Hauptpostamt nach fünf Tagen schwerster Kämpfe gegen die britische Armee ihr Hauptquartier verlegen mußten. Hier kämpften rund 300 Mitglieder der Irish Volunteers, der sozialistischen Citizen's Army um James Connolly, des Frauenverbands Cumann na mBan, der Jugendorganisation Fianna Éireann sowie einzelne Angehörige der Hibernian Rifles ihr letztes Gefecht. Auf dem Bürgersteig an der Ecke Parnell Street/Moore Street überreichte am 29. April der Oberbefehlshaber der Rebellen, Pádraig Pearse, der wenige Tage zuvor nach der Besetzung des General Post Office (GPO) vor dessen Eingang in der O'Connell Street die Irische Unabhängigkeitserklärung öffentlich verlesen hatte, Brigadegeneral William Lowe sein Schwert und die Kapitulationsurkunde.


Vordereingang des massiven, aus Granitstein gebauten neoklassischen Hauptpostamts samt Säulen und Portikus - Foto: © 2018 by Schattenblick

Das General Post Office (GPO) an der O'Connell Street in Dublin
Foto: © 2018 by Schattenblick

Nach Meinung von Experten, darunter denjenigen des Imperial War Museums in London, sind die besagte Häuserreihe in der Moore Street sowie die vor sich hingammelnden Gebäude entlang des damaligen Fluchtwegs vom GPO über die Henry Lane von unschätzbarem historischen Wert und sollen deshalb erhalten und restauriert werden. Doch die Eigner des Areals zwischen Moore Street und Upper O'Connell Street wollen mit der Unterstützung der irischen Regierung alles bis auf vier Häuser abreißen und dort eine Einkaufspassage mit dem scheinbar hip- klingenden Namen Dublin Central errichten. Vor dem eigentlichen Interview machte Diarmuid Breatnach extra für den Schattenblick eine aufschlußreiche Führung vom GPO über die Henry Place zur Moore Street und über die Henry Street zum GPO zurück, wofür wir uns an dieser Stelle ganz herzlich bedanken möchten.

Schattenblick: Herr Breatnach, bitte erzählen Sie uns, wie Sie zur Kampagne für den Erhalt der für die Geschichte des Osteraufstands von 1916 relevanten Häuser Nummer 10 bis 25 in der Moore Street gestoßen sind.

Diarmuid Breatnach: 2010 habe ich von einer Demonstration gegen die Pläne zum Abriß der gesamten östlichen Seite der Moore Street gehört, um von dort bis an die dahinter gelegene O'Connell Street - Dublins Prachtstraße ähnlich der Champs-Élysées in Paris oder Unter den Linden in Berlin - eine riesige Einkaufspassage zu bauen. Der Dramatiker Frank Allen hatte zur Menschenkette dagegen aufgerufen. Ich habe geholfen, Werbung für Frank Allens geplante Aktion zu machen, in dem ich Emails verschickte und Aufrufe auf Facebook postete. In den darauffolgenden Jahren lernte ich Frank und andere Teilnehmer der Kampagne wie James Herron kennen, die schon länger für den Erhalt der historische Häuserzeile kämpfen. Mein subjektiver Eindruck war, daß sich die Anführer der Kampagne zu sehr auf Gespräche und Verhandlungen mit Politikern konzentrierten. Ich machte mich deshalb dafür stark, das Anliegen durch Vorführungen, Lesungen, Musikauftritte und ähnliches sichtbarer zu machen, um den öffentlichen Druck zu erhöhen.


Blick auf die Fußgängerzone Henry Street, im Hintergrund das Denkmal Spire of Dublin - Foto: © 2018 by Schattenblick

Die Henry-Street-Seite des GPO
Foto: © 2018 by Schattenblick

2014 machte der Bauunternehmer und Immobilienspekulant Joe O'Reilly dem Dubliner Stadtrat das Angebot, ihm die vier Häuser in der Mitte der Reihe, die bereits seit 2007 unter Denkmalschutz stehen, zu überlassen, wenn er im Gegenzug zwei Häuser am nördlichen Ende der Reihe bekäme. Dies hätte es O'Reilly ermöglicht, die komplette nördliche Hälfte der Häuserzeile abzureißen. Um diesen Vorschlag des Grundstückstausches zu blockieren, der damals auf die Zustimmung des Leiters der Dubliner Stadtverwaltung sowie seines Stellvertreters stieß, wurde die Save Moore Street from Demolition Campaign (SMSFDC) ins Leben gerufen.

Im Rahmen der Aktion haben wir an jedem Samstag in der Moore Street Unterschriften gegen den geplanten Immobilientausch gesammelt. Im November 2014 wurde das Ansinnen O'Reillys durch eine Mehrheitsentscheidung im Dubliner Stadtrat verworfen. Trotz oder vielleicht gerade wegen des kleinen Erfolges beschlossen wir, die Save Moore Street from Demolition Campaign jeden Samstag fortzusetzen. Folglich werden wir am kommenden Sonnabend von elf Uhr dreißig bis dreizehn Uhr dreißig zum hundertneunundneunzigsten Mal in der Moore Street zugegen sein, für den Erhalt der gesamten Reihe der alten Häuser demonstrieren, mit Leuten ins Gespräch kommen und Präsenz zeigen.

SB: Bedenkt man das Medienecho, scheinen Sie die erwünschte Sichtbarkeit errungen zu haben.

DB: Stimmt nicht ganz. Nach der damaligen Aktion waren wir überrascht, wie schlecht die Bevölkerung über die Situation informiert war. Die allermeisten Leute dachten, die Moore Street sei endgültig gerettet. Dabei hatten wir lediglich einen Etappensieg errungen. Das zeigte uns, wie verkürzt die Medien über den Streit berichteten und daß wir uns selbst um so mehr um die öffentliche Aufmerksamkeit bemühen müßten.


Henry Place in südlicher Richtung mit dem GPO im Hintergrund - Foto: © 2018 by Schattenblick

Henry Place - Abschnitt eins
Foto: © 2018 by Schattenblick

SB: Was ist seitdem geschehen und wie ist der aktuelle Stand?

DB: Im Juli 2015 hat der Staat O'Reilly die denkmalgeschützten Häuser Nummer 14 bis 17 für den stolzen Preis von vier Millionen Euro abgekauft. Wegen des schlechten baulichen Zustands der Häuser bestand zur Jahreswende 2015/2016 die Gefahr, daß sie abgerissen würden. Darum hat der Denkmalschützer Colm Moore Kulturministerin Heather Humphreys wegen Pflichtverletzung in der Angelegenheit Moore Street angezeigt. Aus Angst, die Bauarbeiter O'Reilly's könnten Weihnachten und Neujahr als Gelegenheit nutzen, die Häuser abzureißen und vollendete Tatsachen zu schaffen, hat eine improvisierte Gruppe sie fünf Tage lang besetzt gehalten. Danach haben wir den Zugang zur Baustelle fast fast sechs Wochen lang blockiert.

Aus der großartigen Blockadeaktion, an der Hunderte Einwohner Dublins teilnahmen, die einander bis dahin nicht kannten, entstand die neue Gruppe Save Moore Street 2016. Im März 2016 entschied der High Court gegen Humphreys und O'Reilly und stellte das ganze Areal zwischen Moore Street und Upper O'Connell Steet samt der dazwischen liegenden Nebengassen als nationales Erbe unter Denkmalschutz. Doch im Juli desselben Jahres hat das Kulturministerium Einspruch gegen das Urteil eingelegt, um O'Reillys monströses Bauvorhaben am Leben zu halten. Im vergangenen Februar hat das Appellationsgericht zugunsten Humphreys entschieden. Das schriftliche Urteil ist jedoch noch nicht veröffentlicht worden. Sobald es vorlegt, bleibt Colm Moore eine Frist von 28 Tagen, um zu entscheiden, ob er das Urteil akzeptiert oder es anfechten und den Supreme Court anrufen will.


Henry Place in östlicher Richtung mit Blick auf die Rückseite der Gebäude an der O'Connell Street - Foto: © 2018 by Schattenblick

Henry Place - Abschnitt zwei
Foto: © 2018 by Schattenblick

Ebenfalls im Juli 2016 hat die irische Bad Bank NAMA, die sechs Jahre zuvor O'Reillys hochverschuldetes Bauimperium Chartered Land übernommen hatte, um es vor dem Konkurs zu retten, die Filetstücke daraus, darunter das Areal zwischen Moore Street und O'Connell Street, das den Titel "Dublin Central" trägt, für 1,85 Milliarden Euro an die britische Immobiliengruppe Hammerson verkauft. Hammerson, das bis 2020 über eine gültige Baugenehmigung verfügt, hat - auch im Treffen mit Denkmalschützern und Aktivisten -, angekündigt, eine bauliche Vision zu realisieren, die der großen historischen Bedeutung des Areals gerecht wird. Sie hat das renommierte Architektenbüro ACME mit Entwurf und Realisierung beauftragt, doch bisher sind keine konkreten Pläne veröffentlicht worden.

SB: Im Zusammenhang mit dem Erhalt der historischen Häuserreihe in der Moore Street wurde der Vorschlag gemacht, das geplante 1916-Museum zum Grundstein für jenes gälischsprachige Viertel zu machen, das schon länger in Dublin gefordert wird und eigentlich überfällig ist. Vor kurzem hat die Regierung im Rahmen ihres neuesten Aktionsplans zum Erhalt und zur Förderung der gälischen Sprach von der Einrichtung eines entsprechenden neuen Kulturzentrums von Weltniveau im Zentrum Dublins gesprochen. Könnte das von Premierminister Leo Varadkar in Aussicht gestellte "flagship center" für die gälische Sprache doch seinen Sitz in der Moore Street und Umgebung finden? Haben Sie vielleicht etwas in dieser Richtung gehört?


Diarmuid Breatnach blickt zu den heruntergekommenen Gebäuden hoch - Foto: © 2018 by Schattenblick

Diarmuid Breatnach an der Ecke Henry Place/Moore Street
Foto: © 2018 by Schattenblick

DB: Bisher rein gar nichts. Seitens der Behörden hat sich niemand wegen diesen Vorschlags mit uns in Verbindung gesetzt. Wie mir scheint, hat die Regierung bisher keine konkrete Vorstellung, wo in der Hauptstadt sie ein solches Zentrum plazieren will. Am Ende der Häuserreihe in der Moore Street vielleicht? Wer weiß. Vielleicht könnten Varadkar und Humphreys die Leute von Hammerson dazu überreden, das Zentrum für die gälische Sprache in das Projekt Dublin Central zu integrieren. Wir werden es früh genug erfahren.

Als Denkmalschützer ist uns aber auch wichtig, daß der Markt an der Moore Street erhalten bleibt, zur neuen Blüte gelangt und die Markthändler mit ihren Ständen nicht im Zuge einer Gentrifizierung alle zum Teufel gejagt werden. Der Jahrhunderte alte Markt an der Moore Street und die legendären Markthändler dort gehören fest zum Stadtbild Dublins. Ohne sie verlöre die Dubliner Innenstadt ihre Seele. Damit das geplante historische Viertel mit oder ohne Zentrum für die gälische Sprache gelingt und um die Moore Street ein Ort der Begegnung mit Kultur und Geschichte entsteht, müssen Markt und Markthänder dort bleiben. Wir hätten es gern, wenn in der ersten Etage der Häuser in der Moore Street die Räumlichkeiten so eingerichtet werden, wie früher die Leute drin gewohnt haben - mit Mobiliar aus der Zeit et cetera - damit die Besucher das erleben können. Wir glauben nicht, daß all das in den vier denkmalgeschützen Häusern allein zu realisieren ist. Von daher plädieren wir für den Erhalt der ganzen Häuserreihe und deren Verwendung für geschichtlich-kulturelle Zwecke.


Südteil der Moore Street samt Markständen und dem bekannten Metzgerladen Buckley's - Foto: © 2018 by Schattenblick

Moore Street in südlicher Richtung mit Blick auf die Henry Street und die Seite des GPO
Foto: © 2018 by Schattenblick

SB: Woher rührt Ihr starkes Interesse an Kultur und Politik des Baskenlands und Kataloniens?

DB: Erstens interessiere ich mich als Internationalist für viele Dinge, die rund um die Welt geschehen. Zweitens kam meine Mutter aus dem von Spanien regierten Baskenland. Ich habe neben Gälisch - von meinem Vater - als Kind auch Spanisch gelernt. Seitdem steht mir die spanischsprachige Welt offen und ich halte mich stets auf dem Laufenden, was im Staate Spanien los ist. Meine Oma mütterlicherseits war Baskin; mein Opa kam aus Deutschland. Die Familie meiner Mutter wanderte, als sie noch klein war, nach Madrid aus. Dort lebte sie, als sie meinen Vater kennenlernte. Irgendwann bin ich als junger Mensch in das Baskenland gefahren, um zu sehen, wo meine Mutter geboren und aufgewachsen ist. Dabei habe ich dort Freunde gefunden und besuche deshalb das Baskenland im Schnitt einmal im Jahr.

2003 kehrte ich nach mehreren Jahrzehnten des Lebens und Arbeitens in London nach Irland zurück. 2006 kam eine Gruppe politischer Aktivisten aus dem Baskenland nach Dublin, um sich hier mit Gleichgesinnten zu treffen. Ich kontaktierte sie per Email, doch die Treffen erfolgten häufig kurzfristig und es gab keine sichtbare Aktivität. Es blieb alles auf der freundschaftlichen Ebene, denn politisch lag keine gemeinsame Unternehmung an. Dies änderte sich, als ein Mitglied der baskischen Internationalistengruppe Askapena in Dublin auftauchte. Askapena hatte sich vorgenommen, in ganz Europa internationalistische Gruppen oder Komitees zu gründen, was ihnen im Lauf der Jahre auch einigermaßen gelungen ist.

Nach einem Treffen mit dem Vertreter von Askapena, blieben ich und eine Person aus Katalonien in Verbindung. Ende 2006 kam eine Gruppe Tzapantzapak, die traditionelle baskische Volksmusik spielt, nach Dublin. Im Vorfeld haben wir Werbung für sie gemacht. Sie trat unter anderem im Freien in der Fußgängerzone Grafton Street auf, wo sie die Leute mit ihren Trachten und ihren Tänzen aus der heidnischen Ära begeisterte. Im Rahmen dieses Besuchs haben wir das Dublin Basque Solidarity Committee gegründet, das in den darauffolgenden Jahren einige Veranstaltungen organisiert hat. Seit 2012 ist das Komitee wegen der Rückkehr einiger Basken von Dublin in ihre Heimat und des Wegbleibens anderer Mitglieder nicht besonders aktiv gewesen. Es existiert jedoch weiterhin als Facebook-Seite, wo Artikel gepostet und Diskussionen geführt werden, sowie als Anlaufstelle, um einmalige politische oder kulturelle Veranstaltungen zu organisieren oder bekannt zu machen.


Die Moore Street, nur noch Billigläden und Bauruinen - Foto: © 2018 by Schattenblick

Moore Street in nördlicher Richtung
Foto: © 2018 by Schattenblick

SB: Sie haben bestimmt lange vor Ihrer ersten Reise ins Baskenland als Kind von ihrer Mutter einiges über Kultur und Leben der Menschen dort erfahren?

DB: Klar. Aber die Familie meiner Mutter unterstützte nicht die Forderung nach der Unabhängigkeit des Baskenlands. Mein Großvater, der Vater meiner Mutter, kam aus Deutschland und war von seiner Einstellung her deutsch-national. Das Franco-Regime in Spanien hatte bekanntlich Nazi-Deutschland nahegestanden. Ein Onkel von mir hat als Wehrmachtssoldat im Zweiten Weltkrieg in Rußland gekämpft und es gerade noch überlebt. Obwohl meine Mutter keine baskische Nationalistin gewesen ist, unterstützte sie während der Franco-Ära den Kampf um Bürger- und Menschenrechte - auch um die Verwendung der baskischen Sprache - und hat nach der Eheschließung mit meinem Vater und dem Umzug nach Irland mehrere Artikel für irische Zeitungen über die Situation in Spanien geschrieben.

Ich glaube aufgrund ihrer Herkunft - halb baskisch, halb deutsch - war sie etwas gespalten. Einen Teil ihrer Jugend hat sie auch in Deutschland verbracht und deshalb zeitlebens Englisch mit einem deutschen Akzent gesprochen. Wann immer sie gefragt wurde, wo sie herkommt, hat sie stets Nordspanien und niemals Spanien geantwortet. 1975 hat sie sich gegen die geplante Hinrichtung von fünf Dissidenten, drei Mitglieder der marxistisch-leninistischen Revolutionären Antifaschistischen Patriotischen Front (RAPF) und zwei Mitglieder der militanten baskischen Gruppe Euskadi Ta Askatasuna (Baskenland und Freiheit), besser bekannt als ETA augesprochen. Damals kam es deswegen zu Protesten in ganz Europa. In London zum Beispiel habe ich mit Hunderten von Menschen vor der spanischen Botschaft demonstriert. Auch wenn das alles nicht geholfen hat, waren es immerhin die letzten Hinrichtungen in Spanien. Unter den Geschwistern meiner Familie bin ich praktisch der einzige, der in Sachen Baskenland noch aktiv ist. Aufgrund meiner irischen Herkunft stehe ich stets auf der Seite der Menschen, die versuchen, ihr Land, ihre Kultur und ihre Sprache vor Imperialismus und Neokolonialismus zu verteidigen.


Markstände werden zugeklappt - Foto: © 2018 by Schattenblick

Moore Streets Markthändler machen Feierabend
Foto: © 2018 by Schattenblick

SB: Wie schätzen Sie die politische Lage in Spanien momentan ein?

DB: Ich halte Spanien für den Staat in der EU, der durch innere Widersprüche aktuell am verletzlichsten und am stärksten in seiner Existenz bedroht ist. Die wirtschaftliche Lage sieht desaströs aus. Es gibt eine hohe Arbeitslosigkeit, gravierende Wohnungsnot und ein großes Prekariat. Hinzu kommen Spannungen zwischen mehreren Nationen, die nur über eine regionale Eigenständigkeit verfügten, und der Zentralregierung in Madrid. Zu den Nationen innerhalb Spaniens, die sich durch den spanischen Staat vernachlässigt bzw. benachteiligt fühlen, gehören Galicien, Asturien, Katalonien und das Baskenland.

Die Menschen in Galicien und Asturien betrachten sich als Kelten, die Basken als Basken und die Menschen in Katalonien teilweise als Katalanen und teilweise als Spanier. Zwar gewährt die Verfassung von 1978 den Regionen weitreichende Autonomie, doch streben viele Basken und Katalanen nach vollständiger Unabhängigkeit. Im Verlauf mehrerer Jahre brutalster Aufstandsbekämpfung gelang es dem spanischen Staat, die baskische Untergrundbewegung ETA zur Aufgabe zu zwingen. 2011 trat ein Waffenstillstand in Kraft. Vor wenigen Wochen hat die ETA ihre eigene Auflösung bekanntgegeben und hofft damit die verbliebenen Mitglieder aus dem Gefängnis freizubekommen. Das sozialistisch-ökologische Wahlbündnis Euskal Herria Bildu (Vereintes Baskenland), das quasi die Nachfolgeorganisation des früheren politischen Arms der ETA, Herri Batasuna, ist, beteiligt sich am sogenannten "Friedensprozeß", strebt jedoch nach wie vor die Unabhängigkeit des Baskenlands an.


Dreistöckige, rote Backsteinhäuser aus dem 19. Jahrhundert - Foto: © 2018 by Schattenblick

Die vier einzigen denkmalgeschützten Häuser in der Moore Street
Foto: © 2018 by Schattenblick

Während sich die Lage im Baskenland also in den letzten Jahren weitgehend beruhigt hat, haben auf der anderen Seite von Spanien die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens das Land in eine schwere innenpolitische Krise gestürzt. Die Unabhängigkeitsbewegung der Katalanen besteht aus mehreren Gruppen und Parteien. Setzen diese ihren Unabhängigkeitskurs fort, dann wird die Zentralregierung in Madrid alle ihr zu Gebote stehenden Mittel einsetzen, um die Einheit des spanischen Staates zu verteidigen. Die unvermeidliche Zuspitzung der Konfrontation zwischen Madrid und Barcelona wird meiner Meinung nach andere Landesteile animieren, selbst noch größere Autonomie zu fordern und sich in Richtung Unabhängigkeit zu bewegen. Reagiert Madrid in diesem Szenario weiterhin mit harter Hand und setzen die Katalonier ihren Widerstand fort, dann wird Spanien als Staat auseinanderbrechen. Davon bin ich überzeugt.

In Spanien ist der Franquismus nach wie vor virulent. Auch nach dem Tod des Diktators Francisco Franco 1975 und der Verabschiedung einer demokratischen Verfassung drei Jahre später haben die alten Eliten weiterhin den Staat dominiert. Die Sozialisten und die Kommunisten durften ins Parlament, um eine Feigenblattfunktion zu erfüllen und die Arbeiterschaft unter Kontrolle zu halten. Und selbst als später die Sozialisten an die Macht kamen, war vom echten Sozialismus wenig zu spuren. Unter Premierminister Felipe Gonzáles bekannte sich die PSOE zur Monarchie und bekämpfte die ETA fast grausamer als die rechtskonservative Partido Popular. Der Kampf Kataloniens könnte andere Regionen und Nationen in der EU dazu ermutigen, selbst nach mehr Autonomie bis hin zur vollen Unabhängigkeit zu streben. Auch wenn EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sich im vergangenen Herbst dagegen ausgesprochen hat, fände ich eine EU bestehend aus "99 Staaten" gar nicht so schlecht.


Die Moore Street macht einen verwahrlosten Eindruck - Foto: © 2018 by Schattenblick

Nördlicher Abschnitt der Moore Street, auf der linken Seite das ILAC-Einkaufszentrum
Foto: © 2018 by Schattenblick

SB: In welchem Ausmaß sind die Spannungen in Spanien zwischen der Zentralregierung in Madrid und den Unabhängigkeitsbefürwortern in Katalonien eine Folge der von der EU vorgegebenen Austeritätspolitik und wieviel davon ist noch ein Späterbe der Franco-Diktatur?

DB: Ich denke, daß in Spanien das Grundproblem der nicht aufgearbeitete Franquismus ist. Dies vorausgesetzt, ist in der gesamten EU die von Brüssel, Berlin und der Europäischen Zentralbank (EZB) durchgesetzte Austeritätspolitik mit radikalen Kürzungen staatlicher Ausgaben bei gleichzeitiger Privatisierung weiter Teile des Volksvermögens zugunsten irgendwelcher Insider ein großes Problem - auch hier in Irland. Die Einzelstaaten sind an Bedingungen und Vorgaben der Großbanken gebunden und kürzen ihre Ausgaben für Bildung, Gesundheit und Soziales. Die gesellschaftlichen Auswirkungen, welche natürlich die Schwächsten am härtesten treffen, sind verheerend. Diese Politik kommt praktisch nur einem Staat in der EU zugute, nämlich Deutschland, was wiederum Ressentiments schürt.

SB: Wie sehr sind die Unabhängigkeitsbewegungen im Baskenland und in Katalonien durch einen rechtsgerichteten Ethno-Nationalismus motiviert? Geschichtlich ist unbestreitbar, daß bürgerliche Konservative bei den Unabhängigkeitsbewegungen im Baskenland und Katalonien eine Rolle gespielt haben.


Dublins Stadtväter haben eine historische Meile verkommen lassen - Foto: © 2018 by Schattenblick

Der Blick vom Norden her auf fast die ganze Moore Street mit der Seite des GPO im Hintergrund
Foto: © 2018 by Schattenblick

DB: In Spanien stehen die rechten Kräfte, allen voran die katholische Kirche, traditionell auf der Seite des spanischen Staats, sei es Königreich oder Diktatur. Das Baskenland ist ein gutes Beispiel für dieses Phänomen. Ein anderes Beispiel ist die nördliche Provinz Navarra, die über Jahrzehnte als Hochburg der Franco-Anhänger galt. Als gegen Endes des Bürgerkriegs Francos Truppen in Navarra einrückten, mußten die Falangisten die Region von keinen linken Republikanern mehr säubern; das hatten die rechtsmonarchistischen Carlisten vor Ort bereits erledigt.

Dennoch sind unbestreitbar bei den Gruppen, die in Katalonien für die Unabhängigkeit arbeiten, rechte, wirtschaftlich neoliberale Kräfte wie Junts per Catalunya, die Nachfolgepartei der bürgerlich-konservativen Convergència Democrática de Catalunya (CDC) um Premierminister Carles Puigdemont, stark vertreten. Aus den Parlamentswahlen vom Dezember 2017 ging die rechtskonservative, unionistische Ciudadanos war mit 35 Sitzen als größte Einzelfraktion hervor. Mit 34 von 135 Sitzen wurde die JuntsxCat stärkste nach Unabhängigkeit strebende Einzelpartei. Gleich hinter ihr erreichte die linksnationalistische Esquerra Republicana de Catalunya (ERC), die ich als Sozialdemokraten bezeichnen würde, 32 Sitze. Danach folgte eine Vielzahl kleinerer Parteien, von denen meiner Meinung nach die wichtigste und einflußreichste die linksseparatistische, kapitalismuskritische Candidatura d'Unitat Popular (CUP) ist. Bei den Wahlen 2015 errang die CUP zehn Sitze und verhalf CDC und ERC zu der nötigen Mehrheit, um im vergangenen Jahr die Volksabstimmung über die Loslösung Kataloniens von Spanien durchzuführen. Die CUP befürwortet sogar den Austritt Kataloniens aus der EU. Bei den Wahlen im vergangenen Dezember ging die Zahl ihrer Abgeordneten im Parlament zu Barcelona auf vier zurück.

In diesem Zusammenhang darf man die Assemblea Nacional Catalana (Katalanische Nationalversammlung) nicht vergessen. Die 2012 gegründete außerparlamentarische Bewegung ist die treibende Kraft hinter den Massendemonstrationen für die Unabhängigkeit in den vergangenen Jahren sowie schließlich hinter dem Plebiszit vom 1. Oktober gewesen. Darum sitzt der frühere ANC-Vorsitzende Jordi Sanchez seit Ende letzten Jahres wegen Vorwurfs des Aufruhrs in Untersuchungshaft. Die meisten Anhänger der ANC würde ich politisch links bis Mitte, aber jedenfalls nicht rechts einordnen. Wichtig zu erwähnen ist auch die Rolle des Instituts Omnium Cultural, dessen Mitglieder sich seit den sechziger Jahren, also noch während der Franco-Diktatur, für Förderung und Erhalt der katalanischen Sprache und Kultur starkmachten und im Rahmen der Unabhängigkeitsbewegung eine nicht unwichtige Rolle gespielt haben. Politisch ist Omnium parteiunabhängig und für Menschen aller ideologischen Richtungen offen.

Was die großen Gewerkschaften Spaniens betrifft, so halten sie sich aus den innenpolitischen Disputen zwischen Madrid und den Regionen weitgehend heraus. Wie in den meisten Ländern sehen es die Gewerkschaftsbosse als ihre Aufgabe an, den Betriebsfrieden zu wahren und dabei den besten Schnitt für ihre Mitglieder zu machen. An Politik im eigentlichen Sinne sind sie wenig bis gar nicht interessiert. Die meisten spanischen Gewerkschaftsführer verstehen sich in erster Linie als Bürger Spaniens und bekennen sich zum Staat in seiner heutigen Form. Anders sieht es im Baskenland aus. Dort treten die beiden größten baskischen Gewerkschaften für die Unabhängigkeit ein. Ähnlich wie in Galizien sind die größten Gewerkschaften im Baskenland eigenständig und kein Teil eines überregionalen Dachverbands. In Katalonien gibt es auch unabhängige Gewerkschaften, nur sind sie dort klein im Vergleich zum Baskenland oder zu Galizien. In einem Artikel der Zeitung El Mundo vor zwei Monaten hieß es aber, die unabhängigen Gewerkschaften in Katalonien erführen regen Zulauf, seit der Zentralstaat mit Repressionen gegen die Unabhängigkeitsbewegung vorgeht.


Die von Shane Cullen geschaffene Bronztafel hält den Text des im Sterben geschriebenen Abschiedbriefs O'Rahillys an seine Frau Nannie fest - Foto: © 2018 by Schattenblick

Wandtafel zu Ehren des in der Moore Street gefallenen O'Rahilly
Foto: © 2018 by Schattenblick

Wie hoch der Mobilisierungsgrad unter den katalanischen Arbeitern ist, zeigt der Generalstreik, mit dem sie am 3. Oktober aus Protest gegen die brutalen Versuche der Polizei, das Referendum zu verhindern, die Region lahmlegten. Es gingen Millionen von Menschen auf die Straße. Im Innenministerium in Madrid kam es deshalb zum Krisentreffen. Am selben Abend hielt König Felipe eine Fernsehansprache, in der er die Organisatoren der angeblich "illegalen" Volksbefragung als "illoyale" Untertanen beschimpfte. Die königliche Rede kam in Katalonien, wie man sich vorstellen kann, nicht besonders gut an. Jedenfalls hat der Generalstreik die große Unterstützung gezeigt, welche die Unabhängigkeitsbewegung unter den Arbeitern in Katalonien genießt. Vergeblich hatten sich Spaniens größte Gewerkschaften gegen eine Teilnahme ihrer katalanischen Mitglieder an der Aktion ausgesprochen.

SB: In Verbindung mit dem Streben der Basken nach Unabhängigkeit wird immer wieder der nordirische Friedensprozeß als Modell angeführt, wie man einen militärischen Konflikt beilegen kann, um ohne Blutvergießen den Streit auf der politischen, parlamentarischen Ebene austragen zu können. Was halten Sie als bekannter Kritiker des Karfreitagsabkommens für die Fehler, welche die IRA und ihr politischer Arm Sinn Féin im sogenannten Friedensprozeß gemacht haben und die ETA und Herri Batistuna bzw. deren Nachfolgeorganisationen vermeiden müßten?

DB: Die ETA gibt es nicht mehr und sie kommt niemals wieder zurück, jedenfalls meiner Einschätzung nach. Es stellt sich jedoch die Frage, was mit den gesellschaftlichen Kräften geschieht, die jahrzehntelang den Kampf der ETA gegen den spanischen Zentralstaat getragen haben. Die linksnationalistische Bewegung Ezker Abertzalea (Patriotische Linke) hat sich politisch von den Verboten von Herri Batasuna bzw. deren Nachfolgepartei Sortu vor einigen Jahren bis heute nicht erholt. Das vorhin erwähnte Wahlbündnis EH Bildu bemüht sich, die linken Anhänger eines unabhängigen Baskenlands zu mobilisieren, hat das aber immer noch nicht ganz erreicht. Gleichzeitig hat sie versucht, mit der bürgerlichen Nationalpartei Baskenlands (Eusko Alderdi Jeltzalea), die im Regionalparlament stärkste Kraft ist, eine Allianz einzugehen.

Während der Jahre des bewaffneten Kampfs der ETA sind schlimme Dinge passiert. Das ist unbestreitbar. Doch immerhin gab es unter den Anhängern von ETA und Herri Batastuna die Einstellung, daß sie sich im Kampf mit dem spanischen Staat um ihre Rechte befanden, unabhängig davon, ob man ihn militärisch oder politisch ausficht. Heute ist der Kampfgeist von einst fast erlöschen. Die EH Bildu will sich mit dem spanischen Zentralstaat arrangieren, doch das einzige Arrangement, das für Madrid in Frage kommt, ist die völlige Kapitulation der baskischen Separatisten. Das sieht man deutlich an der unerbittlichen Haltung Madrids in der Frage der ETA-Gefangenen. Bis heute sitzen rund 300 von ihnen hinter Gittern. Sie kommen nur frei bzw. in den Genuß einer Amnestie, wenn sie Reue zeigen und ihre früheren Taten als falsch verurteilen. Der letzte Premierminister Spaniens, Mariano Rajoy von der konservativen Volkspartei, ist über Jahre den politischen Gefangenen keinen Millimeter entgegenzukommen, sondern hat stets nur die Auflösung der ETA verlangt. Diese ist nun vor kurzem erfolgt. Ob sich dadurch die Lage der ETA-Häftlinge verbessert oder diese sogar endlich freigelassen werden, muß sich zeigen. Ich bin jedenfalls nicht optimistisch.


Diarmuid Breatnach hebt den Zeigefinger - Foto: © 2018 by Schattenblick

Diarmuid Breatnach beim Interview im Café in Wynn's Hotel
Foto: © 2018 by Schattenblick

Man kann ganz klar sagen, daß es sich bei dem, was als "Friedensprozeß" verkauft wird, meist um einen Befriedungsprozeß handelt. Bestes Beispiel sind die Anfang der neunziger Jahre geschlossenen Osloer Verträge zwischen Israel und der palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO). Die Israelis haben die PLO unter der Führung von Jassir Arafat als Hilfsverwalter in die besetzten Gebiete geholt, während sie dort weiterhin eine jüdische Siedlung nach der anderen bauten und ihre Kontrolle über das Westjordanland und den Gazastreifen kontinuierlich verstärkten. Heute bringen sie täglich palästinensische Zivilisten an der Grenze zu Gaza um, während sie sich kategorisch weigern, das Rückkehrrecht der Flüchtlinge anzuerkennen.

Ich bin kein Apologet der Hamas, da sie aus meiner Sicht eine religiös-fundamentalistische Vereinigung ist. Aber wenn man sieht, wie Israel sich verhält und wie die PLO kapituliert hat, dann kann man verstehen, warum die Hamas die letzten freien Wahlen 2006 in den besetzten Gebieten gewonnen hat und bis heute in Gaza an der Macht ist. Immerhin fordert die Hamas von Israel und der "internationalen Gemeinschaft" die Einhaltung der palästinensischen Grundrechte ein. Das tut die PLO schon lange nicht mehr. Die damalige Weigerung Israels und der anderen westlichen Staaten, den Wahlsieg der Hamas anzuerkennen, hat ihre Dauerbekenntnisse zu den demokratischen Werten als Humbug entlarvt. Eine ähnliche Entwicklung hat es in Südafrika gegeben, wo man die Apartheid formell abgeschafft, jedoch im Grunde die bestehenden Unrechtsverhältnisse mit einer demokratischen Patina versehen und mit der Hilfe einer neuen schwarzen Oberschicht gerettet hat.

Über die Jahre hat sich Sinn Féin auf ihren Parteitagen mit Führungsmitgliedern der PLO sowie des südafrikanischen African National Congress (ANC) geschmückt. Es sollte der Eindruck suggeriert werden, in Irland, Palästina und Südafrika habe man mit politischen Mitteln erfolgreich die früheren Übel beseitigt. In keiner der drei Fälle trifft dies zu, oder wenn, dann nur ganz oberflächlich. Die einfachen Schwarzen in Südafrika können zwar heute zur Wahl gehen und gelten rein rechtlich als gleichwertige Bürger, sind aber immer noch so arm wie zu Zeiten der weißen Rassenherrschaft. Die Gewalt ist allgegenwärtig. Bei Streiks werden schwarze Arbeiter von schwarzen Polizisten erschossen. 2012 starben 30 Teilnehmer eines Streiks vor den Toren der Lonmin Platinmine im Kugelhagel der Polizei. Die Korruption hat überhand genommen - sowohl beim ANC als auch bei der National Union of Miners (NUM), der wichtigsten Einzelgewerkschaft Südafrikas. Die Folge ist, daß der Imperialismus das Land noch fester im Würgegriff hat und die Lage der einfachen Menschen schlimmer ist als zur Zeit der Apartheid. Ähnliches hat man in der Türkei und in Kolumbien erlebt. In beiden Fällen hat der Staat einen Friedensprozeß und die Gesprächsbereitschaft seiner militanter Gegner genutzt, um noch härter gegen diese vorzugehen. In Kolumbien machen die Todesschwadrone erneut Jagd auf Mitglieder der FARC nach deren Abkehr vom bewaffneten Kampf, während in der Türkei die Streitkräfte Recep Tayyip Erdogans unter dem Vorwand der Bekämpfung der PKK Tod und Verderben über die kurdischen Gebiete Südostanatoliens bringen.

Schauen wir die Situation in Irland zwanzig Jahre nach der Unterzeichnung des Karfreitagsabkommen an. Der Bürgerkrieg in Nordirland tobt nicht mehr, was natürlich eine positive Entwicklung ist. Aber sonst? Ist Irland frei und unabhängig? Nein. Wie sehen die sozialen Verhältnisse aus? Ein Blick auf die katastrophalen Verhältnisse auf dem überteuerten Wohnungsmarkt und im völlig überlasteten Gesundheitssystem liefert die Antwort. In Nordirland hat man die Führungsklique von der IRA und Sinn Féin, die Hauptgegner der britischen Besatzung, mit in die Administration der Region als Teil des Vereinigten Königreich aufgenommen. Man hat sie im Grunde mit gut dotierten Posten bestochen. An der Armut in den Arbeitervierteln von Belfast und Derry hat das nichts verändert. In der Republik im Süden kümmert sich die Regierung um die Interessen der Besserverdiener und der Konzerne, während die Mittelschicht immer mehr an die Wand gedrängt wird und sich die sozialen Verhältnisse zunehmend verschlechtern. Auch wenn alles in Irland ruhig erscheint, braut sich aktuell unter der Oberfläche die nächste soziale Explosion zusammen.

SB: Danke sehr, Diarmuid Breatnach, für das Gespräch.


Eingang des ursprünglich Mitte des 19. Jahrhunderts gebauten, 1916 völlig zerstörten und erst 1926 wiedereröffneten Wynn's Hotels - Foto: © 2018 by Schattenblick

Wynn's Hotel in der Abbey Street, wo im November 1913 die späteren Anführer des Osteraufstands den Kampfverband der Irish Volunteers gründeten
Foto: © 2018 by Schattenblick


4. August 2018


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