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AGRAR/1700: Handelspolitik - Qualitäten nach vorne stellen (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 419 - März 2018
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Handelspolitik: Qualitäten nach vorne stellen
Der Agrarindustrie fehlt die Fairness im Freihandel - wenn es sie selbst trifft

von Berit Thomsen, AbL-Handelsexpertin


Eigentlich läuft alles nach Plan. Die deutsche und europäische Agrarpolitik atmet bekanntlich die Maxime der Exportorientierung. Die Strategie scheint aufzugeben. Europa hat seine Agrarexporte von Oktober 2016 bis 2017 um 5,6 Prozent erhöht. Auf dem weltweiten Markt konnte die EU beispielsweise 25 Prozent mehr Milchpulver absetzen. Mit zusätzlichen 27 Millionen Euro will Europa in diesem Jahr den Absatz von EU-Agrarprodukten ankurbeln, etwa in Kanada, Japan, China, Mexiko oder Kolumbien. "In diesen ausgezeichneten Ergebnissen spiegeln sich die fortdauernden Bemühungen der Union bei der Erschließung neuer Weltmärkte (...) wider", heißt es in einem internen Handelspapier der EU-Kommission. Mit rund 20 Ländern verhandelt die EU derzeit ehrgeizige Freihandelsabkommen oder hat bereits vorläufige Abschlüsse vereinbaren können, darunter Japan, Vietnam, Singapur, Mexiko oder Kanada. Noch viel mehr Länder, insbesondere in Subsahara-Afrika, müssen im Rahmen der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen bei Ratifizierung ihre Zölle empfindlich für europäische, meist billigere Agrarimporte öffnen.

Freihandel zerstört...

Bei einem Abkommen hakt es dennoch bei der Agrarindustrie: beim Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay. Der Agrarsektor ist hart umkämpft und macht einen Abschluss schwierig. Die EU musste weitere Zugeständnisse machen und hat im Februar die Freihandelsquote für Rindfleisch auf 99.000 Tonnen und die Quote mit niedrigen Zöllen für Zucker auf 120.000 Tonnen erhöht, gegenüber 70.000 und 100.000 Tonnen bisher. Gegen die Brüsseler Zugeständnisse schlagen der Verband der Europäischen Zuckerindustrie, die europäischen Rübenanbauer und auch die EU-Ausschüsse der Bauernverbände Alarm. Unterstützt werden sie von einigen EU-Mitgliedsstaaten, Deutschland ist nicht dabei. Sie fürchten eine Bedrohung der hohen Umwelt-, Tierschutz- und Sozialstandards in Europa. Die Zuckerindustrie zeigt sich besorgt, dass Gentechnikrohrzucker in die EU geschwemmt werden könnte.

Ähnliche Reaktionen sind zu erwarten, wenn die EU-Kommission die Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen mit Neuseeland und Australien beginnt. Es fehlt nur noch die Verabschiedung des vorliegenden Verhandlungsmandats durch den EU-Rat. Beide ozeanischen Länder vereint das Interesse, Milchprodukte und rotes Fleisch nach Europa exportieren zu wollen. Damit würden sich künftige Importquoten weiter akkumulieren. Mit CETA muss die EU, wenn auch Deutschland dem Abkommen im Bundesrat und Bundestag zustimmt, 50.000 Tonnen Rindfleisch langfristig zollfrei importieren. Dazu würden bei einem Abschluss mit den Mercosur-Ländern weitere 99.000 Tonnen kommen, plus künftige Freihandelsquoten aus Ozeanien. Auch der angespannte europäische Milchmarkt müsste mit zusätzlichen Milchimporten aus Neuseeland und Australien rechnen. Das Thünen-Institut geht bei einer vollständigen Handelsliberalisierung von einem Produktionsrückgang in Deutschland zwischen 3,3 Prozent und 3,9 Prozent bei Rohmilch aus. Die Agrarindustrie und ihre politischen Vertreter haben die Handels-und Exportpolitik in eine Sackgasse manövriert.

...hier wie dort

Bäuerliche und gesellschaftliche Gruppen kritisieren schon längst die exportorientierte Agrar- und die damit verbundene Handelspolitik. Aber es geht bei den Importen nicht nur um Menge, auch die Art und Weise der Produktion spielt eine Rolle. Brasilien hat in den vergangenen 14 Jahren die Rindfleischproduktion ausgebaut und die Exporte um 700 Prozent erhöht. Heute ist Brasilien größter Exporteur von Rindfleisch auf dem Weltmarkt. Die Viehwirtschaft ist ein bedeutender Treiber bei der Entwaldung und bei Landnutzungsänderungen. Die entwaldeten Flächen haben binnen einem Jahr um 29 Prozent zugenommen. Mit dieser Entwicklung breiteten sich auch unreguliert illegale Schlachthöfe aus. Aufgrund mangelnder Regulierung verfügen viele Schlachthöfe über keinerlei Mechanismen, um die Herkunft des Schlachtviehs zu verifizieren. Diese Grauzone bietet den vielen am Rande der Legalität operierenden Rinderfarmen der Region einen Absatzmarkt. Darunter finden sich zahlreiche Farmen, die in Landkonflikten mit Kleinbäuerinnen und -bauern sowie Indigenen verwickelt sind und gegen das Arbeits- und Umweltrecht verstoßen.

Die Rinderfarmen stehen auf der "schwarzen Liste" des brasilianischen Arbeitsministeriums im Hinblick auf sklavenähnliche Beschäftigung. Bis zum Jahr 2025 sollen die Rindfleischexporte um 39 Prozent steigen. Schon jetzt importiert die EU jährlich mehr als 100.000 Tonnen Rindfleisch aus Brasilien, das entspricht rund einem Drittel der gesamten Rindfleischimporte. Damit unterstützt Europa die negativen Folgen der Rindfleischproduktion in Brasilien und wird es mit der geplanten Ausdehnung der Freihandelsquoten zukünftig noch stärker tun. Die Verbraucher in Deutschland und Europa formulieren ihre Ansprüche an die heimische Tierhaltung, was eine Debatte um den Umbau in der Tierhaltung ausgelöst hat. Sie wollen aber auch kein Steak auf dem Teller, dessen Produktion zur Entwaldung oder Vertreibung von Landlosen geführt hat, dessen Tiere mit Hormonen und Gentechnikfutter gemästet, nicht artgerecht gehalten wurden. Gleichzeitig führen diese Importe auch zu Sozial- und Umweltdumping in der europäischen Rinderhaltung. Die europäische Landwirtschaft muss vor Wirkungen geschützt werden, die qualitative und bäuerliche Strukturen zerstören. Dabei kann auch der Importpreis eine Rolle spielen.

Qualifizierter Marktzugang

Die Zeit ist reif für die Qualifizierung des Marktzugangs. Dieses Konzept hat die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) entwickelt. Der Qualifizierte Marktzugang würde bedeuten, dass die EU das Recht hätte, bei Importen von Agrarprodukten Qualitäten einzufordern. Das kann bei Rindfleischeinfuhren aus den Mecorsur-Staaten bedeuten, dass bei der Erzeugung und in der Wertschöpfungskette Menschenrechte geachtet werden, dass die Tiere artgerecht gehalten werden. Weidehaltung hat Vorrang und eine Erzeugung soll nicht zur Entwaldung oder Vertreibung von Landlosen führen. Die Exporteure sind in der Pflicht, diese Qualitäten einzuhalten und entsprechend zu kennzeichnen. Werden diese Kriterien nicht eingehalten, kann die EU entweder die Importe ablehnen oder eine Abgabe darauf erheben. Aus dieser können dann menschenrechtsachtende und bäuerliche Strukturen in den jeweiligen Ländern gefördert werden. Denn umgekehrt hätten alle Länder, die Agrarprodukte aus der EU importieren, ebenfalls das Recht, eigene Kriterien zu entwickeln. Das kann bei Entwicklungsländern sein, dass sie zur Armuts- und Hungerbekämpfung ihre heimische Tierhaltung ausbauen und weiterentwickeln wollen und deshalb den Schutz vor billigen EU-Agrarimporten brauchen. Es reicht jedenfalls längst nicht mehr aus, nur über Mengen zu diskutieren.


Die Fakten zur Rinderhaltung in Brasilien basieren auf den Studien: "Das EU-Mercosur-Abkommen auf dem Prüfstand", hrsg. von Misereor, Dezember 2017; "The Rise of big Meat", hrsg. von IATP, HBS Brasilien, FASE, November 2017.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 419 - März 2018, S. 3
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. April 2018

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