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AUSSENHANDEL/228: TTIP - Die falsche Freiheit (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2013 Globalisierung und Freihandel - Pokerspiel mit ungewissem Ausgang

TTIP
Die falsche Freiheit

von Uwe Wötzel



Die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) dient dem globalen Expansionskurs der EU- und US-Konzerne. Insbesondere Sozialstandards, Umwelt und Demokratie bleiben auf der Strecke.


Neue, dauerhaft verbindliche Marktliberalisierungen für Investitionen, Güter und Dienstleistungen auf höchstem Niveau sind Gegenstände der TTIP-Verhandlungen. Wohlstand soll wachsen durch die Beseitigung von Zöllen, die erweiterte Öffnung von öffentlichen Beschaffungsmärkten, die erweiterte Öffnung von Dienstleistungsmärkten, dem Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse durch Harmonisierung und gegenseitige Anerkennung von Standards. Investoren sollen mit einem extrem und einseitig privilegierten Investorenschutz ihre Macht und Dominanz stärken können.


»EU-Auto-Exporte um 150 Prozent steigern«
Die beteiligten Politiker werben mit großen Versprechungen. TTIP sei ein kostenloses Konjunkturprogramm, das erhebliche Impulse für Wachstum und Beschäftigung, sowohl in den USA als auch in Europa bringe: »500 Euro Zusatzeinkommen für jede Familie in der EU«, »119 Milliarden Euro Wirtschaftswachstum pro Jahr«. Die EU-Autoindustrie könne »ihre Ausfuhren in die USA um 150 Prozent steigern«. Dieser Ausblick der TTIP-Befürworter hält einer kritischen Prüfung nicht stand.(1) Die tatsächliche Bedeutung des transatlantischen Handels ist zu gering, um durch eine Stärkung und neue Vernetzung dieser Austauschbeziehungen die Konjunktur zu beleben. Die US-Binnenwirtschaft und nicht die Exportwirtschaft bestimmt den US-Konjunkturverlauf. Europa ist nur der drittwichtigste Handelspartner der USA. Der Anteil der EU-Exporte in die USA beläuft sich auf nur 6,5 Prozent aller europäischen Exporte. Der Anteil der US-Einfuhren nach Europa (EU 27) umfasst ebenfalls nur 4,5 Prozent aller Importe. Drei Fünftel des EU-Handels findet innerhalb der europäischen Grenzen statt. Der transatlantische Handel ist geprägt durch den Austausch industrieller Güter. Die Einfuhrzölle auf Industriegüter sind aber bereits sehr niedrig. Ihre kurzfristige Abschaffung wird den transatlantischen Handel kaum beleben. Die angestrebte Angleichung von Qualitätsstandards, technischen Normen und Kennzeichnungspflichten dauert länger und hat somit auch keine kurzfristigen positiven Konjunktureffekte. Das Versprechen von Wachstums- und Beschäftigungseffekten eines transatlantischen Freihandelsabkommens hat allein das Ziel, die spezifischen Interessen großer US-amerikanischer und europäischer Unternehmen als Allgemeininteresse auszugeben. Tatsächlich geht es den bereits großen und mächtigen in USA und EU beheimateten Konzernen um die Festigung und den Ausbau ihrer starken Positionen im globalen Konkurrenzkampf.

Auch große private Dienstleistungsunternehmen haben ein ausgeprägtes Interesse an einem transatlantischen Freihandelsabkommen. Sie wittern große Rendite durch die weiteren Liberalisierungen und Deregulierungen im Dienstleistungsbereich. Im Bereich der Finanzdienstleistungen beispielsweise könnten Liberalisierungen in Verbindung mit »standstill«-Klauseln, die - wenngleich schwierigen - Revisionsmöglichkeiten nach GATS-Art. XXI aushebeln, wodurch eventuell stabiltätsinduzierende (Re-) Regulierungen (z.B. Transaktionssteuern, Verkehrs- und Handelsbeschränkungen) erheblich erschwert würden.


Wasser und andere Gemeingüter sollen Handelsware werden
Wasser, Energie, Verkehr, Bildung und Gesundheit zählen zu den Sektoren, in denen ein Weltmarktgeschäft lockt. Die Allianz der öffentlichen Wasserwirtschaft (AöW) warnt vor den Gefahren der geplanten Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft zwischen EU und USA (TTIP). Die AöW sieht als Interessensvertretung der öffentlichen Wasserversorger, Abwasserbetriebe und verbandlichen Wasserwirtschaft die Strukturen und die Qualität der öffentlichen Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung und Gewässerunterhaltung in Deutschland und Europa in Gefahr. Deshalb fordert die AöW: Weil Wasser Gemeingut und keine übliche Handelsware ist, darf die öffentliche Wasserwirtschaft nicht von einem Abkommen für Freihandel erfasst werden.

Auch wenn die EU derzeit noch nicht alle Liberalisierungen in ihrem Gebiet zulässt, so bleiben außerhalb der EU große Optionen für Expansion und satte private Gewinne im Geschäft mit den alltäglichen Bedürfnissen aller Menschen. Der Preis für den Wohlstand der Investoren ist atypische Niedriglohnbeschäftigung und die Aushöhlung von Sozialstandards.


Nachhaltigkeitskapitel - Nur ein Feigenblatt
Die EU schlägt für das TTIP-Kapitel zur nachhaltigen Entwicklung der ILO-Declaration on Fundamental Rights and Principles at Work von 1998, die Declaration on Social Justice for a Fair Globalization aus dem Jahr 2006 und handelsbezogene Elemente der decent work-Agenda vor. Neben dem Verweis auf international anerkannte Standards, freiwillige Initiativen oder Corporate Social Responsibility-Praktiken, bleiben Vorschläge zur Implementierung und zum Monitoring allerdings wenig konkret. Der Einbezug von Stakeholdern beziehungsweise zivilgesellschaftlicher Akteure bleibt weitgehend auf Informations- und Anhörungsrechte begrenzt. Diese Absichtserklärungen für das Nachhaltigkeitskapitel sind nur Feigenblatt und ein untauglicher Versuch, das bisherige Fehlen von sozialen Standards mit Durchsetzungsinstrumenten, Klagerechten mit Sorgfalts- und Haftungspflichten zu vertuschen. Auch der häufige Verweis auf die angeblich hohen Standards in den USA und der EU tragen nicht. Zwar haben die USA im Unterschied zum EU-Staat Deutschland einen gesetzlichen Mindestlohn, doch sind in den USA fundamentale Rechte auf Gewerkschaftsfreiheit im Kontrast zu den Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation in gravierendem Umfang beschränkt. Das spüren seit Jahren auch die Beschäftigten der US-T-Mobile, einer Tochter der Deutschen Telekom AG. Diese bekämpft in den USA das Bemühen von Beschäftigen zur Anerkennung ihrer Gewerkschaft mit massiven Einschüchterungen und Entlassungen. Hier zeigt sich die volle Wahrheit von Konzernen, die in Deutschland mit dicken Nachhaltigkeitsberichten um ein schickes Image buhlen.

Das wahre und sozial unverantwortliche Interesse an billiger und rechtloser Arbeit zeigte sich in den letzten Jahren am millionenfachen Leid von Arbeiterinnen und Arbeitern in Bangladesch, Pakistan, China und anderen Ländern in der globalen Lieferkette der Konsummarken und Händler aus der EU und den USA. Dort wird für Hungerlöhne über 70 Stunden in der Woche geschuftet. Tausende verloren bei Bränden und Fabrikeinstürzen ihre Leben oder trugen schwere Schäden für ihre Gesundheit davon. Das TTIP wird Drittländern im transatlantischen Markt keine Vorteile einräumen. Damit verschlechtern sich ihre Absatzchancen auf diesem Markt. Das ist gewollt. Wollen Drittländer ihre Marktanteile halten, so müssen sie sich künftig den neuen bilateral bestimmten Regeln beugen und den bestehenden Lohnunterbietungskampf verschärfen.


Auch ver.di formuliert Forderungen für eine andere Handelspolitik
Die Gewerkschaft ver.di hat bereits vor der Mandatsvereinbarung der EU die Bundeskanzlerin und Ministerpräsidenten der Bundesländer auf die Einwände und Forderungen ihrer Mitglieder hingewiesen: »Die Verfahrensweisen, die Transparenz des Verhandlungsprozesses und die zentralen Inhalte sollten anders gestaltet werden, als dies bei bisherigen Abkommen der EU der Fall war. Damit ein transatlantisches Abkommen eine positive Wirkung entfalten kann, müssen die Parlamente und die Zivilgesellschaft an den Verhandlungen beteiligt werden. Soziale und ökologische Zielsetzungen sollten gleichrangig neben wirtschaftlichen Interessen verankert werden: Das Abkommen muss klare, verbindliche und durchsetzbare Regelungen zum Schutz und Ausbau von Arbeitnehmerrechten, zum Datenund Verbraucherschutz sowie von Sozial- und Umweltstandards beinhalten. Große Sorgen bereitet uns in diesem Zusammenhang der Sachverhalt, dass die USA bis heute lediglich zwei von acht ILO-Mindestarbeitsnormen ratifiziert haben. Die Berücksichtigung ökologischer und sozialer Standards bei der öffentlichen Auftragsvergabe darf durch das Abkommen nicht unterlaufen werden. Das Abkommen darf nicht zu einer Liberalisierung oder Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen führen oder deren Regulierung behindern. Es sollten keine Regelungen zum Investitionsschutz enthalten sein, die zu einer Beeinträchtigung von Arbeitnehmerrechten führen könnten, oder die staatlichen Handlungsspielräume beschränken, um sinnvolle Regelungen im Interesse der eigenen Bevölkerung zu treffen. Das Abkommen muss die UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen beachten, deshalb müssen alle kulturellen Bereiche aus dem Anwendungsbereich explizit ausgenommen werden.«

Autor Uwe Wötzel arbeitet seit 2001 als Gewerkschaftssekretär im Bereich Politik und Planung der ver.di-Bundesverwaltung auch zu Fragen der Handelspolitik und Unternehmensverantwortung.


(1) Neue Untersuchung des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK): Außenhandel der USA: Europa hat als Partner an Bedeutung verloren (16.07.2013) http://www.boeckler.de/2728_43696.htm


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2013, Seite 2 - 3
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. November 2013