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AUSSENHANDEL/265: Bevölkerung sagt mehrheitlich Nein zu TTIP (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 187 - August/September 2015
Die Berliner Umweltzeitung

Bevölkerung sagt mehrheitlich Nein zu TTIP
Doch die Europaabgeordneten stimmen mehrheitlich dafür

Von Volker Voss


Am 8. Juli sprachen sich die Abgeordneten bei der Abstimmung im Europaparlament mehrheitlich für das Freihandelsabkommen (TTIP) zwischen der EU und den USA aus, und zwar mit 436 zu 241 Gegenstimmen. Es waren hauptsächlich die Abgeordneten der Konservativen und Liberalen, die mit Ja votierten. Hier zeigte sich jedoch die Spaltung der europäischen Sozialdemokratie. Teile von ihnen sowie die Fraktionen von Grünen und Linken stimmen dagegen.

War das wirklich Volkes Wille, dem die EU-Parlamentarier mit ihrer Entscheidung entsprachen? Dass es in vielen Ländern eine Mehrheit gegen TTIP gibt, selbst der österreichische Bundeskanzler, Werner Faymann, sich dagegen ausspricht, aus der Wirtschaft und von politischen Entscheidungsträgern diesseits und jenseits des Atlantiks Widerspruch kommt sowie massive Bürger_innen Proteste folgten, ließ sie wohl kalt. Jedenfalls wird diese Entscheidung nicht widerspruchslos hingenommen: Der Widerstand geht nun in die heiße Phase.

Merkwürdiges Demokratieverständnis

Der Selbstorganisierten Europäische Bürgerinitiative gegen TTIP verweigerte die Europäische Kommission unter fadenscheinigen Begründungen die Anerkennung. Sie wird ihre Arbeit aber trotzdem weiterführen. Sie hat europaweit bereits rund 2,4 Millionen Unterschriften gegen TTIP und das weitere geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada, CETA, gesammelt. Dabei hätten laut Gesetz eine Million Unterschriften ausgereicht, um die EU Kommission dazu zu zwingen, sich wenigstens die Argumente der TTIP-Kritiker anzuhören.

Unbeeindruckt von der weit verbreiteten Ablehnung kündigt Bundeskanzlerin Angela Merkel regelmäßig an, die Verhandlungen sollen bis zum Jahresende abgeschlossen sein. Gebetsmühlenartig werden immer wieder Argumente von erwartetem Wachstum und neuen Arbeitsplätzen aufgrund der Abkommen angeführt, die aber längst widerlegt wurden und von Befürwortern aufgrund ihrer Haltlosigkeit wieder zurückgenommen und von entsprechenden Websites gelöscht werden mussten.

Fauler Kompromiss

"Mit ihrer Resolution haben die Parlamentarier die Gelegenheit verpasst, der Aushöhlung unserer Demokratie durch Freihandelsabkommen und Konzernklagerechten einen Riegel vorzuschieben", bringen die zivilgesellschaftlichen Bündnisse TTIPunfairHandelbar und Stop TTIP ihre Enttäuschung zum Ausdruck. Herausgekommen sei ein merkwürdiger "Kompromiss": Sogar die umstrittenen Schiedsgerichte lehnte das Parlament nicht ab, gefordert wird lediglich eine Art "Investorenschutz light": Ginge es nach dem Willen des Parlaments, könnten Konzerne in Zukunft noch immer Staaten auf Schadensersatz verklagen - wenn auch nicht mehr vor privaten, sondern vor öffentlichen Schiedsgerichten, wird kritisiert.

Es geht den Kritikern nicht grundsätzlich um die Ablehnung von Freihandelsabkommen. Es sind insbesondere die Investor-Staat-Schiedsverfahren (ISDS), die Teil des Abkommens sein werden und Stein des Anstoßes sind. Diese ermöglichen privaten Investoren, Staaten vor umstrittenen Schiedsgerichten zu verklagen, wenn nationale Gesetze oder Regelungen die Profitinteressen von Konzernen gefährden. Hier sehen Kritiker Gefahren für den Rechtsstaat, die Demokratie, den Verbraucherschutz, die Lebensmittelsicherheit und die Kultur.

Ein aktuelles Beispiel ist der Disput zwischen der österreichischen Firma Holzindustrie Schweighofer und der rumänischen Regierung. In einem Schreiben des Wiener Unternehmens an den rumänischen Ministerpräsidenten Victor Ponta droht das Holzfällerunternehmen unverhohlen mit einer Klage vor dem Investor-Staat-Schiedsverfahren in Washington. Dem rumänischen Staat wird eine Schadensersatzforderung von jährlich 150 Millionen Euro angedroht. Könnte sich das Wiener Holzfällerunternehmen durchsetzen, würde es den öffentlichen Haushalt des Landes erheblich belasten. Hintergrund ist ein neues, angeblich "restriktiveres Forstgesetz", das die Handlungsfreiheit der Österreicher einschränkt, merkt Reinhard Behrend von Rettet den Regenwald an. "In Rumäniens Wäldern herrscht das Recht des Stärkeren. Aggressive Großunternehmen aus dem Ausland drängen kleine, lokale Sägewerke aus dem Markt." Dies gebe einen Vorgeschmack auf TTIP und CETA. Die Abkommen gefährden die Umwelt weltweit: Konzerne können Staaten verklagen, die Pflanzen, Tiere, Boden, Luft und Wasser besser schützen wollen, warnen die Regenwaldschützer.

Es wird vermutet, dass Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Obama die Freihandelsabkommen schnellstens umsetzen möchten, damit die öffentliche Diskussion dazu nicht den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 2016 und die Bundestagswahl 2017 belasten.

Geheimniskrämerei

Informationen aus den geheim geführten Verhandlungen kamen oft nur durch Whistleblower an die Öffentlichkeit. Nach Protesten gegen diese Geheimniskrämerei startete die EU Kommission eine Transparenzoffensive, die aber alles andere als transparent ist. Es wurden lediglich ausgewählte Dokumente und Absichtserklärungen veröffentlicht. Nun fordert sogar Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), dass die US-Botschaft allen Bundestagsabgeordneten Einsicht in die Verhandlungsprotokolle gewährt, was bisher nur ausgewählten Personen vorbehalten blieb. "Das Parlament braucht unmittelbare Kenntnis des Verhandlungsverlaufs, denn schließlich sollen die Ergebnisse in ein Gesetz münden. Ich bin im Kern ein Befürworter des Freihandelsabkommens, aber wenn ich von Informationen ausgeschlossen werde, macht mich das skeptisch", beschwert sich der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses, Peter Ramsauer (CSU) in einem Zeitungsinterview. "Die grundsätzliche Frage, warum Konzerne in Staaten mit funktionierenden Rechtssystemen überhaupt Sonderklagerechte erhalten sollen, bleibt unbeantwortet. TTIP und CETA bleiben absolut nicht zustimmungsfähig", so Klaus Ernst, stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion DIE LINKE.

In einem Schreiben von Dr. Till Holterhus vom Institut für Völkerrecht und Europarecht der Universität Göttingen an die Verbraucherschutzorganisation foodwatch, verfasst nach einer Analyse des bereits ausgehandelten Entwurfs zu CETA sowie den im Mai veröffentlichten Entwurf eines Regulierungskapitels zu TTIP, heißt es: "Die geplanten Freihandelsabkommen TTIP und CETA sehen bislang keine parlamentarischen Mitbestimmungsrechte des Europäischen Parlamentes bei der geplanten regulatorischen Zusammenarbeit zwischen der EU und den USA oder Kanada vor". Demnach muss das Europäische Parlament nur einmalig seine Zustimmung geben, damit die Freihandelsabkommen in Kraft gesetzt werden können.

Fazit: Diese Art Politik bestätigt leider immer wieder die von kritischen Bürger_innen geäußerten Befürchtungen: "Die Politiker machen doch nur, was sie wollen." Dem sollte entschieden entgegengetreten werden. Sonst wird sich noch mehr Europaskepsis und Politikverdrossenheit verbreiten.


Weitere Informationen:

www.ttip-demo.de



Großdemonstration Stoppt TTIP & CETA

Für den 10. Oktober ruft die GRÜNE LIGA Berlin und ein großes Bündnis aus NGOs, Umweltverbänden, Gewerkschaften und sozialen Verbänden zu einer Großdemonstration in Berlin auf.

Treffpunkt: 12 Uhr
Berliner Hauptbahnhof

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Quelle:
DER RABE RALF
26. Jahrgang, Nr. 187, Seite 3
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47/-0, Fax: 030/44 33 91-33
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. September 2015

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