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AUSSENHANDEL/286: EPAs - Erpresste Partnerschaftsabkommen (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 4, Juli/August 2016

EPAs - Erpresste Partnerschaftsabkommen

von Monika Mehnert (*)


Die EU drängt Staaten in Afrika, der Karibik und dem Pazifik Freihandelsabkommen auf. Sie schadet damit den sog. "Partner"-Ländern, der Umwelt und letztlich uns allen durch die Zementierung einer überholten Welthandelspolitik und der Vermehrung der Flüchtlingsbewegungen nach Europa.


In Süditalien arbeiten Migranten aus Ghana zu Tausenden auf Tomatenfeldern und in Tomatenfabriken. Sie sind u.a. nach Europa geflüchtet, weil das hochsubventionierte Tomatenmark aus der EU die heimische Tomatenproduktion zerstört hat. Auf den Fischfabrikschiffen aus EU-Ländern vor Westafrikas Küsten arbeiten Flüchtlinge aus dem Senegal. Sie mussten ihr Land verlassen, nachdem sie die Küstenfischerei wegen der Ausplünderung der Fanggründe aufgeben mussten. In den europäischen Geflügelschlachtereien schaffen junge Männer aus Kamerun im Akkord. Die Hähnchenflügel, die die Europäer nicht gern kaufen, haben längst die Märkte des westlichen und südlichen Afrika überschwemmt und die einheimische Geflügelproduktion unrentabel gemacht. So schließt sich millionenfach der Kreis, der auf einer ungerechten Weltwirtschaftsordnung und einer verfehlten Handelspolitik beruht.


Freihandel statt Präferenzhandel für die AKP-Staaten

Bis Oktober 2016 sollten, gemäß den Erwartungen der EU, endlich alle Freihandelsabkommen, genannt EPAs (Economic Partnership Agreements) oder auch WPAs (Wirtschafts-Partnerschafts-Abkommen), mit den 78 AKP-Staaten endgültig ratifiziert sein. Schon seit 2002 drängt die EU diese Länder zum Abschluss von neuen Handelsabkommen. Die AKP-Staaten in Afrika, der Karibik und dem Pazifik gingen aus den ehemaligen Kolonien der europäischen Kolonialmächte hervor. Ihnen waren seit 1975 wichtige Handelspräferenzen nach den insgesamt vier Lomé-Abkommen gewährt worden. Mit diesem Präferenzhandel ermöglichten die europäischen Länder den AKP-Staaten, ihre Waren weitgehend zollfrei in die EG/EU einzuführen. Im industriellen Bereich verzichteten EG/EU vollständig auf Gegenpräferenzen, was allerdings kaum praktische Bedeutung hatte. Im landwirtschaftlichen Bereich gab es uneinheitliche Regelungen, sowohl für den Marktzugang in Europa als auch die Möglichkeit der AKP-Staaten, umgekehrt Zölle auf bestimmte Landwirtschaftsprodukte aus Europa zu erheben. Diese Sonderregeln waren insgesamt recht günstig für die afrikanischen Länder und wurden als Teil eines entwicklungspolitischen Gesamtkonzeptes angesehen.

Mittlerweile gehört der EU-Außenhandel zum Gemeinschaftsrecht und liegt in den Händen der Generaldirektion Handel, die zusammen mit der EU-Kommission eine Politik der weitgehenden Marktöffnung für EU-Exporte, der maximalen Deregulierung und Privatisierung nach außen und innen verfolgt. Eine echte demokratische Kontrolle dieser Institution gibt es nicht.

Um den Präferenzhandel durch Freihandelsabkommen abzulösen, nahm sich die Direktion Handel die AKP-Länder einzeln und grüppchenweise vor, um ihnen die von EU-Seite gewünschten Freihandelsabkommen abzupressen. Unter größter Geheimhaltung - wie in der EU-Handelspolitik üblich - beschlossen Ministerrat und Kommission ein vage formuliertes Handelsmandat, das sie sich vom EU-Parlament und den Mitgliedsstaaten bestätigen ließen. Danach hatten weder das EU-Parlament noch die nationalen Parlamente der EU-Staaten etwas zu sagen. Die AKP-Staaten wurden vor die Wahl gestellt: Entweder ihr verhandelt diese neuen "Wirtschafts-Partnerschafts-Abkommen" oder euch werden die bisherigen Handelspräferenzen ersatzlos entzogen.


Inhalte der EPAs

Die EU verlangt von den AKP-Staaten, mindestens 80 Prozent ihrer Zölle innerhalb von 15 Jahren zu beseitigen. Eine Stillstandsklausel soll die verbliebenen Zölle einfrieren, so dass eine spätere Erhöhung unmöglich wird. Die weitgehende Gleichbehandlung ausländischer Unternehmen mit den inländischen wird festgeschrieben. Zusätzlich müssen sich die afrikanischen Staaten verpflichten, sechs Monate nach Abschluss dieser Abkommen bereits weitere Verhandlungen über eine noch stärkere Liberalisierung ihrer Wirtschaft aufzunehmen, die Dienstleistungen, öffentliche Aufträge, Investitionen, Fragen des Wettbewerbs und des geistigen Eigentums einschließt.

Diese Zwangsvereinbarung bezeichnet die EU-Seite zynischerweise als "Rendezvous-Klausel". Konzertierungsgremien für die Weiterentwicklung der Verträge - ähnlich den Regulierungsräten bei TTIP und CETA - sind vorgesehen. Fester Bestandteil der EPAs sind Meistbegünstigungsklauseln für die EU, die auch gegenüber Schwellenländern gelten und damit den Bewegungs-Spielraum der AKP-Staaten beim Welthandel stark einschränken.


Jahrelanger Widerstand verzögerte die Verträge

Offensichtlich ist es der EU besonders wichtig, die AKP-Staaten weiter und verstärkt als Rohstofflieferanten zu nutzen. Das ergibt sich auch aus der 2006/2007 entwickelten "Rohstoff-Initiative" der EU, die vor allem folgende Rohstoffe als über Handel zu sichern auflistete: Gold, Zinn, Bauxit, Blei, Eisen, Kohle, Uran, Kupfer, Chrom, Chromite, Platin, Diamanten, Erdöl und Mangan. Das sind genau die Rohstoffe, die in den Zolllisten im Anhang der EPA-Texte in der Produktgruppe A genannt werden, deren Handel also sofort und ohne Einschränkungen von Zöllen und Mengenbegrenzungen liberalisiert werden soll.

Nach dem Willen der EU sollten die Abkommen eigentlich bis Ende 2007 verabschiedet worden sein. Wegen der wachsenden Proteste in den betroffenen Staaten konnte diese Frist aber nicht eingehalten werden. Die karibische Gruppe, bestehend aus dreizehn Inselstaaten plus Guyana und Surinam, unterschrieb schließlich 2008, aus der pazifischen Gruppe, die 15 Ministaaten umfasst, unterschrieb 2009 als erstes Land Fidschi.

Die vergleichsweise größeren und selbstbewussteren 48 Staaten Afrikas wollten sich den Forderungen der Direktion Handel der EU nicht beugen. Die EU hatte Afrika in fünf EPA-Gruppen eingeteilt und dabei die eigenständigen afrikanischen Integrationsverbünde unterminiert. Die 15 Mitglieder der Entwicklungsgemeinschaft im Südlichen Afrika SADC z.B. wurden auf vier verschiedene EPA-Gruppen verteilt. Die alte koloniale Taktik des "Teile und herrsche" zeigte sich auch später im Laufe der Verhandlungen zur Marktzugangsreform, als die ärmsten (LDC) Länder gegen die weiter entwickelten wie Kenia und Ghana ausgespielt wurden, die exportorientierten Gruppen gegen die binnenorientierten Kleinproduzenten.

Ein anhaltender Widerstand formierte sich sowohl bei den Regierungen als auch in der Zivilbevölkerung. 2008 demonstrierten in Dakar 50.000 Menschen gegen die EPAs, auch in Ougadougou (Burkina Faso) gingen Tausende auf die Straße. In Mauretanien und Bamako (Mali) fanden große Sozialforen statt. Bauernverbände, Gewerkschaften, Kirchen, Wirtschaftsverbände und sogar die Organisation der Afrikanischen Einheit machten Front gegen die EPAs. Ihnen allen war klar, dass die von der EU geforderte weitgehende Reziprozität der Handelsbeziehungen die immer noch nicht auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähigen Volkswirtschaften schwer treffen würde.

"Freihandel zwischen Europa und Afrika, das ist wie ein Fußballspiel zwischen Real Madrid und der Schulmannschaft von Boli Bamboi", charakterisierte der ghanaische Wirtschaftswissenschaftler Kwabena Otoo die Situation, "ein Spiel, bei dem die überlegene Mannschaft auch noch gedopt ist - mit Subventionen aus Brüssel".


Fluchtursache Handelspolitik

Tatsächlich sind die afrikanischen Länder nie richtig über ihren alten quasi-kolonialen Status als Rohstofflieferanten für Europa herausgekommen. Der Handel untereinander und die verarbeitende Industrie stecken noch in den Anfängen. Die den verschuldeten afrikanischen Ländern von Weltbank und IWF aufgezwungenen Strukturanpassungsprogramme, verbunden mit einer ersten Welle der Liberalisierung des Handels in den 1980er und 1990er Jahren, führten zum Zusammenbruch vieler Fertigungsbetriebe, etwa der Textilfabriken in Ghana. Zunehmend verdrängten Nahrungsmittelimporte aus der EU heimische Produkte. Die Existenzgrundlage von Kleinbauern, Kleinproduzenten, Fischern und Händlern wurde so vernichtet.

Wegen der neuen Handelsabkommen werden die afrikanischen Staaten die meisten Produkte, die sie aus der EU importieren, überhaupt nicht mehr besteuern können. Der entsprechende Verlust an Staatseinnahmen geht anderen Bereichen, etwa dem Bildungswesen, der medizinischen Versorgung, dem Ausbau der Infrastruktur, dem Aufbau besserer Behörden und Kontrollorgane und der Unterstützung der eigenen Industrie verloren.

Die seit Jahren anhaltenden Flüchtlingsbewegungen in und aus afrikanischen Ländern werden sich durch die EPAs weiter verstärken. Viele von den jungen und besonders tatkräftigen Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen bzw. im eigenen Land nicht einmal eine bescheidene Zukunftsperspektive haben, werden sich irgendwann auf den ungewissen Weg nach Europa machen und hier, falls sie überhaupt lebend ankommen, unter schwierigsten Bedingungen - und häufig illegal - leben und arbeiten und dazu oft noch als Wirtschaftsflüchtling beschimpft werden.


EU-Ultimatum bricht den Widerstand

2007 stellte die EU den afrikanischen Staaten ein Ultimatum: Mit einer "Marktzugangsreform" sollten insgesamt 18 AKP-Länder den präferenziellen Zugang zum EU-Markt zum 1.10.2014 verlieren, falls sie bis dahin keine Schritte zur Ratifizierung wenigstens eines EPA-Interimsabkommens (nur Waren betreffend) einleiten würden. Danach bröckelte der Widerstand, vor allem in den direkt betroffenen Staaten, wie Ghana, Elfenbeinküste, Kamerun, Namibia und Botswana mit ihrer exportorientierten Wirtschaft.

Als weitere wichtige Faktoren für das Nachgeben einzelner Staaten sieht Boniface Mabanza (einer der wenigen deutschsprachigen Experten für die EPAs) bestimmte politische Entwicklungen in Westafrika, u.a. die erneute Machtübernahme von Alassane Ouattara - einem ausgewiesenen Neoliberalen mit einer langen Karriere beim IWF - in der Elfenbeinküste und die Unterstützung der EU, die Nigeria und Mali für die interne Terrorbekämpfung dringend brauchten. Immerhin hatten die einzelnen Staaten und Staatengruppen durch anhaltenden Widerstand und zähe Verhandlungen der EU wenigstens einige Zugeständnisse hinsichtlich Meistbegünstigungen und Produktgruppen in den Vertrags-Anhängen abringen können.

Schließlich unterschrieb bzw. ratifizierte eine EPA-Gruppe nach der anderen die Handelsverträge, die ersten im Juli 2014 und als letzte die ostafrikanische Gruppe, bestehend aus Kenia, Tansania, Uganda, Ruanda und Burundi, im Oktober 2014. Kenia tat das nach eigener Aussage "mit der Pistole auf der Brust".

In einer Rede vor dem Deutschen Bundestag sagte der ehemalige Präsident von Tansania, Benjamin Mkapa, im Februar 2015: "Die Berliner Konferenz von 1884/85 balkanisierte Afrika und teilte es unter 13 europäischen Mächten auf, um ihnen als sichere Rohstoffquellen und Absatzmärkte zu dienen. Mit den EPAs macht Europa heute etwas Ähnliches. Es geht darum, ob Afrika den Spielraum bekommt, Industrie und Handel für seine eigene Entwicklung zu nutzen oder für die Entwicklung Europas."



(*) Die Autorin arbeitet für Greenpeace Bonn.

Dieser Artikel ist vor der Veröffentlichung in afrika süd in einer etwas kürzeren Form in der Bonner Umwelt-Zeitung Ausgabe Mai/Juni 2016 erschienen.

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afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
45. Jahrgang, Nr. 4, Juli/August 2016, S. 30-31
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Oktober 2016

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