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AUSSENHANDEL/311: Nichts gelernt aus TTIP - anstehende Handelsabkommen der EU mit Japan, Singapur und Vietnam (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2018
Lebensadern unserer Erde
Flüsse - begradigt, gestaut, zerstört.

Nichts gelernt aus TTIP
Über die anstehenden Handelsabkommen der EU mit Japan, Singapur und Vietnam

von Anne Bundschuh


Bis zu 3 Handelsabkommen könnte das EU-Parlament noch vor den Wahlen ratifizieren, 2 davon werden von Investitionsabkommen begleitet. Die Abkommen mit Japan, Singapur und Vietnam sind kaum besser als TTIP und CETA und gefährden Mensch, Umwelt und Demokratie.


Wer erinnert sich nicht an die Großdemonstration am 15. Oktober 2015 in Berlin? Eine Viertelmillion Menschen flutete die Straßen des Berliner Regierungsviertels und protestierte gegen TTIP, das Handels- und Investitionsschutzabkommen der Europäischen Union (EU) mit den USA. Die Kritikpunkte waren vielfältig und die Forderungen gingen weit über TTIP hinaus. Auch CETA, das Abkommen der EU mit Kanada, sollte gestoppt werden. Und damit eine Handelspolitik, die die Interessen von Konzernen über die Interessen von Mensch und Umwelt stellt, die den Einfluss von LobbyistInnen auf politische Entscheidungen stetig vergrößert und dabei im gleichen Maße demokratische Strukturen unterhöhlt sowie politische Handlungsspielräume systematisch einschränkt.

JEFTA: Das bisher größte Abkommen der EU
Wenige Jahre nach dem Höhepunkt der Proteste gegen TTIP und CETA steht derzeit das Abkommen über eine Wirtschaftspartnerschaft der EU mit Japan (JEFTA) zur Abstimmung durch das EU-Parlament an. JEFTA umfasst einen Wirtschaftsraum von über 600 Millionen Menschen und rund ein Drittel des globalen Bruttoinlandsproduktes und ist damit das bislang größte Handelsabkommen, das die EU abschließend verhandelt hat. Es gehört zur sogenannten neuen Generation von Handelsabkommen, die weit mehr als Zölle und Quoten regeln, und könnte das erste dieser Abkommen der EU sein, das vollständig in Kraft tritt. Dies ist keine gute Nachricht. Zwar enthält JEFTA keine Investitionsschutzklauseln und verleiht internationalen InvestorInnen damit nicht die Möglichkeit, gegen missliebige Regulierungen der Vertragsstaaten vor internationalen Schiedsgerichten auf Schadensersatz zu klagen. Dies ist jedoch alles andere als eine Kehrtwende in der Handels- und Investitionspolitik, sondern vielmehr eine "durchsichtige Salamitaktik"[1] der EU-Kommission: Einerseits konnte hier mit Japan keine schnelle Einigung erreicht werden, andererseits müssten Abkommen mit Investitionsschutzklauseln auch von den Parlamenten aller EU-Mitgliedstaaten ratifiziert werden - und deren Zustimmung ist derzeit alles andere als sicher, wie der Ratifizierungsprozess zu CETA zeigt. Um vor den EU-Wahlen im Mai 2019 wenigstens den Handelsteil noch ratifizieren zu können, wurde JEFTA daher in 2 Teile aufgespalten. Im Hintergrund wird jedoch weiterverhandelt, die Öffentlichkeit erfährt von den Verhandlungsinhalten nichts.

Dabei ist der Inhalt des aktuell zur Abstimmung anstehenden Abkommens bereits hochproblematisch.[2] Das Kapitel zu Handel und nachhaltiger Entwicklung ist noch schwächer als das im CETA-Abkommen. JEFTA bekräftigt zwar verbal das Pariser Klimaabkommen - jedoch ohne praktischen Mehrwert. Zudem enthält JEFTA die Einschränkung, dass Maßnahmen zur Umsetzung von multilateralen Umweltabkommen nur dann zulässig sind, wenn sie "nicht auf eine willkürliche oder ungerechtfertigte Diskriminierung der anderen Vertragspartei oder auf eine verschleierte Beschränkung des internationalen Handels hinauslaufen würde".[3]

Wie in allen EU-Handelsabkommen fehlen auch im JEFTA-Nachhaltigkeitskapitel eine Vorrangstellung, ein Durchsetzungsmechanismus sowie die Möglichkeit, Verstöße gegen Bestimmungen zum Umwelt- und Klimaschutz oder gegen internationale Arbeitsstandards wirksam zu sanktionieren. Dabei hat Japan erst 6 der 8 Kernarbeitsnormen der internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ratifiziert. Es fehlen die Konventionen zur Abschaffung der Zwangsarbeit (Nr. 105) sowie die Norm zur Beseitigung von Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf (Nr. 111). Das Nachhaltigkeitskapitel schreibt zwar vor, dass sich die Vertragsparteien um die Ratifizierung der ausstehenden Normen bemühen müssen - tun sie das nicht, drohen aufgrund des fehlenden Durchsetzungsmechanismus jedoch keine ernsthaften Konsequenzen. Aufgrund der Kritik aus Zivilgesellschaft und Teilen des EU-Parlaments hat die japanische Regierung eine ministerielle Arbeitsgruppe zu dem Thema eingerichtet. Dass die fehlenden ILO-Konventionen bis zur geplanten JEFTA-Abstimmung im Dezember noch ratifiziert werden, ist jedoch unmöglich.

Keine Absicherung von Standards und Nachhaltigkeit
Auch für den globalen Schutz von Wäldern verheißt das JEFTA-Nachhaltigkeitskapitel nichts Gutes. Japan ist einer der weltweit größten Holzimporteure und japanische Unternehmen sind die Hauptabnehmer von illegal geschlagenem Holz, das unter anderem aus Urwäldern in Europa stammt. JEFTA könnte das illegale Abholzen in Brasilien, Malaysia, China und Indonesien verschlimmern. Dennoch enthält das Abkommen keine umfassenden oder durchsetzbaren Verpflichtungen, die den Handel mit illegalem Holz effektiv verbieten.

Weitere Kritikpunkte betreffen die unzureichende Verankerung des Vorsorgeprinzips, das für den Umwelt- und Gesundheitsschutz in Europa von zentraler Bedeutung ist, sowie das Fehlen von Antikorruptionsklauseln. Zudem droht die weitere Liberalisierung von Dienstleistungen, denn JEFTA enthält eine sogenannte Negativliste. Damit unterliegen alle Dienstleistungen, für die keine Ausnahme formuliert wurde, der Verpflichtung zur Marktöffnung für private Unternehmen. In den Diskussionen um JEFTA wurde unter anderem auf die Bedrohungen für die Wasserversorgung hingewiesen, insbesondere auf das Fehlen eines Sonderartikels zu Wasser: Dieser müsse klarstellen, dass Wasser keine übliche Handelsware ist und dass Wasser und seine Nutzung vom Abkommen insgesamt ausgenommen ist.[4] Liberalisiert werden können auch alle Dienstleistungen, die es heute vielleicht noch gar nicht gibt und die deshalb nicht gelistet werden können, beispielsweise neue Ansätze im digitalen Handel.

Handelsrecht vor Menschenrecht!?
Neben JEFTA sollen auch die Handels- und Investitionsabkommen mit Singapur und Vietnam noch vor der EU-Wahl vom EU-Parlament abgestimmt werden - so zumindest der Wille der EU-Kommission.

Ebenso wie Japan haben Singapur und Vietnam nicht alle ILO-Kernarbeitsnormen ratifiziert, und ebenso wie JEFTA werden die beiden anderen Abkommen an dieser Situation nichts ändern: Auch sie enthalten keinen Durchsetzungsmechanismus, um die Ratifizierung oder Umsetzung der ILO-Kernarbeitsnormen nachzuholen. Dabei gibt es in beiden Ländern gravierende Probleme mit Menschen- und Arbeitnehmerrechten. Vietnam verfolgt eine Niedriglohnstrategie, die sich auf systematische Arbeitsrechtsverletzungen stützt und so ausländische Investitionen anzulocken versucht.

Der Stadtstaat Singapur ist eine Steueroase und gehört zu den global wichtigsten Finanzplätzen. US-Konzerne investieren hier mehr als in China und Japan zusammen. Singapur ist der wichtigste Handelspartner der EU in Südostasien, die meisten in der Region tätigen europäischen Unternehmen haben dort ihre lokalen Zentralen. Das Investitionsabkommen würde all diesen Konzernen noch weitreichendere Rechte verleihen, als sie es bisher haben. Die zugrunde liegende Definition von Investitionen ist sehr breit und schließt beispielsweise Portfolio-Investitionen, Anleihen, Firmenwerte und geistige Eigentumsrechte mit ein. Investitionen werden geschützt, ohne Berücksichtigung ihrer sozialen, ökonomischen oder ökologischen Auswirkungen.

Da beide Abkommen in einen Handels- und einen Investitionsteil aufgespalten wurden, unterscheiden sich die Ratifizierungsprozesse: Die Handelsteile können nach der Zustimmung des EU-Parlaments direkt ratifiziert werden, über die Investitionsteile müssen auch die Parlamente der EU-Mitgliedstaaten abstimmen.

Ins Wanken geraten
Das aktuelle Vorgehen der EU-Kommission in der Handelspolitik zeigt zweierlei: Erstens hat sie wenig aus den breiten Protesten gegen TTIP gelernt - dennoch sind diese nicht folgenlos geblieben. Insbesondere die Aufspaltung von Handels- und Investitionsteilen ist eine Folge der zivilgesellschaftlichen Kritik. Zweitens ist das System der globalen Schiedsgerichtsbarkeit (ISDS) so ins Wanken geraten, dass sich die EU-Kommission genötigt sieht, immer neue Reformen zu präsentieren: In CETA gab es einige prozedurale Reformen am Klagemechanismus, derzeit verfolgt die EU-Kommission das Ziel einen globalen Investitionsgerichtshof einzurichten. Doch all diese Reformen dienen letztlich dem Ziel, das System zu retten und die bestehende Machtasymmetrie beizubehalten: Sonderklagerechte für Konzerne, vage Zusagen zur Nachhaltigkeit, zu Menschen- und Arbeitsrechten. Ob diese Strategie aufgeht, ist offen. Die für Mensch und Umwelt bessere Alternative wäre es, Klageprivilegien für Konzerne ein für allemal abzuschaffen und die globale Handelspolitik an Menschenrechten und Nachhaltigkeit auszurichten.


Autorin Anne Bundschuh arbeitet beim Forum Umwelt und Entwicklung und koordiniert das Netzwerk Gerechter Welthandel.


Anmerkungen

1. https://www.lobbycontrol.de/2018/05/durchsichtige-salamitaktik-eu-will-paralleljustiz-fuer-konzerne-bei-jefta-reinmogeln/

2. Netzwerk Gerechter Welthandel/Powershift e. V./Greenpeace/BUND/Campact und LobbyControl (2018): JEFTA entzaubert. Wunsch und Wirklichkeit des EU-Japan-Abkommens. https://bit.ly/2BDMCeR.

3. JEFTA-Artikel 16.4 Satz 5.
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:52018PC0192&from=EN

4. https://aoew.de/pages/themen/europa/freihandelsabkommen/eu-japan-abkommen.php


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 4/2018, Seite 28 - 29
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Februar 2019

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