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AUSSENHANDEL/313: Die nächste Strafzollrunde (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 10. April 2018
german-foreign-policy.com

Die nächste Strafzollrunde


BERLIN/WASHINGTON - Die Trump-Administration spitzt ihren Handelskonflikt mit der EU durch die Ankündigung neuer Strafzölle zu und droht weiterhin mit zusätzlichen Strafzöllen auf Autoimporte. Die jüngste Ankündigung stellt eine Reaktion auf ein WTO-Urteil vom Mai 2018 dar; die Welthandelsorganisation hatte geurteilt, die EU habe Airbus unerlaubt subventioniert und damit dem US-Wettbewerber Boeing empfindlich geschadet. Der US-Handelsbeauftragte kündigt nun Zölle auf Importe im Wert von elf Milliarden US-Dollar an, darunter vor allem Produkte aus Frankreich. Paris blockiert in den Freihandelsgesprächen mit Washington die von Donald Trump geforderte Öffnung des EU-Agrarmarktes für Produkte von US-Farmern, die stark unter dem Handelskrieg gegen China leiden. Umgekehrt kündigt die EU Strafzölle auf US-Importe wegen eines WTO-Urteils gegen Boeing an. Über die Kfz-Strafzölle muss der US-Präsident bis Mitte Mai entscheiden. Sie sollen verhängt werden, wenn die Freihandelsgespräche zu keinem Ergebnis führen. Genau dies scheint gegenwärtig der Fall zu sein. Der deutschen Branche drohen Milliardenverluste.

Ein alter Konflikt

Der Streit um offene oder verdeckte Staatsbeihilfen für Airbus und Boeing ist so alt wie die Konkurrenz zwischen den beiden größten Luftfahrtkonzernen der Welt. Bereits in den 1970er Jahren - Airbus war 1970 gegründet worden, um der EG eine eigene tragfähige Basis in der strategisch zentralen Luft- und Raumfahrtindustrie zu verschaffen - beschwerte sich der US-Konzern über angeblich unzulässige staatliche Unterstützung für den Rivalen aus Europa. In den 1980er und 1990er Jahren setzte sich der Konflikt fort.[1] Der aktuelle Streit datiert auf den 6. Oktober 2004 zurück; an jenem Tag reichten bei der WTO die Vereinigten Staaten eine Klage gegen die EU, die EU wiederum eine Klage gegen die Vereinigten Staaten ein. In beiden wurde die jeweils andere Seite bezichtigt, den eigenen Luftfahrtkonzern in unerlaubter Weise zu fördern.[2] Die Eskalation des Streits erfolgte ein Jahr, nachdem Airbus erstmals mehr Flugzeuge ausgeliefert hatte - nämlich 305 - als Boeing (281); das war 2003 der Fall. Seit 2012 liegt allerdings Boeing (601) wieder vorn (Airbus: 588).[3]

Allseitige Subventionen

Die beiden entscheidenden WTO-Urteile in den jeweiligen Prozessen sind am 15. Mai 2018 und am 28. März 2019 gefällt worden. Im Mai vergangenen Jahres entschied die WTO, zwar habe die EU diverse Staatsbeihilfen im Jahr 2011 eingestellt. Das sei aber bei vergünstigten Darlehen für die Produktion neuerer Modelle, des A380 und des A350 XWB, nicht der Fall gewesen. Darauf bezieht sich nun die Trump-Administration mit der aktuellen Ankündigung, Strafzölle gegen die EU zu verhängen.[4] Umgekehrt hat die WTO Ende März dieses Jahres geurteilt, die US-Regierung habe unzulässige Begünstigungen für Boeing gleichfalls nicht eingestellt.[5] Dabei handele es sich vor allem um Steuererleichterungen im Bundesstaat Washington, in dem Boeing fast die Hälfte seiner Angestellten weltweit beschäftigt und der größte private Arbeitgeber ist. Darüber hinaus subventioniert die US-Regierung den Konzern über Raumfahrtprogramme. Nach den jeweiligen Urteilen haben beide Seiten bei der WTO das Verhängen von Strafzöllen beantragt. Die WTO soll die Summe in Kürze festlegen.

Frankreichs Landwirte

Bereits vorab hat der US-Handelsbeauftragte Robert Lighthizer am Montag erste konkrete Strafzölle gegen die EU in Aussicht gestellt. Dabei geht es um Einfuhren im Wert von rund elf Milliarden US-Dollar. Konkret betroffen sind Produkte und Komponenten für die Luftfahrtindustrie, aber auch verschiedenste Lebensmittel von Käse über Wein bis Olivenöl. Beobachter weisen darauf hin, dass Frankreich besonders betroffen ist: Einerseits lieferte es im vergangenen Jahr zivile Flugzeugteile im Wert von 12,34 Milliarden US-Dollar in die Vereinigten Staaten (Deutschland: 5,1 Milliarden US-Dollar; Italien: 1,79 Milliarden US-Dollar) [6]; andererseits umfasst die Sanktionsliste vor allem in Frankreich produzierte Lebensmittel wie Käse und Wein [7]. Experten vermuten, französische Landwirte sollten getroffen werden, da Paris in den EU-Handelsgesprächen mit Washington eine Öffnung des EU-Agrarmarktes für die Produkte von US-Farmern blockiert. US-Farmer gehören zu den Hauptopfern von Washingtons Handelskrieg gegen Beijing.

Deutschlands Autobauer

Während es in Brüssel heißt, die US-Strafzolldrohungen seien weit überzogen und könnten von der EU mit eigenen Strafzöllen wegen der Boeing-Sanktionen leicht gekontert werden, macht sich insbesondere in Deutschland Sorge wegen etwaiger Kfz-Strafzölle breit. Ein offizieller Bericht zu der Frage, ob der Import von Autos und Autoteilen die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten bedrohe, ist dem US-Präsidenten im Februar übergeben worden. Er liegt nicht öffentlich vor, kann aber mutmaßlich als Grundlage herangezogen werden, um Strafzölle auf die Pkw-Einfuhr zu legitimieren. US-Präsident Donald Trump droht dies an, sollten die Gespräche mit Brüssel über ein Freihandelsabkommen zu keinem Erfolg führen. Zur Zeit stecken die Gespräche fest. Trump muss nach US-Regelungen seine Entscheidung in der Sache spätestens Mitte Mai gefällt haben. In der deutschen Branche herrscht Pessimismus: Trump habe, so heißt es, seine Drohungen stets mit bemerkenswerter Regelmäßigkeit wahr gemacht.

Milliardenverluste

Strafzölle auf Kfz-Exporte in die Vereinigten Staaten wögen schwer. Im Jahr 2017 lieferten deutsche Hersteller Autos und Autoteile im Wert von 28,6 Milliarden Euro in die USA. Die Zahl der dorthin exportierten Pkw ist im vergangenen Jahr um 4,7 Prozent auf gut 470.000 Fahrzeuge gesunken. Laut Berechnungen des Münchener ifo-Instituts könnten Strafzölle im Umfang von 25 Prozent die deutschen Autoexporte in die USA langfristig fast halbieren. Insgesamt würden sich so "die gesamten Auto-Exporte aus Deutschland um 7,7 Prozent verringern", wird der ifo-Ökonom Gabriel Felbermayr zitiert: Dies entspräche "einem Wert von 18,4 Milliarden Euro".[8] Zwar könnten die Einbußen womöglich durch Lieferungen in andere Länder gedämpft werden; selbst dann sei allerdings mit Ausfuhrverlusten von 11,6 Milliarden Euro zu rechnen.

Dünnes Eis

Noch nicht einbezogen ist dabei freilich die Gefahr eines harten Brexits. Großbritannien ist mit erheblichem Abstand größter Abnehmer deutscher Pkw-Ausfuhren überhaupt. Bereits im vergangenen Jahr ging die Zahl der ins Vereinigte Königreich gelieferten Autos von knapp 769.000 um 13,4 Prozent auf rund 666.000 zurück. Sollte der Austritt des Landes aus der EU nicht nach einem einvernehmlichen Deal erfolgen, dann würde London zwar die meisten Zölle auf Einfuhren von außerhalb der EU auf Null setzen, zum Schutz einheimischer Firmen jedoch unter anderem Zölle in Höhe von zehn Prozent auf Kfz-Importe erheben (german-foreign-policy.com berichtete [9]). Die deutsche Autoindustrie, traditionell die Paradebranche der Bundesrepublik, stünde dann vor einem zweiten schweren Schlag: Das Eis, auf dem sich die Berliner Politik bewegt, wird dünn.


Anmerkungen:

[1] Özgür Çaliskan: An Analysis of the Airbus-Boeing Dispute From the Perspective of the WTO Process. In: Ege Akademik Bakis Vol. 10,4. October 2010. S. 1129-1138.

[2] James Freirich: Battle for the Skies: Boeing-Airbus WTO Trade Dispute. pulj.org 30.06.2018.

[3], [4] Robert Wall, Emre Peker: WTO Ruling Advances U.S. and Boeing in Case Against Airbus. wsj.com 15.05.2018.

[5] Robert Wall: WTO Rules U.S. Has Failed to Eliminate Illegal Aid for Boeing. wsj.com 28.03.2019.

[6] Julia Rotenberger: Pecorino, Hummer, Flugzeugteile - USA drohen der EU mit milliardenschweren neuen Zöllen. handelsblatt.com 09.04.2019.

[7] Der Handelsstreit mit Amerika eskaliert. Frankfurter Allgemeine Zeitung 10.04.2019.

[8] Sonderzölle könnten deutsche Auto-Exporte in die USA fast halbieren. welt.de 16.02.2019.

[9] S. dazu Va banque (II).
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7905/

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. April 2019

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