Deutscher Naturschutzring (DNR)
Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzorganisationen
e.V. - EU-News, 05.05.2025
Energiewende: Blackout auf der Iberischen Halbinsel befeuert
falsche Narrative
Ein Stromausfall legte Ende April fast die gesamte iberische
Halbinsel lahm. Während zunächst gezielt Falschinformationen über
angebliche Cyberattacken, Sabotageakte und die Zuverlässigkeit
Erneuerbarer Energien kursierten, stellte sich schnell heraus, dass
eine Kaskade technischer Störungen zur großflächigen Abschaltung
führte. Der Vorfall zeigt eindrücklich, dass eine erfolgreiche
Energiewende nicht nur vom Ausbau erneuerbarer Energien abhängt,
sondern auch von Investitionen in Netztechnik und europäischer
Kooperation.
Eine Analyse von Katharina Schuster, DNR
28. April 2025, 12:33 Uhr: In fast ganz Spanien und Portugal fällt abrupt der Strom aus. Auch Andorra und Teile Südfrankreichs sind betroffen. Es handelt sich um den größten Blackout in der jüngeren europäischen Geschichte, und ließ mehr als 50 Millionen Menschen plötzlich ohne Strom zurück. Was war passiert?
Der spanische Netzbetreiber Red Eléctrica (REE) spricht von einer "sehr starken Schwingung der Leistungsflüsse", die unmittelbar von einem massiven Generationsausfall gefolgt wurde. Auslöser war ein plötzlicher Ausfall eines großen Teils der Stromerzeugung im Südwesten Spaniens. Zwar konnte das Netz diesen ersten Einschnitt noch kurzfristig ausgleichen, doch innerhalb weniger Sekunden folgte ein weiterer Leistungsverlust. Die Grenze dessen, was das System auffangen konnte, war erreicht: Die Frequenz im Netz sank unter die kritische Schwelle, automatisierte Schutzmechanismen reagierten, um größeren Schaden zu verhindern. Unter anderem kappte sich das iberische Netz selbstständig vom kontinentaleuropäischen Stromverbund. Diese Trennung erschwerte eine Wiederstabilisierung ohne externe Unterstützung erheblich und löste den flächendeckenden Stromausfall über Spanien und Portugal aus.
Wie häufig in Krisen entstanden rund um den Blackout diverse Gerüchte, Mutmaßungen und Falschmeldungen. In sozialen Netzwerken wurde rasch die These eines feindlichen Angriffs auf die Stromversorgung lanciert. So behaupteten einige Posts ohne Grundlage, die europäische Strom-Infrastruktur sei Ziel eines Cyberangriffs gewesen - wahlweise durch Russland, Marokko oder Nordkorea. Andere Verschwörungsmythen sprachen von einem orchestrierten Terroranschlag.
Gleichzeitig tauchte im Netz eine angebliche Eilmeldung auf, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen habe Russland in einer Pressekonferenz direkt eines "Cyberangriffs" bezichtigt. Diese Meldung stellte sich als Fake heraus: Die EU-Kommission dementierte umgehend, dass von der Leyen dergleichen gesagt habe. Verbreitet wurde das Gerücht unter anderem vom rechten Desinformationsaktivisten Alvise Pérez, der fälschlich "laut CNN" von einer solchen Aussage berichtete. Tatsächlich hatte von der Leyen am betreffenden Tag gar nicht öffentlich zum Blackout Stellung genommen, und ihre offiziellen Äußerungen spekulierten in keiner Weise über Ursachen.
Auch etablierte Medien waren zunächst nicht frei von Fehlinformation:
Mehrere große Nachrichtenagenturen meldeten am 28. April, der
portugiesische Netzbetreiber Rede Eléctrica Nacional (REN) habe ein
seltenes Wetterphänomen als Ursache benannt. Diese Meldung wurde
später korrigiert, da REN die Zuschreibung dieses Zitats bestritt. Die
Agenturen und Zeitungen veröffentlichten Berichtigungen, nachdem REN
klargestellt hatte, dass kein entsprechendes Kommuniqué von ihnen
stammt. Dieses Beispiel zeigt, wie in der hektischen Nachrichtenlage
zu Beginn einer Krise leicht ungeprüfte Informationen verbreitet
werden können.
In der politischen Diskussion versuchten manche, Schuldzuweisungen zu instrumentalisieren. So warf die rechtspopulistische spanische Partei Vox der Regierung vor, die wahren Ursachen zu "verschleiern", weil die Verantwortlichkeit angeblich bei Fehlentscheidungen der Regierung liege. Die Vox-Sprecherin im Parlament behauptete, Regierung und Netzbetreiber "wüssten genau, was passiert ist, und wollen es nicht sagen". Konkrete Belege führte sie dafür nicht an. Die spanische Regierung wies diese Vorwürfe energisch zurück - Innenminister Fernando Grande-Marlaska betonte, man habe transparent informiert und werde alles Nötige zur Aufklärung tun. Premier Sánchez kündigte eine unabhängige Untersuchung an und versicherte zunächst, man schließe keine Hypothese von vornherein aus - auch einen Sabotageakt nicht. Mittlerweile aber gilt ein gezielter Angriff oder ein terroristischer Hintergrund als weitgehend ausgeschlossen. Es gebe keinerlei Hinweise auf eine absichtliche Störung, und die Behörden betonen, dass es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine rein technische Großstörung handelte.
Laut einem Statement von Red Eléctrica, dem Betreiber des spanischen Stromnetzes, deutet vieles darauf hin, dass die beiden Störungsereignisse um die Mittagszeit in Zusammenhang mit Solarparks standen. Diese Einschätzung befeuerte die öffentliche Debatte darüber, ob der hohe Anteil erneuerbarer Energien - insbesondere aus Wind- und Solarkraft - zur Instabilität des Netzes beigetragen haben könnte.
Beide Länder zählen zu Europas Vorreitern bei erneuerbaren Energien:
2024 deckte Spanien gut 56 Prozent seines Strombedarfs aus Wind-
und Solarenergie. Am 16. April 2025 wurde mehrere Stunden lang eine
Stromversorgung zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien erreicht, und
am Tag des Ausfalls lag der Anteil der Erneuerbaren zeitweise bei rund
80 Prozent. Seit geraumer Zeit streuen Kritiker gezielt Zweifel an der
Zuverlässigkeit eines Stromsystems mit hohem Anteil wetterabhängiger
Erzeugung, um die Energiewende und Erneuerbare Energien in Misskredit
zu bringen.
Auch Spaniens Opposition stellte die Zuverlässigkeit der aktuellen Energiepolitik infrage, die stark auf Erneuerbare und den Ausstieg aus fossilen und nuklearen Quellen setzt. Die Regierung und Fachbehörden betonten jedoch deutlich, dass die Energiewende nicht der Auslöser des Blackouts war. Premier Sánchez wie auch REE-Chefin Beatriz Corredor erklärten, dass Rekordeinspeisungen aus Solar- und Windparks nicht ursächlich für den Zusammenbruch gewesen seien. Vielmehr handelte es sich um eine außergewöhnliche Störung, die prinzipiell auch in einem konventionell gespeisten Netz hätte auftreten können. Gleichwohl räumen Experten ein, dass ein hoher Anteil dezentraler, wetterabhängiger Erzeuger neue Herausforderungen mit sich bringt. So hatten spanische Branchenvertreter bereits zuvor gewarnt, dass das Stromnetz mit der rasanten Zunahme kleinerer Solar- und Windanlagen schwerer zu steuern sei, wenn nicht entsprechend nachgerüstet wird.
Ein zentrales technisches Problem ist die Netzfrequenz-Stabilisierung bei viel erneuerbarer Energie, denn in Stromnetzen ist die Frequenzstabilität entscheidend - in Europa liegt sie bei 50 Hertz. Diese Frequenz entsteht durch die gleichmäßige Rotation der Generatoren in klassischen Großkraftwerken wie Kohle-, Gas- oder Kernkraftwerken. Solche Generatoren bestehen aus schweren, rotierenden Massen. Diese Schwungmasse wirkt wie ein "Puffer": Sie gleicht kurzfristige Schwankungen zwischen Stromerzeugung und Stromverbrauch aus. Wenn plötzlich mehr Strom verbraucht als erzeugt wird (zum Beispiel wenn ein Kraftwerk ausfällt), verlangsamt sich die Rotation ein wenig - aber nicht sofort drastisch, weil die Masse träge ist. Dadurch bleibt die Frequenz kurz stabil, bis Regelkraftwerke nachsteuern können. Photovoltaik- oder Windkraftanlagen erzeugen allerdings Gleichstrom, der erst mithilfe eines Wechselrichters in Wechselstrom umgewandelt wird. Dieser Wechselrichter ist elektronisch gesteuert und "simuliert" die 50 Hertz - es gibt keine rotierende Schwungmasse dahinter. Fällt Solar- oder Windleistung plötzlich weg - etwa durch Bewölkung oder gezielte Abregelung -, muss ausreichend Regelreserve einspringen. Gelingt dies nicht rechtzeitig, droht ein Frequenzabfall unter kritische Werte, was automatische Abschaltungen weiterer Kraftwerke nach sich ziehen kann. Genau dieses Szenario wird für den 28. April angenommen.
Die spanische Netzleitung hatte bereits Anfang 2025 darauf hingewiesen, dass Spannung und Frequenz mit zunehmender Zahl schwer prognostizierbarer Einspeiser schwieriger zu stabilisieren seien. Auch die Regulierungsbehörde CNMC warnte im Januar 2025 vor Problemen bei der Spannungssteuerung aufgrund der neuen Einspeisestruktur mit vielen kleinen Erzeugern. Hinzu kommt, dass Spanien sich im Atomausstieg befindet: Bis 2035 sollen alle sieben Reaktoren abgeschaltet werden. Schon jetzt werden konventionelle Kraftwerke in Zeiten überschüssigen Grünstroms gedrosselt. Um Ostern 2025 - wenige Tage vor dem Blackout - waren zeitweise drei von sieben Reaktoren vom Netz genommen worden, weil durch hohen Wind Strom im Überfluss vorhanden war. Kurz vor dem 28. April war mindestens ein Reaktor (Almaraz I) noch nicht wieder ans Netz gegangen, was die verfügbare Sicherheitsreserve zusätzlich verringerte. Fachleute wie der ehemalige REE-Direktor Jordi Sevilla warnten, dass das Abschalten der Kernkraftwerke die Versorgungssicherheit gefährden könne. Auch der europäische Netzverband ENTSO-E verwies im Frühjahr 2025 auf ein erhöhtes Risiko für Blackouts durch den geplanten Rückbau von Kapazitäten. Zwar wies REE diese Einschätzung zurück und versicherte, man könne eine stabile Versorgung garantieren - doch der April-Blackout hat diese Debatte neu belebt.
Vertreter*innen einer ambitionierten Energiewende sehen in dem Vorfall einen außergewöhnlichen Einzelfall, der durch bessere Netztechnik beherrschbar sein wird, und betonen die Notwendigkeit für gezielte Investitionen in moderne Frequenzregelanlagen und Schwungmassenspeicher. Als notwendig gilt auch eine bessere grenzüberschreitende Vernetzung mit Nachbarländern, um das Risiko solcher Großstörungen künftig zu minimieren, denn: Spanien und Portugal sind "Energieinseln", weil sie nur schwach an das europäische Stromverbundnetz angebunden sind. Konkret gibt es nur vier Hochspannungsleitungen über die Pyrenäen nach Frankreich, und diese übertragen lediglich etwa drei Prozent der spanischen Erzeugungskapazität. Damit fehlt eine starke elektrische Verbindung zu anderen EU-Ländern, die im Fall von Störungen Strom liefern oder aufnehmen könnte, um das Netz zu stabilisieren. Eigentlich sieht die EU vor, dass jedes Mitgliedsland mindestens zehn Prozent seiner Stromkapazität über Verbindungsleitungen mit dem Ausland austauschen kann - bis 2030 sollen es sogar 15 Prozent sein. Spanien erreicht diesen Wert nicht, auch weil der Netzausbau nach Frankreich seit Jahren stockt. In Spanien wird vermutet, dass Frankreich - möglicherweise auf Druck der Atomlobby - den Ausbau bewusst verzögert, da günstiger Solar- und Windstrom aus Spanien Konkurrenz für den französischen Atomstrom bedeuten könnte.
Die Europäische Kommission hat angekündigt, aus dem großflächigen Stromausfall auf der Iberischen Halbinsel Konsequenzen ziehen zu wollen. "Wir untersuchen sehr genau, was die Gründe waren, wie gut wir vorbereitet waren und welche Lehren aus einem solchen Vorfall gezogen werden können", sagte eine Sprecherin in Brüssel. "Wir werden versuchen, solche Situationen zu verhindern, und wir werden versuchen, Maßnahmen zu ergreifen, um solche Situationen in Zukunft zu vermeiden." Die Kommission betonte, dass es nun darum gehe, Schwachstellen zu analysieren und Maßnahmen zur Stärkung der Resilienz europäischer Stromnetze zu entwickeln.
Ecologistas en Acción, eine spanische Umweltorganisation, fordert angesichts des Stromausfalls eine grundlegende Neuausrichtung der Energieplanung: "Der vollständige Zusammenbruch des Stromnetzes ist ein Weckruf, der zu einer angemessenen Planung des Stromnetzes führen sollte", so die Organisation. Standortwahl und Dimensionierung erneuerbarer Anlagen würden derzeit primär durch Marktmechanismen und Profitinteressen großer Unternehmen bestimmt - statt durch eine ausgewogene, netzdienliche Gesamtplanung. Um die Resilienz des Systems zu stärken, plädiert sie für eine dezentrale Stromversorgung auf Basis von Mikronetzen, die Produktion und Verbrauch räumlich näher zusammenbringt. Zudem müsse der Ausbau von erneuerbarem Eigenverbrauch - also Stromnutzung unabhängig vom Netz - Vorrang erhalten. Neben einer gezielten Mischung aus Solar-, Wind-, Wasser- und Speichertechnologien fordern die Ecologistas en Acción eine stärkere staatliche Steuerung beim Netzausbau. Fossile Energien als Sicherheitslösung lehnt sie klar ab. Nicht die erneuerbaren Energien selbst seien Ursache des Blackouts, sondern vielmehr strukturelle Defizite und politische Versäumnisse beim Ausbau und der Steuerung des Stromsystems. Die technischen Lösungen für ein stabiles Netz mit hohem Anteil an Solar- und Windenergie seien vorhanden - entscheidend sei jedoch, dass sie vorausschauend geplant und konsequent umgesetzt werden.
Auch Greenpeace Spanien reagierte auf den Stromausfall mit klaren
Forderungen:
Die Organisation sieht den Vorfall als Alarmsignal, das Stromsystem
flexibler und widerstandsfähiger zu gestalten - durch gezielten Ausbau
von Speicherlösungen, intelligenter Laststeuerung und moderner
Netzinfrastruktur. Erneuerbare Energien seien laut Greenpeace zwar die
Grundlage eines sicheren und nachhaltigen Energiesystems, müssten
jedoch mit den richtigen Technologien ergänzt werden, um
Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Besonders kritisch bewertet
die Organisation die Rolle der Atomkraft: Sie habe weder zur
Stabilisierung beigetragen noch die Wiederherstellung beschleunigt und
stelle im Notfall selbst ein Risiko dar. Statt länger auf Gas- oder
Atomkraft zu setzen, müsse die Regierung jetzt den Übergang zu einem
vollständig erneuerbaren, dezentralen und demokratisch kontrollierten
Energiesystem beschleunigen.
Die Behörden in Spanien und Portugal betonen derzeit, dass die
Stromversorgung insgesamt zuverlässig sei und man aus dem Blackout
wichtige Lehren ziehen werde. Beide Länder haben die Energiewende in
den letzten Jahren konsequent vorangetrieben. Der Vorfall vom April
2025 unterstreicht jedoch, dass die Netzinfrastruktur mitwachsen muss,
um den neuen Anforderungen gerecht zu werden. Inzwischen arbeiten die
Netzbetreiber eng zusammen, um die Ursachen zu rekonstruieren und
Schwachstellen im System zu identifizieren. Ein umfassender
technischer Bericht wird für die kommenden Monate erwartet. Trotz der
dramatischen Stunden des Stromausfalls herrscht Einigkeit darüber,
dass eine klimafreundliche Energieversorgung und Versorgungssicherheit
langfristig vereinbar sind - vorausgesetzt, es wird entschlossen in
Systemstabilität investiert.
The Guardian: Mass blackout hits Spain and Portugal - Europe's biggest
grid failure in years
https://www.theguardian.com/world/2025/apr/28/spain-portugal-blackout-cause-electricity
Euronews: Did renewable energy cause Spain and Portugal's mass
blackout? Experts weigh in
https://www.euronews.com/green/2025/04/29/did-renewable-energy-cause-spain-and-portugals-mass-blackout-experts-weigh-in
Euronews: Blackout auf der iberischen Halbinsel führt zu Fake News im
Internet
https://de.euronews.com/my-europe/2025/05/01/blackout-auf-der-iberischen-halbinsel-fuhrt-zur-fake-news-im-internet
ZEIT Online: Was der Blackout in Spanien mit der Energiewende zu tun
hat [paywall]
https://www.zeit.de/wissen/2025-05/stromausfall-energiewende-blackout-solarenergie-windenergie
Greenpeace España - Pressemitteilung: Gran apagón: Greenpeace
exige mejorar el sistema eléctrico para hacerlo más flexible y resiliente
https://es.greenpeace.org/es/sala-de-prensa/comunicados/gran-apagon/
Ecologistas en Acción - Pressemitteilung: Ecologistas en Acción ante
el apagón en la península ibérica
https://www.ecologistasenaccion.org/338424/ecologistas-en-accion-ante-el-apagon-en-la-peninsula-iberica/
https://www.dnr.de/aktuelles-termine/aktuelles/energiewende-blackout-auf-der-iberischen-halbinsel-befeuert-falsche
*
Quelle:
EU-News, 05.05.2025
Deutscher Naturschutzring
Dachverband der deutschen Natur-, Tier-
und Umweltschutzverbände e.V. (DNR) e.V.
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin-Mitte
Tel.: 030/6781775-70, Fax: 030/6781775-80
E-Mail: info@dnr.de
Internet: www.dnr.de
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 9. Mai 2025
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