Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → WIRTSCHAFT

WÄHRUNG/156: Euroland in der Krise - Sieben-Punkte-Programm (Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik)


Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik - 23. Februar 2011

SONDERMEMORANDUM 2011

Euroland in der Krise: Ein Sieben-Punkte-Programm zur Wirtschafts- und Währungsunion


Die zum 1. Januar 1999 gestartete europäische Währung befindet sich in einer Krise, die ihre Existenz bedroht. Der naiverweise erwartete Abbau der ökonomischen und sozialen Divergenzen zwischen den Mitgliedsstaaten ist in den letzten zwölf Jahren nicht vorangeschritten. Aktuell konzentrieren sich Spekulanten auf die Risiken, die sich aus den Finanzierungsnöten einzelner Länder ergeben. Sichtbar wird das in exorbitanten Risikoaufschlägen auf die Zinssätze beim Handel mit den Staatsanleihen notleidender Staaten. Einige Mitgliedsländer stehen vor dem aus eigener Kraft nicht mehr zu lösenden Problem, ihre Zahlungsverpflichtungen im Rahmen der Kreditfinanzierung einzuhalten.

Bei der Lösung dieser Probleme ist europäische Solidarität gefordert. Prof. Rudolf Hickel von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik kritisiert: "Es wird derzeit nur an den Symptomen der Krise herumgedoktert! Die eigentlichen Ursachen der Krise werden ausgeblendet! Wenn die Auseinanderentwicklung in Europa, die bspw. durch die massiven Ex portüberschüsse im Euroraum vorangetrieben worden ist, nicht beendet wird, ist die Existenz des Euro akut bedroht."

Prof. Dr. Heinz-J. Bontrup betont: "Der Euro lohnt sich politisch und ökonomisch. Wir brauchen ein Programm zur Sicherung und zum Ausbau der Eurowährung. Damit erhalten wir einen zentralen Bereich einer handlungsfähigen politischen Union. Wir müssen das Auseinanderbrechen des Eurolandes verhindern und vor allem den Spekulanten das Handwerk legen."

Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik schlägt ein Sieben-Punkte-Programm zur Wirtschafts- und Währungsunion vor:

1. Euro-Rettungsschirm ausbauen

2. Eurobonds zur finanziellen Stabilisierung

3. Schuldenschnitt durch Gläubigerbeteiligung

4. EZB-Anleihekäufe fortsetzen und Gründung eines Europäischen Währungsfonds

5. Qualitatives Wirtschaftswachstum statt Schrumpfpolitik

6. Mehr öffentliche Einnahmen und Harmonisierung europäischer Unternehmensbesteuerung

7. Auf dem Weg zu einer Wirtschaftsregierung - einen alternativen, solidarischen Entwicklungsweg durchsetzen


*


SONDERMEMORANDUM
Februar 2011

Euroland in der Krise:
Ein Sieben-Punkte-Programm zur Wirtschafts- und Währungsunion



1. Die Herausforderungen annehmen

Die zum 1. Januar 1999 gestartete europäische Währung befindet sich in einer Krise, die ihre Existenz bedroht. Nicht der naiverweise erwartete Abbau der ökonomischen und sozialen Divergenzen zwischen den Mitgliedsstaaten ist in den letzten zwölf Jahren vorangeschritten. Vielmehr dominiert eine Auseinanderentwicklung, die durch die massiven Exportüberschüsse im Euroraum vorangetrieben worden ist. Es werden allerdings nur wenige Symptome dieses Auseinanderdriftens der Mitgliedsstaaten diskutiert. Einige Mitgliedsländer stehen vor dem aus eigener Kraft nicht mehr zu lösenden Problem, ihre Zahlungsverpflichtungen im Rahmen der Kreditfinanzierung einzuhalten. Soweit der Verkauf von Staatsanleihen zur Anschlussfinanzierung zu teuer geworden ist oder überhaupt nicht mehr funktioniert, lässt sich von einer Zahlungsunfähigkeit der öffentlichen Haushalte sprechen. Diese wird oftmals mit einer Insolvenz im privatwirtschaftlichen Bereich verwechselt. Spekulanten konzentrieren sich auf die Risiken, die sich aus den Finanzierungsnöten der Länder ergeben. Dies zeigt sich in exorbitanten Risikoaufschlägen auf die Zinssätze beim Handel mit den Staatsanleihen notleidender Staaten. Mit dem Finanzierungsinstrument, Versicherungen auf den Ausfall dieser Staatsanleihen (Credit Default Swap, CDS) abzuschließen und in Anspruch zu nehmen, haben Spekulanten die Zinssätze gewinnbringend nach oben getrieben.(1) Mit einem Notprogramm für Griechenland im Umfang von 110 Milliarden Euro wurde kurzfristig die Finanzierbarkeit des Schuldendienstes wiederhergestellt. Außerdem steht zusätzlich ein 750 Milliarden Euro umfassender Rettungsschirm zur Verfügung. Irland hat als erstes Land diesen Rettungsfonds mit 80 Milliarden Euro in Anspruch genommen. Diese Hilfen, die von der EU, den nicht auf fiskalische Unterstützung angewiesenen Mitgliedsländern und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) finanziert werden, sind jedoch bis Ende 2013 beschränkt.

Zwar gelingt es dadurch, die aus dem Rettungsfonds unterstützten Länder vor allem gegenüber den Spekulanten auf den Kapitalmärkten vorübergehend abzuschotten. Mit diesen Ad-hoc-Maßnahmen lassen sich jedoch die grundlegenden Probleme nicht lösen. Nach der Beendigung des Hilfsprogramms werden sich die betroffenen Länder gezwungen sehen, die Zinszahlungen an die Gläubiger aus dem eigenen Budget zu finanzieren. Wenn nichts geschieht, droht die Gefahr, dass sich die Triebkräfte der ungleichen Entwicklung der Mitgliedsländer weiter entfalten.

Gemessen an diesen großen Gefahren eines Zusammenbruchs der Eurozone ist die EU unfähig, Maßnahmen zu einer dauerhaften Stabilisierung des Euro innerhalb einer zu vollendenden Wirtschafts- und Währungsunion zu konzipieren und durchzusetzen. Die das Gesamtprojekt belastenden nationalstaatlichen Interessen dominieren den Streit über die Einführung von Eurobonds, die künftige Beteiligung der Gläubiger bei Zahlungsunfähigkeit eines Mitgliedslandes sowie vieler anderer, unkonventioneller Instrumente. In diesem nationalstaatlich bornierten Streit werden in der EU die grundsätzlichen Fragen nach der Vollendung einer Währungsunion zusammen mit einer koordinierten Wirtschafts- und Finanzpolitik zumindest der Mitgliedsstaaten verdrängt. Stattdessen setzt die EU zusammen mit den "Geberländern" von Finanzhilfen auf drakonische Eigenbeiträge, die die "Nehmerländer" zu erbringen haben. Als "Gegenleistung" für die Nothilfen werden Austeritätsprogramme mit Sozialabbau und Kürzungen im Bereich öffentlicher Dienstleistungen und Investitionen sowie die Erhöhung der indirekten Steuern verlangt. Dabei muss klar sein: Dieser fiskalische Schrumpfkurs zwingt die Gesamtwirtschaft in den hilfsbedürftigen Mitgliedsländern in die Rezession, ja, in eine lang anhaltende Depression. Eine Spirale weiterer Hilfen wird ausgelöst. Am Ende droht der Rauswurf der Krisenländer aus der Eurozone. Diese die Mitgliedsländer in die Knie zwingende Auflagenpolitik wird zu Recht mit dem Versailler Friedensvertrag, nach dem die auferlegten Reparationsleistungen den ökonomischen Wiederaufbau in den Verliererstaaten massiv behinderten, verglichen. Dagegen hatte seinerzeit der britische Ökonom John Maynard Keynes massiv opponiert.

Eine solche durch nationalstaatliche Interessen geprägte Politik, die auch auf das völlig unzureichende Kurieren an Symptomen durchschlägt, trägt die Verantwortung für das hochexplosive Gemisch aus hilfsbedürftigen Krisenstaaten, deren Finanzierung durch Rettungsfonds, dem Treiben der Spekulanten und den Auflagen zu einer Schrumpfpolitik. In diesem Klima wuchern Forderungen nach dem Ausstieg notleidender Mitgliedsländer bis hin zur Wiederer schaffung eines D-Mark-Kernraums. Der Euro ist trotz der aktuellen Widrigkeiten ökonomisch und politisch eine zentrale Säule der monetären Integration innerhalb einer Wirtschafts- und Währungsunion. Die bedrohliche Vertrauenskrise, die sich auch in verständlichen Ängsten niederschlägt, ist überwindbar. Dazu müssen jedoch zwei Aufgaben gelöst werden: Erstens müssen die Vorteile des Eurolandes gegenüber dem Szenario einer Aufspaltung bis hin zur Wiederbelebung des D-Mark-Regimes zusammen mit der Vorherrschaft der Deutschen Bundesbank dargelegt werden; zweitens ist auf dieser Basis ein Programm zur Sicherung und zum Ausbau der Eurowährung als zentraler Bereich einer handlungsfähigen politischen Union verbindlich festzulegen. Dazu gehört ein Sofortprogramm, mit dem das Auseinanderbrechen des Eurolandes verhindert und vor allem den Spekulanten das Handwerk gelegt wird. Dieses Sofortprogramm sollte als Brücke zu einer zu vollendenden Währungsunion zusammen mit einer wirtschaftlichen und fiskalischen Integration genutzt werden.


2. Der Euro lohnt sich ökonomisch und politisch

Bei den Protagonisten der verschiedenen Varianten einer Filetierung des Eurolandes fällt auf, dass vorrangig die Kosten von Hilfspaketen zulasten der anderen Mitgliedsländer betont werden. Ausgeklammert bleibt die Bewertung der Vorteile dieser Gemeinschaftswährung. Damit werden ökonomische Vorteile durch den Euro, die durch die Rückkehr zu nationalen Währungen verloren gehen würden, nicht im Kalkül berücksichtigt. Im zwölften Eurojahr lassen sich durchaus Erfolge auflisten: Trotz vieler Befürchtungen, der Euro werde zum "Teuro", hat sich der Geldwert überraschend stabil entwickelt. Nach Angaben der EZB ist im Durchschnitt der letzten zehn Jahre eine vergleichsweise niedrige Inflationsrate (harmonisierter Verbraucherpreisindex) von 1,97 Prozent erreicht worden. Auch verlief die Inflationsrate Deutschlands in dieser Phase günstiger als zu früheren D-Mark-Zeiten. Der Außenwert des Euro, der Wechselkurs, hat sich gegenüber weltweit relevanten Währungen recht stark positioniert. Gegenüber der Notierung zum Start nimmt der Euro mit einem Preis von über 1,30 US-Dollar in den letzten Monaten einen durchaus guten Platz ein. Der Euro spielt heute als anerkannte Anlagewährung - etwa auch in China - eine bedeutende Rolle. Der Anteil des Euro an den weltweiten Reservewährungen betrug im Jahr 2010 immerhin knapp 30 Prozent. Während der US-Dollar-Anteil bei gut 61 Prozent lag, erreichte der japanische Yen nur 3,6 Prozent, das britische Pfund 4 Prozent und der Schweizer Franken 0,1 Prozent. Aus China gibt es Hinweise, dass nach den negativen Erfahrungen mit dem Kauf von USStaatsanleihen das Interesse an Staatsanleihen aus dem Euroland groß ist. Gefordert wird in diesem Zusammenhang eine gemeinsame Euroanleihe. Durch den einheitlichen Euroraum ist es möglich, den Spekulanten ein gigantisches Geschäftsfeld zu entziehen. Der Euro hat auch Deutschland gegenüber gefährlichen Spekulationen in der jüngsten Finanzkrise abgeschirmt. Denn die Spekulationswucht, die eine noch existente D-Mark in der letzten Finanzmarktkrise hätte aushalten müssen, wäre nicht nur für die exportierende Produktionswirtschaft zur schweren Last geworden.

Die Kritiker der Eurounion bagatellisieren aber auch die ökonomischen Kosten, die durch ein Zurück zu nationalstaatlichen Währungen entstehen könnten. Die Behauptung von segensreich wirkenden Abwertungen offenbaren mangelnde Kenntnisse über die Determinanten der außenwirtschaftlichen Ströme in Abhängigkeit von Wechselkursen. Eine primitive Variante der Kaufkraftparitätentheorie schimmert hier durch. Es wird die Tatsache übersehen, dass es gegenwärtig vor allem die erwarteten Zinssatzänderungen zwischen Ländern sind, die deren Devisenkurse beeinflussen. Devisen werden heute als Vermögensobjekte spekulativ gehandelt. Dass der Devisenhandel weltweit mit einem täglichen Umsatz von 3,9 Billionen US-Dollar zu mehr als 95 Prozent nur noch spekulativ veranlasst wird, entgeht den Vertreterinnen und Vertretern einer antiquierten Wechselkurstheorie. Und genau hier setzte die ökonomische Rechtfertigung der Eurozone ein. Innerhalb der Eurozone werden die früher dominanten Spekulationen gegenüber den nationalen Währungen ausgeschaltet. Den Notenbanken bleiben Interventionen auf den Devisenmärkten, die geldpolitische Ziele belasten, erspart. Die Protagonisten einer Auflösung des derzeitigen Eurolandes schlagen vor, die vom Euro ausgeschlossenen Mitgliedsländer über ein neues Europäisches Währungssystem (EWS) an die Kernwährung zu koppeln. Dieses System basiert auf fixen Wechselkursen mit Schwankungsmargen. Werden die Schwankungsmargen unter- bzw. überschritten, müssen die betroffenen Notenbanken intervenieren. Zudem ist die Änderung der fixierten Wechselkurse eingebaut (Realignment). Ein Rückblick auf das von 1979 bis 1998 existierende Europäische Wechselkurssystem (EWS) zeigt, dass es immer wieder durch schwere Spekulationskrisen, vor allem von Hedgefonds betrieben, erschüttert und die geldpolitische Steuerung der einzelnen Notenbanken ausgehebelt worden ist.

Am Beispiel Griechenland lassen sich die Fehlwirkungen durch eine gewollte Abwertung der wieder eingeführten Landeswährung Drachme zeigen. Behauptet wird, im Zuge der Abwertung der Drachme könne die griechische Exportwirtschaft durch Preisvorteile im internationalen Wettbewerb erblühen. Doch wie soll das bei einer unterentwickelten Exportwirtschaft funktionieren? Die erhofften Wirkungen der Abwertung passen auf ein System mit einer starken Exportwirtschaft. Hier wird also ein D-Mark-Denken auf strukturell exportschwache Länder übertragen. Zum Aufbau einer Exportwirtschaft in Griechenland sollte einerseits die deutsche Exportaggressivität gedrosselt werden; andererseits müssten Instrumente zum Aufbau einer international konkurrenzfähigen Exportwirtschaft Griechenlands eingesetzt werden.

Bei der Kosten-Nutzen-Analyse der gemeinsamen Währung wird viel zu wenig darauf hingewiesen, dass die deutsche Exportwirtschaft, die über 43 Prozent der Exporte in die anderen Mitgliedsländer der Eurozone liefert, vom Euro massiv profitiert. Dabei hat sie den wechselkursfreien Raum durch eine moderate Lohnpolitik zu ihrem Vorteil ausgenutzt. Hierin liegt der wesentliche Grund für die Exportüberschüsse. Die Folge war eine Schwächung der deutschen Binnenwirtschaft. Viel Handlungsbedarf besteht, um den außenwirtschaftlichen Überschuss im Euroraum zu reduzieren. Die Radikalkritikerinnen und -kritiker akzeptieren mit der Rückkehr zur D-Mark offensichtlich eine schockartig wirkende Aufwertung der D-Mark gegenüber dem vormals geltenden Euro um bis zu 40 Prozent. Die Folgen für die Export- und Binnenwirtschaft wären eindeutig: Der Druck auf die Gewerkschaften bzw. abhängig Beschäftigten, zum Ausgleich der Wechselkursverluste eine noch größere kontraproduktive Umverteilungspolitik von unten nach oben zu betreiben, würde noch massiver zunehmen und am Ende die Binnenwirtschaft in Deutschland weiter belasten.

Die Rettung des Euro durch den Ausbau einer handlungsfähigen Währungsunion zusammen mit einer wirtschafts- und finanzpolitischen Integration lohnt sich nicht nur ökonomisch. Darüber hinaus ist die europapolitische Relevanz dieses Projektes entscheidend. Durch den Zerfall des Euroraums in Nationalstaaten mit ihren jeweiligen Währungen würde die europäische Integration empfindlich belastet. Allein schon die dadurch reaktivierte Furcht vor dem D-Mark-Imperialismus mit einer arroganten Deutschen Bundesbank würde weitere ökonomische Integrationsschritte verhindern. Insgesamt wären schwere Belastungen für die politische Union vorprogrammiert. Nationalstaatliche Kräfte bis hin zu rechtsradikalen Bewegungen würden gestärkt werden. Die notwendige Arbeit an einer fortschreitenden europäischen Integration könnte so im Sumpf nationalistischer Kräfte versinken.


3. Konstruktionsfehler des Euro überwinden

Um die bedrohliche Vertrauenskrise in den Euro zu überwinden, ist dringend eine ungeschminkte Analyse der Ursachen des heutigen Krisengemisches erforderlich. In der vorherrschenden Politik sowie bei den wirtschaftswissenschaftlichen Protagonisten eines Ausstiegs aus dem bisherigen Eurosystem dominiert die Behauptung, die Krise sei ausschließlich durch ein Fehlverhalten einzelner Mitgliedsstaaten erzeugt worden. Die "Selbstverschuldungsthese" steht im Vordergrund. Daraus folgt: Wer sich zu einem "Fehlverhalten" bei der Haushaltspolitik entschieden habe, der müsse zumindest im Rahmen von Rettungsmaßnahmen durch die anderen Länder per drakonischer Auflagenpolitik bestraft werden. Um ernsthaft ein Fehlverhalten lokalisieren zu können, müssen aber zunächst einmal die tatsächlichen Ursachen der öffentlichen Haushaltskrisen in den betroffenen Ländern untersucht werden. Wie nachfolgend gezeigt werden wird, gibt es hier unterschiedliche Ursachen. So ist die Entwicklung Griechenlands nicht mit derjenigen Irlands zu vergleichen. Dies gilt auch für Portugal und Spanien, die in den Sog der Finanzierungskrise geraten sind.

Im Kern ist die "Eurokrise" nicht auf ein heutiges Fehlverhalten einzelner Mitgliedsländer, sondern auf massive Fehlkonstruktionen im 1992 in Kraft getretenen Maastrichter Vertrag zurückzuführen. Noch 1988 hatte eine EU-Kommission unter dem Vorsitz von Jacques Delors unter der Beteiligung des damaligen Präsidenten der Deutschen Bundesbank, Karl Otto Pöhl, eine in drei Schritten umzusetzende Wirtschaftsund Währungsunion vorgeschlagen. In der Endstufe wurde hier für den Bereich der Wirtschaftsunion eine Koordination der makroökonomischen Politiken festgehalten. Mit dem Maastrichter Vertrag ist das Integrationsmodell aber ausschließlich auf die Schaffung einer Währungsunion reduziert worden. Innerhalb einer auffällig kurzen Frist wurde im Vertrag die Einführung des Euro zum 1. Januar 1999 festgeschrieben, der 2002 die Einführung der Euro-Münzen und - Banknoten folgte. Die Wechselkurse wurden "unwiderruflich" fixiert und auf dieser Basis die bisher nationalen Währungen auf die Euro-Relation umgestellt (1 Euro = 1,95583 DM). Die Europäische Zentralbank (EZB), die durch das Europäische Währungsinstitut vorbereitet wurde, übernahm die Kompetenz zur Liquiditätsversorgung im Rahmen der geldpolitischen Steuerung.

Bei dieser von der Politik durchgeboxten Währungsunion wurde lediglich auf ein Mindestmaß an Konvergenz zur Vermeidung von Inflation gesetzt. Auf die realwirtschaftlichen Divergenzen zwischen den Mitgliedsländern hingegen wurde keine Rücksicht genommen. Im Gegenteil galt im Widerspruch zu den Erkenntnissen der Theorie optimaler Währungsräume das Motto: Die Währungsunion wird als Triebkraft schon automatisch für eine schrittweise Konvergenz sorgen. Die Währungsunion dürfe als die "Krönung vorangegangener Integration" geschaffen werden. Das Gegenteil ist eingetreten. Vor allem die produzierenden Realwirtschaften entwickeln sich sehr unterschiedlich. Dabei wurde die Exportstärke Deutschland zur entscheidenden Triebkraft der Spaltung innerhalb des wechselkursfreien Euroraums.

Die Vergemeinschaftung der Finanzpolitik reduzierte sich auf eine ökonomisch willkürlich gesetzte Begrenzung der Neuverschuldung gegenüber dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf maximal drei Prozent und bezogen auf die Gesamtschulden auf 60 Prozent. Damit war ausschließlich die Hoffnung verbunden, eine durch exzessive Staatsschulden angetriebene Inflation zu verhindern. Dabei zeigt sich, dass sich der behauptete Einfluss der Staatsverschuldung auf die Geldentwertung nicht eingestellt hat. Gegenüber der stark anwachsenden Kreditfinanzierung der Mitgliedsstaaten kam es nicht zu einer sich selbst verstärkenden Inflation. Auch Kapitalmarktzinsen sind nicht gestiegen, wie nach dem Lehrbuch behauptet, sondern gesunken. Die fiskalischen und makroökonomischen Einschränkungen bei der öffentlichen Kreditfinanzierung wurden dann zusätzlich noch mit der No-Bail-out-Klausel verschärft. Weder ein Mitgliedsland noch die EU darf zum Beistand per Finanzhilfen für notleidende Mitgliedsländer verpflichtet werden (Art. 125 AEUV). Dieses Beistandsverbot hat sich als unsinnig erwiesen und ist durch die aktuelle Eurokrise weggesprengt worden. Heute wird mit den Rettungsschirmen mühselig und unter heftigem Streit eine Bail-in-Klausel durchgesetzt. Durch die Übernahme von Teilen der Schuldenfinanzierung für Mitgliedsländer über den Rettungsfonds wird das Ziel verfolgt, das Gesamtprojekt auch zugunsten der zahlenden Staaten zu retten und dann zu stabilisieren. Daher fordert die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, die lang angelegten schweren Konstruktionsfehler bei der Währungsunion aufzuheben: Statt der No-Bailout-Klausel muss es zur Einrichtung eines transparenten Europäischen Krisenmechanismus (EKM) kommen und darüber hinaus zu einer koordinierten Finanzpolitik zur Stabilisierung der Konjunkturen innerhalb der EU sowie zu einer Harmonisierung der Bemessungsgrundlage bei der Unternehmensbesteuerung bzw. der Steuersätze. Und nicht zuletzt fordert die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik eine wirtschaftspolitische Koordination zur Begrenzung der außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte.


4. Grundlegende Anmerkungen zur anhaltenden Krise im Euroraum

Nach der internationalen Finanzmarktkrise, die bereits ab 1974 in den USA durch den Abbau von Regulierungen des Bankensektors und mit den Deregulierungsmaßnahmen Mitte der 1980er Jahre in London eingeleitet wurde, sehen sich einzelne Länder der Eurozone mit einer Finanzierungskrise des Staates konfrontiert. Insbesondere Griechenland, Irland, Portugal sowie Spanien und Italien, inzwischen aber auch Belgien müssen bei einer Refinanzierung ihrer Staatsschulden über den internationalen Finanzmarkt erhebliche Risikoaufschläge zahlen. Mit den höheren Risikoaufschlägen wiederum sinkt der Finanzierungsspielraum des jeweiligen Staates für seine Ausgabenpolitik. Diese Zins-Risiko-Spirale verschärft zwangsläufig die Haushaltssituation und die Refinanzierungsbedingungen der einzelnen Staaten. Die betroffenen Länder müssen zwischen acht und elf Prozent an Zinsen für eine zehnjährige Staatsanleihe zahlen. Für eine vergleichbare deutsche Staatsanleihe sind es knapp drei Prozent. Da ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zur Zahlungsunfähigkeit und damit zur "Insolvenz".

Wie jede Finanzkrise gehen auch die Euro-Finanzkrisen auf Verschuldung und eine eingeschränkte Zahlungsfähigkeit des jeweiligen Schuldners zurück. Typisch für Finanzkrisen ist, dass sie zu einer (Teil-) Entwertung der Forderungen der Gläubiger führen müsste. Damit würden die Gläubiger an der Finanzierung der Kosten der Krise beteiligt. Dies gilt für Bankenkrisen ebenso wie für Verschuldungskrisen von Staaten. Vielfach enden dabei staatliche Finanzkrisen in Währungskrisen mit einem tiefen gesamtwirtschaftlichen Einbruch beim Wachstum und bei der Beschäftigung.


Das neue Krisenmuster
Die Krise im Euroland folgt bislang jedoch in erheblichen Teilen einem neuen Muster. So finden die einzelnen Finanzkrisen in einer hohen Frequenz und innerhalb einer höchst heterogenen Währungsunion statt. Die Entwicklung ökonomisch-strategischer Größen verlief hier sehr unterschiedlich. Dies betrifft das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt der einzelnen Mitgliedsstaaten, die Inflation, die Immobilienpreise, die Produktivitätsentwicklung und die außenwirtschaftliche Position, aber auch die Verwundbarkeit einzelner Staatshaushalte. Betroffen von den aktuellen Turbulenzen sind bislang alle Volkswirtschaften, die mit einem stark unterdurchschnittlichen Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt und niedrigen Produktivitäten in die Währungsunion starteten, reichlich von Strukturfondsmitteln profitierten und nicht zuletzt so auf einen beachtlichen Erfolg bei der nachholenden Entwicklung bzw. Konvergenz innerhalb der Währungsunion verweisen können. Mit der Teilnahme an der Währungsunion waren sie jedoch an einen fixen Wechselkurs innerhalb der Union gebunden. Eine Abwertung der heimischen Währungen war nicht mehr möglich, sodass die nationale Wettbewerbsfähigkeit nicht mehr durch diesen Anpassungsmechanismus beeinflusst werden konnte. In der Folge wurden andere Instrumente des Wettbewerbs gesucht. Dazu zählte auch der letztlich in der Eurozone ausgebrochene Steuerwettbewerb, der in zahlreichen Mitgliedsländern zu einer Senkung der Unternehmensteuersätze führte. Durch diesen kontraproduktiven Steuersenkungswettbewerb sanken schließlich in allen Ländern die Anteile der Staatseinnahmen am Bruttoinlandsprodukt (Staatsquote).


Die unterschiedliche Ausprägung der Eurokrise
Zur Entstehung der Krise in Griechenland hat die Kombination aus statistischen Manipulationen der wahren Haushaltslage sowie einem relativ hohen und chronischen staatlichen und außenwirtschaftlichen Defizit eine Rolle gespielt. Die Schuldenquote liegt bei mehr als 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das dauerhafte Leistungsbilanzdefizit von mehr als zehn Prozent der gesamtwirtschaftlichen Produktion macht das Land für eine massive Finanzierungskrise sehr anfällig.

In Irland waren es auch die niedrigen Steuersätze, die das Land zu einer Oase für Anleger und Finanzinstitute machten. Diese Steuerpolitik sollte dazu führen, die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen und das gesamtwirtschaftliche Wachstum zu stützen. Dennoch war vor der Krise der Saldo des Staatshaushalts positiv und das Leistungsbilanzdefizit moderat. Vor der internationalen Finanzkrise lag die Schuldenquote des Staates mit einem Wert von 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts deutlich unter dem Referenzwert für den Stabilitätspakt (60 Prozent des BIP). Die Steuervorteile sind jedoch von Banken, die abenteuerliche Spekulationsgeschäfte betrieben, missbraucht worden. Dazu haben auch deutsche Banken durch die Gründung von so genannten Zweckgesellschaften beigetragen, in denen etwa der Handel mit verbrieften Wertpapieren auf der Basis von Hypothekenkrediten betrieben worden ist. Erst mit der Kostenübernahme für die Bankenrettung hat sich die Situation des Staatshaushalts massiv verschärft.

In Spanien spielt hingegen die geplatzte Immobilienblase eine erhebliche Rolle. Die Leistungsbilanzsituation war mit einem Defizit von jährlich etwa zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts in der unmittelbaren Vorkrisenzeit (2007/20008) deutlich angespannt. Der Staatshaushalt wies aber 2007 noch einen Überschuss aus. Im Zuge der internationalen Finanzkrise hat der Staat hier seine stabilisierungspolitische Verantwortung übernommen und versucht, die Erwartungen der Finanzmarktakteure zu stabilisieren. Dennoch lag auch 2009 die Schuldenquote noch unter dem Referenzwert des Stabilitätspaktes. Erst im Jahr 2010 wurde sie überschritten.

Italien dagegen gehört zu den Ländern mit einem anhaltend hohen Staatsdefizit und daraus resultierend einem hohen Schuldenstand des Staats (mehr als 100 Prozent des BIP). Im Unterschied zu den anderen Ländern liegt das Leistungsbilanzdefizit mit etwa drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts allerdings in einem Bereich, der im Allgemeinen als nicht bedrohlich eingestuft wird.

Wesentlich dramatischer ist indes die Lage in Portugal zu beurteilen. Denn dort ist ein chronisches Leistungsbilanzdefizit zu diagnostizieren, das zeitgleich auch als wachsendes Defizit im Staatshaushalt auftritt (Doppeldefizit).

Dennoch gilt: Die Leistungsbilanzdefizite und die wachsende Staatsverschuldung sind Symptome, aber keine Ursachen der aktuellen Turbulenzen. Diese sind vielmehr auf mindestens drei Faktoren zurückzuführen:

1. Die Fehlkonstruktion der Währungsunion, die zum einen aus realwirtschaftlich sehr heterogenen Volkswirtschaften besteht, zum anderen die Konkurrenz unter den Mitgliedsländern um die Wettbewerbsfähigkeit schärft und dabei gleichzeitig auf gemeinschaftliche Hilfen (No Bail out) verzichtet.

2. Die Kosten der internationalen Finanzkrise: Erst im Gefolge der Bankenkrise sind diese Konstruktionsfehler in diesem bedrohlichen Ausmaß sichtbar geworden. Alle Volkswirtschaften hatten sich zu einer Stützung der jeweiligen nationalen Wirtschaft durch staatliche Interventionen entschlossen. Eine wirtschaftspolitische Koordination ist dabei nicht in Sicht.

3. Die allgemeine Reduktion der Staatsfunktionen in "guten Jahren" durch Liberalisierung und Privatisierung bei gleichzeitiger Umverteilung von unten nach oben haben die Krise massiv beschleunigt. Denn gerade jetzt, in der Krise, soll ein geschwächter Staat in allen Volkswirtschaften die finanzielle und stabilisierungspolitische Verantwortung für die Finanzkrise übernehmen. Damit sind die Staatshaushalte, die zuvor durch Steuersenkungsprogramme geplündert wurden, natürlich überfordert.


Krisen durch Umverteilung zugunsten der Besitzeinkommen
Um die Finanzmarktkrise im Allgemeinen und die speziellen Ausprägungen in notleidenden Mitgliedsländern im Besonderen zu verstehen, ist es wichtig, die grundlegenden Ursachen der Krise zu kennen. Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik hat mit Bezug auf die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise stets betont, dass die Ursache maßgeblich in der Umverteilung zugunsten der Besitzeinkommen (Gewinnen, Zinsen, Mieten und Pachten) und zulasten der Arbeitseinkommen liegt. Hinzu kommt der Abbau der sozialstaatlichen Mindeststandards im Zuge der verstärkten Privatisierung beispielsweise der Altersvorsorgesysteme. Hierdurch wurde die Abhängigkeit von den Finanzmärkten erhöht. Innerhalb der Eurozone ist das unzureichende Management durch eine ungleiche Verteilung von Wertschöpfungen in und zwischen den Staaten verstärkt worden. Die dadurch geschaffenen Ungleichgewichte entladen sich in der Krise. Wachsendes akkumuliertes und konzentriertes Vermögen benötigt als Gegenpart auch ein Mehr an Schuldnern. Am Ende wird dann auch noch auf "drittklassige" Schuldner zurückgegriffen. Dies zeigen überdeutlich sowohl die schwere Bankenkrise in Irland als auch die Schuldnerposition von Griechenland. Die irischen Banken haben aufgrund vergleichsweise niedriger Steuersätze für Unternehmen im Land internationale Gläubiger angelockt und deren Vermögen als Kredite ausgereicht, die nie hätten vergeben werden dürfen. Und wenn in Ländern wie Griechenland mit Leistungsbilanzdefiziten noch zusätzliche kreditfinanzierte staatliche und private Investitions- und Konsumausgaben getätigt werden, dann hat dies in der Summe zwingend eine bedrohlich wachsende Auslandsverschuldung zur Folge. Dies trifft übrigens genauso für das weltweit größte Schuldnerland USA zu, in dem die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise 2007 ihren Anfang nahm. Schließlich haben deutsche Unternehmen durch ihre Exportüberschüsse die Länder in die Schuldnerposition gedrängt. Verstärkt wurde dies durch den Vorteil des Euro, durch den innerhalb des Eurolandes exportbelastende Aufwertungen der eigenen Währung nicht mehr zu befürchten sind.

Die Exportüberschüsse der einen sind aber die Importüberschüsse der anderen. Die durch die Umverteilung in die Finanzwirtschaft gespülten liquiden Vermögensbestände fanden in den Defizitländern zunächst sichere Anlagemöglichkeiten und auch viele solvente Schuldner. In der allgemeinen Krise kippte jedoch die Kombination aus Staats- und Auslandsschulden gegenüber den Gläubigern in Wertverluste und am Ende in einen Vertrauensverlust um. Als logische Konsequenz verweigern die Kapitalmärkte (Gläubiger) den durch spekulative Attacken in den Fokus geratenen Doppelschuldnern neue Kredite oder vergeben diese nur mit höheren Risikoaufschlägen. Dies treibt aber die Schuldner, die weiter auf Kredite angewiesen sind, noch tiefer in die Krise. Als vermeintliche Lösung werden jetzt Einsparprogramme in den Krisenländern gefordert. Diese wirtschaftspolitischen Austeritätsauflagen verschärfen jedoch die allgemeine Krise. Um den Ländern kurzfristig zu helfen, sind Instrumente wie "Rettungsschirme" und "Eurobonds" richtig. Dadurch garantieren sich die Staaten wechselseitig ihre Schulden und treten so kollektiv den Gläubigern und vor allem Spekulanten entgegen. Es erfolgt zumindest befristet eine Abschottung der zahlungsunfähigen Länder gegenüber den Spekulanten. Mit diesen Maßnahmen lassen sich jedoch die tieferen Ursachen der Krise nicht bekämpfen. Die Antwort muss vielmehr lauten: Umverteilung der Einkommen zugunsten der Masseneinkommen und des Staates, Bändigung der nach wie vor aus dem Ruder laufenden Finanzmärkte, Vollendung der Währungsunion sowie Ausbau einer koordinierten Wirtschaftsund Finanzpolitik innerhalb der EU.


5. Das Sieben-Punkte-Programm: Sofort- und weiterführende Maßnahmen

Als Konsequenz aus den Ausführungen zu den Ursachen der Eurokrise und der seit der Gründung der Währungsunion fehlerhaften Politik fordert die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik ein Sieben-Punkte-Programm. Vorgeschlagen werden kurzund mittelfristige Maßnahmen, die den Weg zu einer langfristigen Vollendung einer ökologisch und sozial verantwortlichen Wirtschafts- und Währungsunion weisen. Es geht um einen mutigen Befreiungsschlag, bei dem die ohnehin durch die Krise ins Wanken gebrachten Tabus des Maastrichter Vertrags nicht mehr berücksichtigt werden.


Punkt 1: Euro-Rettungsschirm ausbauen
Frage: Soll einem Krisenland durch die anderen Mitgliedsländer finanzielle Unterstützung gewährt werden? Die drohende Gefährdung des gesamten Euroraums durch die exzessiven Defizite im griechischen Staatshaushalt und das Auftreten der Spekulanten zwangen die Europäische Union zur Aufhebung eines untauglichen Dogmas aus dem Maastrichter Vertrag: Andere Mitgliedsländer durften nicht zu staatlichen Finanzhilfen zugunsten eines Krisenlands verpflichtet werden. Als Folge der Krise ist die so genannte No-Bail-out-Klausel derzeit durch zwei Rettungsprogramme zuerst für Griechenland und schließlich durch einen allgemeinen Schutzschirm aufgekündigt worden. Auf der Basis von Artikel 122 Absatz 2 des "Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)" nach dem Vertrag von Lissabon gelten die Rettungsmaßnahmen für diejenigen Mitgliedsländer, die "durch außerordentliche Umstände außerhalb ihres Einflussbereichs in Schwierigkeiten geraten sind". Die Rettungsschirme, die im Widerspruch zu den Gründungsverträgen stehen, sind Ergebnis eines viel zu langsam vollzogenen Lernprozesses.

Der neu geschaffene Schutzschirm besteht aus zwei Stufen: Die erste Stufe bildet ein "Notfallfonds". Das Gesamtvolumen von 60 Milliarden Euro wird als Gemeinschaftsinstrument durch den EU-Haushalt garantiert. Geschaffen wurde ein Europäischer Stabilisierungsmechanismus (European Financial Stabilisation Mechanism, EFSM). Als zweite Stufe ist die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (European Financial Stability Facility, EFSF) eingerichtet worden. Das Gesamtvolumen beträgt für die Mitgliedsländer 440 Milliarden Euro. Werden die 60 Milliarden Euro aus der ersten Stufe sowie die Zusagen des Internationalen Währungsfonds mit 250 Milliarden Euro hinzugerechnet, dann steht ein Potenzial von 750 Milliarden Euro für Rettungsmaßnahmen zur Verfügung. Dieser Schutzschirm ist bis Ende 2013 befristet. Eine eigens gegründete Gesellschaft mit Sitz in Luxemburg nimmt auf dem Kapitalmarkt Mittel zur Finanzierung der Staatsanleihen in den Krisenländern auf. Um die Rating-Bewertung der auf den Kapitalmärkten angebotenen Anleihen zu verbessern, werden sogar 120 Prozent der ausgegebenen Summe garantiert. Gemessen am Kapitalanteil Deutschlands an der Europäischen Zentralbank liegt der Anteil Deutschlands bei 27,9 Prozent (122,9 Milliarden Euro). Käme es jedoch zu einem Ausfall der nicht einzahlenden Krisenländer Griechenland, Irland und Spanien, dann wäre Deutschland mit 33,4 Prozent (123 Milliarden Euro) beteiligt. Würde dieser Schutzschirm reißen, dann läge die Finanzierungslast beim Bundeshaushalt und letztlich bei den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern.

Diesen Schutzschirm nimmt nach langem Zögern Irland, das durch die Rettungsmaßnahmen seiner Banken eine Neuverschuldung von über 30 Prozent der wirtschaftlichen Leistung erreicht hat, in Anspruch. Schätzungen, die allerdings sehr vage sind, gehen davon aus, dass bei gleichzeitiger Nutzung des Schutzschirms durch Irland, Spanien und Portugal das Gesamtvolumen nicht ausreichen könnte. Die Frage, ob das Finanzvolumen des EFSF-Rettungsschirms ausgeweitet werden soll, hängt grundsätzlich von dem seriös geschätzten Risikopotenzial ab. Deshalb ist eine Ausweitung allein schon aus Gründen der Sicherheit für die drei Länder erforderlich. Es geht darum, mit einem ausreichenden Volumen Spekulanten abzuwehren. Als ein erster Schritt wird die Ausweitung des Finanzvolumens im Umfang der zur Verbesserung des Ratings der durch den EFSF nicht ausgegebenen Anleihen vorgeschlagen. Die Sicherheitsgarantie von 120 Prozent für die Staatsanleihen beläuft sich auf ca. 190 Milliarden Euro. Damit stehen vom Gesamtvolumen in Höhe von 440 Milliarden Euro nur ca. 250 Milliarden Euro zur Verfügung. Der Ausgleich für die Sicherheitsgarantie ist vernünftig. Um notleidende Länder zu entlasten, sollte es diesen gestattet werden, derzeit hochverzinste Staatsanleihen aufzukaufen und sich mit niedrig verzinsten Wertpapieren aus dem Rettungsfonds gegenzufinanzieren.


Punkt 2: Eurobonds zur finanziellen Stabilisierung
Derzeit ist es nur den einzelnen Mitgliedsstaaten im Euroland erlaubt, Kreditmittel über den Verkauf von Staatsanleihen zur Haushaltsfinanzierung zu nutzen. Dafür müssen Zinsen bezahlt werden. Die Höhe des Zinssatzes, den ein Land für seine Staatsanleihen auf dem Kapitalmarkt zahlen muss, hängt allerdings von dessen Zahlungsfähigkeit ab. Staaten, die über eine hohe Bonität verfügen, sind in der Lage, Gläubiger auch mit einem niedrigen Zinssatz zu gewinnen. Der niedrige Zinssatz gilt als Ausgleich für das geringe Risiko, dass ein Staat zahlungsunfähig wird. Dagegen wird von den Mitgliedsländern in öffentlicher Haushaltsnot ein deutlich höherer Risikozuschlag verlangt. Während in Deutschland die Rendite für zehnjährige Bundesanleihen bei knapp über drei Prozent liegt, verlangen die Kapitalanleger für den Kauf von Staatsanleihen aus Krisenländern einen Zinssatz von über zehn Prozent. Verschärft wird dieses Gefälle noch durch Spekulanten, die versuchen, die Risikozuschläge gewinnbringend in die Höhe zu treiben. Gegen die gespaltene, krisenverschärfende Entwicklung der nationalstaatlichen Kreditfinanzierung schlägt die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik die Schaffung des Finanzierungsinstruments Eurobonds vor. Aktuell diskutierte Konzepte sehen ein begrenztes Recht zur Nutzung von Eurobonds für die 27 Mitgliedsländer der EU vor. Lediglich in einem Umfang von maximal 60 Prozent am jeweiligen Bruttoinlandsprodukt wird die Kreditfinanzierung per Eurobonds empfohlen, für die die Europäische Union haftet. Für weitere Kredite haftet ausschließlich das jeweilige Mitgliedsland. Demnach würden künftig am Kapitalmarkt zwei Typen von Staatsanleihen gehandelt. Den durch die EU garantierten Senior-Bonds mit einem Risiko von praktisch null stehen Junior-Bonds gegenüber. Bei den durch die Mitgliedsstaaten zu verantwortenden, minderwertigeren Bonds müssen die Gläubiger im Fall eines Schuldenschnittes mit Verlusten rechnen. Zur Abwicklung der Eurobonds ist eine EUSchuldenagentur vorgesehen. Die Ausgabe von Eurobonds erfolgt durch die Besorgung von Kapitalmitteln auf den Anlagemärkten. Die Schaffung von Eurobonds, die auf eine Kern-Vergemeinschaftung der Kreditfinanzierung zielt, ist in Politik und Wirtschaftswissenschaft umstritten. Aus der nationalstaatlichen Sicht wird vor allem die Übertragung der Risiken von fiskalischen Krisenländern auf die ökonomisch starken Mitgliedsländer kritisiert. Denn für die Eurobonds gilt ein anderer Zinssatz. Staaten, die bisher wegen ihrer hohen Bonität einen vergleichsweise geringen Zinssatz an die Anleger ausbezahlt haben, müssen zunächst mit einer etwas höheren Verzinsung rechnen. Dagegen sinkt der Zinsaufwand für diejenigen Mitgliedsländer, von denen die Kapitalanleger zum Ausgleich des hohen Risikos ihrer Zahlungsunfähigkeit eine üppige Rendite verlangen. Die Gemeinschaft haftet hier für die Risiken der schwachen Länder durch die Nutzung der Bonität der ökonomisch starken Euromitgliedsländer. Kritikerinnen und Kritiker sind besorgt, dass sich die Europäische Währungsunion zu einer Schulden- und damit Transferunion entwickelt. Gefördert werde ein "Moral Hazard"-Verhalten: Mitgliedsstaaten könnten sich dazu animiert fühlen, die Haushaltskonsolidierung zu vernachlässigen, weil am Ende die Kosten dieser Schuldenpolitik von den anderen Mitgliedsländern übernommen würden. Dieser Fehlentwicklung kann mit Auflagen beispielsweise zur Stärkung des Wirtschaftswachstums sowie mit einer ergiebigen Steuerpolitik und einer soliden Haushaltsführung entgegengewirkt werden.

Die Eurobonds-Union bietet Vorteile; die Risiken sind beherrschbar. Die Eurobonds sind jedoch nur eines der Instrumente zur Vollendung der Währungsintegration innerhalb einer Wirtschafts- und Fiskalunion:

• Heute schon übernehmen die Mitgliedsländer durch den Hilfsfonds finanzielle Verantwortung für notleidende Staaten. Der auf drei Jahre begrenzte Rettungsschirm von 750 Milliarden Euro kann durch die Eurobonds-Finanzierung wieder geschlossen werden.

• Mit den Eurobonds wird den Spekulanten die Möglichkeit genommen, die Zinssätze notleidender Mitgliedsländer mit der Kalkulation von Hilfen im Rahmen von EU-Rettungsprogrammen renditeträchtig nach oben zu treiben.

• Durch die über die EU abgesicherten Staatsanleihen entsteht ein großer, attraktiver Markt mit einem riesigen Liquiditätspotenzial für Großanleger außerhalb der EU. Auch ließe sich das in den letzten Monaten aus griechischen, irischen, spanischen und portugiesischen Anleihen vor allem in die USA geflohene Kapital wieder in den Eurobonds-Markt zurückholen. China hat im Rahmen seiner Politik der Anlage seiner Devisen sein Interesse an einem großen Eurobonds-Markt vorgetragen. Wenn dieses Interesse verwirklicht wird, ist damit zu rechnen, dass die Verzinsung der Eurobonds mittelfristig sogar noch günstiger sein wird, als sie gegenwärtig für die Staaten mit hoher Bonität ist.

• Die Europäische Zentralbank könnte sich bei einem ergiebigen Eurobonds-Markt aus dem derzeitigen Kauf von Staatsanleihen aus Krisenstaaten in Milliardenhöhe zu deren vorübergehender Stabilisierung zurückziehen. Damit böte sich der EZB die Chance, wieder zu einer Geldpolitik im Dienste eines geldwertstabilen Wirtschaftswachstums zurückzukehren.

• Im Ausmaß der gesicherten und damit risikolosen Eurobonds entschärft sich auch der Druck, die Gläubiger beim Kauf von Anleihen zum Verzicht im Rahmen eines Schuldenschnitts ("Hair-Cut") zu verpflichten.


Punkt 3: Schuldenschnitt durch Gläubigerbeteiligung
Die bisher vorgesehenen kurzfristigen Maßnahmen, insbesondere der Rettungsfonds EFSF, sind einerseits befristet. Andererseits wird sich nach Beendigung dieser Hilfen an der Gläubigerstruktur der Schuldnerländer grundsätzlich nichts geändert haben. Danach müssen die Anschlussfinanzierung zur Tilgung anstehender Staatsanleihen sowie die Zinszahlungen wieder sichergestellt werden. Um den erneuten Absturz in die Schuldenfalle zu verhindern, wird von Seiten der Politik sowie durch wirtschaftswissenschaftliche Beratungsgremien wie den "Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung" (SVR) vorgeschlagen, die Gläubiger mit einem Teilforderungsverzicht gegenüber ihren Anleihen zu beteiligen. Ein derartiger Gläubigerschnitt ("Hair-Cut") ist bei Insolvenzen in der Wirtschaft üblich. Auch für insolvente Staaten (Russland, Argentinien) ist durch eine Gläubigerversammlung ein Teilverzicht erfolgreich durchgeführt worden. Dabei stehen unterschiedliche Instrumente zur Verfügung: Teilentwertung des Gläubigertitels, Austausch gegen Staatsanleihen, die erst Jahre später fällig werden, Teilverzicht auf Zinszahlungen.

Ein Teilverzicht führt bei den Gläubigern zu Wertverlusten bzw. zu Abschreibungen, die gewinnmindernd wirken. Derzeit sind vor allem Banken, Investmentfonds und Versicherungen Gläubiger der notleidenden Staaten. Nach dem derzeitigen Stand sind in einem geordneten Verfahren abgewickelte Forderungsverzichte zu verkraften. Sollte dennoch ein Investor existenzbedrohend belastet werden, so könnten Sonderregelungen vorgesehen werden.

Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik schlägt deshalb vor, durch einen Teilverzicht die bisherigen Gläubiger in das Sanierungskonzept insolventer Staaten einzubeziehen. Abgesehen von den Ad-hoc-Maßnahmen müssten spätestens ab 2014 Schuldverzichtsklauseln in den Kaufvertrag von Staatsanleihen aufgenommen werden ("Collective Action Clauses").


Punkt 4: EZB-Anleihekäufe fortsetzen und Gründung eines Europäischen Währungsfonds
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat mit ihrer Niedrigzinspolitik sowie durch den Kauf von Staatsanleihen aus Krisenstaaten im Euroraum dazu beigetragen, genügend preiswerte Liquidität zu schaffen. Die uneingeschränkte Liquiditätsversorgung war mutig und richtig. Nach dem Beinahe-Zusammenbruch des Interbankenmarktes im Herbst 2008 musste die Notenbank die kurzfristige Liquiditätsversorgung übernehmen. Sie hat derzeit mehr denn je die Aufgabe, Spekulationsattacken, mit denen die Refinanzierungskosten von Staaten nach oben getrieben werden, zu vermeiden. Dazu kauft sie die Staatsanleihen eines angegriffenen Landes, bevor die Spekulanten attackieren. Diese Liquiditätspolitik erzeugt aus sich heraus keine Inflation, wie sich seit Ende 2008 belegen lässt. Die Liquidität hat nicht zu einer Ausweitung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage gegenüber einem knappen Angebot auf den Waren- und Dienstleistungsmärkten geführt; vielmehr wurde dadurch das Finanzmarktsystem stabilisiert. Allerdings ist es wichtig, dass die EZB durch die Einführung einer EUGemeinschaftsanleihe sowie eines Gläubigerschnitts bei ihrer Stabilisierungsaufgabe entlastet wird. Um den Missbrauch der Liquidität zur Finanzierung hochspekulativer Geschäfte zu vermeiden, müssen darüber hinaus die Finanzmärkte wieder erheblich stärker reguliert werden.

Ergänzend zur EZB sollte ein Europäischer Währungsfonds (EWF) gegründet werden. Dadurch könnte sich die Notenbank wieder auf ihre eigentlichen geldpolitischen Aufgaben konzentrieren. Erforderlich ist diese neue starke Institution zur Sicherung der Eurowährung. Dort sollten institutionell die Rettungsschirme, das Eurobonds-Management sowie die Maßnahmen zum Gläubigerschnitt konzentriert werden. Die Rettung insolventer Staaten innerhalb des Eurolandes gehört damit zu den Aufgaben des EWF. Schließlich müssten außenwirtschaftliche Ungleichgewichte zwischen den Mitgliedsländern im Sinne eines Frühwarnsystems dort registriert und entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden. Zur Einrichtung dieses EWF wäre allerdings eine Änderung der EU-Vertragsstatute erforderlich. Dadurch würden die heute vorherrschenden Defizite auf diesem Gebiet überwunden.


Punkt 5: Qualitatives Wirtschaftswachstum statt Schrumpfpolitik
Derzeit werden alle Hilfsmaßnahmen für fiskalisch notleidende Staaten mit der Verpflichtung zu einer eisernen Sanierung der Staatshaushalte verbunden. Dabei stehen der Sozialabbau, die Reduzierung der Beschäftigung im öffentlichen Dienst sowie Belastungen der Masseneinkommen durch Steuererhöhungen im Vordergrund. Wie sollen mit den Programmen zum Staatsabbau in Griechenland oder Irland zukunftsfähige Wachstumskräfte freigesetzt und neue Arbeitsplätze geschaffen werden? Diese nationale Schrumpfpolitik zwingt die gesamtwirtschaftliche Entwicklung endgültig in die Knie. Eine folgende Rezession in großem Maßstab wird zu Steuerausfällen führen, die am Ende die Staatsschulden wieder steigen lassen. Deshalb sind verschiedene Maßnahmen auf die Stärkung zukunftsfähiger Wachstumskräfte in den Krisenländern zu konzentrieren.

Grundlage für die dauerhafte Bewältigung der Eurokrise ist ein stärkeres, in einen sozial-ökologischen Umbau eingebettetes Wachstum in der Eurozone. Unabhängig davon, wie die Refinanzierung der öffentlichen Haushalte und der Ungleichgewichte organisiert werden, müssen die Schulden aus der wirtschaftlichen Wertschöpfung letztendlich bedient und Ungleichgewichte über eine Annäherung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ausgeglichen werden. Die Erfahrungen aus der Wirtschaftskrise zeigen deutlich, dass die Stärkung der wirtschaftlichen Entwicklung nicht einer ungehemmten Entfaltung der Märkte entspringt.

Im Gegenteil: Die daraus entstandene immer ungleichere Verteilung der Einkommen zulasten der Beschäftigten und die Einschränkung staatlicher Aktivitäten haben das realwirtschaftliche Wachstum gebremst. Doch diese Erfahrungen werden in der europäischen Wirtschaftspolitik ignoriert. Nach dem Auslaufen der im Herbst 2009 durchgesetzten Konjunkturprogramme wurde gleichzeitig in den beteiligten Ländern auf einen harten Konsolidierungskurs umgesteuert. Die Kürzungsprogramme der öffentlichen Haushalte in der EU summierten sich bereits im Jahr 2010 auf 1,6 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Staaten, die vom europäischen Rettungsschirm vor der Zahlungsunfähigkeit geschützt werden mussten, haben brutale Einschnitte bei den öffentlichen Ausgaben beschlossen. Sozialleistungen, Renten und die Gehälter im öffentlichen Dienst wurden zusammengestrichen. Aber auch die Bezahlung der Beschäftigten im privaten Bereich wird unter Druck gesetzt. In Irland wird dazu der gesetzliche Mindestlohn um einen Euro gesenkt und der Mehrwertsteuersatz erhöht. In Griechenland wird die Absenkung der tariflichen Standards auf betrieblicher Ebene gesetzlich erleichtert.

Die für die wirtschaftliche Entwicklung kontraproduktiven Ergebnisse lassen sich schon jetzt in den Prognosen der Europäischen Kommission für 2011 ablesen. In diesem Jahr wird in der Eurozone nur ein reales Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent erwartet. In Griechenland führen die Sparauflagen zu einem weiteren Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um drei Prozent. Eine Rückzahlung der Schulden ist unter solchen Bedingungen kaum möglich. Wenn alle Länder die Nachfrage beschneiden, ist eine schwache wirtschaftliche Entwicklung die notwendige Konsequenz. Zudem haben gerade die Schwächsten, die schon vom Boom kaum profitiert haben, die größten Lasten der Krise zu tragen.

Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik kritisiert diese Austeritätsprogramme, denn sie verschlechtern die Chancen zur Krisenüberwindung. Notwendig sind zwei Maßnahmen: erstens eine koordinierte expansive Finanzpolitik in den EU-Staaten und zweitens die Auflage eines öffentliches Investitionsprogramm in der EU. Nachdem sich die wirtschaftliche Lage in den meisten Ländern zumindest stabilisiert hat, können eher kurzfristig wirkende Konjunkturhilfen zurückgefahren werden. Statt sie aber ersatzlos zu streichen, ist eine Überführung der Mittel in ein längerfristig wirksames, an gesellschaftlichen Bedarfen orientiertes Investitionsprogramm notwendig.

Dabei sind gerade die Überschussländer gefordert, mit starken öffentlichen Ausgabenprogrammen ihre eigene Binnennachfrage zu stärken und somit auch die Nachfrage in der gesamten Eurozone zu stützen. Das betrifft vor allem Deutschland, dessen politische und ökonomische Verantwortung darin liegt, als europäische Konjunkturlokomotive zu wirken. Darüber hinaus fordert die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik die Aufstockung der Mittel der Europäischen Investitionsbank (EIB). Die Aktivitäten der EIB sollten sich vor allem auf die Defizitländer konzentrieren, um deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu stärken. Länder wie Griechenland würden von einer Stärkung der Nachfrage in der Eurozone nur wenig profitieren, da ihre Exportstruktur hierauf nicht ausgerichtet ist. Sie brauchen auch strukturelle Hilfen für ihre Entwicklung.


Punkt 6: Mehr öffentliche Einnahmen und Harmonisierung europäischer Unternehmensbesteuerung Im Bereich der Steuerpolitik zeigen sich zwei Fehlentwicklungen: Erstens sind in vielen Mitgliedsländern die Steuern auf hohe Einkommen und Vermögen reduziert worden. Zweitens hat sich innerhalb der EU eine extrem spaltend wirkende Politik des Steuerdumpings vor allem im Bereich der Unternehmensbesteuerung durchgesetzt. Ein besonders hervorstechendes negatives Beispiel ist die in Irland realisierte Politik niedrigerer Unternehmensbesteuerung. Der Steuersatz auf Gewinne bei Kapitalgesellschaften liegt dort bei 12,5 Prozent, während er sich in Deutschland auf ca. 30 Prozent (Körperschaftsteuer, Solidarzuschlag, Gewerbesteuer) beläuft. Dazu kommen noch viele Vorteile durch eine günstigere Gestaltung der Bemessungsgrundlage. Diese Politik einer Niedrigsteuerkonkurrenz hat dazu geführt, dass deutsche Unternehmen ihre Finanzabteilungen nach Irland ausgelagert haben. So konnte der doppelte Vorteil genutzt werden, der zum einen in einer geringeren Besteuerung der Gewinne und zum anderen in der Kreditfinanzierung in Deutschland bestand, deren Zinsen mit hohen Steuersätzen als Betriebsausgabe geltend gemacht werden konnten. Um diese grenzüberschreitende Steuergestaltung einzuschränken, ist mit der Unternehmenssteuerreform von 2008 die Zinsschrankenregelung (& sect; 4h EStG in Verbindung mit & sect; 8 KStG) eingeführt worden. Sie ersetzte die Regelungen zur Gesellschafter-Fremdfinanzierung. Eine vergleichbare Regelung in den USA wird als "Earnings-Stripping-Rule" bezeichnet.

Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik fordert erstens eine Harmonisierung der Bemessungsgrundlage bei der Gewinnbesteuerung sowie einen Mindeststeuersatz auf Gewinn von Kapitalgesellschaften und einkommensteuerpflichtigen Unternehmen. Darüber hinaus sollte auch bei anderen wichtigen Steuern eine Harmonisierung angestrebt werden. Schließlich sollte die EU eine einheitliche Flugsteuer sowie eine Finanztransaktionsteuer durchsetzen. Daneben ist dringend eine Mindestbesteuerung des Vermögens in allen Mitgliedsstaaten zu empfehlen.


Punkt 7: Auf dem Weg zu einer Wirtschaftsregierung - einen alternativen, solidarischen Entwicklungsweg durchsetzen
Die beschriebenen Gründungsfehler sind eindeutig. Von Anfang an ist es versäumt worden, die Währungsunion in ein Gesamtkonzept einer EU-Wirtschafts- und Währungspolitik einzubetten. Die aktuelle Krise hat diese Gründungsfehler offen gelegt. Es sind Ad-hoc-Maßnahmen ergriffen worden, die jedoch nicht in ein Gesamtkonzept eingebettet wurden. Über die kurzfristigen Hilfsprogramme hinaus muss endlich die wirtschaftliche und finanzpolitische Integration vorangetrieben werden. Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik fordert als langfristiges Ziel eine EUWirtschaftsregierung. Sie weist allerdings darauf hin, dass die instrumentellen und institutionellen Anforderungen an eine solche noch präzisiert werden müssen. Auch weil derzeit der eindeutige Wille zur Abgabe von nationalen Souveränitätsrechten an eine EU-Wirtschaftsregierung durch die Mitgliedsländer nicht erkennbar ist, wird hier auf prozesshafte Maßnahmen des Hinwachsens zu einer Wirtschaftsunion abgestellt.

Auf der Basis der zuvor begründeten sechs Punkte zur Optimierung der Währungsunion werden folgende Maßnahmen zur Schaffung einer ökologisch verantwortlichen Wirtschafts-, Fiskal- und Sozialunion vorgeschlagen:

• Innerhalb der EU ist eine umfassende Regulierung aller Institutionen und Instrumente der Finanzmärkte durchzusetzen. Dazu gehört zum einen die Kontrolle auch der "Schattenbanken" (beispielsweise der Hedgefonds), die bisher selbst bei den wenigen Maßnahmen zur Bankenregulierung nur unzureichend berücksichtigt wurden. Zum anderen müssen unbedingt die Rating-Agenturen, die die Zinssätze der Staatsanleihen notleidender Länder in der Eurozone zugunsten der Spekulanten nach oben getrieben haben, demokratisiert werden. Bisher haben privatwirtschaftliche Gewinninteressen die Informationserzeugung zugunsten der Spekulanten bestimmt.

• Der EU-Gemeinschaftshaushalt, dessen Volumen auf maximal 1,25 Prozent des EU-Bruttoinlandsprodukts beschränkt ist, muss gestärkt werden. Dadurch stehen mehr Finanzmittel für Strukturanpassungsprogramme in den wirtschaftskraftschwachen Ländern zur Verfügung.

• Die nationalen Finanzpolitiken sollten unter den Zielen Arbeit, Umwelt und sozialer Ausgleich integriert werden. Die derzeit in den EU-Ländern vorherrschende restriktive Ausrichtung bei der Sanierung der öffentlichen Haushalte ist ein Beispiel für eine gesamtwirtschaftlich falsch koordinierte Finanzpolitik. Dadurch wird das Produktionspotenzial in der EU um ein Vielfaches schrumpfen. Die Mitgliedsländer sollten sich auf nationalstaatlich umgesetzte Gemeinschaftsinitiativen beispielsweise durch öffentliche Investitions- und Innovationsmaßnahmen in der EU verständigen.

• Die Geldpolitik in der Kompetenz der Europäischen Zentralbank sollte nicht nur auf das Ziel der Geldwertstabilität, sondern auch auf die monetäre Unterstützung der wirtschaftlichen Wachstumskräfte und Arbeitsplätze konzentriert werden. Die Aufgabe der Stabilisierung der Finanzmärkte durch angemessene Liquiditätsversorgung hat die EZB in der jüngsten Krise gelernt.

• Entsprechend den Vertragsvorgaben muss die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik auf die Sicherung von Mindeststandards ausgerichtet werden. Die Pflicht zur Einführung gesetzlicher Mindestlöhne in allen EU-Mitgliedsstaaten ist durchzusetzen.

• Ein Informationssystem über die Ursachen und Folgen zur Erfassung der außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen den Mitgliedsländern sollte umgehend institutionalisiert werden. Wie bereits vorgeschlagen, könnte der Europäische Währungsfonds (EWF) diese Aufgaben übernehmen. Auf dieser Basis müssen Strategien zum Abbau krisenerzeugender Ungleichgewichte beim Außenbeitrag festgelegt werden. Eine nachhaltige Entschärfung der Eurokrise macht es erforderlich, die Voraussetzungen für den Abbau der deutschen Handelsbilanzüberschüsse zu schaffen.


Anmerkung:
(1) Bei CDS entsteht ein Problem, wenn viele diese Versicherung "abschließen", die gar kein Risiko haben - also keine zu besichernden Wertpapiere (wie z. B. griechische Staatsanleihen) besitzen. Da diese CDS handelbar sind, kann damit leicht spekuliert werden. Hohe Preise der spekulativ gehandelten CDS sind für andere Marktteilnehmer dann das Signal, dass bspw. Griechenland ein Finanzierungsproblem habe. In der Folge steigen die Zinsen, die der griechische Staat für seine Anleihen zu zahlen hat, tatsächlich an.


*


KASTEN

Das deutsch-französische Sechs-Punkte-"Paket für Wettbewerb":
Pakt der Unvernunft - die Eurozone soll deutscher werden

Zum Sondergipfel der EU am 4.2.2011 haben die Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Nicole Sarkozy ein "Paket für Wettbewerb" vorgelegt.
Es enthält die folgenden sechs Punkte: Schuldenbremse nach dem deutschen Modell für alle Mitgliedsländer; wegen der "demografischen Entwicklung" Erhöhung des Mindestrenteneintrittalters; Abschaffung der in einigen Mitgliedsländern geltenden Lohnanpassung im Rahmen der Inflation; einheitliche Bemessungsgrundlage bei der Körperschaftsteuer; für notleidende Banken nationale Krisenbewältigungsstrategien; gegenseitige Anerkennung von Bildungs- und Ausbildungsabschlüssen durch die Mitgliedsländer.


Abgesehen von einigen vernünftigen Maßnahmen zielt dieses Paket auf die Orientierung aller Mitgliedsländer am deutschen Modell der Wettbewerbsfähigkeit. Es wird so getan, als gäbe es ausschließlich für die anderen Mitgliedsländer einen entsprechenden Anpassungsbedarf. Dadurch wird die Notwendigkeit der Anpassung Deutschlands durch das Zurückfahren der Exportüberschüsse und die Stärkung der Binnenwirtschaft ausgeklammert. Ein Hauch des alten "D-Mark-Imperialismus" schimmert unter dem Eurodach durch. Auch werden die bereits im Gründungsakt der Eurozone angelegten Ursachen der Spaltung des Eurolandes sowie der wachsenden Krisenanfälligkeit der Wirtschaften und Finanzmärkte nicht berücksichtigt. Europa braucht mehr Zusammenarbeit und Gemeinschaft.

Das hier vorgelegte Sieben-Punkte-Programm der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik ist gegenüber der deutschen Exportstärke als Zielmarke für die Euroländer eine klare Alternative. Die Stabilisierung der Eurozone innerhalb einer integrierten Wirtschafts- und Währungspolitik setzt auf eine solidarische Union statt auf eine aggressive Konkurrenz der Mitgliedsländer um die Spitzenposition im internationalen Wettbewerb. Der deutschfranzösische Pakt ist dagegen ein Pakt der Unvernunft.


*


Quelle:
Pressemitteilung vom 23. Februar 2011
und Sondermemorandum 2011 - Euroland in der Krise:
Ein Sieben-Punkte-Programm zur Wirtschafts- und Währungsunion
Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik
Wissenschaftlicher Mitarbeiter Gunter Quaißer
Telefon: 069 26 02 49 50, Fax: 069 43 05 17 64
Postfach 33 04 47, 28334 Bremen
E-Mail: memorandum@t-online.de
Internet: www.alternative-wirtschaftspolitik.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. März 2011