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WÄHRUNG/157: Europas Währungsunion in der Krise (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 7+8/2011

Die Unvollendete
Europas Währungsunion in der Krise

Von Björn Hacker


Nicht in der Verschuldung einzelner Staaten sind die Hintergründe der Krise im Euroraum zu suchen. Schon in der Gründungsphase der Wirtschafts- und Währungsunion wurden entscheidende Weichen falsch gestellt. Notwendig ist eine Überwindung der Konstruktionsdefizite durch eine politische Flankierung der ökonomischen Integration.


Die Lageanalysen zur andauernden Krise in der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) von Seiten der Bundesregierung, der Europäischen Kommission oder der "Task-Force" des Präsidenten des Europäischen Rates, Herman van Rompuy, offenbaren eine relativ einfache Sichtweise auf ihre Hintergründe. Man bekommt den Eindruck, es handele sich bei den Geschehnissen der vergangenen Monate um einen Unfall, dessen Ursache vornehmlich in der mangelnden Spardisziplin einzelner europäischer Staaten zu suchen sei. In Wahrheit hat die auf die Eurozone übergreifende globale Wirtschafts- und Finanzkrise schonungslos die grundsätzlichen Schwachstellen und strukturellen Defizite der WWU-Architektur offenbart. In der Krise kulminiert eine Integrationsentwicklung der Europäischen Union, die primär ökonomisch determiniert ist. Der Abbau von Handelshemmnissen und die Steigerung der einzelstaatlichen Wettbewerbsfähigkeit hatten stets Priorität gegenüber dem Aufbau gemeinsamer politischer Strukturen zur Marktgestaltung. Alle Versuche zur Überbrückung dieser Asymmetrie durch Formen der weichen politischen Koordinierung und der europäischen Governance blieben halbherzig und scheiterten letztlich an der - teilweise berechtigten - Angst vor dem Verlust nationalstaatlicher Souveränität.

Bereits in der Gründungsphase der WWU siegte eine einseitig monetaristisch geprägte Sichtweise über Ansätze zur stärkeren Koordinierung der Wirtschaftspolitiken in der EU. Maßgeblich von Deutschland vorangetrieben, setzte sich mit dem Vertrag von Maastricht das Konzept strenger Haushaltsdisziplin und Preisstabilität als primär zu erreichende Ziele durch. Ein wirtschaftspolitisches Äquivalent zur vergemeinschafteten Geldpolitik wurde nicht geschaffen. Jedoch wurden die fiskalpolitischen Kompetenzen der Mitgliedsstaaten der Eurozone durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt restringiert.

Der Nutzen der WWU liegt insbesondere in einer Reduktion der Transaktionskosten und in der Verringerung der Preisunsicherheiten durch den Wegfall des Wechselkursrisikos. Zuwenig wurde jedoch in der Gründungsphase auf die makroökonomisch geprägten Kosten einer Währungsunion Rücksicht genommen. So ist die Eurozone weit vom theoretisch abzugrenzenden Gebilde eines "Optimalen Währungsraums" entfernt. Denn der erforderlichen hohen Mobilität des Faktors Arbeit stehen zahlreiche natürliche Rigiditäten in Form von Sprachbarrieren und Besonderheiten der national gestalteten Arbeitsmärkte entgegen. Zudem hat der innereuropäische Handel durch den gemeinsamen Binnenmarkt zwar enorm zugenommen, doch weisen der Öffnungsgrad und die Produktionsstrukturen der Volkswirtschaften in der Eurozone beträchtliche Unterschiede auf. Dies zeigt sich beispielhaft in den hohen Exportüberschüssen Deutschlands, der Niederlande, Österreichs und Finnlands, die sich in den Leistungsbilanzdefiziten der anderen, insbesondere der südeuropäischen Länder spiegeln.


Mitverantwortung der solventen Staaten

Die Gralshüter der neoklassischen Wirtschaftstheorie und des Monetarismus fordern nun die Verstärkung des Wettbewerbsprinzips, verschärfte zentrale budgetäre Kontroll-, Eingreif- und Sanktionsmechanismen für die EU, um den kriselnden Staaten das Schuldenmachen auszutreiben. Dabei verwechseln sie Ursache und Wirkung dieser Liquiditätskrise. Denn die Verschuldung einiger Länder kletterte erst infolge von Rettungsaktionen für ins Taumeln geratene Banken, Konjunkturprogrammen und arbeitsmarktstützenden Maßnahmen in astronomische Höhen. Wer heute allein Restrukturierungs- und Sparprozesse in den Ländern mit Leistungsbilanzdefiziten fordert, übersieht die Verantwortung der Länder mit Exportüberschüssen. Deutschland hat über 15 Jahre hinweg die private und öffentliche Nachfrage gedämpft durch die Stagnation der Reallöhne und eine strikte Konsolidierungspolitik und sich so Wettbewerbsvorteile auf Kosten der europäischen Nachbarn verschafft. Es ist der Mangel an einer effizienten makroökonomischen Koordinierung in der Eurozone, der zu einer Situation führte, in der einige Staaten ihre Wettbewerbsfähigkeit durch Lohnzurückhaltung immer stärker ausbauen konnten, während in anderen Staaten die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) dazu anregte, dass sich die Marktteilnehmer hoch verschuldeten. In Ländern wie Spanien und Irland waren dies Unternehmen und Privatpersonen, nicht jedoch der Staat, der die Budgetziele des Stabilitäts- und Wachstumspakts bis zum Ausbruch der Krise 2007 vorbildlich erfüllte. Die nun auf den Weg gebrachten schärferen Regeln für staatliche Defizite hätten somit nichts verhindert.


Unzureichende Steuerungsinstrumente

Das Beharren der Euroländer auf ihren nationalen Souveränitäten in den Fiskalpolitiken mündete in halbherzigen Versuchen der wirtschaftspolitischen Koordinierung, wie sie im sogenannten Makroökonomischen Dialog, der Lissabon- und nun der Europa 2020-Strategie angelegt sind. Die hier begonnene Abstimmung nationaler Haushalts-, Lohn-, Industrie- und Beschäftigungspolitiken bleibt jedoch schwach, da bei den politischen Akteuren abseits von wohlklingenden Gipfelerklärungen kein Bewusstsein für kooperatives Handeln herrscht. Zudem fehlt es an einem gemeinsamen Entscheidungszentrum, das die wirtschaftspolitischen Präferenzen der Mitgliedsstaaten austariert und bündelt. Auch die Einrichtung der Eurogruppe als Untersektion des Ecofin-Rates konnte diese Lücke bislang nicht füllen. Der Stabilitätspakt hat zwar erheblich dazu beigetragen, dass die Verschuldungskriterien der Länder eine hohe politische Aufmerksamkeit genießen und viele Regierungen im Sinne der "blame avoidance" bestrebt sind, ihre Haushalte zu konsolidierenDoch bleibt es bei diesem einen, völlig unzureichenden Instrument der makroökonomischen Governance, das die private Ersparnis- und Schuldenbildung nicht berücksichtigt und antizyklische Haushaltspolitiken verhindert. In der Krisensituation 2010/11 zeigt sich die Problematik der gewählten Integrationsreihenfolge in der EU, die eine primär ökonomische der politischen Vergemeinschaftung vorgezogen hat. Die umfassende Harmonisierung der Wirtschaftspolitiken hätte zur Vorbedingung für den Integrationsschritt zu einer Währungsunion gemacht werden müssen. Diese sogenannte "Krönungstheorie" konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Der Verlust des Wechselkursinstruments kam so zu früh für viele Staaten in einer WWU, die trotz einheitlicher Beitrittskriterien durch erhebliche ökonomische Heterogenitäten geprägt ist. Der vereinheitlichten Geldpolitik kann es mit den ihr zur Verfügung stehenden Instrumenten nicht gelingen, adäquat auf zeitgleiche, jedoch geografisch getrennt voneinander auftretende Tendenzen der wirtschaftlichen Überhitzung einerseits und der ausbleibenden Investitionstätigkeit andererseits im selben Währungsraum zu reagieren. Zudem wurde die EZB anders als ihr Pendant Federal Reserve in den USA primär auf die Wahrung der Preisstabilität in der WWU verpflichtet und ein Gegengewicht zur Geldpolitik, das makroökonomische Politik für die Eurozone gestaltet, existiert nicht.

Um das Dilemma grundsätzlicher Konstruktionsdefizite der WWU zu überwinden, existiert nur eine begrenzte Auswahl an Möglichkeiten. Schließt man einen Rückbau der bis dato erreichten Wirtschaftsintegration aus, bleibt nur der Weg nach vorne. Das bedeutet die Ergänzung der gemeinsamen Währung um die erforderlichen wirtschaftspolitischen Koordinierungs- und Steuerungselemente. Dabei ist die Priorisierung erhöhter Sparauflagen für die Mitgliedsstaaten und damit verbundener Sanktionsinstrumentarien durch die EU ein zu einseitiges Konzept zur Verhinderung künftiger Krisen. Die Haushaltsdisziplin ist ein wichtiges Kriterium, doch unzureichend für ein veritables makroökonomisches Management der WWU. Zudem sind die negativen Folgen der im Gegenzug für Kreditgarantien für Griechenland, Irland und Portugal verordneten Politiken permanenter Austerität offen sichtbar. Ein "Heraussparen" aus der Krise wird diesen Ländern nicht gelingen können. Der verordnete Sparkurs nimmt die Möglichkeiten staatlicher Investitionen, die empfohlene Lohnzurückhaltung lässt die Nachfrage einbrechen und der Rückbau der sozialen Sicherung lässt nicht nur die Armutsraten in die Höhe schnellen, er steigert auch die Europaskepsis in der Bevölkerung. Um aus der Krise herauszuwachsen, ist neben einer von Solidarität geprägten akuten Refinanzierungshilfe durch den Europäischen Stabilisierungsmechanismus und Eurobonds eine gesamteuropäische Investitionsstrategie für die notleidenden Staaten erforderlich. Beides wird im Zweifel erhebliche Kosten verursachen und Wegbereiter sein für einen fiskalischen Föderalismus in Europa. Doch stellt sich hier die Gretchenfrage, ob man die EU als gemeinsames, zukunftsfähiges Gebilde begreift oder sein Heil lieber im Rückzug in eine längst überkommene wirtschaftspolitische Souveränität der Nationalstaaten sucht.


Europäische Rahmenvorgaben, nationaler Gestaltungsspielraum

Die Etablierung einer "Europäischen Wirtschaftsregierung" - eher im Sinne von "Governance" als in Form eines institutionalisierten "Government" - müsste statt einseitigen Schuldzuweisungen gegenüber den defizitären Ländern auf einem symmetrischen Ansatz zum Ausgleich der makroökonomischen Ungleichgewichte der Eurostaaten basieren. Angesichts der vertraglichen Zuständigkeiten und des Unwillens der Nationalstaaten zur Abgabe von Kompetenzen, ist eine intelligente Balance aus eigenverantwortlich wahrgenommener aber kollektiv koordinierter Wirtschaftspolitik für die WWU notwendig. Mit der Koordinierung der Leistungsbilanzsajden und Zielformeln für die Bereiche der Lohn-, Steuer- und Sozialpolitiken durch einen außenwirtschaftlichen und sozialen Stabilitätspakt liegen Konzepte für einen europäischen Rahmen vor, innerhalb dessen die Mitgliedsstaaten weiterhin politisch souverän agieren können. Eile ist geboten. Nicht nur, weil die aktuelle Krise noch nicht überwunden ist, sondern auch, weil jede Form der vertieften wirtschaftspolitischen Abstimmung und Koordinierung im kleineren Kreis sowohl von den institutionellen Voraussetzungen wie auch den sozioökonomischen Gegebenheiten eher gelingen wird als in einer ausgedehnten WWU, die mit Estland seit Jahresbeginn bereits 17 Mitglieder umfasst. Die politischen Akteure müssen sich entscheiden, ob sie die Währungsunion weierhin als Stückwerk betreiben oder die Krise als Fanal für eine gründliche Neuausrichtung begreifen wollen. Dies wird nicht gelingen, wenn die Augen vor den Konsequenzen eines angeschobenen ökonomischen Annäherungsprozesses verschlossen werden. Denn die Ausrichtung der Mitgliedsstaaten auf miteinander kompatible Wirtschaftsstrukturen, Wohlstandsverhältnisse und wirtschaftspolitische Prioritäten ist ein erster Schritt in Richtung einer politischen Union. Diese impliziert mittelfristig eine föderale Teilung von Zuständigkeiten und Entscheidungsbefugnissen zwischen dem einzelnen Staat und dem Zentrum der Gemeinschaft. Sie setzt durch ausgleichende Transfers und die Eindämmung der Ungleichgewichte zugleich ein Zeichen für einen ökonomischen Gleichlauf zwischen den beteiligten Staaten und beendet so das derzeit vorherrschende System von Wettbewerbsstaaten, die am eigenen Vorteil und nicht am Erfolg des Gesamtkomplexes WWU interessiert sind.


Björn Hacker (*1980) ist Referent der Internationalen Politikanalyse der FES. bjoern.hacker@fes.de


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 7+8/2011, S. 59-62
Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Siegmar Gabriel,
Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka, Thomas Meyer und Peter Struck
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. September 2011