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WÄHRUNG/159: "Die größte Gefahr ist derzeit die Uneinigkeit" (TU berlin intern)


TU berlin intern 11/11
Die Hochschulzeitung der Technischen Universität Berlin

"Die größte Gefahr ist derzeit die Uneinigkeit"

Warum die Euro-Rettung so wichtig ist


TU intern: Herr Professor Heinemann, der Euro ist in der Schuldenkrise. Warum ist es so wichtig für unsere Wirtschaft, alle Euroländer im Verbund zu halten, koste es, was es wolle?

Prof. Dr. Frank Heinemann: Kosten und Nutzen müssen natürlich abgewogen werden. Eine Währungsunion wie die europäische EWU ist jedoch mehr als ein System mit festen Wechselkursen, das wir ja schon seit 1979 haben und zu dem auch Nicht-Euro-Länder gehören. Ein Austritt würde die Erwartung wecken, dass auch andere Länder austreten und abwerten könnten. Diese hätten dann höhere Risikoprämien zu zahlen. Außerdem würden die deutschen Exporte unter einem Austritt anderer Länder leiden.

TU intern: Schon im Vertrag von Maastricht 1992 wurden Sanktionen festgelegt für den Fall, dass die Schuldengrenzen überschritten würden. In der Nachfolgezeit betraf das mehrere Mitgliedsstaaten. Die Sanktionen wurden aber nicht durchgesetzt. Jetzt soll ein neuer Stabilisierungsmechanismus, der sogenannte Euro-Rettungsschirm, Staatspleiten abwenden. Doch auch hier wurden Kreditobergrenzen immer wieder diskutiert und überschritten. Welchen Sinn haben solche Instrumente, wenn sie nicht angewandt oder immer wieder verändert und nach oben angepasst werden?

Prof. Dr. Heinemann: Die Stabilitätskriterien von Maastricht sind sinnvoll - es fehlt nur ein glaubwürdiger Mechanismus zu ihrer Umsetzung. Ökonomen haben schon in den 90er-Jahren, vor Gründung der EWU, in seltener Einmütigkeit davor gewarnt, dass die Sanktionen nicht glaubwürdig sind. Einem Land, das seinen Verschuldungsrahmen nicht einhalten kann, wird nicht geholfen, wenn man ihm Strafzahlungen aufbrummt. Wenn aber damit zu rechnen ist, dass Sanktionen nicht umgesetzt werden, dann entfalten sie auch keine abschreckende Wirkung. Die Politik hat diese Warnungen ignoriert. Übrigens haben die jetzigen Probleme nichts mit dem Verfehlen der Maastricht-Kriterien zu tun - Spanien, Italien und Irland haben sich stets daran gehalten.

TU intern: Wo ist die Grenze für das System "too big to fail"?

Prof. Dr. Heinemann: Diese Grenze kann niemand genau bestimmen, wie der Fall von Lehman Brothers gezeigt hat. Es gibt jedoch seit Durchführung der "Stresstests" in diesem Jahr Simulationsmodelle, mit denen man zumindest versuchen kann, systemrelevante Banken zu identifizieren. Dabei zeigt sich auch, dass Größe nicht gleich Systemrelevanz ist.

TU intern: Jetzt sollen es die privaten Anleger richten, die European Financial Stability Facility EFSF soll nur noch als Versicherung fungieren, was die Finanzkraft der EFSF vervielfachen würde. Ist das die Privatisierung der Gewinne, während die Solidargemeinschaft die Verluste trägt?

Prof. Dr. Heinemann: Nein. Die zurzeit wohl favorisierte Methode besteht darin, die Zeichner neuer Anleihen der betroffenen Staaten gegen Kreditausfälle von bis zu 25 Prozent des Nennwertes zu versichern. Kommt es zu einem Bankrott, dann fallen die Rückzahlungen ja nicht vollständig aus. Beträgt ein Schuldenschnitt beispielsweise 40 Prozent, dann wären die für dieses Land eingesetzten Mittel des EFSF vollständig auszuzahlen und die privaten Gläubiger müssten nur 15 Prozent abschreiben. Dies reduziert das Risiko der Gläubiger, sodass sie bei Ausgabe der Anleihen entsprechend geringere Zinsen verlangen. Bei einer Versicherung des gesamten Kredites, ohne "Hebel", müsste der EFSF im Beispiel den gesamten Verlust von 40 Prozent tragen. Das würde die Risikoprämie zwar noch etwas weiter senken, dafür wäre das Volumen der versicherbaren Kredite aber auch nur so hoch wie die verfügbaren Bürgschaften, während das jetzige Modell ein vierfaches Kreditvolumen absichern kann.

TU intern: Italien gehört zu den größten Beitragszahlern beziehungsweise Bürgen und steht selbst in der Krise. Was bedeutet das für uns? Müssen und können wir einen möglichen Ausfall mit übernehmen?

Prof. Dr. Heinemann: Italien wird allgemein als solvent angesehen. Wenn Italien seine Staatsfinanzierung wieder in Ordnung bringt - und das kann es im Gegensatz zu Griechenland durch geeignete Maßnahmen schaffen -, dann kommt es auch nicht zum Bankrott. Mangelndes Vertrauen der Märkte kann jedoch zu einer Refinanzierungskrise führen: Neue Schuldverschreibungen, die nötig werden, um auslaufende alte zu ersetzen, werden nicht oder nur zu so hohen Zinsen gewährt, dass Italien dann tatsächlich in eine Solvenzkrise getrieben wird. Der Rettungsschirm soll Refinanzierungskrisen solventer Staaten verhindern. Es ist jedoch schwer, Refinanzierungs- und Solvenzkrisen voneinander zu unterscheiden. Außerdem dürfen die Garantien des EFSF die betroffenen Länder nicht dazu verleiten, auf Anstrengungen zur Konsolidierung ihrer Staatsfinanzen zu verzichten. Deshalb muss die Inanspruchnahme des EFSF - oder ab 2013 des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM - mit strikten Auflagen verbunden werden.

TU intern: Erhöht der "Hebel" im Rettungsschirm das deutsche Risiko?

Prof. Dr. Heinemann: Solange der Bankrottfall nicht eintritt, fungieren die Mittel des EFSF als Bürgschaft und können nach Ablauf eines Kredits zur Versicherung eines anderen Kredits eingesetzt werden. Gehen sie jedoch verloren, dann müssen die Euro-Staaten einen neuen Rettungsschirm finanzieren - also neue Bürgschaften bereitstellen. Dieses Risiko steigt durch die Hebelung. Andererseits reduziert der Hebel das Risiko einer Refinanzierungskrise, unter der wir ebenfalls leiden würden.

TU intern: Wie groß ist die Gefahr, dass die Staatspleiten - es stehen ja mehrere Länder kurz davor - alle Mitglieder in den Abgrund reißen?

Prof. Dr. Heinemann: Die größte Gefahr ist derzeit die Uneinigkeit. In den USA, Japan und dem Vereinigten Königreich sind die Staatsschuldenquoten höher als in Euroland. Diese Länder haben keine Refinanzierungskrisen, weil sie in ihrer eigenen Währung verschuldet sind. Bevor die USA Konkurs anmelden müssten, würde das Federal Reserve System die Staatsschulden eher aus der Notenpresse bedienen. Inflation ist besser als eine Staatspleite. Weil die Märkte dies wissen, fürchten sie auch keinen Konkurs - Inflationsgefahren sind zurzeit auch nicht absehbar. Die Staatsschulden der EWU-Länder sind jedoch fragmentiert. Jedes Land muss für seine eigenen Verbindlichkeiten aufkommen, sodass die Märkte deutlich höhere Risikoprämien verlangen als in den anderen genannten Ländern. Eurobonds können hier langfristig abhelfen, lösen aber nicht die aktuellen Probleme. Sie bedürfen dann auch flankierender Maßnahmen in Form von harten Budgetrestriktionen der Mitgliedsstaaten und glaubwürdigen Sanktionen. Dies muss keine europäische Wirtschaftsregierung sein, geht aber einen Schritt in diese Richtung.

Vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Patricia Pätzold


Prof. Dr. Frank Heinemann vertritt das Fachgebiet Makroökonomie am TU-Institut für Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsrecht, Fakultät VII Wirtschaft und Management


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Quelle:
TU Berlin intern Nr. 11/11 - November 2011, Seite 2
Herausgeber:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Dezember 2011