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WÄHRUNG/163: EZB plant neues Billionen-Programm - dieses Mal gegen die Deflation (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 15 vom 11. April 2014
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Vor dem Laden der "Dicken Bertha"
EZB plant neues Billionen-Programm - dieses Mal gegen die Deflation

von Klaus Wagener



Es ist der Alptraum der deutschen Währungsfundamentalisten: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Europäische Zentralbank in ein voluminöses Kaufprogramm, möglicherweise auch für Staatsanleihen einsteigt, scheint deutlich gestiegen. "EZB hat Berechnungen zu 1.000-Milliarden-Geldspritze", alarmierte am Freitag die FAZ. Die Notenbank habe "einen solchen Ankauf im großen Stil" bereits durchgespielt. Käme es so, so rückte die EZB in der Tat, im Ranking der Fresh-Money-Produzenten auf Augenhöhe mit den Stars der Branche, der US-Notenbank Federal Reserve (Fed), der Bank von England (BoE) und der Bank von Japan (BoJ). Vor zwei Jahren hatte Mario Draghi schon einmal einen 1.000-Milliarden-Schuss aus seiner "Dicken Bertha" abgegeben.

Fed und BoE hatten nach Ausbruch der Krise die Leitzinsen radikal gesenkt und versuchten seit 2009 mit weiterer expansiver Geldpolitik frisches Geld - nein, eben nicht - unters Volk zu bringen. Fed-Chef Ben Bernanke, in Finanzkreisen gern auch als "Helikopter-Ben" gehandelt, war in früheren Zeiten wohl der Ansicht, es sei im Deflationsfall besser Geld aus dem Hubschrauber abzuwerfen, als zuzuwarten. Die Idee ist auch hier wieder einmal das eine, die Realität das andere. Das frische Geld wanderte und wandert von den Computern der Zentralbank, wenn es günstig läuft, zu denen des Finanzministerium, in der Regel aber dorthin wo es am sinnlosesten ist (von ethischen und sozialen Aspekten wollen wir hier erst gar nicht reden) auf die Rechner der Banken und Finanzartisten. Für dieses Unternehmen sind von den beteiligten Zentralbanken, einige Billionen Dollar mobilisiert worden. Die BoJ ist mittlerweile bei QE9 angelangt, einem radikalen 1,4 Bio-Dollar-Programm zur Verdoppelung der Geldbasis des Landes, mit dem der japanische Regierungschef Shinzo Abe endlich aus der lähmenden Deflationspirale ausbrechen möchte.

Die - angebotsorientierte - Idee hinter diesem, "Quantitativ Easing" (QE) wahlweise auch "Credit Easing" genannten Verfahren, besteht in etwa darin, der Finanzindustrie nahezu kostenlos und nahezu unbegrenzt "Liquidität" zur Verfügung zu stellen, damit diese dann, mit einem folglich günstigen Kreditangebot, neue Investitionen und neues Wirtschaftswachstum auslösen kann. Der Erfolg dieser Strategie ist bislang überschaubar. Investiert wird wegen der zu erwartenden Profite, weniger wegen eventuell günstigerer Kredite. Zwar wird in regelmäßigen Abständen das Ende der Krise, wie auch der Euro-Krise verkündet. Alles mögliche soll sich auf dem bekannt guten Weg befinden. Aber allein die Tatsache, dass die EZB überhaupt über einen derart gravierenden Schritt gegen all das nachdenkt, was der Bundesbank und ihren zahlreichen Fans lieb und teuer ist, zeigt wie miserabel die Lage tatsächlich sein dürfte.


Vom Inflations- zum Deflationstrauma

Offizieller Auslöser des EZB-Betriebsamkeit ist eine "Schnellschätzung" der Europäischen Statistikbehörde Eurostat. Danach ist die Inflation im März im Vergleich zum Vorjahresmonat auf den Wert von 0,5 Prozent gefallen. Verantwortlich sind vor allem die Energie (-2,1 Prozent) und Industriegüter ohne Energie (0,3 Prozent). Als (Vorkrisen-) Zielgröße für die EZB gilt ein Wert von etwa zwei Prozent. Dabei, so die Vermutung, liegt makroökonomisch alles in etwa im Grünen Bereich.

Ein Wert über zwei Prozent gilt als zu hohe Geldentwertung. Hier greift der medial gepflegte Mythos, die Deutschen seien - auch nach 90 Jahren - immer noch von der Hyperinflation der 1920er Jahre traumatisiert.

Wirtschaftspolitisch wird dieser Mythos vor allem als Waffe gegen die Lohnforderungen der Gewerkschaften instrumentalisiert, während gegen die in der Regel sehr viel drastischere "Asset-Inflation", den Preisauftrieb bei Wertpapieren, Immobilien, und Wertgegenständen, natürlich niemand etwas einzuwenden hat.

Ein Wert unter zwei Prozent signalisiert dagegen Deflationsgefahr. Hier heißen die Standardargumente: Erstens, Deflation erzeuge aufgrund der zu erwartenden günstigeren Preise Kaufzurückhaltung. Zweitens, Deflation verteure wegen des sinkenden Preisniveaus den Kapitaldienst. Erschwere also die Kreditaufnahme.

Beide Argumente erscheinen wenig stichhaltig. Der weitaus größte Teil des Konsumverhaltens dürfte sich von eventuellen Preisrückgängen im Bereich von unter einem Prozent wohl kaum beeindrucken lassen. Ähnliches gilt für den Bereich Kredite. Die momentanen Konditionen dürften auch dann noch vergleichsweise attraktiv erscheinen, wenn der Inflationsindex noch um ein paar Zehntel fallen sollte. Trotzdem, das Problem ist gravierend. Nur aus einem ganz anderen Grund.


Monetaristische "Naivität"

Die gängige Vorstellung zur Inflation bzw. Deflation ist monetaristisch geprägt. Nach dieser, vor allem von Milton Friedman popularisierten Theorie, gilt die Geldmenge als die zentrale wirtschaftspolitische Stellgröße. Eine zu große Geldmenge führt, wie uns bis zum Erbrechen eingehämmert wurde, zur Inflation. Eine zu geringe zur Deflation. Die geldpolitischen Maßnahmen der großen Zentralbanken in den letzten fünf Jahren können auch als ein Großexperiment zur Falsifizierung dieser Theorie gelesen werden. Geldaufblähung im ganz großen Stil - Ergebnis: Inflation nahe Null.

Die Deflation ist nicht die Ursache der Krise, sondern ihr Symptom. Die tiefere Ursache der Krise seit 2007 liegt in einer Überakkumulation von Kapital. Auf der Erscheinungsebene wurde sie ausgelöst durch den Zusammenbruch einer wüsten Spekulationsorgie und ist geprägt von anhaltender Überproduktion besser Unterkonsumption. Die Kapitalakkumulation hat eine derartige Dimension erreicht, dass seine vollständige Verwertung im produktiven Sektor schon lange als völlig ausgeschlossen gilt. Die zur Verfügung stehende Kaufkraft reicht selbst für die bestehenden Produktionskapazitäten nicht aus. Sie nimmt aber in der Krise strukturell ab. Die Folge: Sinkende Nachfrage, Pleiten, Entlassungen, weiter sinkende Nachfrage, weitere Pleiten, weitere Entlassungen...

In solch einer Lage sind weder die arbeitenden Menschen noch die übrigen Warenverkäufer in der Lage höhere Preise durchzusetzen, ja in der Regel nicht einmal die bestehenden zu halten. In der Großen Depression der 1930er Jahre kollabierten aus diesem Grund weltweit die Preise beispielsweise für landwirtschaftliche Produkte. Die Einkommen der Landwirte in den USA verfielen zwischen 1929 und 1933 um 60 Prozent. Da aber in der Krise vor allem die Preise der Ware Arbeitskraft fallen (siehe Südeuropa), werden die arbeitenden Menschen durch Deflation nicht reicher, sondern ärmer. Und zwar massiv.


Am Tropf der Zentralbanken

Im Gegensatz zu den 1930er Jahren haben die kapitalistischen Hauptstaaten bislang nicht mit härteren Formen von Protektionismus (und außerhalb der Eurozone) auch nicht mit härteren Austeritätsprogrammen reagiert. Zu Beginn gab es in gewissem Umfang antizyklische Konjunkturprogramme und vor allem eine staatlich kreditfinanzierte Rettung der Finanzindustrie. Diese dauert bis heute an und bläht die staatliche Schuldenlast immer weiter auf. (Deutschland spielt hier eine gewisse Sonderrolle, weil es als regionale imperiale Vormacht einen Teil seiner Krisenbewältigung exportieren konnte.) Vor allem aber wurde von den dominierenden Zentralbanken eine Billionenschwere Geldexpansion betrieben. Diese Unmengen frischen Geldes stabilisierte die Finanzindustrie der zentralen kapitalistischen Staaten, die Aktienkurse schossen wieder durch die Decke. Sie schwächten Dollar, Euro, Yen und Pfund gegenüber den Währungen der "aufstrebenden Staaten" und verschafften den Etablierten damit Konkurrenzvorteile. Auch die Gewinne der Exportindustrie schießen weiter durch die Decke. Und schließlich strömte das billige, "heiße" Geld über Carry Trades in mehrfacher Billionen-Höhe (rund 5 Bio. Dollar) in die besser verzinslichen Anlagen der "aufstrebenden Staaten" und löste in einigen von ihnen einen dieser berüchtigten finanzmarktgetriebenen Boom-Euphorien aus - ebenso wie drastische Leistungsbilanzdefizite. Die aufstrebenden Staaten galten zwischenzeitlich als die "Lokomotiven der Weltwirtschaft", von "Abkopplung" war gar die Rede - von der Außenverschuldung weniger. Mit dem Einbruch beim chinesischen Wachstum im letzten Jahr ging aber auch diese Großerzählung ihrem Ende entgegen. Fiele der realwirtschaftliche Einbruch mit dem Ende des großen Gelddruckens (Tapering) und der zwangsläufigen Flucht der Spekulanten zusammen, könnte es ein unangenehmes Erwachen geben.

Angesichts der globalwirtschaftlichen Aussichten und des realwirtschaftlichen Desasters in Eurozonien scheinen die EZB-Oberen der Auffassung zuzuneigen, es sei besser einer weiteren Runde Fresh Money zu verteilen. Die Entscheidung der neuen Fed-Chefin Jannet Yellen im monatlichen 10-Mrd.-Rhythmus aus QE3 auszusteigen, dürfte die Situation nicht erleichtern. Da die realwirtschaftlichen Disproportionen ja keineswegs beseitigt sind, der Mangel an Konsumptionsfähigkeit nicht behoben, die schiere Kapitalmasse nicht abgeschmolzen worden ist, sondern einfach nur mehr Geld ins System eingeschleust wurde, hängt die Weltwirtschaft zu einem erheblichen Teil am Tropf der Notenbanken. Wie pleitegegangene Spieler im Casino, hoffen die Finanzartisten, dass die Croupiers eine neue Runde Jetons spendieren, damit das Spiel weiter gehen kann. Die EZB scheint nun entschlossen, diesen Part von der Fed übernehmen zu wollen.

Dass damit die Deflation, ebenso wie die Inflation, nur unter sehr einschränkenden Restriktionen und nur sehr indirekt beeinflusst werden kann, liegt auf der Hand. Um Deflation wirklich zu bekämpfen gibt es ein sehr einfaches Mittel, mit dem schon Roosevelt im New Deal erfolgreich war: Lohnerhöhungen. Einfach höhere Preise für die Ware Arbeitskraft durchsetzen. Das war im Kapitalismus, auch ökonomisch, schon immer äußerst erfolgreich.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 46. Jahrgang, Nr. 15 vom 11. April 2014, Seite 12
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. April 2014