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BERICHT/013: Umwälzende Veränderungen der Offshore-Wissenschaft (FTE info)


FTE info - Sonderausgabe EIROforum - Februar 2007
Magazin über europäische Forschung

Die umwälzenden Veränderungen der Offshore-Wissenschaft


Für David Southwood, wissenschaftlicher Direktor der ESA, gibt es zwei große Weltraumwissenschaften. Die eine ist nach außen gerichtet, von unserem Sonnensystem bis an die Grenzen des Universums, die andere ist auf die Erde gerichtet. Beide befassen sich mit der dreiteiligen Frage zur Existenz des Lebens: Warum, wie und wo? Ein Interview.


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FTE INFO: Die Weltraumwissenschaft ist ein Forschungsbereich, dessen Kosten schwindelerregend hoch sind. Ist es für Europa vernünftig derart viel Kraft und finanzielle Mittel dafür einzusetzen?

DAVID SOUTHWOOD: Seien wir realistisch. Europa ist nicht in erster Linie aus wissenschaftlichen Gründen ins Weltall gegangen. Die Fähigkeit, Satelliten in die Umlaufbahn zu bringen, ist heute in Bezug auf die Telekommunikation, die Navigation, die Sicherheit usw. strategisch und wirtschaftlich entscheidend und eine der wichtigsten Bemühungen zur Unabhängigkeit. Vor einigen Jahrhunderten musste eine moderne Nation eine Flotte besitzen und in der Lage sein, ihre Schiffe von einem Kontinent zu anderen zu senden. Gleichermaßen müssen wir Raumfahrzeuge, an jeden gewünschten Ort schicken können.

Wenn diese Fähigkeit vorhanden ist, kann sie ebenfalls für die Wissenschaft genutzt werden. Es nicht zu tun, wäre völlig absurd, da allein schon die Fortschritte bei den grundlegenden und angewandten Erkenntnissen, die Dank des Weltalls gewonnen wurden, in einem breiten Spektrum von Bereichen von entscheidender Bedeutung sind. Europa ist eine wesentliche Kraft für die internationale Forschung. Es verfügt über ein hochspezialisiertes Forscherpotential und hat eine wichtige Aufgabe zu erledigen. Auch die Weltraumwissenschaften sind ein Bereich, in dem man in der Lage sein muss, dahin zu gelangen, wohin man möchte.

FTE INFO: Welche wissenschaftlichen Ziele verfolgt die ESA?

DAVID SOUTHWOOD: Die Raumfahrt bietet zwei unterschiedliche wissenschaftliche Blickrichtungen an. Ein Blick, nach außen gerichtet, hat zum Ziel das Universum zu erforschen, in dem wir existieren und aus dem wir uns entwickelt haben. Der andere Blick ist nach unten gerichtet und beobachtet die Erde, auf der wir leben.

Nach außen hin interessieren wir uns natürlich zuallererst für die Erkundung unserer näheren Umgebung, d. h. unseres Sonnensystems, das jetzt immer mehr in die Reichweite unserer Raumfahrzeuge rückt." Im Augenblick kreist ein Express-Raumschiff der ESA um den Planeten Venus und ein anderes um den Planeten Mars. Das Gemeinschaftsprojekt Cassini-Huygens, aus dem Jahr 2004-2005, ist ein voller Erfolg: Das Raumfahrzeug der NASA befindet sich in der Umlaufbahn des Saturnmondes Titan, auf dem die europäische Raumsonde Huygens problemlos gelandet ist. Nicht zu vergessen die Umkreisungen von Smart 1, dem Satelliten, der seit 2004 die Oberfläche unseres Mondes untersucht und vor allem feststellen soll, ob es früher dort Wasser gab. Gleichzeitig hat Europa einen wichtigen Beitrag bei der "Jagd auf Kometen" geleistet, die vor 20 Jahren ihre Premiere mit dem Rendezvous der Sonde Giotto mit Haley hatte. Kometen entstanden noch vor den Planeten und könnten das ursprüngliche Ausgangsmaterial für diese gebildet haben. Natürlich wurde dieses Material erhitzt und hat Zusammenstöße und Aggregationen durchgemacht. Man muss zunächst herausfinden, was passiert ist, um die ursprünglichen "Bausteine" wiederzufinden. Diese großen Erwartungen soll heute die Raumsonde Rosetta erfüllen. Sie wurde im Jahre 2004 gestartet und soll 2014 auf dem Kometen Tschurjumow-Gerasimenko landen. Der Name Rosetta bezieht sich auf den Stein von Rosetta, mit dessen Hilfe Champollion die Entzifferung der ägyptischen Hieroglyphen gelang. Wir suchen nach den Entwicklungscodes der Materie im Sonnensystem eine Materie aus der auch das Leben entstanden ist.

FTE INFO: Der Weltraum beschränkt sich aber nicht nur auf das Sonnensystem...

DAVID SOUTHWOOD: Ganz und gar nicht. Über das Sonnensystem hinaus bietet sich der Astronomie und Astrophysik ein riesiger Beobachtungsbereich, der mit Teleskopen und Detektoren an Bord von Orbitalsatelliten erkundet werden kann. Bei der unermüdlichen Aufnahme von Sternenbildern ist die Beobachtungsstation Hubble besonders erfolgreich. Andere, weniger bekannte Geräte, wie z.B. XMM-Newton, ein Röntgensatellit, sammeln ebenfalls massenhaft wertvolle Daten für die Wissenschaftler.

Die ESA hat mehrere Projekte für die faszinierende Erkundung des Universums in Arbeit. In zwei Jahren werden wir mit derselben Trägerrakete die beiden Satelliten Planck und Herschell ins All bringen. Der erste wird in noch weiter entfernten Galaxien die Entstehung des Universums und die Anfänge seiner Strukturierung, d.h. den Zeitabschnitt unmittelbar nach dem Urknall erforschen. Der zweite soll die Organisation von Materiehaufen, die Entstehung der Galaxien, der Sterne und der Planeten analysieren. Von Herschell erhofft man sich eine Aufklärung der dunklen Seite des Universums, da wo die Gravitation die Masse in Wärme umwandelt, wenn bestimmte Sterne in sich selbst zusammenfallen. Dann ist da noch die zukünftige Mission Gaia. Sie soll in das Zentrum der kosmischen Uhr unserer eigenen Galaxie mit seinen Milliarden Sternen und seiner dunklen Materie abtauchen.

FTE INFO: Kommt bei all diesen Projekten nicht die Beobachtung der Erde zu kurz?

DAVID SOUTHWOOD: Nein, denn das Programm Lebender Planet (Living Planet), das alle Beobachtungsmöglichkeiten der Erde zusammenfasst, stellt etwa die Hälfte des Forschungsaufwandes der ESA im Laufe der nächsten Jahre dar. Die Raumfahrt wird fortan ständig dafür eingesetzt, Kenntnisse über die Funktionsweise des globalen Ökosystems der Erde und der Untersysteme, aus denen es besteht zu erlangen, indem eine Reihe von wichtigen Erscheinungen aufgedeckt werden, die anders nicht erfasst werden könnten. Seit 30 Jahren hat Europa unersetzbares Know-How und Kenntnisse durch das immer dichter werdende Wettersatellitennetz, die Satelliten ERS 1 und 2 (European Remote Sensing) und vor allem Envisat, dem Prunkstück der Erdbeobachtung, gesammelt. Von dieser Satellitenplattform aus nehmen nicht weniger als 10 Geräte seit dem Jahr 2002 Ozeane, Eiskappen, Kontinente und die Atmosphäre unter die Lupe.

Lebender Planet ist die Roadmap, die sich die ESA gesetzt hat, um ihre wichtige Mission in Bezug auf den Klimawandel und die globale Erderwärmung zu erfüllen. Eine Reihe von sechs Satelliten, die Earth Explorers, befinden sich in der Entwicklungs- bzw. bereits in der Herstellungsphase und werden bis 2012 in die Umlaufbahn gebracht. Jeder von ihnen muss ein sorgfältig auf die Anforderungen der "Ärzte" der Erde abgestimmtes Lastenheft erfüllen: für Kenntnisse über die großen Meeresströmungen, den Salzgehalt der Ozeane, den Wasserkreislauf, die Zirkulation in der Atmosphäre, das Schmelzen des Eises usw. All diese Maßnahmen erfolgen unabhängig von der weiteren Entwicklung von Wettersatelliten und der Satelliten, die Teil des berühmten Weltraumsystems GMES (Global Monitoring for Environment and Security) sind.

FTE INFO: Auf der Website der ESA fällt der Blick des Besuchers direkt auf den ersten Menüpunkt: Dort steht Life in Space. Ist es nicht die latente Frage nach dem "außerirdischen Leben", die den Menschen in den Weltraum zieht?

DAVID SOUTHWOOD: Wir wissen auf jeden Fall, dass das "Leben hier" existiert. Wenn wir die Erde aus der Ferne mit einem Satelliten beobachten, machen wir doch nichts anderes als "das Leben im Weltall" zu beobachten? Außerdem ist es höchste Zeit das zu tun, denn wir wissen, dass es sich bei der globalen Erderwärmung, dem Klimawandel, um Prozesse handelt, die die Beziehung zwischen dem Leben und dem Planeten sowie die Verantwortung des Menschen gegenüber "seinem" Planeten in Frage stellen.

Diese Beziehung beeinflusst auch unseren Blick nach außen. Der Gedanke, dass unsere Erde unbewohnbar werden könnte, bringt uns dazu zu untersuchen, wie der enorme Treibhauseffekt alles Leben auf Venus verhindert, und ob auf dem Mars trotz seiner unwirtlichen Erscheinung nicht doch Formen primitiven Lebens existieren. Auf Titan wurden Wasserstoff, Methan, Stickstoff und Wasser gefunden. Wenn dieses Wasser jetzt seinen Sauerstoff abgeben würde, könnten alle Voraussetzungen für das Leben dort gegeben sein. Darüber hinaus bietet sich gegenwärtig die Möglichkeit, Planeten außerhalb unseres Sonnensystems zu erforschen, was vor 20 Jahren noch als Science-Fiction galt.

Die Wissenschaftler versuchen zu verstehen, wie all das - das Universum, das Leben auf der Erde und vielleicht auch das außerterrestrische Leben - entstanden ist. Würde das Universum neu geboren, wäre es nicht sicher, dass es den Menschen noch einmal auf einem Planeten geben wird, der nicht größer ist als die anderen ist und sich in einer Galaxie befindet, die selbst bis ins Unendliche von anderen Galaxien umgeben ist. Die Wissenschaft hat auch eine Vorstellung zum Fortgang der Geschichte. Eines Tages in 5 Milliarden Jahren wird sich die Sonne zu einem roten Riesen entwickelt und die Erde verschluckt haben.

Vielleicht ist unser Planet der einzige Bereich im Universum, auf dem das Leben möglich ist. Aber vielleicht wimmelt es in diesem Universum auch buchstäblich von Leben. Das hat eine moralische Bedeutung. Sollten wir einzigartig sein, ist nämlich in gewisser Weise unser Überleben eine besondere Herausforderung. Falls wir aber nur ein Fall von vielen anderen sind, verliert es an Bedeutung. Dann könnten wir, wenn der Augenblick gekommen ist, einfach das Licht ausgehen lassen.


Möchten Sie mehr wissen?
www.esa.int/esaSC/ index.html


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

> David Southwood, wissenschaftlicher Direktor der ESA: "Die Raumfahrt wird fortan ständig dafür eingesetzt, Kenntnisse über die Funktionsweise des globalen Ökosystems der Erde und seiner Untersysteme zu erlangen, indem eine Reihe wesentlicher Phänomene aufgedeckt werden, die anders nicht erfasst werden könnten."

> Die Nordostküste Sri Lankas aus der Sicht von Envisat, während des Tsunami am 28. Dezember 2004 (oben) und die von ERS-2 aufgezeichneten Schäden dieser Katastrophe.

> Der Satellit Spainsat auf der Spitze der Trägerrakete Ariane 5.


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Quelle:
FTE info - Sonderausgabe EIROforum, Februar 2007, Seite 34-35
Magazin über europäische Forschung
Copyright: Europäische Gemeinschaften, 2006
Herausgeber: Referat Information und Kommunikation der
GD Forschung der Europäischen Kommission
Chefredakteur: Michel Claessens
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FTE info wird auch auch auf Englisch, Französisch und
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. August 2007