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FORSCHUNG/342: Schadstoffe als Kraftstoffe (reasearch*eu)


research*eu Nr. 57 - Juli 2008
Magazin des Europäischen Forschungsraums

Schadstoffe als Kraftstoffe!

Von Delphine d'Hoop und Marie-Francoise Lefevre


Wir müssen eine Alternative zum derzeitigen erdölbasierten Energiemodell finden. Doch erneuerbare Energien lassen sich nicht ohne Weiteres speichern und transportieren. Ein neues Konzept zeichnet sich ab: Wie wäre es, wenn wir die Schadstoffemissionen, die die Atmosphäre verpesten, in Kraftstoff umwandeln könnten? Genau das ist dem im Februar 2008 abgeschlossenen Sondierungsprojekt 'ELCAT (Electrocatalytic Gas-Phase Conversion of CO2 in Confined Catalysts)' durch Umwandlung von Kohlendioxid in Kohlenwasserstoff gelungen.


Die Energiefrage ist allgegenwärtig. Überall wird daran erinnert, dass die fossilen Brennstoffvorräte unweigerlich zu Ende gehen und dass gleichzeitig die Atmosphäre mit CO2 gesättigt wird - mit ernsthaften Konsequenzen, die wir jetzt schon täglich zu spüren bekommen. Eines der spannendsten Forschungsprojekte hat sich jetzt vorgenommen, diese Situation zu ändern: Es will autonome Brennstoffzellen entwerfen und herstellen, die Kohlendioxid mithilfe von Sonnenenergie in einen flüssigen Kraftstoff umwandeln können, der direkt in einen Motor eingespritzt werden kann.

Mit dem System für dieses Verfahren lässt sich ein sofort einsetzbarer Kraftstoff produzieren, im Gegensatz zum Wasserstoff, bei dem beispielsweise die Entwicklung der Infrastrukturen zur Verteilung noch Ressourcen und Zeit erfordern.


Geschichte einer Utopie

Anfangs sah es nicht gut aus. Das Kohlendioxidmolekül - CO2 - ist nämlich besonders stabil. Um die Atome zu trennen, aus denen es besteht, ist eine sehr energieintensive Reaktion notwendig. Diesem Energiehunger war das japanische Team vom Hitachi Green Center, das in den 1990er Jahren dieses Verfahren als Vorreiter untersuchte, nicht gewachsen.

Dennoch wollten die Wissenschaftler den Traum nicht aufgehen. Anfang dieses Jahrzehnts beschlossen Forscher der Universität Messina (IT), die Forschungsarbeiten fortzusetzen. Sie wollen die Sonnenenergie nutzen. Da sie grundsätzlich kostenlos und nach Beliehen verfügbar ist, war die Hürde der Energiekosten erst einmal aus dem Weg geräumt.

Im Laufe ihrer Arbeiten stellten die italienischen Wissenschaftler fest, dass eine elektrokatalytische Reaktion unter Umgebungsbedingungen für Temperatur und Druck möglich ist. Hierfür müssen sie Nanoröhren verwenden, die erst seit kurzem in großem Maßstab produziert werden. Das Forschungsteam umgibt sich also mit Partnern, deren Fähigkeiten auf sich ergänzenden Gebieten liegen. Und so wurde 2004 das europäische Projekt ELCAT auf den Weg gebracht.


Machbarkeit bewiesen

ELCAT wird mit etwa 875.000 EUR im Rahmen des Programms NEST (New and emerging science and technology) des 6. Rahmenprogramms finanziert. Dominique Bégin ist Forscher am CNRS (Centre National de la Recherche Scientifique, FR) und verantwortlich für den französischen Teil des Projekts im Labor für Werkstoffe, Oberflächen und Verfahren (Laboratoire des Matériaux, Surfaces et Procédés pour la Catalyse) an der Universität Louis Pasteur in Straßburg (FR). Er erklärt, welche Ziele ELCAT verfolgt: "Das Projekt untersucht zunächst die Machbarkeit des Verfahrens. Wir interessieren uns noch nicht für die Wirtschaftlichkeit, denn diese ist beim derzeitigen Stand sehr gering.

Die im Rahmen des Projekts durchgeführten Tätigkeiten haben gezeigt, dass die Umwandlung möglich ist. "Es handelt sich nicht nur um Grundlagenforschung, sondern ebenfalls um Forschung zur Machbarkeit, bei der die Wirtschaftlichkeit nicht im Vordergrund steht", fährt der französische Wissenschaftler fort.


Der Trick der sanften Chemie

Und das Verfahren funktioniert! Aus Kohlendioxid stellt eine Zelle unter vertretbaren Bedingungen Kohlenwasserstoffe her. Die erste Phase besteht darin, im ersten Teil der Zelle mithilfe von Sonnenenergie und einem Titanoxid-Katalysator die Wassermoleküle in Protonen und Elektronen aufzubrechen. Das Ergebnis: Energie in Form von Wasserstoff und Elektronen, die dann in der zweiten Phase umgewandelt werden müssen, um eine Energieform zu erzielen, die in den bestehenden Infrastrukturen verwendet werden kann, d. h., flüssige Kraftstoffe mit hoher Energiedichte.

In diesem zweiten Schritt wird auf der anderen Seite der Zelle mithilfe der Elektronen und Protonen das CO2 reduziert und es werden CxHy-Verbindungen, die berühmten Kohlenwasserstoffe, produziert.

Dieser Teil der Reaktion findet in Kohlenstoffnanoröhren statt, die als Elektronenleiter dienen. Um die Katalyse zu ermöglichen, werden ihre inneren Wände mit Platin beschichtet. Diese Technologie ist der Schlüssel zum Erfolg durch sanfte Chemie. Diese junge Disziplin orientiert sich am Stoffwechsel der Lebewesen, um den hohen Energieverbrauch der Reaktionen zu umgehen, die nur bei sehr hohen Drücken bzw. Temperaturen ausgelöst werden.

Der eigentliche Trick liegt aber vor allem in der Größe der Nanoröhren, die einen extrem kleinen Durchmesser von 50 nm aufweisen. Daraus ergibt sich eine Kapillarwirkung, die zum Einschluss der Materialien in der Nanoröhre führt: Der "Druck" wird darin folglich minimal erhöht. Dadurch wird die Umwandlung von CO2 in einer Umgehung möglich, in der weder die Druck- noch die Temperaturparameter verändert wurden und die als Standardbedingung angesehen werden kann: 20°C und 1 Atmosphäre (= 101,325 kPa).


Kohlenwasserstoffe und Alkohole

Die Vorrichtung, in der diese Reaktionen stattfinden, besteht aus einem einzigen System, mit dem tatsächlich Brennstoffe produziert werden konnten. "Im letzten Jahr ist es ELCAT gelungen, seine Aufgabe zu erfüllen", erklärt Linda Perathoner, Projektleiterin an der Universität Messina (IT), "wir haben die Reaktion sogar mit Eisen durchgeführt, das ist zwar viel billiger als Platin, aber die Ausbeute ist ebenfalls geringer."

Eine andere Feststellung der Forscher: Die aus dem System austretenden Produkte enthalten nicht nur Kraftstoffe, sondern auch eine Mischung aus Kohlenwasserstoffen und Alkoholen, Zurückzuführen ist dies darauf, dass die Reaktion von Wasser und CO2 zu zwei verschiedenen Ergebnissen führen kann (Kohlenwasserstoffe - CxHy - und Alkohole - CxOHy). Die Mengenverhältnisse der einzelnen Verbindungen hängen von den Eigenschaften der bei der Katalyse verwendeten Werkstoffe (Platin, Eisen usw.), ihrer Menge und dem Durchmesser der Nanoröhren ab. Aufgrund dieser vielfältigen Faktoren ist es den Wissenschaftlern bisher noch nicht gelungen, dieses Verhältnis vollständig zu kontrollieren.

Doch sind sie erst einmal getrennt, könnten die einen als Kraftstoffe und die anderen für die Synthese nützlicher Derivate dienen, denn sie können in Verbindungen umgewandelt werden, die in allen Produktionskreisläufen der chemischen Industrie und insbesondere im kosmetischen und pharmazeutischen Sektor verwendet werden. Im Anschluss an das Projekt bieten sich also mannigfaltige Einsatzmöglichkeiten.


Der Erfolg der Zusammenarbeit

Der Erfolg von ELCAT beruht zum großen Teil auf einer europäischen Partnerschaft, die sich durch eine bemerkenswerte Aufgabenverteilung auszeichnet. Das Team der Universität Messina (IT) überwachte die Faktoren für die Umwandlung des CO2 in Kohlenwasserstoffe und Alkohole mit Protonen-Austausch-Membranen und Kohlenstoffnanoröhren. Die Forscher der Universität Patras (GR) untersuchten eine Alternative für die Bildung von Kohlenwasserstoffen. Sie verwendeten Sauerstoffanionen leitende Membranen und Kohlenstoffnanoröhren, um der Reaktionsumgehung den Sauerstoff zu entziehen und damit das CO2 und den Wasserstoff zu Kohlenwasserstoffen zu reduzieren. Die französischen Wissenschaftler stellten ihrerseits im großen Maßstab Nanoröhren mit den optimalen Eigenschaften für die Umwandlung her. Und das Team des Fritz-Haber-Instituts der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin (DE) brachte sein Wissen um fortschrittliche Methoden zur Charakterisierung der Werkstoffe ein.

"Jeder hat eine bestimmte Rolle gespielt", erklärt Dominique Bégin, "und seine Kompetenzen und Fähigkeiten beigetragen. Und ein gutes Miteinander ist ausschlaggebend, denn bei den im Rahmen des Projekts durchgeführten Forschungsarbeiten gab es auch Rückschläge. Beispielsweise traten neben den zahlreichen Problemen bei der Produktion offener Röhren noch weitere auf, als sichergestellt werden musste, dass die Platinteilchen das Innere und nicht das Äußere der Röhren bedeckten, was letztendlich dank der Prüfungen durch unsere deutschen Partner nachgewiesen werden konnte."


Und dann?

Am Ende besteht das System, das die beiden Umwandlungsetappen zusammenfasst, nur aus wenigen Quadratzentimetern. Es existiert bereits als Prototyp im Labor und produziert gegenwärtig nur einige Milliliter Kohlenwasserstoff. Aber zahlreiche Aussichten nehmen bereits konkrete Formen an. "Die Anwendungen wären eher für Fabriken und Kraftwerke geeignet, die für den größten Teil der CO2-Emissionen verantwortlich sind. Die Vorrichtungen würden dort montiert, wo der Schadstoffausstoß erfolgt, z. B. in den Schornsteinen", erklärt Linda Perathoner. "Für die Entwicklung dieser Anwendung im industriellen Maßstab werden rund zehn Jahre benötigt. Außerdem gibt es weitere Ideen, wie z. B. den Einbau in Kfz-Auspuffe oder die Kohlendioxidabscheidung aus der Atmosphäre. Wie gesagt handelt es sich hierbei um sehr langfristige Aussichten", fährt sie fort.

Linda Perathoner erwähnt auch eine andere durchaus überraschende Anwendungsmöglichkeit. "Ein Satellit könnte zur Beobachtung des Mars mit Energie gespeist werden. Die Marsatmosphäre ist stark CO2-haltig, wodurch ein ELCAT-Prototyp optimal die Anforderungen eines derartigen Programms erfüllen würde. Der Satellit würde in der Umlaufbahn des Mars zuerst die von der Erde mitgebrachten Brennstoffreserven verbrauchen, bevor er mit der Produktion seines eigenen Kraftstoffes beginnen würde. Damit verlängert sich die Dauer seiner Einsatzbereitschaft enorm."


Jetzt geht's um die Wirtschaftlichkeit

In naher Zukunft wird sich das Team jedoch vor allem auf die Ausweitung der Konzeptentwicklung konzentrieren. "Der Prototyp des Systems und die produzierten Alkohol- und Kohlenwasserstoffproben ermöglichen es uns, den öffentlichen und privaten Sektor davon zu überzeugen, in die Verbesserung des Verfahrens zu investieren", erklärt Linda Perathoner, "und sich vor allem auch für die Frage der Wirtschaftlichkeit zu interessieren."

Um diese zu verbessern, haben die Projektkoordinatoren bereits Finanzierungsangebote aus dem privaten Sektor erhalten. ELCAT nimmt auch an dem von Richard Branson ins Leben gerufenen medienträchtigen Wettbewerb Virgin Earth teil. Das Team wird auch nach einer neuen Finanzierung unter dem 7. Rahmenprogramm suchen, sobald eine Frojektausschreibung auf einem Gebiet stattgefunden hat, das dieser Aktivität entspricht. Die Entwicklung dieser Technologien sollte ermutigende Zukunftsaussichten eröffnen und hoffen lassen, dass sie Antworten auf die aktuellen Umwelt- und Energiefragen bieten.


info
ELCAT
4 Länder - 4 Partner (DE-FR-GR-IT)
www.elcat.org


Eine 25-Millionen-Dollar-Idee

Diese Summe könnte das ELCAT-Projekt einstreichen, wenn es den Virgin-Earth-Wettbewerb gewinnt, der vom englischen Geschäftsmann Richard Branson organisiert wird. Obwohl man sagen kann, dass es sich hierbei um einen schönen Werbecoup handelt, ist es dennoch das höchste Preisgeld, das je im Rahmen eines wissenschaftlichen Wettbewerbs ausgeschrieben wurde. Um ihn zu gewinnen, müssen die teilnehmenden Projekte ausführlich folgende Frage beantworten: Gibt es eine Möglichkeit, das CO2 in der Atmosphäre zu entfernen? An Ideen fehlt es nicht. Neben den Konzepten, die mit Änderungen des Konsumverhaltens einhergehen - wie z. B. Telearbeit - oder denjenigen, die sich auf die CO2-Sequestrierung beschränken, machen drei andere Projekte Elcat und seinem Ziel, Kohlendioxid in Kraftstoff umzuwandeln, direkt Konkurrenz...

Hierzu gehört das Projekt Artificial Trees, das eine Technologie zur Gewinnung von CO2 aus der Atmosphäre über eine absorbierende Beschichtung auf den "Flügelblättern" künstlicher Bäume entwickelt. Das Ziel: etwa 90.000 Tonnen CO2 pro installiertem Modul abscheiden. Diese Anlagen würden dann mit einem System verbunden, welches das CO2 in synthetischen Dieselkraftstoff umwandelt, der direkt in den Motor eingespritzt werden kann. In dieselbe Richtung geht das Projekt Artificial Leaves, das sich mit der Herstellung künstlicher Blätter aus Halbleitern befasst. Diese ermöglichen je nach Beschaffenheit und Aufbau der verwendeten Oberflächen sowohl die Abscheidung von CO2 als auch die Produktion von Sauerstoff, Wasserstoff oder Kohlenwasserstoffen.

Schließlich scheint Algae Bioreactor das Konzept zu sein, das der Kommerzialisierung im großen Maßstab am nächsten ist. Die GreenFuel Technologies Corporation, welche das Projekt leitet, hat eine einzellige Alge entdeckt, die in der Lage ist, durch CO2-Aufnahme einen unmittelbar marktfähigen Biokraftstoff zu produzieren. Abgesehen von gewaltigen Investitionen in Risikokapital ist dieses Unternehmen dabei, eine Partnerschaft mit öffentlichen und privaten amerikanischen Unternehmen abzuschließen, um eine elektrische Anlage zu bauen. Die gezüchteten Algen produzieren 350 Mio. Liter Biokraftstoff pro Jahr, womit eine elektrische Anlage von 1000 MW gespeist werden kann.

Hervorzuheben ist schließlich noch, dass von den zehn ausgewählten Projekten ein Drittel aus europäischer Forschungszusammenarbeit stammt.

info
www.virginearth.com
the25milliondollaridea.blogspot.com


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 28: Vergrößerte Darstellung des doppelten Aufbaus zum Anstoß des Protonenaustauschs in einer photoelektrokatalytischen Zelle.

Abb. S. 29: Photoelektrokatalytischer Reaktor (PEC-Reaktor): Die Wasserstoffprotonen, die aus der Wasserspaltung durch Photokatalyse unter Sonneneinstrahlung und mit Beteiligung einer Nanostruktur aus Titan hervorgehen, werden anschließend mithilfe einer Membran übertragen, um die elektrokatalytische Reduktion des CO2 in flüssigen Brennstoff auf den in die Nanoröhren integrierten Metallstrukturen herbeizuführen.

Prinzip des künstlichen Baumes: Der mit Sonnenenergie gespeiste photoelektrokatalytische Reaktor spaltet die Wassermoleküle, deren Elektronen und Protonen anschließend die Umwandlung einer konzentrierten CO2-Strömung in flüssigen Brennstoff ermöglichen.


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Quelle:
research*eu Nr. 57 - Juni 2008, Seite 27 - 29
Magazin des Europäischen Forschungsraums
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auf Englisch, Französisch und Spanisch herausgegeben.


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Januar 2009