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BERICHT/151: Brieffundus hessischer Offiziere zum Unabhängigkeitskrieg (idw)


Philipps-Universität Marburg - 17.03.2008

Brieffundus hessischer Offiziere reflektiert unzensiert den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg


Private Briefe bieten anders als offizielle Schreiben intime Einblicke, da sie unzensiert persönliche Ansichten widerspiegeln. Insofern ist der jüngste Fund des Hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde mehr als vielversprechend: In 140 Briefe berichteten hessische Offiziere von ihren Erfahrungen im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg 1776 bis 1783. Der Adressat dieser Briefe, Georg Ernst von Gilsa, der aufgrund einer Kriegsverletzung auf seinem hessischen Landsitz verblieben war, ließ sich nicht nur von befreundeten, verwandten oder bekannten hessischen Offizieren aus diesem Krieg berichten, sondern zeitgleich schrieb er Tagebuch, in dem er die aktuellen Ereignisse reflektierte.

"Der Fund ist einzigartig, vor allem weil sich die private Briefsammlung zusammenhängend über den gesamten Kriegsverlauf spannt", erklärt Dr. Holger Gräf vom Hessischen Landesamt für geschichtliche Landeskunde. Als der Historiker zusammen mit einem Nachfahren der von Gilsa vergangenes Jahr in dessen familiärem Schloss die über zweihundert Jahre alten Briefbündel im Pappkarton entdeckte, erkannte er sofort deren Potenzial. Schon nach der ersten flüchtigen Sichtung des Materials sei klar, dass die Reflexion über den Kriegsgegner sehr schnell in eine wachsende Hochachtung gegenüber der "amerikanischen Nation" umschlage, so Gräf.

Insgesamt wurden die Briefe von zwölf Personen geschrieben, besonders intensiv von fünf Kriegsteilnehmern, darunter ein Feldprediger, Kommandeure und Leutnants. "Diese jungen hessischen Offiziere erlebten in Nordamerika erstmals ein Laboratorium der neuen Ideen. Wo sie zuerst hinabschauten auf die aufbegehrenden Bauernsöhne, da schrieben sie bald von einer besonderen und eigenen Dynamik eines jungen Volkes", sagt Prof. Dr. Christoph Kampmann, Professor für Geschichte an der Philipps-Universität Marburg. Der Fund sei hervorragend geeignet, um abstrakte Themen wie Selbstverständnis von Adel, Nation und Demokratie plastisch zu veranschaulichen, nicht nur in der Forschung, sondern auch in der Lehre.

In den nächsten zwei Jahren werden die Briefe mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft editiert. "Weniger die Abschrift des schwer lesbaren Textes ist zeitaufwändig als die Identifizierung der Personen und Ortschaften", erklärt die zukünftige Bearbeiterin Lena Haunert, die derzeit bei Kampmann promoviert. Eine englische Übersetzung wird wahrscheinlich folgen, weil historische Quellen dieser Art in den USA sehr nachgefragt sind. "Tatsächlich ist es sehr überraschend, dass solche Briefe noch entdeckt werden konnten", weis Kampmann. Bereits im 19. Jahrhundert schrieb der damalige amerikanische Botschafter in Berlin, John Bancroft, ein Standardwerk zum Unabhängigkeitskrieg, nachdem er systematisch alle erhältlichen Quellen zum Unabhängigkeitskrieg, die heute in der Public Library in New York aufbewahrt werden, zusammengetragen hatte. Nach dem zweiten Weltkrieg suchten die Amerikaner erneut nach deutschen Archivalien zu ihrer Gründungsgeschichte.

Der Marburger Historiker Prof. Dr. Christoph Kampmann, die zukünftige Bearbeiterin der Briefe, Lena Haunert, und Dr. Holger Gräf vom Hessischen Landesamt für geschichtliche Landesgeschichte.Insbesondere Hessen spielt hier in sehr große Rolle. Denn das im 18. Jahrhundert noch stärker als Preußen militarisierte Land (über zehn Prozent seiner Bevölkerung war damals in der Armee) stellte das mit Abstand größte Kontingent in englischen Diensten. "Im Laufe des Krieges waren rund 20.000 hessische Söldner in Nordamerika, sodass es für unsere Landesgeschichte ein 'Generationenerlebnis' war wie sonst nur der erste oder der zweite Weltkrieg", erklärt Gräf die Bedeutung für Hessen. Auf der anderen Seite wurden die hessischen Söldner von den Amerikanern als "arme verkaufte Landeskinder" betrachtet, was zur Folge hatte, dass man sie besser behandelte als die Vertreter des ehemaligen Mutterlandes England. Deshalb pflegten die Amerikaner auch intensiven Kontakt besonders zu den hessischen Söldnern. "Der direkte Austausch spiegelt sich in den Briefen, die uns damit wertvolle Hinweise sowohl über das amerikanische Unabhängigkeitsstreben als auch über die hessische Landesgeschichte gaben", freuen sich die Historiker Gräf und Kampmann.

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Philipps-Universität Marburg, Dr. Viola Düwert, 17.03.2008
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2008