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BERICHT/157: Zeitreise - Das "Asyut-Project" (JOGU - Uni Mainz)


[JOGU] Nr. 203, Februar 2008
Das Magazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Zeitreise
Das "Asyut-Project"

Von Ulrike Brandenburg


Nach vielversprechenden Grabungskampagnen - es gelang unter anderem der Sensationsfund eines ungestörten Fürsten-Grabes - ist das von der Mainzer Ägyptologin und Professorin Ursula Verhoeven-van Eisbergen geleitete so genannte "Asyut-Project" kürzlich in die Langfristförderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) aufgenommen worden. Seit 2003 untersuchen Verhoeven-van Eisbergen und ihr Team den Gräberberg von Assiut. im Herzen Ägyptens gelegen, besitzt die von 2000 v. Chr. bis 500 n. Chr. genutzte Nekropole eine zentrale Bedeutung auch für das kulturelle Gedächtnis des Landes.


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Mittelägypten um 2000 nach Christus. Über der modernen, eine halbe Million Einwohner zählenden Metropole Assiut erhebt sich der antike Gräberberg, und auch der Fels erscheint als Konglomerat unendlich vieler Gesichter. Mit leeren Augen starrt die Nekropole auf die Großstadt zu ihren Füßen, zahllose Steinmünder scheinen den Smog einzusaugen, der auch hier, in Mittelägypten, Preis des wirtschaftlichen Fortschritts ist. Mehr als tausend Grabhöhlen hatten die Menschen des Altertums angelegt. Die Eingänge zu den Bestattungsräumen sind heute weitgehend schmucklos, ihr Fassaden-Dekor fiel Steinbrucharbeiten zum Opfer. Dennoch ist und bleibt Assiut, zu Deutsch "Wächterstadt", eine archäologische Sensation. Im Berginneren verbergen sich steinerne Textdenkmäler, die bereits die antiken Einwohner Ägyptens als wichtigen Beitrag zur eigenen kulturellen Identität auffassten - viele der frühen Grabinschriften Assiuts sind später andernorts wieder verwendet worden.

Mittelägypten um 2000 vor Christus. Noch herrscht buntes Alltagsleben in den Straßen und Gassen der "Wächterstadt", doch der Friede täuscht. Die Zentralregierung des "Alten Reiches" ist zusammengebrochen, ihre Befehlsgewalt ist an eine Vielzahl konkurrierender lokaler Regenten übergegangen. Das Prestige dieser so genannten Gaufürsten hängt von ihrer Fähigkeit ab, die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung zu garantieren, die Grenzen der Kleinfürstentümer zu sichern und den lokalen Gottheiten priesterlichen Respekt zu erweisen. Die großen Pharaonen Agyptens sind zu diesem Zeitpunkt bereits ferne Legenden - die Pyramiden des Cheops und des Chephren in Giza werden auch vor 4.000 Jahren schon als Monumente einer glanzvollen Vergangenheit wahrgenommen, die, anders als die damalige Gegenwart, vor allem eines kannte: politische Stabilität.

Die Kleinfürsten dieser "Ersten Zwischenzeit" der ägyptischen Antike haben reichlich Gelegenheit zur Selbstprofilierung, besonders die Herrscher von Assiut - die Stadt, deren kanidengestaltige Schutzgottheit nicht zufällig Upuaut, "Der Wegeöffner", heißt, liegt im Herzen Ägyptens; was ehemals ein wirtschaftlicher Vorteil war, wird nun zum militärisch-strategischen Problem: Die Regenten Assiuts müssen sich im Bürgerkrieg bewähren.

Vermutlich wurden Assiuts Herrscher im Norden, das heißt am Königshof von Herakleopolis, erzogen, denn sie stellen sich den thebanischen Aggressoren entgegen, welche um 2170 v. Chr. beginnen, Ägypten vom Süden aus zu erobern. Spätestens im Jahre 2065 ist der Bürgerkrieg auch in der "Wächterstadt" angekommen. 40 lange Jahre wird er währen, so lange also, bis der Thebaner Mentuhotep II. als Pharao Gesamtägyptens die Epoche des "Mittleren Reiches" einleitet.

Seit der napoleonischen Expedition von 1799 bekannt, wenngleich nicht umfassend erforscht, sind unter anderem die Gräber des Gaufürsten Iti-ibi und seines Sohnes Cheti II. - die genaue Abfolge aller Regenten festgelegt zu haben, ist aktuelles Mainzer Verdienst. Dem fürstlichen Vater gelingen mehrere Siege gegen die Thebaner. Stolz lässt er seine Erfolge in Stein meißeln, und zwar in die Wände seiner gerade im Entstehen begriffenen Grabanlage. Die Inschrift allerdings bleibt nicht bestehen: Das Kriegsglück wendet sich, schnell lässt der Bauherr die Grabwände mit einer Gipsschicht überziehen, die neuen Schriftzeichen vermitteln eine politisch neutrale Botschaft. Der Sohn Iti-ibis hingegen vermag offen und voller Stolz über die Rückeroberung Assiuts zu berichten. Das Innere seines Grabes zieren Darstellungen marschierender Soldaten. Einen glanzvollen Begräbnisort leistet sich auch Gaufürst Djefai-Hapi I. - und das, obgleich sich im Jahre 1980 vor Christus bereits eine neue Zentralregierung etabliert hat und der Lokalherrscher eigentlich nur mehr Bürgerstatus besitzt. Die Vereinbarungen mit zahlreichen Priestern zur Sicherung seines Totenkultes, die Djefai-Hapi in eine Felswand seiner elf Meter hohen Grabanlage meißeln lässt, sind in ihrer Ausführlichkeit bislang einzigartig.

Die Architekturpläne der Gräber und die Zeichnungen ihrer Dekorationen, welche Napoleon anfertigen ließ, sind heute von unschätzbarem Wert. Anwohner nutzten im 19. Jahrhundert den Gräberberg als Steinbruch, Anfang des 20. Jahrhunderts rückten Franzosen, Italiener und Briten an, um die Museen ihrer Heimatländer mit Funden aus den Begräbnisschächten aufzufüllen. Diese so genannten Archäologen gingen keineswegs zimperlich zu Werke. Mit Dynamit sprengte man sich (martialisch: David George Hogarth für das British Museum) den Weg ins Berginnere frei. Attraktive Fundstücke wurden ohne Angabe des Fundortes an die Heimatinstitutionen geschickt, mit vorgeblich weniger Wertvollem verfüllte man die entstandenen Leerräume. Am abendlichen Lagerfeuer aus altägyptischen Sargbrettern (ja, tatsächlich!) entkorkten die Herren Wissenschaftler (trinkfest: Ernesto Schiaparelli, Direktor des Turiner Ägyptischen Museums und Charles Palanque vom Pariser Louvre) so manche Flasche Rotwein, wie im Rahmen der aktuellen Grabungskampagnen festgestellt werden konnte.

Angesichts dieser Forschungsgeschichte(n) verwundert es nicht, dass die gegenwärtigen Mainzer Kampagnen vieles nachzuholen haben. Zwar hatten Pseudowissenschaftler in den vergangenen 80 Jahren keinen Zutritt mehr zur vom Militär gesperrten Nekropole - die Nutzung des Berges durch die ägyptische Armee hat übrigens keine Schäden verursacht - aber auch Wissenschaftler konnten in den zurückliegenden Jahrzehnten nicht in Assiut arbeiten. Insofern erweist sich das von Professor Jochem Kahl (welcher inzwischen von Münster nach Mainz wechselte) und Professor Mahmoud El-Khadragy (Universität Sohag) am Anfang des Jahrtausends initiierte "Asyut Project" als Glücksfall.

Bereits der Survey, die erste Geländeuntersuchung also, führte 2003 zu neuen Erkenntnissen. Im Grab des Iti-ibi, jenes Gaufürsten also, der schließlich den Thebanern unterlag, entdeckten die Wissenschaftler eine zweite Pfeilerreihe; dieser Befund zog inzwischen eine Neubewertung der Grabarchitektur der "Ersten Zwischenzeit" nach sich.

Assiut 2004. Im Rahmen der ersten Feldkampagne - finanziert von der Johannes Gutenberg-Universität - können endlich die Kartierung des Gräberberges und die Dokumentation der bekannten Anlagen und Dekorationen sowie deren weitere Erforschung in Angriff genommen werden. Diese dringend notwendige Bestandsaufnahme stellt eine Premiere in der Grabungsgeschichte der "Wächterstadt" dar, denn zu den historischen Versäumnissen zählt auch die unvollständige Untersuchung der früh gefundenen Gräber. Am Ende dieser ersten Kampagne können die Mainzer unter anderem 1.000 Fragmente von Diener-Figürchen, so genannten Uschebtis, präsentieren. Diese potentiellen Jenseitshelfer der Verstorbenen sind mit den Namen ihrer Besitzer beschriftet; von Hogarth, Schiaparelli, Palanque & Co. verschmäht, vermögen diese Artefakte heute Aufschluss über die Bewohner der antiken Stadt zu geben.

Während der zweiten Kampagne - nun als DFG-Projekt unter der Leitung von Professorin Ursula Verhoeven-van Eisbergen durchgeführt - gelingt die Sensation. Die Mainzer entdecken ein bislang völlig unbekanntes Gaufürsten-Grab. Die vollständig dekorierten Wände von "N13.1" liefern seitdem auch neue Erkenntnisse zum ägyptischen Schulwesen.

Mainz 2007. Auf dem Besuchertisch ihres Dienstzimmers breitet Ursula Verhoeven Papierbögen von achtfacher Din-A4-Größe aus. Hier und dort sind, zwischen kurzen oder längeren Textpassagen historisch handgeschriebener Hieroglyphen, auch Tierfiguren und Personendarstellungen zu entdecken. Verhoeven deutet auf einzelne Passagen. "Es bleiben noch viele fragliche Stellen", lächelt sie; die Gewissheit, auch diese jüngst von den Wänden des ,Mainzer Grabes' abgepausten, zum Teil verblassten, zum Teil zerstörten Texte sinnvoll ergänzend entziffern zu können, ist der Spezialistin bei aller Bescheidenheit dennoch anzumerken.

Der Kleinfürst Iti-ibi-iqer, welcher sich am Ende der "Ersten Zwischenzeit", genauer, um 2030 vor Christus, in "N13.1" bestatten ließ, faszinierte Assiuts Bürger noch in der Epoche des "Neuen Reiches" - sie verehrten die "trefflichen und hilfreichen Totengeister" (Ach-iker) der alten Grabinhaber, wie Verhoeven anhand einer Textpassage ihres riesigen Konvolutes erläutert: 500 Jahre nach seiner Fertigstellung wurde das Grabmal des Ibi-iti-iqer zum Ausflugsziel für angesehene Schreiber und Priester der Stadt, welche etwa den Ausblick auf die Tempel Assiuts genossen. Entsprechend zeugen 140 so genannte Besuchergraffiti von der Auseinandersetzung dieser gebildeten Touristen mit der Tradition ihres Landes. Ungewöhnlich ist, dass diese Gäste auch lange Passagen berühmter, lehrhafter Schultexte an den Grabwänden hinterließen. Dabei bezogen die späteren Schreiber das Vorgefundene mit ein, sie nutzten sorgsam dessen illustrative Qualitäten. So findet sich neben der Darstellung von Holzhandwerkern aus der Zeit Iti-ibi-iqers ein späteres langes Graffito von der bekannten Lehre, in der ein Vater seinem Sohn den Schreiberberuf ans Herz legt. Als angesehener Schriftkundiger, so übersetzt Verhoeven, habe der Sohn Zugang zu vielerlei Informationen, und von den Widrigkeiten anderer Berufe, eben der Anstrengung der Holzverarbeitung, bliebe er verschont - oder auch vom für Wäscher und Fischer bestehenden Risiko, von einem Krokodil angegriffen zu werden.

Die Arbeitszeiten der Archäologen richten sich nach dem Dienstplan der ägyptischen Polizei, ohne Sicherheitseskorte darf niemand den Berg betreten. Einen Vorteil hat diese alle Eventualitäten berücksichtigende Security-Maßnahme immerhin: Im archäologischen Bedarfsfall packen die Staatsdiener mit an.

Unterstützt werden die Professoren Verhoeven, Kahl und El-Khadagry zudem von einer Bauforscherin, einem Fotografen, zwei Epigrafikern, einer Anthropologin, einer Zooarchäologin, einem Archäobotaniker sowie Inspektoren und Restauratoren des ägyptischen Antikendienstes (SCA) - und von Studierenden. Etwa der Mainzer Doktorandin Monika Zöller, welche einen Teil der Grabungsaufsicht inne hat. 49 kleine Schachtgräber entdeckte das Team inzwischen im Vorhof von "N13.1" - von der Nähe zum Fürstengrab erhoffte man sich in der Antike prominente Fürsprache im Jenseits. Zöller überwacht die Schachtleerungen, außerdem seilt sich die Hobby-Bergsteigerin zwecks Bauuntersuchung auch gerne mal in die bis zu zehn Meter tiefen Grabkammern ab - zum Erstaunen der Ägypter, die einer Frau dieses Maß an Sportlichkeit bisher nicht zutrauten.

Stichwort "Grabungsalltag" - dieser sei tatsächlich anstrengend, und manchmal stünde frau, so erzählen beide Wissenschaftlerinnen verschmitzt, auch ziemlich allein da - zum Beispiel bei Fledermausalarm, dann suche so mancher ägyptische Grabungsarbeiter nämlich das Weite. Ansonsten aber stelle die auf Englisch und 'Küchenarabisch' gemanagte Kommunikation kein Problem dar. Von der harmonischen internationalen Kooperation profitieren alle Seiten, am meisten aber die antiken Denkmäler. Immerhin gibt es in Assiut noch so viel zu tun, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) das "Asyut Project" in ihre Langfristförderung aufgenommen hat. Mindestens bis 2017 sollen die Wissenschaftler unterstützt werden, konkret bewilligt sind 513.000 Euro für den Förderzeitraum bis 2010.

Dass Verhoeven-van Eisbergen Ende des vergangenen Jahres der mit 25.000 Euro verbundene "Akademie-Preis des Landes Rheinland-Pfalz 2007" verliehen wurde, ist allerdings nicht allein ihrem Engagement in Assiut geschuldet - sondern vielmehr ihrer ägyptologischen Forschung auf verschiedenen, auch interdisziplinären Gebieten - so befasst sich die Wissenschaftlerin unter anderem mit den Sprachstufen des Alt-, Mittel-, und Neuägyptischen, in diesem Kontext gilt ihr spezielles Forschungsinteresse den verschiedenen Formen des Hieratischen, der altägyptischen Schreibschrift also. Darüber hinaus fordern eine breit gefächerte Lehre für über 220 Studierende und das große Interesse der Öffentlichkeit die Professorin des "kleinen Fachgebietes", das sie allein mit einer Mitarbeiterin vertritt, das ganze Jahr über. Da bieten die wenigen Wochen in Assiut, so Verhoeven, "eine willkommene Möglichkeit zur Zeitreise."


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Quelle:
[JOGU] - Magazin der Johannes Gutenberg Universität Mainz
Nr. 203, Februar 2008, Seite 29-31
Herausgeber: Der Präsident der Johannes Gutenberg Universität Mainz,
Univ.-Prof. Dr. Georg Krausch
Tel.: 0 61 31 / 39-2 23 69, 39-2 05 93; Fax: 0 61 31 / 39-2 41 39
E-Mail: Annette.Spohn@verwaltung.uni-mainz.de

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Sie wird kostenlos an Studierende und Angehörige
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Mai 2008