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BERICHT/232: Königspalast von Qatna - Schatzkammer Nummer zwei (DFG)


forschung 4/2009 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Schatzkammer Nummer zwei

Goldgrube für Archäologen: Sieben Jahre nach seinem ersten Coup entdeckt ein Forscherteam im Königspalast von Qatna eine weitere unversehrte Grabanlage

Von Hans-Dieter Bienert


Die Luft ist feucht und modrig. Durch eine niedrige Öffnung blickt man in das Innere der aus zwei Kammern bestehenden Felsgruft. Sie wirkt im Licht kleiner Scheinwerfer fast wie ein Operationssaal. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten in gebeugter Haltung, tragen Mundschutz und führen OP-Besteck in ihren Händen, um fein säuberlich die zahlreichen Beigaben und Knochen dieser Grabkammer freizulegen. Schließlich muss jedes einzelne Fundobjekt genau dokumentiert werden.

"Mit einer solchen Ausbeute hatten wir nicht gerechnet", betont der Tübinger Archäologe Professor Peter Pfälzner hocherfreut beim Besuch vor Ort. Seit 1999 arbeitet er zusammen mit syrischen und italienischen Kollegen im Königspalast von Qatna, einstmals Hauptstadt eines Königsreichs, das zwischen 1800 und 1600 v. Chr. den mittleren und südlichen Teil des heutigen Syriens kontrollierte.

2002 war den Forschern eine archäologische Sensation gelungen (siehe forschung 1/2004), als das internationale Team die erste unversehrte Königsgruft unter der Palastanlage entdeckte.

Als die Archäologen während der diesjährigen Feldkampagne in einem freigelegten Kellerraum des Palastes den Zugang zu dieser zweiten Gruft fanden, war die Überraschung groß. Und es hieß umplanen, um die neuen Funde schnell und fachgerecht zu dokumentieren. Zwei Anthropologen der Universität Hildesheim wurden kurzfristig eingeflogen und halfen bei der Bergung der menschlichen Knochen, die fast den ganzen Boden der Gruft bedeckten. Nach ersten Analysen gehörten sie zu 50 bis 60 Individuen. Die örtliche Grabungsleiterin, Heike Dohmann-Pfälzner, vermutet, dass diese Toten hier "sekundär" beigesetzt wurden, um an anderer Stelle Platz zu schaffen: "Genauere Hinweise, auch über mögliche verwandtschaftliche Beziehungen der Bestatteten," so Dohmann-Pfälzner, "werden aber erst die kommenden anthropologischen Untersuchungen erbringen."

Eine schweißtreibende Arbeit: Mehr als 14 Stunden täglich arbeiten die Archäologen in der Gruft, wobei das modrig, feucht-heiße Klima in der etwa 30 Quadratmeter großen Grabanlage zum Schichtdienst zwingt. Aber alle sind mit großem Engagement und voller Konzentration bei der Arbeit. "Wir haben hier ein hoch motiviertes internationales Team", lobt Pfälzner seine 50 Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Nahezu im Stundentakt legen die Wissenschaftler neue Funde frei.

Die Grabbeigaben weisen Qatna als einen wichtigen Handelsplatz aus - mit weitreichenden Beziehungen nach Ägypten, ins Zweistromland und bis ins Baltikum. Ton- und Steingefäße, kleine Schmuckgegenstände, ägyptische Skarabäen und mesopotamische Rollsiegel gehören zum bemerkenswerten Repertoire der Beigaben. Ein Alabastergefäß präsentierte sich sogar noch mit Goldschmuck gefüllt. "Es wird viel Zeit brauchen, um das enorme Informationspotenzial, das diese Funde bieten, auszuwerten", unterstreicht Heike Dohmann-Pfälzner.

Bis 2018 besteht seitens der DFG eine Förderperspektive, denn seit 2006 werden die Arbeiten der Tübinger Wissenschaftler im Rahmen eines Langfristvorhabens gefördert. Und so lange wird es auch noch dauern, um nur die 18 000 Quadratmeter große, teilweise dreistöckig erhaltene Palastanlage dieser etwa 100 Hektar großen antiken Stadtanlage archäologisch zu untersuchen. Sie war um 1340 v. Chr. in einem hethitischen Angriff zugrunde gegangen.

Gerade dieses kriegerische Ende hat auch für teilweise ideale Erhaltungsbedingungen über die Jahrhunderte hinweg gesorgt. Auch in den kommenden Jahren, da sind sich die Pfälzners sicher, wird der Boden von Qatna noch manche archäologische Überraschung freigeben. Im kommenden Jahr gilt es nun, mit Unterstützung der syrischen Partner des Antikendienstes und der Universität Tübingen ein Grabungshaus zu bauen - und damit die logistischen Voraussetzungen für die Arbeit der kommenden Jahre zu legen.

Einen ausgezeichneten und facettenreichen Einblick in die bisherigen Forschungsergebnisse gibt die noch bis zum 14. März 2010 im Württembergischen Landesmuseum Stuttgart laufende Ausstellung "Schätze des Alten Syrien - Die Entdeckung des Königreichs Qatna". So kann jeder an Qatna Interessierte ein Bild gewinnen.


Dr. Hans-Dieter Bienert ist Programmdirektor in der Gruppe Geistes- und Sozialwissenschaften der DFG.

www.landesmuseum-stuttgart.de/qatna


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Quelle:
forschung 4/2009 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, S. 24-25
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. März 2010