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BERICHT/239: Spurensuche in kommunistischen Zwangsarbeitslagern (idw)


Friedrich-Schiller-Universität Jena - 12.08.2010

Spurensuche in kommunistischen Zwangsarbeitslagern

Erziehungswissenschaftler der Universität Jena besuchten tschechische Erinnerungsorte


Jena (12.08.10) Wie bringt man junge Menschen dazu, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen und aus ihr etwas für die heutige Zeit zu lernen? Dieser Frage gingen 30 Erziehungswissenschafts-Studierende der Friedrich-Schiller-Universität Jena in einem besonderen Seminar von Dr. Jörg Fischer nach, der den Lehrstuhl für Sozialpädagogik und außerschulische Bildung vertritt. Dabei verließen sie für eine Woche im Juli die Universitätsräume und begaben sich auf pädagogische Spurensuche nach Tschechien in die Zeit vor 1989. Sie gelangten in kommunistische Zwangsarbeitslager, die als Beispiel der Unterdrückung und Ausbeutung von Menschen stehen. Hier mussten sich die Studierenden der Herausforderung stellen, an diesen mehr oder minder im heutigen Bewusstsein verankerten Orten der Erinnerung pädagogische Modelle für Bildungsprojekte mit Jugendlichen zu entwickeln.

Von 1945 bis 1962 arbeiteten 5.000 deutsche Kriegsgefangene, 7.000 nichtausgesiedelte Sudetendeutsche und 100.000 tschechoslowakische politische Häftlinge sowie rd. eine Viertel Million tschechische Zivilarbeiter zwangsweise im Urangebiet von Jáchymov (St. Joachimsthal), Horní Slavkov (Schlaggenwald) und P²íbram (Pibrans) für die sowjetische Atomwaffenindustrie. In 18 Speziallagern erlitten die Häftlinge unvorstellbare Qualen. Zwischen 1946 und 1990 lieferte die Tschechoslowakei 102.245 Tonnen Uran an die UdSSR. Mit dem von Zwangsarbeitern geförderten Uran baute die UdSSR 1949 ihre erste Atombombe.

In Kooperation mit der Thüringer Landeszentrale für politische Bildung erkundeten die Jenaer Studenten ehemalige Bergwerke und Lager. Sie befragten außerdem Zeitzeugen und Experten, die eindrücklich die Bedingungen beim Abbau des Urans schildern konnten. Die angehenden Erziehungswissenschaftler interessierte dabei besonders, wie Jugendliche etwa im Rahmen des Schulunterrichts oder bei Jugendfahrten mit diesem Teil der Vergangenheit vertraut gemacht werden könnten. "Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit soll dabei als Anlass dienen, mit Jugendlichen über Menschenrechte und deren Einhaltung ins Gespräch zu kommen", erläutert Dr. Fischer.

Deutlich wurde, da sind sich die Jenaer einig, wie stark die jüngere Vergangenheit unsere Gegenwart prägt und daher einer Aufarbeitung bedarf, um junge Menschen für die zurückliegenden Ereignisse und damit für den Umgang mit demokratischen Werten in Gegenwart und Zukunft zu sensibilisieren. Gleichzeitig stellten die Studierenden aber eindringlich fest, dass sowohl die meisten Erinnerungsorte als auch die Erfahrungen und die Zeitzeugen selbst von der unmittelbaren Gefahr bedroht sind, in Vergessenheit zu geraten.

"Für den späteren Berufsalltag konnten viele Ansätze und Zugänge zu Initiativen vermittelt werden, um mit Schulen und Jugendeinrichtungen Projekte der demokratischen Jugendbildung an Orten der Erinnerung auch zur jüngeren Vergangenheit anbieten zu können", bilanziert Fischer. "Damit dieser Teil der Geschichte nicht verloren geht und junge Menschen aus diesen Erfahrungen etwas lernen können, lohnt es sich, Zeitzeugen zu befragen, die Orte des Geschehens zu erforschen und für Bildungsprojekte nutzbar zu machen. Bildung kann somit ein Beitrag im Kampf gegen das Verdrängen und Vergessen unserer eigenen Geschichte sein."

Weitere Informationen unter:
http://www.uni-jena.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution23


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Axel Burchardt, 12.08.2010
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. August 2010