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DRITTES REICH/034: Studie über Schützenvereine im Nationalsozialismus (RUB)


RUB - Ruhr-Universität Bochum - 19. Februar 2009

Feiern und schießen für das Regime

- Studie über Schützenvereine im Nationalsozialismus
- RUB-Historiker revidiert 60 Jahre altes Selbstbild


Aktiv haben die deutschen Schützenvereine die Ziele des Nationalsozialismus im "Dritten Reich" unterstützt: teils im vorauseilenden Gehorsam, zum Beispiel beim Ausschluss der Juden aus den Vereinen bereits 1933, und teils in einem Maße, das weit über die vom Regime geforderte Beteiligung hinausging, etwa bei der "Wehrhaftmachung" großer Teile der Bevölkerung im Krieg. Das ist das zentrale Ergebnis der Masterarbeit von Henning Borggräfe am Historischen Institut der Ruhr-Universität Bochum (Betreuer: Prof. Dr. Constantin Goschler). Am Beispiel dreier westfälischer Schützenvereine und ihrer Dachverbände und auf breiter Quellenbasis legt Borggräfe damit erstmals eine detaillierte Studie über Schützenvereine zur gesamten NS-Zeit vor und revidiert das seit rund 60 Jahren bestehende Bild ihrer damaligen Rolle. Für seine herausragende Arbeit erhielt er einen der "Preise an Studierende" 2008 der Ruhr-Universität.

Fallstudien: Hattingen, Lippstadt, Lünen

Im Mittelpunkt der Arbeit stehen drei unterschiedliche Schützenvereine: aus Lippstadt, einer "katholischen Hochburg des Zentrums"; aus dem mehrheitlich evangelischen Hattingen, einer "frühen Bastion der extremen Rechten"; sowie aus Lünen, einer "gemischtkonfessionellen Stadt, die die Linke politisch dominierte". Borggräfe hat zahlreiche Quellen ausgewertet, unter anderem die Berichte über die Vereine in den lokalen Tageszeitungen zu jener Zeit. Erstmals hat er darüber hinaus die einschlägigen Verbandszeitschriften, insbesondere die "Schützenwarte" in der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig und in der Staatsbibliothek Berlin systematisch analysiert. In der bisherigen Forschung vollkommen unberücksichtigt, erwiesen sie sich als "ergiebigste Quelle", so der Autor.

Weder Opfer noch Hort des Widerstandes

Die Studie rückt die deutschen Schützenvereine in ein neues Licht: Sie waren weder Opfer des NS-Regimes, wozu sie sich bis heute selbst stilisieren, noch waren sie Hort des Widerstandes. Auch wurden die Vereine keineswegs totalitär gleichgeschaltet. Auf organisatorischer, personeller und inhaltlicher Ebene haben sie sich seit 1933 an das System angepasst und gleichzeitig bestimmte Traditionen bewahrt. So wehrten sich viele Vereine zum Beispiel erfolgreich gegen eine einheitliche Uniformierung der Schützen, was jedoch kein politischer Widerstand war. "Resistenz" habe sich allenfalls gelegentlich gegenüber Zumutungen der Veränderung gezeigt, zum Beispiel bei der Organisationsstruktur, nicht aber gegenüber den Zielen des Nationalsozialismus. "Vielmehr haben sich die Schützenvereine in den Nationalsozialismus und der Nationalsozialismus in die Schützenvereine integriert", so Borggräfe. "Der Nationalismus war das gemeinsame Bindeglied und bildete die Basis für die Zustimmung der NS-Gemeinschaft." Die Ergebnisse der Untersuchung belegen die "partielle Elastizität" der NS-Herrschaft, die in der neueren Forschung als ein Kernelement der Stabilität des Regimes gilt.

Vom Feiern und vom Schießen

Zwei Dinge zeichnen den Schützenverein aus: das Feiern und das Schießen. Damit berührten und beförderten die Schützen zwei Kernziele des Nationalsozialismus: die "Volksgemeinschaft" zu realisieren und die Bevölkerung auf den Krieg vorzubereiten. Insbesondere beim Schießen weiteten viele Schützenvereine ihr Engagement in jeder Phase über das von ihnen geforderte Maß aus. Die Studie zeigt, dass die Vereine "aus eigenem Antrieb" ihren Beitrag zur Wehrhaftmachung der Bevölkerung leisteten - vor allem in der vormilitärischen Schießausbildung der männlichen Bevölkerung. Die Vereine stellten zudem der Hitlerjugend (HJ) und der Sturmabteilung (SA) ihre Expertise und Infrastruktur zur Verfügung. Dass dies auch in den Kriegsjahren der Fall war, belegt Borggräfe in seiner Arbeit, und damit widerlegt er die Selbstdarstellung der Schützen, dass die Vereine mit Kriegsbeginn ihre Aktivitäten hätten einstellen müssen.

Selbstsicht fundamental in Frage gestellt

Die Selbstsicht der Schützen auf ihre Vergangenheit sei damit "fundamental in Frage gestellt", heißt es in der Studie. Zum Teil gingen die Vereine in ihrem Aktionismus sehr weit. "Der freiwillige Ausschluss der Juden zeigt, dass die Schützen in ihrer Annäherung an den NS vorauseilend bereit waren, zivilisatorische Standards aufzugeben. Ob aus Kalkül oder Überzeugung lässt sich nicht klären", so Borggräfe. Unstrittig ist jedoch, dass die Schützenvereine die NS-Ideologie schließlich weitgehend übernommen hatten. So riefen sie zum Beispiel ebenfalls frühzeitig zum Angriff auf die Sowjetunion auf. "Die inhaltliche Radikalisierung war ein Wandlungsprozess der Schützen selbst, ein Prozess, der im evangelischen Hattingen, aber auch im gemischtkonfessionellen Lünen anfänglich schneller von statten ging als im katholischen Lippstadt, letztlich aber zu den gleichen Ergebnissen führte."


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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 53 vom 19. Februar 2009
RUB - Ruhr-Universität Bochum
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Februar 2009