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FORSCHUNG/125: Mit Pickelhaube und Pistole - Der Ordnungshüter in der öffentlichen Wahrnehmung (DFG)


forschung 4/2009 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Mit Pickelhaube und Pistole

Der Ordnungshüter in der öffentlichen Wahrnehmung:
Nicht die Polizei selbst ist die erste Verteidigungslinie des Staates,
sondern das Bild, das von ihr vermittelt wird

Von Jens Jäger


Er ist aufbrausend und legt größten Wert auf seine Uniform und Amtsgewalt. Sympathisch ist er nicht: Wachtmeister Dimpfelmoser, eine der bekanntesten Figuren des Kinderbuchautors Otfried Preußler und seines Bestsellers "Der Räuber Hotzenplotz". In den Illustrationen des Buches wie in den legendären Inszenierungen der Augsburger Puppenkiste tritt er erkennbar als Schutzmann der Kaiserzeit auf. So trägt er Uniform, Pickelhaube und einen penibel gestutzten Zwirbelbart. Doch darüber hinaus verkörpert er den Polizisten und dessen amtliche Aufgaben schlechthin. Nur Dimpfelmoser darf den Bösewicht verhaften, einsperren und seiner gerechten Strafe zuführen. Obendrein fungiert er als der einzige Vermittler zum Bürgermeister des Städtchens.

In den viel gelesenen Hotzenplotz-Büchern repräsentiert Dimpfelmoser nichts weniger als die Staatsgewalt im Alltag. Was Dimpfelmoser tut, erscheint so "normal", dass es kaum auffällt oder bemerkenswert wäre. Schließlich entspricht es größtenteils der Alltagserfahrung. Doch genau besehen ist dieses Bild keineswegs selbstverständlich, sondern hat eine Geschichte, die viel über die Institution Polizei, aber mehr noch über das grundsätzliche Verhältnis zwischen Staat und Bevölkerung aussagt. Die Ausübung von Herrschaft in der Moderne kommt damit in den Blick.

"Moderne" Polizei kennen Staatsgebilde erst seit dem 19. Jahrhundert. Durch sie gewann der Staat eine neue Präsenz im Alltag. Die Polizei wird anders als das Militär dauerhaft in Person des uniformierten Beamten auf den städtischen Straßen sichtbar und für den Einzelnen ansprechbar. Die Polizei griff in das tägliche Leben patrouillierend und kontrollierend, beobachtend und auch gestaltend ein. Erfahrungen mit dem Staat und dessen Anspruch auf das Gewaltmonopol tendierten seit dem 19. Jahrhundert dazu, Erlebnisse mit der Polizei zu sein. Die Situationen mit den "Ordnungshütern" sind vielfältig: einfache Gespräche mit dem Schutzmann, Verkehrskontrollen, auch Anzeigen einer Straftat, Ermittlungen in Strafsachen, Aufgabe einer Verlustoder Vermisstenanzeige. Es konnten aber ebenso gewaltsame Auseinandersetzungen bei Streiks, Unruhen oder Krawallen sein. Bei den so unterschiedlichen Zusammentreffen wurde "Staat" und Staatsgewalt in Form von Polizeibeamten erlebt.

Diese Beziehungen versuchten die Behörden schon früh zu steuern. In ihrer allgemeinsten Form geschieht solches zunächst über die Gestaltung des äußeren Erscheinungsbildes der Polizei. Später wurde zunehmend Wert auf das Kommunikationsverhalten der Polizisten mit den Bürgern sowie das Bild der Polizei in den Medien gelegt. Seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts nahmen sich in den Polizeipräsidien der Großstädte eigene Pressestellen dieser Aufgaben an. Eine polizeiliche Öffentlichkeitsund Medienarbeit war entstanden.

Was waren ihre Ziele und Wirkungen? Antworten erfordern den Blick auf längere Entwicklungen und weitere, konkretisierende Nachfragen: Wie erfolgreich war eigentlich die Öffentlichkeitsarbeit der Polizei? Wie verschränkten sich gewollte Kommunikationsziele mit ungewollten Kommunikationswirkungen, wie es gerade für die mediale Arbeit über tendenziell mehrdeutige Bilder charakteristisch ist?

Mehr noch: Was wurde eigentlich als Haupttätigkeitsfeld der Polizei immer wieder bebildert und medial vermittelt? Hierbei spielte und spielt das breite, nicht nachlassende Interesse der Menschen und Medien an Verbrechen und Kriminalität eine wichtige Rolle. Die Nachfrage nach derartigen Informationen konnte für eine positive Darstellung der Organe der Verbrechensverfolgung fruchtbar gemacht werden. Verhaftungen und Fahndungen boten stets das Bild einer aktiven und tendenziell erfolgreichen Polizei. Dieses Grundbild schloss die "negative" Medienberichterstattung keineswegs aus, schuf aber ein korrespondierendes Gegengewicht. Anders gesagt: Die Polizei, dargestellt in Wort und Bild, lieferte quasi das Gegenmodell zu den gleichzeitig kursierenden "Verbrecherbildern". Diese Bilder, gleich welcher Herkunft, folgten ihrerseits Darstellungskonventionen, die über längere Zeiträume hinweg wirksam waren und bis heute wirkungsvoll sind. Einer dieser Effekte ist die Gleichsetzung der Polizeiarbeit mit der Fahndung nach Straftätern, was bekanntlich nur einen Teil der Aufgaben der Polizei darstellt. Doch in die Köpfe hat sich dieses Image eingegraben. Sprechende Materialien und Quellen hierzu finden sich in Zeitungen, Illustrierten und Satiremagazinen sowie in populären Darstellungen der Polizei. Interessanterweise sind viele Vorlagen für populäre Darstellungen durch die Polizeibehörden im Zusammenhang mit der eigenen Öffentlichkeitsarbeit entstanden. Wichtig sind zudem die Gattungen Kriminalroman, -schauspiel und -film, nicht zu vergessen das Kinderbuch und der Comic. Gemeinsam erzeugen sie ein Bild von Polizei und ihrer Alltagstätigkeit, das ein Grundverständnis von Polizei in der Bevölkerung maßgeblich mitbestimmt, Verhalten vorstrukturiert und Erwartungen an die Institution aufbaut, die für den realen Umgang miteinander wichtig sind.

In der historischen Forschung ist bislang vor allem das Bild des Verbrechers untersucht worden. Aufschlussreich ist nun, das Bild der Strafverfolger selbst hinzuzuziehen, um ein komplettes Bild zu erhalten. Im Übrigen ist schon bei den "Verbrecherbildern" die Polizei mittelbar medial präsent, denn sie beziehungsweise der zuständige Erkennungsdienst produziert diese Bilder und stellt sie den Medien zur Verfügung. Hier zeigt sich bereits, wie eng Verbrecher- und Polizeibild sich aufeinander beziehen oder vielmehr indirekt miteinander verknüpft sind.

Die Vielfalt der Materialien erfordert ein interdisziplinäres Vorgehen. Historische, soziologische, politologische und medienanalytische Zugänge zum "öffentlichen Polizeibild" im Wandel werden mit Erkenntnissen der politischen Ikonographie und der Historischen Bildforschung zusammengeführt. Ferner erfordert die mediale Verflechtung über Staatsgrenzen hinweg eine grundsätzlich transnationale Vorgehens- und Betrachtungsweise. So geriet zum Beispiel das Bild der englischen Schutzpolizei in Gestalt des viel zitierten "Bobby" für all jene kontinentalen Polizeikräfte zum Vorbild, die sich an einem bürgernahen und demokratischen Polizeiverständnis orientieren wollten. Aber dieses Bild ist selbst zum Teil wiederum von der englischen Polizei erst geprägt und in Umlauf gebracht worden. So verschmolz das Selbst- und Fremdbild der englischen Polizei zum Beispiel in der Konzeption der preußischen Polizei der Weimarer Republik. Gleiches lässt sich bei der Wiedereinrichtung der Polizei in West-Deutschland nach 1945 durch die alliierten Besatzungskräfte beobachten. Aber schon im Kaiserreich gab es Überlegungen, das Verhältnis zwischen Schutzmann und Bevölkerung durch "Charmeoffensiven" zu verbessern, den Polizisten mehr als Partner denn als Aufpasser der Gesellschaft erscheinen zu lassen.

Es heißt, die Polizei bilde die erste Verteidigungslinie des Staates gegenüber den Gegnern der staatlichen Ordnung. Diese Vorstellung muss ergänzt werden: Das "Bild" der Polizei bildet die erste Verteidigungslinie, nicht die Polizei selbst. Ist dies ein positives Bild, so wird - grob gesagt - die Zusammenarbeit mit der Bevölkerung begünstigt und das Vertrauen in den Staat und seine Organe stabilisiert. Ist dagegen das Bild eher negativ, wird der Umgang mit der Bevölkerung kompliziert - und dies hängt zunächst und vor allem vom medial vermittelten Bild der Polizei ab.


Diese Erkenntnis scheint auf den ersten Blick nicht sehr originell zu sein. Doch es benötigte Jahrzehnte, bis die Polizei und deren vorgesetzte Behörden begannen, ihr "Bild" in der Öffentlichkeit gezielt zu beeinflussen. Hier kann wieder das auffällige Beispiel der Preußischen Polizei in der Weimarer Republik angeführt werden: Ziel der vom Leiter der Polizeiabteilung im Innenministerium, Ministerialdirektor Dr. Wilhelm Abegg, initiierten Kampagne war es, den preußischen Polizeibeamten schon äußerlich stark von seinem Vorgänger aus dem Kaiserreich unterscheidbar zu machen. Der neue Beamte sollte ein Repräsentant der demokratischen Ordnung sein. Dazu gehörte ein freundlicher Umgangston ebenso wie der Abbau von Kommunikationsbarrieren. Gleichzeitig hatten die Polizisten als Respektsperson und Repräsentanten des Staates zu erscheinen.

Mit der neuen Polizei in Preußen entstand auch eine neue Form der Polizeikarikatur. War vordem der dickliche, tumbe Schutzmann in den Satirezeitschriften wie Simplicissimus oder Kladderadatsch anzutreffen, so wurden die Polizisten der 1920er-Jahre dort nun wesentlich jünger und "zackiger", wenngleich nicht unkritischer, ins Bild gesetzt. Das setzte sich außerhalb Deutschlands fort, etwa in Comics wie "Tintin au pays des Sowjets" (1929/30) von Hergé (Georges Prosper Remi), die zwar der schlankeren Erscheinung Rechnung trugen, in Auftreten und Ton aber eher den kaiserlichen Schutzmann beschworen. Aus dieser Spannung konnten Satiriker ihre Funken schlagen.


Und damit noch einmal zurück zum Wachtmeister Dimpfelmoser aus dem "Räuber Hotzenplotz". Das Bild, welches Preußler in seinen Büchern zeichnet, schmeichelt der Polizei kaum. Natürlich ist die Differenz zwischen der ins Bild gesetzten Polizei und der des heutigen Lesers offenkundig. Dimpfelmoser entspricht dem Negativbild des Schutzmannes der Kaiserzeit, wobei diese Kunstfigur auch in der Tradition der Kasperlegeschichte steht. Trotz dieser künstlerischen Ausgestaltung ist hier wie anderswo das Auftreten und Wirken des Polizisten ein aufschlussreiches Indiz für seine hohe Bedeutung als Repräsentant des Staates. Letztlich bestimmt das mediale Bild von "Polizei" den Umgang zwischen Bevölkerung und Staatsmacht ebenso, wie es die Erwartungen der Bevölkerung gegenüber den Ordnungshütern reflektiert. Dabei ragen Darstellungen, Bilder und Attribute vergangener Zeiten weit über ihre reale Existenz hinaus in die Gegenwart hinein. Diese häufig vielschichtigen Phänomene lohnt es zu rekonstruieren und in ihren Zusammenhängen zu verstehen.


Privatdozent Dr. Jens Jäger forscht und lehrt an der Universität zu Köln.

Adresse:
Historisches Seminar der Universität zu Köln
Albertus-Magnus-Platz, 50923 Köln

Die DFG unterstützt die Studien durch ein Heisenberg-Stipendium.

Informationen zum Arbeitskreis Historische Bildforschung:
www1.uni-hamburg.de/Bildforschung


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Quelle:
forschung 4/2009 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, S. 9-12
mit freundlicher Genehmigung des Autors
Herausgeber: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
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"forschung" erscheint vierteljährlich.
Jahresbezugspreis 2007: 59,92 Euro (print),
66,64 Euro (online), 70,06 Euro für (print und online)
jeweils inklusive Versandkosten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. März 2010