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LÄNDER/124: Sachsen - Das Wirken der ersten weiblichen Abgeordneten - 2 (LTK)


Landtags Kurier Freistaat Sachsen 5/07

"... so bin ich da als Mutter wohl besser sachverständig als der Minister
Das parlamentarische Wirken der ersten weiblichen Abgeordneten im Sächsischen Landtag 1919-1933

Von Lutz Vogel


Eines der wichtigsten Gesetzesvorhaben in der Weimarer Republik in Sachsen, die Neugestaltung der Wohlfahrtspflege, wurde maßgeblich von Dr. Doris Hertwig-Bünger (DVP) mitgestaltet. Sie agierte als Mitberichterstatterin gemeinsam mit dem vormaligen Ministerpräsidenten Alfred Fellisch (SPD/ASP) bei den Lesungen in den Ausschüssen und im Plenum. Herausragend ist das schließlich am 12. März 1925 "mit einer an Einstimmigkeit grenzenden Mehrheit" verabschiedete Gesetz vor allem deshalb, weil es als Ausführungsgesetz für die Reichsgesetze über die Fürsorgepflicht und die Jugendwohlfahrt Pioniercharakter hatte. Es richtete nämlich einheitliche Träger für die Fürsorgepflicht des Staates und der öffentlichen Jugendhilfe ein. Dieses Gesetz ist ein gutes Beispiel für die parlamentarische Arbeit der weiblichen Abgeordneten. Sie diskutierten die Thematik lebhaft und sachkundig, konnten eigene außerparlamentarische Erfahrungen einbringen und wurden dabei von ihren männlichen Kollegen aufgrund ihrer Kompetenz und ihrer Detailkenntnisse geschätzt.

Doch nicht nur in der Sozialpolitik betätigten sich die weiblichen Abgeordneten. So engagierte sich die Lehrerin Dr. Hertwig-Bünger vor allem in der Bildungspolitik. Sie setzte sich unter anderem für die (höhere) Mädchenbildung ein, stritt aber ebenso für die Ausbildung von Lehrern und die Belange der Landesuniversität Leipzig.

Die ausgebildete Musiklehrerin Eva Büttner (SPD, später ASP) arbeitete in erster Linie im Bereich der Kulturpolitik und vertrat die entsprechenden Kapitel der Haushaltspläne des Freistaates über Jahre in den Debatten des Landtags. Sie wollte trotz knapper Finanzen ein hohes künstlerisches Niveau erhalten. So griff sie 1924 den damaligen Generalmusikdirektor Fritz Busch scharf an, der ihren künstlerischen Anforderungen offenbar nicht genügte. Im selben Jahr plädierte sie unmissverständlich zugunsten der Uraufführung von Ernst Tollers "Hinkemann". Das Theaterstück thematisiert das Schicksal eines Kriegsverletzten, der in der Nachkriegsgesellschaft zugrunde geht. Junge Rechtsradikale störten die erste Aufführung massiv, und der letzte Akt "ging im Lärm unter". Nach einem Drohbrief an das Theater wurde das Stück sogar abgesetzt. Vehement forderte Büttner daraufhin im Landtag, die "Geistesfreiheit im Theater" zu erhalten, versuchte die Rolle des "künstlerische[n] Moment[s]" in Betracht zu ziehen und wandte sich somit u. a. gegen die DNVP-Abgeordnete Mily Bültmann, nach deren Ansicht das Stück "jedem sittlichen und vaterländischen Empfinden ins Gesicht" schlage.

Von fast allen Parlamentarierinnen sind zudem Wortmeldungen zur Forderung der rechtlichen und sozialen Gleichstellung der Geschlechter überliefert. So stritten sie - gelegentlich auch über Fraktionsgrenzen hinweg - für dieselben Erwerbschancen und gleiche Entlohnung für die weibliche Bevölkerung. Wenn neue staatliche Institutionen geschaffen wurden, pochten sie auf die Berücksichtigung von weiblichen Fachkräften zur Besetzung der neuen Stellen. Aber auch die geringere Erwerbslosenunterstützung für arbeitslose Frauen war ein Thema, dem sich die Parlamentarierinnen besonders verschrieben hatten.

Ein wesentlicher Punkt in der parlamentarischen Arbeit der weiblichen Abgeordneten waren zudem geschlechtsbezogene Fragen. So kritisierte Elise Thümmel am 4. März 1930 die "Sparwut" der Regierung im Hinblick auf die Unterstützung von schwangeren Arbeiterinnen. Die Frauen seien dadurch gezwungen, "möglichst lange, vielleicht bis zum letzten Tage vor der Entbindung" zur Arbeit zu gehen, was jedoch unkalkulierbare medizinische Risiken nach sich ziehe. Langwierige Auseinandersetzungen gab es beim Thema der Schwangerschaftsunterbrechung. Die Positionen, die im Sächsischen Landtag von den Parlamentarierinnen vertreten wurden, zeugten von den unterschiedlichen politischen Prägungen der Abgeordneten. Die Bürgerlichen wandten sich stets gegen die Abschaffung des in Frage stehenden Paragraphen 218 des Strafgesetzbuches. Aus zumeist christlicher Gesinnung heraus lehnten sie den willkürlichen Eingriff in "keimendes Leben" ab. Die sozialdemokratischen Abgeordneten befürworteten demgegenüber diese Möglichkeit, differenzierten dabei aber mehr als ihre kommunistischen Kolleginnen, die als radikale Lösung die sofortige Abschaffung dieses Paragraphen forderten. Angeführt wurden dabei die großen sozialen Probleme jener Zeit, die Unsicherheit der eigenen Existenz, die Ungewissheit, ob die wachsende Familie durch das zur Verfügung stehende Arbeitseinkommen ernährt werden könne und dass die Frau zu diesem Einkommen beitragen müsse. Auch ideologische Beweggründe kamen dabei zum Tragen: Der kapitalistische Staat habe Interesse an einer großen Kinderzahl, argumentierte wiederum Frau Thümmel, er brauche "ein Millionenheer", um den "militärischen Staat aufrechtzuerhalten". Die Unternehmer seien ebenso daran interessiert, denn wenn überschüssige Arbeitskräfte vorhanden seien, wäre es viel leichter möglich, "die Löhne herabdrücken zu können". Die Lösung, die Thümmel vorschlug, bestand zum einen aus einem grundsätzlichen Selbstbestimmungsrecht der Frau über ihren eigenen Körper und zum anderen in der Verhütung von Schwangerschaften als präventive Maßnahme. "Hat die Frau ein Recht auf ihren Körper?" fragte Thümmel in einer Beratung am 18. Dezember 1924. "Es ist nichts anderes als die tiefste Not, das tiefste Elend, daß [Frauen] zu derartig unerhörten Schritten und Eingriffen gegen ihren eigenen Körper schreiten." In dieser Debatte drängte sie ihre männlichen Kollegen mehrfach, sich mit diesem Problem auseinanderzusetzen und forderte, sie mögen doch "den nötigen Ernst für diese hochwichtige Volksfrage aufbringen." Die bürgerlichen Abgeordneten sahen sich in dieser Debatte in einem Legitimationsdefizit, da das Problem der Schwangerschaftsunterbrechung hauptsächlich ein Thema der Arbeiterschaft gewesen ist. Die Sozialdemokraten - allen voran Elise Thümmel, die aus einer elfköpfigen Familie stammte - warfen ihnen mehrfach vor, die sozialen Probleme kinderreicher Familien nicht zu kennen.

Nachdem die NSDAP bei den Reichstagswahlen 1930 107 Mandate errungen hatte, traten viele weibliche Abgeordnete als energische Kämpferinnen gegen den Nationalsozialismus in Erscheinung. Elise Thümmel umriss in einer Rede vom 30. September 1930 recht klar, was den Frauen in einem "Dritten Reich" blühen würde: "Die Nationalsozialisten haben ja eine ganz besondere Meinung von der Rolle der Frau, die sie zu spielen berufen ist, nämlich daß sie wieder wie einstmals die Magd und die Dienerin des Mannes sein soll." In derselben Debatte griff auch Margarete Nischwitz (KPD) dieses Thema auf: "Ich möchte einige Worte dazu sagen, trotzdem es schon hier ausgesprochen wurde, daß die Nationalsozialisten ihre feindliche Rolle den Arbeiterfrauen gegenüber zu Ende spielen dergestalt, daß sie grundsätzlich gegen die Gleichberechtigung, gegen die politische und gesellschaftliche Gleichberechtigung der Frauen sind. (...) Es kommt sichtbar zum Ausdruck bei der Zusammenstellung ihrer Liste: Von 107 Kandidaten stellen sie keine einzige Frau auf. (Zuruf b. d. Natsoz.: Selbstverständlich!) Für Sie ist das selbstverständlich! (Zuruf b. d. Natsoz.: Sie sollen beim Kochtopf bleiben! - Große Heiterkeit und Gegenrufe b. d. Komm.) Damit ist klar, welche Rolle sie den Frauen zugestehen."

Martha Schlag, die 1925 einen Skandal wegen ihres Fraktionswechsels von der KPD zur SPD ausgelöst hatte, hielt die letzte Rede einer Parlamentarierin im Sächsischen Landtag vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten. Am 8. Dezember 1932 sprach sie im Plenum über ein Gesetz, nach dem alle Tierärzte in einer Kammer berufsgenossenschaftlich zusammengefasst werden sollten. Nur wenige Monate später, im April 1933, wurde der Landtag aufgelöst und nach den Ergebnissen der Reichstagswahl vom 5. März 1933 "neugebildet". Bertha Thiel, Martha Schlag und Martha Seifert (alle SPD) verblieben als weibliche Abgeordnete in diesem Landtag. Sie verloren aber bereits im Juni 1933 ihre Mandate, nachdem die Sozialdemokratische Partei verboten worden war. Damit endete dieses Kapitel einer durchaus vielfältigen politischen Arbeit der ersten weiblichen Abgeordneten im Sächsischen Landtag.

In den folgenden zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft wurden viele ehemalige Abgeordnete verfolgt und inhaftiert. So wurden u. a. Olga Körner, Martha Kühne und Elise Thümmel im Konzentrationslager Ravensbrück eingekerkert. Dr. Else Ulich-Beil erhielt zunächst Berufsverbot, Anna Geyer emigrierte in die USA, Martha Seifert nach Schweden. Zwei Parlamentarierinnen verloren in den zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft ihr Leben: Die Kommunistin Helene Glatzer erlag im Januar 1935 schweren Misshandlungen im Polizeigefängnis Halle. Die als Jüdin diskriminierte und verfolgte Julie Salinger wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert und kam dort im September desselben Jahres um.

Im wiedereingerichteten Sächsischen Landtag nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges (1946-1952) waren mit Elise Thümmel, Olga Körner und Margarete Groh-Kummerlöw drei Frauen vertreten, die auf ihre parlamentarischen Erfahrungen in der Weimarer Republik zurückgreifen konnten. Die Rahmenbedingungen vor dem Hintergrund der Errichtung der SED-Herrschaft und dem Status als Sowjetische Besatzungszone (bis 1949) unterschieden sich jedoch fundamental von denen der Weimarer Republik.

So ist am Ende festzuhalten, dass weibliche Abgeordnete das Wirken des Sächsischen Landtags in den 1920er Jahren deutlich sichtbar mitgeprägt haben. Zwar ist das parlamentarische Arbeitsfeld der weiblichen Abgeordneten deutlich kleiner gewesen als das ihrer männlichen Kollegen, dennoch arbeiteten sie engagiert, kompetent und fleißig in sozial-, bildungs- und kulturpolitischen Fragen mit, setzten zudem eigene geschlechtsspezifische Themen und schöpften dabei aus Erfahrungen, die sie zumeist vor ihrem Landtagsmandat im kommunalen Bereich gesammelt hatten. Es gab auch Unterschiede in den parlamentarischen Aktivitäten der Abgeordneten. Dem linken Lager gehörten 37 Parlamentarierinnen an, bei den liberalen und konservativen Parteien gelangten nur fünf Frauen in die Landtagsfraktionen. Dennoch lieferte die DVP-Abgeordnete Dr. Hertwig-Bünger mit Abstand die meisten Debattenbeiträge aller weiblichen Landtagsmitglieder. In ihrer Gesamtheit waren die Parlamentarierinnen eine Bereicherung zu einem bis dato allein männlichen Blickwinkel und hoben sich vielfach durch größere Kompromissbereitschaft und oftmals diplomatischeres Auftreten von ihren männlichen Kollegen ab.


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Quelle:
Landtags-Kurier Freistaat Sachsen 5/2007, Seite 14-15
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. September 2007