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LÄNDER/126: Sachsen - Detlev Graf v. Einsiedel (LTK)


Landtags Kurier Freistaat Sachsen 6/07
Parlamentsgeschichte

Detlev Graf v. Einsiedel


Sächsische Landstände am Ende der Frühen Neuzeit

Über die frühneuzeitlichen Ständeversammlungen Sachsens haben Historiker seit dem 19. Jahrhundert eine Anzahl von Studien vorgelegt. Sämtliche Arbeiten erfassen die Rolle der Landtage allerdings als Gesamtheit oder rapportieren Konflikte zwischen den Gremien der sächsischen Landesversammlungen. Die Mitglieder dieser Parlamente, die Akteure auf den Ständeversammlungen, sind bislang wenig beachtet worden. Ihre Biographien stellen aber einen wichtigen Hintergrund für das Verständnis der vormodernen Landtage dar. Der "Landtagskurier Freistaat Sachsen" wird deshalb in der Rubrik "Parlamentsgeschichte" mehrere Personen aus den Gremien der Prälaten, Grafen und Herren, der Ritterschaft und der Städte porträtieren, um ein Spektrum der Landstände aufzuzeigen. Die gewählten Beispiele entstammen der Spätzeit der Ständeversammlung zwischen dem Ende des Siebenjährigen Krieges im Jahre 1763 und der ersten konstitutionellen Verfassung Sachsens im Jahre 1831.


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Detlev Graf v. Einsiedel wurde am 12. Oktober 1773 auf Schloss Wolkenburg, etwa 20 Kilometer nordwestlich von Chemnitz, geboren. Sein Vater, Detlev Karl Graf v. Einsiedel, gehörte zu den reichsten Rittergutsbesitzern Sachsens und betrieb in Lauchhammer ein Eisenwerk. Als Konferenzminister hatte auch er in einer raschen Karriere Sitz und Stimme im Geheimen Rat des sächsischen Kurfürsten erlangt. Dennoch widmete sich der Vater des Grafen Detlev v. Einsiedel nur eine Zeit lang den Staatsgeschäften. Er war verheiratet mit Sidonie Albertine geb. Gräfin von Schönburg-Lichtenstein, die sich als Tochter eines Standesherrn durch diese Verbindung nicht ebenbürtig verehelichte.

Ihr Sohn Detlev war der dritte Sohn von dreizehn Kindern seines Vaters. Seine Mutter starb am 1. Mai 1787, als er noch nicht einmal fünf Jahre alt war. Knapp vier Jahre später, am 14. März 1791, vermählte sich sein Vater mit Johanna Amalie verwitwete v. Roeder, geb. v. Pannwitz. Auch dieser Verbindung entstammten Nachkommen. Detlev Graf v. Einsiedel besuchte die Dresdner Kreuzschule und studierte ab 1790 in Wittenberg Jura. Anschließend begann er eine Karriere im sächsischen Staatsdienst. Seit dem Jahre 1794 arbeitete er als Supernumerar-Amtshauptmann des Meißner Kreises in Dresden. Als "überzähliger" Beamter erhielt er allerdings kein Gehalt. Gleichzeitig übertrug ihm jedoch sein Vater das Rittergut Mückenberg, zu dem auch Lauchhammer mit seinem Eisenwerk gehörte. Im folgenden Jahr übernahm Graf v. Einsiedel zudem ein Amt in der von den Landständen organisierten Steuerbehörde: Er wurde Supernumerar-Obersteuereinnehmer. Schließlich ernannte ihn Kurfürst Friedrich August III. am 16. Dezember 1797 zum Kammerherrn. Dies war ebenfalls nur ein Titel ohne Einkommen, der mit der gelegentlichen Verpflichtung verbunden war, Ehrendienste am Hof des Landesherrn zu übernehmen. Erste Einkünfte flossen hingegen im selben Jahr aus der Kooptation in das Domstift Merseburg. Als Domherr hatte man Anspruch auf einen Teil der Einkünfte des Hochstifts, d. h. aus dem Landbesitz des ehemaligen Bistums. Solche Revenüen bezog Graf v. Einsiedel später auch aus dem Hochstift Meißen. Die sächsischen Staatshandbücher nennen ihn vom Jahre 1804 an als Mitglied des dortigen Domkapitels. Seit dem Jahre 1819 wird er als Domdechant und ab 1860 als Dompropst geführt. Auch die Karriere in der staatlichen Zivilverwaltung führte bald zu bezahlten Stellungen. Seit dem Jahre 1801 war Graf v. Einsiedel Geheimer Finanzrat, wechselte dann in eine obere Mittelbehörde und wurde im Jahre 1809 Kreishauptmann des Meißner Kreises. Bald aber übernahm er zusätzlich zentrale Aufgaben. Von 1811 bis 1813 fungierte er als Oberaufseher der Flöße. Besonders bedeutsam erscheint, dass Graf v. Einsiedel in den Jahren 1812/13 auch Gendarmeriedirektor im Meißner Kreis war, denn mittels der Gendarme gelang es der Staatsverwaltung, in den Reservatbereich der Rittergutsbesitzer und Stadträte einzubrechen und dort Verwaltungshoheit zu reklamieren. Am 14. Mai 1813 ernannte der sächsische König Friedrich August I. Graf v. Einsiedel zum Kabinettsminister. Von diesem Zeitpunkt an gelang es ihm sukzessive, den Einfluss der übrigen engen Berater des alternden Königs zurückzudrängen, sodass er in der Zeit nach dem Wiener Kongress zum übermächtigen Protagonisten der sächsischen Politik wurde. Da das Königreich während der Reaktionszeit unter der Ägide des Grafen v. Einsiedel einen strikt antireformerischen Kurs verfolgte, lief das Bonmot um, ganz Sachsen sei eine Einsiedelei.

Der mächtigste Minister Sachsens hatte auch eine außergewöhnliche Karriere als Mitglied der Ständeversammlung. Das erste Mal erschien er noch mit 25 Jahren und bereits mit Titeln, Ehren und auch eigenen Einkünften ausgestattet beim Landtag 1799 als Rittergutsbesitzer von Mückenberg in der Allgemeinen Ritterschaft des Meißner Kreises. Bis zum Landtag 1805 gehörte er für den Meißner Kreis der Allgemeinen Ritterschaft an. Auf den Ausschusstag, der vom 29. Dezember 1805 bis zum 2. März 1806 tagte, kam er aber bereits wegen seines Rittergutes Ehrenberg bei Rochlitz und vertrat den Leipziger Kreis im Weiteren Ausschuss der Ritterschaft. Nachdem er in derselben Position auch beim Ausschusstag 1807 geblieben war, rückte er für den Leipziger Kreis vom Landtag 1811 an in den Engeren Ausschuss der Ritterschaft auf. Er nahm an sämtlichen Ausschuss- und Landtagen bis zum Jahre 1830 teil. Lediglich auf der letzten Ständeversammlung frühneuzeitlichen Typs gehörte er der Ritterschaft nicht mehr an.

Vom Landtag 1811 ab übte Graf v. Einsiedel noch ein weiteres Mandat auf der Landesversammlung aus. Gemeinsam mit dem Domdechanten George Adolph Hartitzsch vertrat er das Hochstift Meißen im Corpus der Prälaten, Grafen und Herren. An den Landtagen 1817/18, 1820/21, 1824 und 1830 nahm v. Einsiedel als Meißner Domdechant teil. Das Domkapitel aus Meißen entsandte im Zeitraum von 1763 bis 1830 immer seinen Domdechanten in Begleitung eines Syndikus auf den Landtag. Lediglich beim Landtag 1831 fehlte der Domdechant. Zu dieser Ständeversammlung erschien nur der Domherr Eduard Gottlob v. Nostitz und Jänkendorf in Begleitung des Syndikus. Gelegentlich entsandte das Domkapitel noch zusätzlich ein weiteres Mitglied ins Parlament, nämlich bei den Landtagen 1793, 1799, 1805, 1811, 1817/18, 1820/21 und 1824.

Mit dem politischen Umschwung des Jahres 1830 endete die vielfach abgesicherte einflussreiche Stellung des Grafen v. Einsiedel im Königreich Sachsen. Als Symbolfigur für die starre Unbeweglichkeit der bürokratischen Verwaltungsspitze auch gegenüber der Ständeversammlung, der er die Öffentlichkeit ihrer Beratungen ebenso verweigert hatte wie die Vorlage eines vollständigen Staatshaushaltes, nahm er an der Umgestaltung zur konstitutionellen Monarchie weder als verantwortlicher Minister noch als Parlamentarier teil. Neben seinem umfangreichen Rittergutsbesitz widmete er sich in der Folge vor allem der Verbesserung seiner Eisenhütte in Lauchhammer. Der aus einer pietistischen Familie stammende Graf v. Einsiedel engagierte sich auch gegen nationalistische Tendenzen in der lutherischen Kirche und förderte durch sein Engagement die sächsische Erweckungsbewegung. Er verstarb am 20. März 1861 auf seinem Rittergut Wolkenburg.


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Quelle:
Landtags-Kurier Freistaat Sachsen 6/2007, Seite 18-19
Herausgeber: Sächsischer Landtag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Januar 2008