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LÄNDER/128: Sachsen - J. G. F. Freiherr v. Friesen (LTK)


Landtags Kurier Freistaat Sachsen 1/08
Parlamentsgeschichte

Johann Georg Friedrich Freiherr v. Friesen
Sächsische Landstände am Ende der Frühen Neuzeit

Von Josef Matzerath


Über die frühneuzeitlichen Ständeversammlungen Sachsens haben Historiker seit dem 19. Jahrhundert eine Anzahl von Studien vorgelegt. Sämtliche Arbeiten erfassen die Rolle der Landtage allerdings als Gesamtheit oder rapportieren Konflikte zwischen den Gremien der sächsischen Landesversammlungen. Die Mitglieder dieser Parlamente, die Akteure auf den Ständeversammlungen, sind bislang wenig beachtet worden. Ihre Biographien stellen aber einen wichtigen Hintergrund für das Verständnis der vormodernen Landtage dar. Der "Landtagskurier Freistaat Sachsen" wird deshalb in der Rubrik "Parlamentsgeschichte" mehrere Personen aus den Gremien der Prälaten, Grafen und Herren, der Ritterschaft und der Städte porträtieren, um ein Spektrum der Landstände aufzuzeigen. Die gewählten Beispiele entstammen der Spätzeit der Ständeversammlung zwischen dem Ende des Siebenjährigen Krieges im Jahre 1763 und der ersten konstitutionellen Verfassung Sachsens im Jahre 1831.


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Er sei auf dem Rittergut Rötha bei Leipzig "geboren in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, am 28. April 1757", begann Johann Georg Friedrich Freiherr v. Friesen seine Autobiographie. Das Gut habe damals "seit 165 Jahren durch sechs Generationen Besitzern" gehört, die den Namen "v. Friesen" trügen, erläutert er. Deshalb sei er von seinen Eltern, Johann Friedrich Ernst Freiherr v. Friesen und Christiane Jacobine, geb. Gräfin v. Werthern, nach sechs Jahren Ehe der "ungeduldig und mit Zweifeln erwartete Sohn" gewesen. Der 31-jährige Rittergutsbesitzer und seine 30-jährige Gemahlin hatten zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits seit knapp vier Jahren eine Tochter.

Als Johann Georg Friedrich Freiherr v. Friesen seine Lebenserinnerungen niederschrieb, erinnerte er sich für seine Kindheit lediglich daran, dass preußische und österreichische Offiziere auf Schloss Rötha zu Tisch gewesen seien. Die Militärs, die der Siebenjährige Krieg auf das Rittergut seiner Eltern führte, sollen von "Scharmützeln und Blessierten" erzählt haben. Mit drei oder vier Jahren habe, so berichtet Freiherr v. Friesen, seine Mutter ihn zusammen "mit einem alten Bedienten ... unter dem Dach eines der Pavillons des Röthaischen Schlosses" versteckt. Denn sie sei besorgt gewesen, dass das preußische Militär den Sohn statt des abwesenden Vaters als Geisel nehmen würde. Dazu kam es aber nicht und der Junge behielt von dieser Begebenheit lediglich in Erinnerung, dass er Kaffee und Milch zu trinken bekam, was man ihm sonst nicht verabreichte. Als Sechsjähriger, so berichtete Freiherr v. Friesen, habe er auf der Standesherrschaft Königsbrück, die ebenfalls seinem Vater gehörte, die Friedensfeier des Jahres 1763 mit "weiß gekleideten Kindern mit grünen Zweigen und Kränzen, Glockengeläut, Gottesdienst etc." erlebt.

Fünf Jahre später verstarb der Vater des gerade Elfjährigen. Der Heranwachsende erhielt zu diesem Zeitpunkt nach zeittypischem Modus einen Hauslehrer, der seinen Ausbildungsweg neun Jahre lang anleitete. Nach fünfjährigem Privatunterricht begleitete der Lehrer seinen Zögling als Hofmeister auf das Collegium Carolinum in Braunschweig. In den Jahren von 1775 bis 1777 studierte Freiherr v. Friesen an den sächsischen Universitäten Wittenberg und Leipzig. Schon im Jahr des Studienbeginns verlieh ihm der sächsische Kurfürst Friedrich August III. den Titel eines Kammerjunkers. Gleich nach dem Examen konnte Freiherr v. Friesen sich als Beisitzer am Leipziger Oberhofgericht fortbilden. Besonders ausgiebig wandte er sich dieser Tätigkeit aber nicht zu. Denn bereits im Frühjahr desselben Jahres trat er eine Reise in die Schweiz und nach Paris an. Nach seiner Rückkehr im Sommer heiratete er am 2. November 1778 Johanne Friederike Louise Caroline v. Krosigk. Freiherr v. Friesen wurde in diesem Jahr zum kurfürstlichen Kammerherrn ernannt und richtete sich darauf ein, auf seinem Rittergut in Rötha zu leben. Am 30. Dezember 1778 verstarb seine Mutter. Seine junge Familie aber wuchs heran. Von 1779 bis 1781 wurden ein Sohn und zwei Töchter geboren. Zehn Tage nach der Geburt ihres dritten Kindes verstarb aber auch die Mutter. Mit 24 Jahren war Freiherr v. Friesen Witwer. Der Sohn des Ehepaares war bereits acht Monate vor seiner Mutter im Februar 1781 verstorben. Seine beiden Töchter gab Freiherr v. Friesen in dieser Lage zu seiner Schwester, die sich inzwischen verheiratet hatte und in Thüringen auf dem Rittergut Caschwitz lebte. Er selbst unternahm eine fast einjährige Reise nach England und Frankreich. Nach seiner Rückkehr im Winter 1782 heiratete der 26-Jährige am 27. Juli 1783 die 19-jährige Gräfin Julie v. der Schulenburg. In den nächsten zwei Jahrzehnten bekam das Ehepaar elf Kinder. Von den politischen Ereignissen der Französischen Revolution unbehelligt widmete sich Freiherr v. Friesen dem Ausbau seiner Güter und unternahm gemeinsam mit seiner Gemahlin vom September 1791 bis zum Juli 1792 eine Italienreise, die sie nach Rom und bis Neapel führte. Zur Betreuung der Kinder nahm das Ehepaar zu diesem Zeitpunkt die 18-jährige Caroline Bamberger, die einem Hannoveraner Kauf- und Handelshaus entstammte, in den Haushalt. Nach der Rückkehr von der Reise lebten die Eheleute v. Friesen auf Rötha und ab 1800 auch auf ihrem Gut Rammelburg im Harz. Sie pflegten gesellschaftlichen Verkehr nach Dresden, Berlin und Dessau.

Am 23. Juli 1803 verstarb Juliane Caroline Freifrau v. Friesen, und ihr Mann wurde zum zweiten Mal Witwer. Er übernahm in der Folge mehrere politische Ämter. Da sein Gut Rammelburg zum Königreich Westfalen gehörte, das nach dem Frieden von Tilsit Jérôme Bonaparte, der Bruder Napoleons, regierte, nahm Freiherr v. Friesen im Jahre 1808 als Landstand an einem Landtag in Kassel teil. Er bat jedoch den sächsischen König, ihn in Dienst zu nehmen, und wurde im Jahre 1810 zum Geheimen Rat ernannt. Beim Landtag des Jahres 1811 machte ihn König Friedrich August I. auch zum kursächsischen Erbmarschallamtsverweser. Das erste Mal erschien Freiherr v. Friesen vom 7. Januar bis 18. März 1781 zu einem Landtag in Dresden. Der noch 23-Jährige gehörte für das Rittergut Rötha der Allgemeinen Ritterschaft an. Schon beim folgenden Landtag im Frühling 1787 fungierte er als Direktor dieses landschaftlichen Gremiums. Bei den Ständeversammlungen der Jahre 1793 und 1799 saß er im Weiteren Ausschuss der Ritterschaft und war seit dem Landtag 1805 Mitglied im Engeren Ausschuss der Ritterschaft. Diese Funktion nahm er auch während der Ausschusstage 1805/6 und 1807 ein. Am 6. Januar 1811 trat er dem Landesherrn bei der Proposition im Dresdner Schloss erstmals als Erbmarschallamtsverweser gegenüber. Freiherr v. Friesen behielt dieses Amt auch beim Ausschusstag 1812 und beim ersten Landtag nach dem Wiener Kongress im Jahre 1817/18. Nach der Landesteilung wurden auf dieser Ständeversammlung die Parlamente der beim Königreich Sachsen verbliebenen Gebiete des ehemaligen Kursachsen und der Oberlausitz zusammengeführt. Mit dem nächsten Landtag rückte im Jahre 1820 Graf Günther v. Bünau an die Spitze der erneuerten Landesversammlung. Er erhielt den Titel eines "Landtagsmarschalls", da inzwischen die Grafen Löser, denen das Erbmarschallamt zustand, ausgestorben waren. An diesem und dem folgenden Landtag 1824 nahm Freiherr v. Friesen als Mitglied des Engeren Ausschusses der Ritterschaft teil. Seit dem 17. März 1812 war Freiherr v. Friesen auch mit dem Amt des Oberkammerherrn am Dresdner Hof betraut. In der politisch brisanten Phase der Befreiungskriege übernahm er mehrfach die Aufgabe, Napoleon bei seinen Aufenthalten in Dresden persönlich zu betreuen. Zur Zeit der Leipziger Völkerschlacht, als König Friedrich August I. von Sachsen von den Alliierten gefangen genommen wurde, befand sich Freiherr v. Friesen allerdings auf Schloss Rammelburg. Ab Dezember 1813 versah er aber wieder seine Verpflichtungen am Dresdner Hof. Seit 1816 wohnte er die meiste Zeit des Jahres in einer Villa in Blasewitz und besuchte nur im Sommer seine Rittergüter. Am 15. Juli 1819 verheiratete er sich mit Caroline Bamberger, der Bonne und Erzieherin, die Seit 28 Jahren in seinem Haushalt lebte. Diese Ehe wurde aber der Öffentlichkeit nicht bekannt gemacht. Als Mademoiselle Bamberger nahm diese dritte Gattin allerdings auch in der Perspektive adeliger Besucher im Hause des Oberkammerherrn v. Friesen am gesellschaftlichen Verkehr der Familie teil.

Johann Georg Friedrich Freiherr v. Friesen verstarb am 18. Januar 1824 an einer Gelbsucht, die durch Störung des Gallenabflusses aus der Leber hervorgerufen wurde. Von seinen vierzehn Kindern überlebten ihn drei Söhne und sechs Töchter. Sein Sohn Friedrich Freiherr v. Friesen war bei den Landtagen 1847 und 1863/64 bis 1869/70 Präsident der Ersten Kammer.


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Quelle:
Landtags-Kurier Freistaat Sachsen 1/2008, Seite 18-19
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. März 2008