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MELDUNG/106: Erforschung der ältesten Darstellung des Erdballs in Kugelgestalt (idw)


Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg - 04.10.2011

FAU und GNM erforschen die älteste Darstellung des Erdballs in Kugelgestalt

Er ist ein Modell sichtbar gemachten enzyklopädischen Wissens: Mit seinen 110 Miniaturen, rund 2.000 Toponymen (Bezeichnung für Örtlichkeiten) und zahlreichen Texten besitzt der Behaim-Globus unschätzbaren Quellenwert für das Wissen über die Welt vor Christoph Kolumbus. Mit der Abbildung der damals bekannten drei Kontinente dokumentiert er das europäische Weltbild am Vorabend der großen Entdeckungen. Die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg (GNM) planen nun eine Forschungskooperation zur wissenschaftlichen Aufbereitung des Behaim-Globus.

Foto: © G. Janßen, GNM 2011

Der Globus während der Aufnahmen
Foto: © G. Janßen, GNM 2011
Möglich wird die Erforschung der weltweit ältesten Darstellung des Erdballs in Kugelgestalt durch ein neues hochauflösendes digitalfotografisches Verfahren. Initiiert wurde das Projekt von Prof. Dr. Günther Görz, Lehrstuhl für Theoretische Informatik, und Prof. Dr. Mechthild Habermann, Lehrstuhl für Germanistische Sprachwissenschaft, zu deren Schwerpunkten die Erforschung Nürnbergs in der frühen Neuzeit zählt. Dr. Thomas Eser vom Germanischen Nationalmuseum Nürnberg (GNM) trug zum Zustandekommen der Forschungskooperation zwischen Museum und Universität bei.

Der Behaim-Globus, eines der bedeutendsten Exponate des Germanischen Nationalmuseums, entstand zeitgleich mit Kolumbus' erster Amerikafahrt zwischen 1492 und 1494 im Auftrag des Rats der Reichsstadt Nürnberg. Konzept und Inhalt stammen vom weit gereisten Nürnberger Tuchhändler und Seefahrer Martin Behaim (1459-1507), die Anfertigung unternahmen der Buchmaler Georg Glockendon, der Schreiber Petrus Gagenhart sowie andere Nürnberger Spezialhandwerker. Die Entstehung des Globus ist Ergebnis des hochstehenden kulturellen und technologischen Wissens der Reichsstadt Nürnberg an der Schwelle zur Neuzeit und stellt somit ein Zeugnis für Nürnbergs herausragende Bedeutung als eines der maßgeblichen frühneuzeitlichen Zentren dar.

Sowohl in seiner äußeren Erscheinungsform als auch in seiner inhaltlichen Konzeption ist der Globus einzigartig und unterscheidet sich mit seiner reichen Beschriftung und seinem enzyklopädischen Anspruch vom Prototyp heutiger Globen. Dabei ist er nicht nur ein Speicher des Wissens des ausgehenden 15. Jahrhunderts, sondern auch ein Exempel für den Wandel des Selbstverständnisses der nachfolgenden Epochen bis in das 19. Jahrhundert hinein. Denn in vielfältigen Bearbeitungsstadien hat sich jede Epoche mit ihm als einem zunächst fremden Objekt auseinandergesetzt und für die eigene Zeit adaptiert.

Der Globus ist durch die bei der Herstellung verwendeten Materialien - ein von einer Kreideschicht abgedecktes Leinwandlaminat - und sein Alter von mehr als 500 Jahren sehr empfindlich geworden. Besonders gefährdet sind die Öffnungen an den Polen der Erdkugel, die ein Drehen des Globus verbieten. Um Lichtschäden zu vermeiden, wird er in der Sammlung des Germanischen Nationalmuseums nur mit geringer Beleuchtungsstärke präsentiert. Aufgrund einer vor unbekannter Zeit durchgeführten Behandlung sind viele Teile der Beschriftung nur noch schlecht lesbar.

Zwischen den Jahren 1940 und 1990 wurde mehrmals eine fotomechanische Reproduktion des Behaim-Globus versucht. Allerdings weisen die bisher vorliegenden Analogaufnahmen sowie die daraus gewonnenen Digitalisate nach heutigem Standard gravierende Unzulänglichkeiten auf. Die Auflösung ist, im Vergleich zu aktuellen digitalen Aufnahmen, ungenügend, was zu Problemen hinsichtlich der Bildschärfe führt. Die Fotos wurden zudem im polarisierten Licht aufgenommen, jedoch ohne Farbnormkeil, so dass über die abgebildeten Farben keine Aussage getroffen werden kann. Eine hochauflösende reprofotografische Erfassung, die aktuell geleistet werden kann, war dringend geboten. Denn erst mit dem heutigen technologischen Standard ist es möglich, die unterschiedlichen Bearbeitungsstadien des Globus und damit sein Erscheinungsbild durch die Jahrhunderte hindurch zu rekonstruieren.

Die Suche nach einem geeigneten technischen Verfahren hat kürzlich zu einem Erfolg geführt. Von einem Experten für 3D-Modellierung der ETH Zürich, Prof. Dr. Armin Grün, wurde der Behaim-Globus digitalfotografisch neu erfasst. Die Kosten für die mit neuester Digitaltechnik aufgenommenen Bilder des Globus und ihre Nachbearbeitung in Höhe von rund 40.000 Euro übernahm die Staedtler-Stiftung.

Der Behaim-Globus soll zukünftig der Wissenschaft und Forschung weltweit in Form hochaufgelöster Fotografien und eines 3D-Computermodells zugänglich gemacht werden. Dadurch erhält die Forschung am Behaim-Globus neue Impulse, und es kann eine dem kulturgeschichtlichen Rang des Forschungsobjekts adäquate wissenschaftliche Dokumentation in Angriff genommen werden. Das Germanische Nationalmuseum plant auf der Basis der neuen Digitalisate eine museumsdidaktische Aufbereitung des Globus. Ferner soll eine neue Buchedition mit Bildteil und ausführlicher Kommentierung entstehen, da die letzte umfassende Monographie aus dem Jahr 1908 stammt.

Der Behaim-Globus als Digitalisierungsgut kann außerdem in seiner Dreidimensionalität Maßstäbe setzen für vergleichbare Digitalisierungsprojekte und für eine der Konzeption eines "Epistemischen Web" genügende Veröffentlichung dreidimensionaler, kulturhistorisch relevanter Bild- und Textträger. Zu diesem Aspekt besteht eine Kooperation mit dem Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin. Es hat sich bereits eine interdisziplinäre Gruppe von Wissenschaftlern gebildet, die sich der Erforschung des Behaim-Globus unter unterschiedlichen Fragestellungen widmen will.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution18


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg,
Dr. Pascale Anja Dannenberg, 04.10.2011
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Oktober 2011