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MITTELALTER/021: Mobilität im Mittelalter - Gelehrte auf Wanderschaft (Goethe Univiversität Frankfurt)


Goethe-Universität Frankfurt - 8. Januar 2014

Mobilität im Mittelalter: Gelehrte auf Wanderschaft

Der Historiker Johannes Fried zu räumlicher und geistiger Beweglichkeit am Hofe Karls des Großen - Beitrag in der neuen Ausgabe von "Forschung Frankfurt"



FRANKFURT. Nicht unser Jahrhundert, sondern das Mittelalter verdient das Prädikat "mobil": Wanderschaft war ein Grundzug des Mittelalters: Könige, Kaufleute, Bettler und Ganoven, die Wanderarbeiter der Bauhütten, die Söldner der großen Armeen, in ihrem Gefolge die Dirnen, dann die Studenten und nicht wenige Professoren: Sie alle hatten lange Jahre der Wanderschaft und der Fremde zu überstehen, bevor sie sich - wenn überhaupt - irgendwo dauerhaft niederlassen konnten. Der renommierte Frankfurter Historiker Prof. Dr. Johannes Fried, nimmt in seinem Beitrag in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins "Forschung Frankfurt" besonders das Reiseverhalten der Gelehrten unter die Lupe.

Den Hof Karls des Großen bezeichnet Fried, dessen umfassende und viel beachtete Biographie Karls des Großen im September 2013 im Beck Verlag erschienen ist, als "geradezu archetypisch für die Wissenschaftsförderung des kommenden Jahrtausends": "Immer mehr Gelehrte strömten an des Königs Hof. Karls weithin bekannte Wissbegier, sein Reformeifer und nicht zuletzt die Karrierechancen, die der Königsdienst verhieß, lockten sie an. Aus aller Herren Länder kamen sie. Die Gelehrtenversammlung dort war neu- und einzigartig."

Von Karl gerufen und belohnt, versammelte sich im 8. Jahrhundert eine internationale Gelehrtengemeinschaft aus Langobarden, Angelsachsen, Iren und Westgoten am Hof in Aachen. "Sie war sonst nirgends anzutreffen, an keinem Fürstenhof, auch nicht in Rom, Konstantinopel oder Córdoba", so der Frankfurter Mediävist. Er stieß aber auch darauf, dass Spannungen und Feindseligkeiten nicht ausblieben: "Die Fremden, angewiesen auf die Gnade des Königs, beargwöhnten einander, neideten einander den Erfolg, befehdeten sich mit Worten und Versen und sorgten aber gerade mit ihrer Konkurrenz für eine intellektuelle Lebendigkeit und geistige Frische wie seit Jahrhunderten nicht mehr im lateinischen Westen - belebende Auswüchse der agonalen Gesellschaft und ihrer Mobilität."

Am Hofe Karls begannen die Gelehrten wieder zu entdecken, was zuvor mehr oder weniger untergegangen war: was die Antike und Spätantike an intellektueller Kultur und an Wissenschaft zu bieten hatte. Dazu Fried: "Das Griechisch des Aristoteles verstand im Westen ohnehin niemand. Angewiesen war man auf die wenigen Übersetzungen des Boethius, die freilich nur selten in Handschriften zu greifen waren. Erst durch den Impuls vom Hof Karls des Großen verbreiteten sie sich und konnten allgemein in die Schulen einziehen."

Zu den herausragenden Gelehrten zählten der Angelsachse Alkuin, der aus York kam und für Karl eine Rhetorik und Dialektik aristotelischen Zuschnitts verfasste. Sein Konkurrent war Theodulf, er verfasste eine auf die aristotelische Kategorienlehre und Dialektik gestützte Widerlegung des griechischen Bilderkults. Der Westgote war in einer der arabischen Kultur nicht fernen Umwelt aufgewachsen und offerierte sein Wissen dem Frankenkönig.

Auch in den folgenden Jahrhunderten verbreitet sich Wissen nicht zuletzt durch die reisenden Gelehrten. Die Motive waren unterschiedlich, im 10./11. Jahrhundert folgten die Gelehrten den Büchern, wenn sie erfuhren, dass irgendwo verschollene Texte aufgetaucht waren.

Spätestens im 12. Jahrhundert setzte sich durch, dass wer studieren wolle, auch in die Fremde gehen müsse: "Professoren wurden abgeworben, Studenten, in Genossenschaften organisiert, wurden zur 'Auswanderung' bewogen, um sie andernorts mit höheren Einnahmen und günstigeren Studienbedingungen anzulocken. Man versprach sich Gewinn für die Stadt. Die Hohen Schulen konzentrierten sich europaweit das gesamte Mittelalter über an wenigen Orten: Bologna, Padua, Neapel, Paris, Montpellier, Salamanca und in wenigen anderen Städten, spät erst Krakau, Prag, Wien oder Heidelberg", erläutert der Frankfurter Historiker.


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Quelle:
Goethe-Universität Frankfurt - Pressemitteilung Nr. 4 vom 8. Januar 2014
Herausgeber: Der Präsident der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Redaktion: Ulrike Jaspers, Referentin für Wissenschaftskommunikation
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Januar 2014