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MEMORIAL/007: Gründung der Lega Nord - Faschisierungsprozesse und ihre Bestandteile (Gerhard Feldbauer)


Faschisierungsprozesse und ihre Bestandteile

Das Beispiel der vor 20 Jahren entstandenen rassistischen Lega Nord in Italien

Von Gerhard Feldbauer, Februar 2011


Der Faschismus, der eine dem Imperialismus innewohnende Tendenz ist, wird dann zur bestimmenden Komponente, wenn einflussreiche Kapitalkreise ihre entscheidenden Klasseninteressen in Gefahr sehen oder auch schon befürchten, ihre reaktionären Ziele anders nicht verwirklichen zu können. Charakteristisch für aktuelle Prozesse ist, dass es mit einer schleichenden Faschisierung beginnt, begleitet von rassistischen und völkischen Aspekten, einer Verschärfung des Antikommunismus sowie einem Abbau der bürgerlichen Demokratie. Als jüngste Beispiele seien Polen, Ungarn oder Belgien genannt. Von ähnlichen Erscheinungen war das an die Macht Kommen des faschistoiden Regime Silvio Berlusconis 1993/94 begleitet. Zu seiner Koalition stieß neben der faschistischen Mussolininachfolgerpartei Movimento Sociale Italiano (MSI), später in Alleanza Nazionale umgetauft, die offen rassistische Lega Nord.


Gefahr von Links

1990 setzte infolge ungeheuerlicher Korruptionsskandale der Zusammenbruch des traditionellen bürgerlichen Parteiensystems ein. Das Turiner Wirtschaftsinstitut Einaudi ging von jährlich gezahlten Schmiergeldern von 10 Milliarden Dollar aus. Die Ermittlungen erfassten 6.000 Politiker, darunter ein Drittel der 945 Senatoren und Abgeordneten, zahlreiche Minister, unzählige Bürgermeister. 1.356 Staats- und Parteifunktionäre sowie Wirtschaftsmanager wurden in Untersuchungshaft genommen, der Sozialistenchef Bettino Craxi zu insgesamt 26 Jahren Gefängnis verurteilt. Das kapitalistische Regierungssystem war in seinen Grundfesten erschüttert. Die herrschenden Kreise befürchteten, die aus der PCI hervorgegangene Linkspartei (PDS) würde die nächsten Parlamentswahlen gewinnen und an die Regierung kommen.

Um dem entgegenzuwirken gründete der gescheiterte Mundartdichter lombardischer Dialekte Umberto Bossi am 8./9. Februar 1991 in Norditalien die Lega Nord. Der auf einen scharfen, zunächst vor allem antimeridionalen Rassismus und Separatismus basierende Bund stieg zur stärksten Partei Norditaliens auf, erreichte 20 und mehr Prozent der Wählerstimmen. Bossi drohte, die sechs reichen norditalienischen Regionen (Länder) in einem Padania genannten Separatstaat von Rom abzuspalten. Er konstruierte die a-historische Legende der Abstammung der Norditaliener von Langobarden, Kelten und Franken, die demzufolge nicht zum Mittelmeer gehörten, sondern zu Mitteleuropa, genauer zu Deutschland. Politisch-ideologisch lag dem die berüchtigte faschistische Blut-und-Boden-Ideologie zugrunde, an deren Stelle lediglich die etwas weniger diskreditierten ethnischen und kulturellen Differenzen traten.

Rassistische Ausfälle gipfelten in der Hetze gegen den Fußballclub von Neapel, den in Mailand Lega-Anhänger mit Slogans empfingen, "Was Hitler mit den Juden gemacht hat, wäre auch das Richtige für Napoli" oder "Keine Tierversuche - nehmen wir Neapolitaner". An der Tagesordnung war, dass Legisten im piemontesischen Turin oder in der Adriastadt Rimini Afrikaner durch die Straßen jagten und auch zu Tode prügelten. Die Festlandsgrenze zu Ex-Jugoslawien wollte Bossi mit einer Mauer nach dem Vorbild der USA gegenüber Mexiko abriegeln, illegale Einwanderer in Arbeitslager sperren.


Kampf um Einflusssphären

Die sezessionistische Linie der Lega kam lange Zeit in Losungen wie "weg von Rom" und "die Lombardei den Lombarden" zum Ausdruck. An Stelle des Zentralstaates fordert Bossi, in der jetzigen Regierung Berlusconis Vizepremier und Minister für Reformen, eine Föderation autonomer Regionen Nord-, Mittel- und Süditaliens, angefangen bei der Steuerhoheit und regionalem Wehrdienst bis hin zur unabhängigen Renten- und Sozialversicherung und Selbstständigkeit im Arbeitsrecht und Preisgefüge. Um seine Ziele durchzusetzen, drohte er immer wieder mit der Abspaltung seiner Nordrepublik Padania. All diesen im Grunde genommen verfassungsfeindlichen Aktionen schaute der Zentralstaat jahrelang tatenlos zu. Erst 1995 eröffnete die Staatsanwaltschaft gegen Bossi ein Ermittlungsverfahren wegen "verfassungswidriger Tätigkeit zum Zwecke der Zerstörung der territorialen Einheit des italienischen Staates". Es verlief unter der damaligen Mitte-Links-Regierung im Sande, was sicher auf die einflussreichen Industriekreise zurückging, für die Bossi ein wichtiges Eisen im Feuer war. Denn die Forderungen nach regionaler Autonomie bis hin zu föderalen Strukturen entsprangen vor allem den ökonomischen Interessen der großen Konzerne, darunter FIAT, sich am supranationalen "Alpengroßraum" der EU zu beteiligen. Deren Rolle war und ist noch heute im Kontext des neu entbrannten Kampfes des europäischen und US-amerikanischen Kapitals um Einflusssphären, darunter auf dem Balkan, zu sehen. Der damalige deutsche Außenminister Genscher meldete die Ansprüche der deutschen EU-Führungsmacht an und betonte, Italiens nördlicher Teil werde entdecken, "dass er mehr gemeinsame Interessen mit Süddeutschland als mit Süditalien" hat. Der "Corriere della Sera" sprach unverblümt vom Stattfinden "der Neuaufteilung des europäischen Raumes und der Eroberung neuer Einflusssphären", die innerhalb eines "historischen Raumes" stattfänden. Gemeint war, dass die Lombardei einst von Österreich okkupiert war, auf das Deutschland noch immer einen Erbanspruch erhebe. Ihre Forderungen nach einer Abspaltung Norditaliens hat die Lega inzwischen zugunsten eines weitgehenden Autonomiestatus aufgegeben.

Wenn es gelegentlich Stimmen gibt, der Rassismus der Lega habe sich abgeschliffen, dann trifft das mitnichten zu. Zur geforderten noch schärferen Abschottung gegen Roma und andere Migranten sind extrem islamfeindliche Positionen hinzugekommen. Im Wahlkampf 2008 wollte Bossi im Goebbelsstil seine Legisten "an die Gewehre rufen", um auf die "römischen Schurken", womit die Linken gemeint waren, anzulegen, und gab von sich, es sei leider "leichter, Ratten zu vernichten als Zigeuner auszurotten". Bossi steht auch hinter Berlusconis Vorhaben, die unter Mussolini 1938 von Hitlerdeutschland übernommenen Rassengesetze wieder einzuführen.

Bei den Regionalwahlen im Frühjahr 2010 stieg der Stimmenzuwachs für die Rassisten im Landesdurchschnitt auf 12,7 Prozent und damit auf das Doppelte an. Bisher nur in Norditalien vertreten, ist sie jetzt auch im römischen Latium präsent. In Piemont und im Veneto stellt sie die Ministerpräsidenten. Nach dem Bruch des früheren Führers der AN-Faschisten, Ginafranco Fini, mit Berlusconi ist Bossi die Nummer zwei der profaschistisch-rassistischen Regierungskoalition. Sollte diese bei möglichen Neuwahlen wieder an die Spitze gelangen, gilt der Rassistenchef als Nachfolger des schwer angeschlagenen derzeitigen Regierungschefs.


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Quelle:
© 2011 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Februar 2011