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MEMORIAL/031: Italiens koloniale Eroberungspolitik und ihr Scheitern - Teil 3 (Gerhard Feldbauer)


Großmachthunger und Expansionsdrang - Am Ende stand das völlige Scheitern

Eine historisch-aktuelle Betrachtung in drei Teilen (1)

von Gerhard Feldbauer, 17.01.2012


Mit einem "Schulterschluss" mit Berlin sucht das italienische Kapital derzeit einen Ausweg aus der Wirtschafts- und Finanzkrise, um seine eigenen Positionen zu stärken und teilzuhaben am weltweiten Kampf um Einflusssphären und Rohstoffressourcen.(2) Dass es hier mitmischen will, hat es in den vergangenen zwei Jahrzehnten bereits mit der Beteiligung am NATO-Überfall auf Jugoslawien, der Entsendung von Truppenkontingenten nach Albanien, Irak, Afghanistan, Somalia und jüngst der Teilnahme an der NATO-Intervention in Libyen bewiesen. Ein Blick auf die expansionistische Politik Italiens seit Ende des 19. Jahrhunderts zeigt, dass die deutsche EU-Großmacht hier durchaus einen nützlichen Verbündeten gewinnen könnte.


Die römische Ideologie der Herrenrasse

Nachdem Italien 1935/36 Äthiopien erobert und zur Kolonie erklärt hatte, wurde unverzüglich die römische Rassenideologie durchgesetzt. Sie zielte darauf ab, den Geist des Herrenmenschen und der Herrenrasse zu züchten, die Italiener auf die ihnen zugedachte Rolle als künftige Eroberer des ganzen Kontinents vorzubereiten. Graf Galeazzo Ciano, Schwiegersohn des "Duce", zu dieser Zeit Propagandaminister, betonte in einer Weisung die "klare Trennung" der Rassen und keinerlei Annäherung "der italienischen Rasse (...) an die schwarze Rasse", um die "Reinheit" der italienischen absolut zu wahren.(3)

Eine maßgebliche Grundlage des römischen Rassismus bildeten die Schriften des faschistischen Ideologen Julius Evola. Als Anhänger des in der Weimarer Republik berüchtigten Deutschen Herrenklubs, eines Wegbereiters des Machtantritts Hitlers, und nach 1933 des Freundeskreises Himmlers, schrieb er unter dem Einfluss von Nietzsche, der deutschen Mystik, dem SS-Totenkult und anderem reaktionären deutschen Gedankengut sein Hauptwerk "Die Söhne der Sonne". In ihm verherrlichte er die Überlegenheit der arischen Rasse, Führerkult, soldatische Disziplin und den Ordensstaat. Angelo Del Bocca und Mario Giovanna haben in einem Buch "I Figli del Sole" Evolas Rassismus analysiert und geschrieben: Evolas "Söhne der Sonne" seien Herrenmenschen, die gegenüber "jeglicher Schwäche unerschütterlich" seien, für die "nichts wahr und alles erlaubt ist". Außer den "Herren" würden nur Sklaven existieren. Die Masse bestehe nur aus Dienern, aus "Leuten, die überhaupt keine Rechte haben", auch nicht das auf Leben, und über deren Vernichtung "man keine Träne zu vergießen braucht".(4)

Das Wüten von Mussolinis SA und des Henkers von 30.000 Äthiopiern, des Marschalls Graziani, zeigte, wie die römische Rassenideologie in barbarischer Weise verwirklicht wurde. Im Lichte dieses römischen Rassismus wirken die Verkündungen des konservativen Faschismusforschers Renzo De Felice, der italienische Faschismus sei "nicht rassistisch und rückwärtsgewandt wie der deutsche Nationalsozialismus" gewesen, geradezu absurd.(5)


Hitlers Rassengesetze widerspruchslos übernommen

Mit den rassistischen Instruktionen wurde der Boden bereitet für das im Juli 1938 verkündete "Rassenmanifest", mit dem Mussolini grundsätzlich und wesentlich die faschistischen Rassengesetze Hitlerdeutschlands übernahm.(6) "Die gerade nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges vertretene Hypothese, die italienischen Rassengesetze seien auf Druck des deutschen Bündnispartners eingeführt worden, entbehrt jeglicher Grundlage".(7)

Als die Wehrmacht zu Beginn des Zweiten Weltkrieges Blitzsiege gegen Polen, Dänemark, die Niederlande, Belgien, Norwegen erzielte, die britisch-französischen Truppen am 4. Juni 1940 eine Niederlage erlitten und die Wehrmacht ihre Offensive in Frankreich fortsetzte, trat Italien in den Krieg ein, um sich einen Anteil an der Beute zu sichern. Am 10. Juni 1940 gab der "Duce" vom Balkon des Palazzo Venezia in Rom die Kriegserklärung an Großbritannien und Frankreich bekannt: "Volk Italiens! Zu den Waffen! (...) Wir wollen die Ketten der territorialen und militärischen Ordnung, die uns in unserem Meer erwürgen, sprengen, weil ein 45-Millionen-Volk nicht wirklich frei ist, wenn es keinen freien Zugang zum Ozean hat. Die an der Alpenfront eröffneten italienischen Angriffe zeitigten jedoch kaum Erfolge und übten keinen Einfluss auf die Kampfhandlungen in der Endphase des Frankreichfeldzuges der Wehrmacht aus. Bei den Waffenstillstandsverhandlungen mit Frankreich am 24. Juni 1940 in Rom konnte Mussolini seine Ansprüche auf Korsika, Tunis und Djibouti nicht durchsetzen. Hitler billigte ihm nur einen kleinen Küstenstreifen an der Côte d'Azur bis Mentone zu.


Überfall auf Griechenland scheiterte

So versuchte Mussolini seine Großmachtansprüche auf dem Balkan und in Nordafrika zur Geltung zu bringen. Im Oktober 1940 fiel er von Albanien aus in Griechenland ein. Hitler war über den Angriff nicht informiert worden. Die italienische Offensive scheiterte an der unerwartet starken Abwehr der griechischen Armee, welche die Italiener in ihre Ausgangsstellungen zurückwarf. Am 9. März 1941 startete der "Duce" den zweiten Versuch, Griechenland zu erobern. Eine Woche nach ihrem Beginn, brach auch diese Offensive zusammen. Berlin war wiederum nicht informiert worden. Hitler soll, als er von dem Überfall erfuhr, "einen Tobsuchtsanfall erlitten haben".(8)

Die Aggressionsplanung der Wehrmacht gegen die UdSSR sah zur Absicherung der Südostflanke den Überfall auf Jugoslawien und Griechenland vor. Hitler wartete zunächst ab. Dann zeichnete sich jedoch britische Unterstützung ab und die Griechen setzten zu Gegenangriffen an. Da sein Achsenpartner vor aller Welt "richtiggehend verprügelt" wurde, startete die Wehrmacht im Vorfeld der Aggression gegen die UdSSR am 6. April von Bulgarien und Ungarn aus zum geplanten Überfall auf Jugoslawien und Griechenland. Die italienischen Truppen wurden von nun an dem Oberbefehl der Wehrmacht unterstellt.(9) Es zeigte sich, dass Italien seine Expansionsziele nur noch mit deutscher Hilfe in Angriff nehmen konnte. Mussolini musste seine Pläne den deutschen unterordnen, wobei sich Hitlerdeutschland die günstige strategische Lage Italiens als Sprungbrett für seine eigenen Kriegsziele auf dem Balkan, in Nordafrika und im Nahen Osten zunutze machte. Es wurde deutlich, dass der wirtschaftlich und militärisch schwächere römische Imperialismus dem raffinierteren, rücksichtsloseren und in Aggressionskriegen erfahreneren deutschen unterlegen war.


Abenteuerliche Vorstöße nach Sudan und Kenia

In völliger Verkennung der militärischen Möglichkeiten startete Mussolini im Sommer 1940 mehrere Angriffe in Nord- und Ostafrika. Im Juli stießen seine Truppen nach dem Sudan und Kenia vor. Am 3. August fielen sie in Britisch Somaliland ein, das sie am 19. August mit der Einnahme von Berbera fast vollständig eroberten. Im September drangen sie von Libyen aus in Ägypten bis Sidi Barrani vor. Die abenteuerlichen Vorstöße scheiterten binnen kurzer Zeit. Sidi Barrani wurde am 10. Dezember von den Briten zurückerobert. Am 22. Januar 1941 nahm die 8. britische Armee Montgomerys Tobruk ein, am 8. Februar Mersa el Brega und Agheila. Die Briten zerschlugen zehn italienische Divisionen, machten 130.000 Gefangene, erbeuteten zahlreiche Panzer und Geschütze.


Das völlige Scheitern der Expansionspolitik

Am 18. Januar 1941 begann in Ostafrika unter britischem Oberbefehl zusammen mit äthiopischen Truppenteilen, die Kaiser Selassie befehligte, der Angriff auf Äthiopien, Eritrea und Italienisch-Somaliland. Am 18. Mai 1941 kapitulierte Italien in Ostafrika.(10) In Nordafrika wurde der völlige Zusammenbruch vorerst durch das ab 6. Februar 1941 zu Hilfe geschickte deutsche Afrikakorps abgewendet. Auch die Eroberung von Tunis und Biserta durch deutsche Luftlandetruppen im November 1942 brachte nur vorübergehend eine Entlastung. Im März 1943 begannen die an Soldaten und Material weit überlegenen anglo-amerikanischen Truppen ihre Offensive. Am 13. Mai 1943 kapitulierte die je zur Hälfte aus Deutschen und Italienern bestehende 250.000 Mann zählende Heeresgruppe Afrika am Kap Bon nahe Tunis. Ihr Oberbefehlshaber, General Erwin Rommel, war von Hitler vorher zurückgerufen worden.


Unverändert gültige Lehren

Im Friedensvertrag von Paris vom 10. Februar 1947 (11) musste Italien auf seine Kolonien in Afrika verzichten, erhielt aber bis 1960 die Treuhandverwaltung der UNO über Somalia übertragen. Es musste Grenzkorrekturen zugunsten Frankreichs zustimmen, den Dodekanes an Griechenland zurückgeben, Istrien, die Adriainseln und Fiume an Jugoslawien abtreten, das Gebiet von Triest als Freistaat und die Unabhängigkeit Äthiopiens und Albaniens anerkennen. Italien wurden Reparationen von 360 Millionen US-Dollar (nach dem Stand von 1938) auferlegt, die an Jugoslawien (125 Mio.), Griechenland (105 Mio.), die UdSSR (100 Mio.), Äthiopien (25 Mio.) und Albanien (5 Mio.) zu zahlen waren.

Das völlige Scheitern der italienischen Expansionspolitik vermittelt unverändert gültige Lehren.


Fußnoten

(1) Teil 1 Ausbruch aus der "Gefangenschaft im Mittelmeer" erschien in der Schattenblick-Ausgabe vom 19. Januar 2012
Teil 2 "Die Frage der Neuaufteilung der Welt gestellt", in der Schattenblick-Ausgabe vom 20. Januar 2012

(2) Siehe Beitrag im Schattenblick vom 28. November 2011: Italiens neuer Premier Mario Monti regiert mit einer Troika aus EU, FMI und EZB.

(3) Ciano nahm im Juli 1943 an der Palastrevolte gegen Mussolini teil, fiel den Deutschen in die Hände und wurde von Hitler, obwohl er sich von dem Sturz Mussolinis distanzierte, an den "Duce" ausgeliefert. Von diesem wurde er unter dem während der Besatzungsherrschaft Hitlerdeutschlands errichteten Marionettenregime der Repùbblica Sociale Italiano im Oktober 1943 zum Tode verurteilt und am 11. Januar 1944 hingerichtet.

(4) Angelo Del Bocca/Mario Giovanna: I Figli del Sole. Mezzo Secolo di Nazifascismo nel Mondo, Mailand 1965, S. 130 ff.

(5) Michael Ledeen: Renzo de Felice. Der Faschismus. Stuttgart 1977, S. 5. Dass dieser Rassismus höchst lebendig ist, zeigte u. a. ein Ausspruch des Chefs der rassistischen Lega Nord, Umberto Bossi, unter der Regierung des faschistoiden Mediendiktators Silvio Berlusconis bis zu ihrem Sturz im Oktober 2011 Vizepremier: Es sei "leider leichter, Ratten zu vernichten, als Zigeuner auszurotten". Süddeutsche Zeitung, 16. April 2008. Zit. in: G. Feldbauer, Wie Italien unter die Räuber fiel, Papyrossa Verlag, Köln 2011, S. 155.

(6) "Liberazione", 24. Februar 2006.

(7) Schneider, S. 76. Berlusconi, plante im Bündnis mit der Lega Nord Umberto Bossis auf der Grundlage dieser Rassengesetze wieder den Begriff der Rasse und die Nominierung eines "Sonderbeauftragten" für Sinti und Roma einzuführen. Piero Sansonetti: Ecco il nuovo "Manifesto in difesa della Razza", in: "Liberazione", 24. Februar 2009. Der Professor für Soziologie an der Universität von Genua, Alessandro Dal Lago, hielt fest: "Bei uns in Italien ist Rassismus wieder offizielle Politik". In: Interview für "jW", 4./5. September 2010. Zitate. in: G. Feldbauer, a. A. O., S. 155.

(8) Pietro Badoglio: Italien im Zweiten Weltkrieg, München/Leipzig 1947, S. 47, 52; Gerhard Schreiber: Deutsche Kriegsverbrechen in Italien, München 1996, S. 17.

(9) Andreas Hillgruber: Von El Alamein bis Stalingrad., München 1964, S. 47.

(10) Bernard Law Montgomery: Kriegsgeschichte, Frechen 1998, S. 506 f., Loth, S. 232 f.

(11) Es handelte sich um die von Siegermächten (vor allem UdSSR, USA, Großbritannien und Frankreich) mit Italien, Rumänien, Ungarn, Bulgarien und Finnland als früheren Verbündeten Hitlerdeutschlands verhandelten und geschlossenen Friedensverträge. I Giorni, S. 525.


Bücher unseres Autors zum Nachschlagen: Marsch auf Rom. Faschismus und Antifaschismus in Italien. Papyrossa Verlag, Köln 2002; Mussolinis Überfall auf Äthiopien. Eine Aggression am Vorabend des Zweiten Weltkrieges. Pahl Rugenstein Verlag, Bonn 2006; Geschichte Italiens. Vom Risorgimento bis heute. Papyrossa Verlag, Köln 2008.


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Quelle:
© 2012 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Januar 2012