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MEMORIAL/097: Am 27. März 1944 kehrte Togliatti aus Moskau nach Italien zurück (Gerhard Feldbauer)


Am 27. März 1944 kehrte Togliatti aus Moskau nach Italien zurück

Welchen Einfluss nahm Stalin auf die Strategie der IKP

von Gerhard Feldbauer, März 2014



Im Juli 1943 wurde Mussolini in einer Palastrevolte gestürzt. König Vittorio Emanuele III., der die Verschwörung absegnete, beauftragte den früheren Mussolini-Marschall Pietro Badoglio mit der Bildung einer vorwiegend aus Militärs bestehenden Regierung. Deren Versuch, zwar aus der Achse mit Berlin auszuscheiden, aber danach neutral zu bleiben, scheiterte am Einspruch der Anglo-amerikanischen Alliierten. Auch die IKP, bereits zu dieser Zeit führende Kraft der antifaschistischen Bewegung, forderte einen Übertritt auf die Seite der Antihitlerkoalition, der mit der Kriegserklärung an Hitlerdeutschland am 13. Oktober 1943 dann erfolgte. Nach Bekanntgabe des Waffenstillstandes am 8. September besetzte die Wehrmacht Nord- und Mittelitalien. Bereits einen Tag später rief das auf Initiative der IKP von allen Oppositionsparteien - Kommunisten, Sozialisten, Aktionisten, Liberalen, Republikanern und Christdemokraten - gebildete Nationale Befreiungskomitee (CLN) zum Befreiungskrieg gegen Hitlerdeutschland und seine italienischen Vasallen auf. Im Inneren blieb das Ziel der Regierung jedoch, die faschistische Diktatur in eine autoritär-reaktionäre, auf Monarchie, Militär und Klerus gestützte umzuwandeln. Ihr Vorgehen fand die teils stillschweigende, teils offene Billigung der Alliierten. Vor allem von Churchill unterstützt lehnten der König und Badoglio einen Beitritt der CLN-Parteien in die Regierung ab.

Am 27. März 1944 kehrte der Generalsekretär der IKP, Palmiro Togliatti, nach 18jähriger Emigration aus der UdSSR nach Italien in den von den alliierten Truppen befreiten Süden zurück. Sicher war er gut beraten gewesen, nicht sofort nach dem Sturz Mussolinis zurückzukehren und erst einmal von Moskau aus die Entwicklung in den ersten Monaten der Regierung Badoglio und die Haltung der Alliierten zu verfolgen. Nun traf er genau zu dem Zeitpunkt ein, da es vordergründig um die weitere Politik der Regierung Badoglio, im Kern jedoch bereits um die Gestaltung der Nachkriegsordnung Italiens und die Rolle der IKP in diesem Prozess ging.


Georg Lukacs große Wertschätzung für Togliatti

Togliatti hatte bei der Konzipierung der Politik der IKP große theoretische Leistungen vollbracht. An Gramsci anknüpfend, der schon in der ersten Hälfte der 1920er Jahre Grundsätze einer Analyse des Faschismus und die für seinen Sturz erforderliche breite nationale Bündniskonzeption erarbeitete, hatte er bei der Charakterisierung des Faschismus dessen hemmungslose soziale Demagogie und den blutigen Terror zur Zerschlagung der Arbeiterbewegung und zur Ausschaltung aller politischen Gegner herausgearbeitet. Die politische Dimension des Faschismus charakterisierte er dahingehend, dass dieser der Bourgeoisie eine reaktionäre Massenpartei schuf, über die sie vorher nicht verfügte. Bereits 1928 auf dem VI. Weltkongress der Komintern führte er aus, dass der Faschismus nicht nur die Diktatur einer Handvoll Monopolisten und des Finanzkapitals ist, sondern ein reaktionäres Regime, dem es gelang, sich den Konsens der Massen zu sichern. Georg Lukacs schätzte Togliatti als "eine der bedeutendsten taktischen Begabungen, welche die Arbeiterbewegung hervorgebracht hat", ein (Theo Pinkus, Gespräche mit Georg Lukas, Hamburg 1967). In der Komintern stieg Togliatti als Stellvertreter Georgi Dimitroffs zum zweiten Mann in der Kommunistischen Internationale auf. Als diese auf ihrem VII. Weltkongress 1935 mit ihren Beschlüssen entscheidende Grundlagen dafür schuf, eine breite Volksfront gegen Krieg und Faschismus herzustellen, war Togliatti neben Dimitroff an der Ausarbeitung der Dokumente des Kongresses und der damit erfolgenden Korrekturen in der Bündnispolitik, darunter der Überwindung des Sektierertums, maßgeblich beteiligt. Mit Wilhelm Pieck und Georgi Dimitroff gehörte er zu den Hauptrednern des Kongresses. Er sprach zur Offensive des Faschismus und zu den Aufgaben im Kampf um die Einheit der Arbeiterklasse gegen Faschismus und Krieg. Es fällt auf, dass Togliatti in seinem Referat nicht ein einziges Mal auf Gramscis große Verdienste verwies. Das dürfte sicher seiner Haltung entsprochen haben, keine Konflikte zu provozieren. Denn Gramsci war mit seiner Ablehnung der Sozialfaschismusthese der Komintern bei Stalin nicht beliebt. So führte Togliatti auch nicht das mit der Sozialistischen Partei (ISP) 1934 geschlossene Aktionseinheitsabkommen an, das ohne die Anerkennung der ISP als einer Abteilung der Arbeiterbewegung nicht zustande gekommen wäre. Es wurde noch nicht einmal erwähnt, das sich Gramsci zu dieser Zeit in Mussolinis Kerker befand, aus dem er todkrank 1937 nach internationalen Protesten entlassen wurde und danach wenige Wochen später am 27. April 1937 verstarb.


Moskaus Alleingang

Wie aus den Tagebüchern Georgi Dimitroffs (1933-1943, Berlin 2000) hervorgeht, beriet Stalin in der Nacht vom 4. zum 5. März 1944 mit Togliatti das weitere Vorgehen in Italien. Die UdSSR ging von der Erklärung der Moskauer Außenministerkonferenz (USA, Großbritannien, UdSSR) im Oktober 1943 »über Italien« aus, in der es hieß, "dass die gemeinsame Politik der Verbündeten in Italien zur völligen Vernichtung des Faschismus und zur Errichtung eines demokratischen Regimes führen muss".

In Moskau war man sich darüber im Klaren, dass man die Badoglio-Regierung berücksichtigen musste. Am 8. Januar 1944 traf der sowjetische Vertreter im Advisory Council of Italy, einem auf der Moskauer Konferenz geschaffener Beobachterrat, mit Badoglios Außenminister zusammen, um die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu sondieren. In London vermutete man nicht zu Unrecht, dass es Stalin um weitergehende Ziele ging, was Winston Churchill veranlasste, sich am 22. Januar unmissverständlich für die Beibehaltung der Monarchie zu erklären, sich vorbehaltlos hinter Badoglio zu stellen und einen Regierungsbeitritt der CLN-Parteien abzulehnen. Franklin D. Roosevelt sprach sich jedoch am 13. März für den "Rückzug Emanuele III. von der Politik" und "für die Einbeziehung der Antifaschisten in die Regierung Italiens" aus. Einen Tag später gab die UdSSR im Alleingang die Anerkennung der Regierung Badoglios bekannt. Der Schritt wertete dessen Kabinett auf und durchkreuzte die Ziele westlicher Alliierter, an erster Stelle Großbritanniens, Italien als besetztes Land zu behandeln und ihm den Status eines gleichberechtigten Mitglieds der Antihitlerkoalition zu verwehren. Washington und London nahmen danach keine diplomatischen Beziehungen auf, ernannten stattdessen Hohe Kommissare für Italien. Vor diesem Hintergrund näherte sich Badoglio Moskau und signalisierte eine Regierungsbeteiligung der CLN-Parteien.


Grundlage Lenins "Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution"

Vier Tage nach seiner Rückkehr am 31. März, sprach Togliatti vor dem Nationalrat der Partei über die Stärkung der Einheit der antifaschistischen Kräfte und die Notwendigkeit der Bildung einer neuen Regierung, die den Charakter eines Übergangskabinetts haben und durch den Beitritt der großen Parteien gestärkt und so in die Lage versetzt werden sollte, die Volksmassen zum Krieg gegen Hitlerdeutschland zu mobilisieren. Togliatti erklärte den Sozialismus nicht zum aktuellen Ziel, da das die großbürgerlichen Verbündeten ausgeschlossen und offene Konfrontation mit Badoglio und dem König bedeutet hätte. Das bedeutete jedoch keinen Verzicht, denn die strategische Umorientierung gründete sich zugleich auf den Aufruf der IKP "an das italienische Volk" vom 8. September 1943, in dem es hieß: "Die Arbeiterklasse wird die Hauptkraft sein, die das italienische Volk zum Kampf führt, um für immer die Macht der imperialistischen Kräfte, die für den räuberischen Krieg und den Ruin der Nation verantwortlich sind, zu brechen. Deshalb darf die Demokratie, die wir meinen, den rechten Kräften nicht noch einmal erlauben, sich in ihr breitzumachen." Togliattis Vorgehen entsprach im Grunde genommen der von Lenin in "Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution" konzipierte Revolutionstheorie. Togliattis Konzept entsprach der von Lenin in "Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution" konzipierten Revolutionstheorie. Diese strategische Linie berücksichtigte auch die Orientierung, die Stalin nach dem faschistischen Überfall auf die UdSSR den Parteien der Komintern mit Blick auf die angestrebte Anti-Hitler-Koalition gegeben hatte: "die Frage der sozialistischen Revolution nicht aufzuwerfen" (Dimitroff-Tagebücher). Um zu verdeutlichen, dass die KPdSU mit dem Kampf gegen den Faschismus nicht die sozialistische Revolution voranbringen wollte, wurde dann am 15. Mai 1943 die Komintern aufgelöst. Das entsprach auch der Lage, dass es in der Situation des Weltkrieges den kommunistischen Parteien nicht mehr möglich war, zur Beratung grundsätzlicher Fragen ihres Kampfes, darunter der der vielfältigen nationalen Aspekte, zusammen zu kommen. Togliattis Vorgehen zeigte, dass er nicht einfach Stalins Hinweisen folgte, sondern von den grundsätzlichen Erfordernissen der nationalen Entwicklung ausging, die schon Gramsci vertreten hatte. Vom schöpferischen Herangehen zeugte auch, dass die IKP den Begriff der Volksfront vermied und von einer antifaschistischen Einheitsregierung sprach.


IKP-Basis und Sozialisten forderten Sozialismus als Ziel

Togliatti stieß zunächst auf Widerspruch - nicht nur in der IKP, sondern auch bei den Sozialisten, die forderten, das Ziel einer sozialistischen Gesellschaft in den Mittelpunkt zu stellen. In der "Unita" vom 2. April sagte Togliatti dazu: "Wir können uns heute nicht von einem so genannten engen Parteiinteresse leiten lassen. Es sind die unmittelbaren Lebensbedürfnisse unseres Landes, die wir heute verteidigen müssen. Und diese Bedürfnisse können wir nur wirksam verteidigen, wenn wir immer mehr die Einheit aller jener verbreitern und festigen, die bereit sind, gegen den Eindringling zu kämpfen, ganz gleich, welches ihr Glauben und welches ihre politische Richtung ist. Es sind die kommunistische Partei und die Arbeiterklasse, die das Banner der nationalen Interessen in die Hände nehmen müssen, das der Faschismus und die Gruppen, die ihm die Macht übertrugen, verraten haben." Auf einer Funktionärskonferenz am 11. April argumentierte er: "Revolutionär ist nicht derjenige, der am meisten schreit und agitiert, sondern jener, der konkret daran geht, die Aufgaben zu lösen, die die Geschichte den Völkern und Klassen stellt und die gelöst werden müssen, wenn wir den Weg der Entwicklung einer menschlichen Zivilisation gehen wollen."


Togliatti verteidigte Regierungseintritt

In der ersten Nummer der ab 1944 erscheinenden Zeitschrift "Rinascita" äußerte Togliatti zur Rolle der IKP, dass sie "ihre nur oppositionelle und kritische Position der Vergangenheit aufgegeben hat und heute beabsichtigt, neben den konsequent demokratischen Kräften eine leitende Funktion im Befreiungskampf des Landes und für den Aufbau eines demokratischen Regimes zu übernehmen."

Entscheidend trug Luigi Longo, stellvertretender Oberbefehlshaber der Partisanenarmee, dazu bei, den Regierungseintritt verständlich zu machen. "Wir sehen nur die politischen Unannehmlichkeiten einer Zusammenarbeit mit Badoglio, nicht aber die Schwäche eines nationalen Befreiungskrieges, ohne die von ihm kontrollierten und beeinflussten Kräfte", argumentierte er in "La nostra Lotta" im März 1944. Longo unterstützten die Partisanenkommandeure, in deren Einheiten Antifaschisten aller Parteien Schulter an Schulter mit monarchistischen Soldaten und Offizieren kämpften. Sie stimmten zu, dass die gemeinsame Front gegen die deutschen Okkupanten und ihre italienischen Helfershelfer das entscheidende Kriterium sei.


Churchills reaktionäres Konzept zum Scheitern gebracht

Am 22. April traten am Regierungssitz in Salerno die Parteien des Nationalen Befreiungskomitees, ausgenommen die Republikaner, die einen solchen Schritt mit ihrer grundsätzlich antimonarchistischen Haltung als unvereinbar erklärten, in Badoglios Regierung ein. Die IKP übernahm zwei Ministerämter, darunter mit Togliatti eins ohne Ressort und das Landwirtschaftsministerium, das von Bedeutung für die im Süden anstehenden Agrarreformen war. Togliatti hob den Charakter einer "Regierung der nationalen Einheit", die ein Bekenntnis zum Antifaschismus ablegte, hervor und sprach von einem "Governo Nazionale democratico di Guerra" (Nationaldemokratische Kriegsregierung«). In der Nr. 7/8 vom April 1944 ihrer Zeitschrift La nostra Lotta hieß es: "Wir sind für alles, was unser Land für den Krieg stärkt. Wir sind gegen alles, was es schwächt. In den Reihen der Patrioten, die für die Freiheit des Landes kämpfen, ist Platz für alle Italiener, soweit sie Liebe zu ihrem Vaterland und den heißen Wunsch empfinden, es zu befreien." Das Ereignis ging als "Wende von Salerno" in die Geschichte ein. Die Ziele reaktionärer USA-Kreise und Churchills, faschistische Machtstrukturen zu konservieren und das CLN von der Mitgestaltung der Regierung auszuschließen, wurden damit zum Scheitern gebracht.

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Quelle:
© 2014 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. März 2014