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MEMORIAL/105: Vor 30 Jahren starb Enrico Berlinguer (Gerhard Feldbauer)


Vor 30 Jahren starb Enrico Berlinguer

Einst Star der Medien wurde der große kommunistische Führer jetzt eher gemieden

von Gerhard Feldbauer, 12. Juni 2014



In den 1970er Jahren war er der Star der Medien. Kaum ein Tag verging, ohne dass er die Spalten auch der bürgerlichen Presse füllte: Enrico Berlinguer, seit 1972 Generalsekretär der IKP - der damals mit über zwei Millionen Mitgliedern und 1976 von zwölf Millionen Italienern (34 Prozent) gewählten - stärksten KP der kapitalistischen Industriestaaten. Mehr noch als seine "Compromesso storico" genannte Zusammenarbeit mit der Democrazia Cristiana (DC), einem Regierungsbündnis gegen die drohende faschistische Putschstrategie der Mussolini-Nachfolge-Partei MSI, machte seine kritische Haltung gegen den Führungsanspruch der KPdSU in der kommunistischen Weltbewegung Schlagzeilen. Als er am 11. Juni 1984 nach einem Schlaganfall starb, den er während einer Kundgebung seiner Partei zu den EU-Wahlen (bei denen sie sechs Tage später mit 33,3 Prozent erste Partei wurde) erlitt, kamen zur Trauerfeier für ihn auf der Piazza San Giovanni in Rom zwei Millionen Menschen. Mit dem sozialistischen Staatspräsidenten Sandro Pertini an der Spitze nahmen die höchsten Persönlichkeiten des Staates, der demokratischen Parteien, der Gewerkschaften und des öffentlichen Lebens ebenso der internationalen sozialistischen, kommunistischen und der nationalen Befreiungsbewegung teil.

Gestern, an seinem 30. Todestag, wurde, auch dort, wo man es hätte erwarten können, eher vermieden, an ihn zu erinnern. "La Repubblica", das Sprachrohr der Demokratischen Partei (PD), die vor sechs Jahren aus einem Zusammenschluss der aus der 1991 aufgelösten IKP hervorgegangenen Linkspartei mit dem katholischen Zentrum entstand, schwieg sich völlig aus. An der linken PD-Basis berufen sich viele noch auf Berlinguers revolutionäres Erbe und möchten es wachhalten. Dem wollte man keinen Auftrieb verschaffen, ist es doch das Ziel der neuen PD-Führung mit dem früheren Christdemokraten Matteo Renzi an der Spitze, sich von derartigem "Ballast" zu befreien. Die einstige IKP-Zeitung "Unita" widmete ihm immerhin mehrere Beiträge, darunter die Memoiren seines langjährigen Kraftfahrers, die demnächst als Buch erscheinen, und Erinnerungen der Kinder - Berlinguer hatte mit seiner den Katholizismus praktizierenden Ehefrau drei Töchter und einen Sohn - was gern Compromesso in Famiglia genannt wurde.

Fausto Sorini und Wladimiro Giacche von der Leitung der Partei der Kommunisten Italiens - PdCI (eine der beiden KPs, die andere ist die Kommunistische Neugründung PRC) stellten die aktuelle Bedeutung der revolutionären Potenzen im Erbe Berlinguers heraus. Während die Reformisten in den 1970er Jahren die IKP bereits in eine sozialistisch-sozialdemokratische Partei umwandeln wollten, wandte sich Berlinguer entschieden dagegen und setzte - wenn auch unter Anlehnung an den so genannten Eurokommunismus - auf den Erhalt ihrer revolutionären Potenzen und ihre Nutzung in der Regierungszusammenarbeit mit der DC. Es habe von seiner hohen moralischen Haltung gezeugt, dass er das Scheitern seines Experiments eingestanden, dafür die Verantwortung übernommen und eine linke Alternative aufgezeigt habe. Wenn er seine wiederholt geäußerten Rücktrittsabsichten nicht verwirklichte, dann vor allem deshalb, weil kein befähigter Nachfolger zur Stelle war und er befürchtete, die Reformisten würden die Führung an sich reißen, was dann nach seinem Tod auch erfolgte. Sorini und Giacche, die 2011 mit dem langjährigen PdCI-Sekretär Oliviero Diliberto das Buch "Die kommunistische Partei wieder aufbauen" verfassten, heben als aktuelle Lehre hervor, dass Berlinguers historischer Kompromiss, der zweifelsohne Erfolgschancen hatte, durch die von Pentagon und CIA inszenierte Ermordung des linken DC-Führers Aldo Moro im Mai 1978 vereitelt und der IKP damit jene folgenschwere Niederlage bereitet wurde, nach der sie dann nach Berlinguers Tod, wie ein US-Präsident Ronald Reagan triumphierend erklären konnte, unter den kommunistischen Parteien Westeuropas "die schwächste" war.

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Quelle:
© 2014 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juni 2014