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MEMORIAL/109: Am 25. Juli 1934 verhinderte Mussolini die Annexion Österreichs durch Hitler (Gerhard Feldbauer)


Von der Bewunderung des "Führers" für den "Duce" zum Interessenkonflikt

Am 25. Juli 1934 verhinderte Mussolini die Annexion Österreichs durch Hitler

von Gerhard Feldbauer, 25. Juli 2014



Bevor Hitler im Januar 1933 an die Macht kam, fühlte sich Mussolini als der unbestrittene "Führer des Faschismus" über Italien hinaus. In den 1920ern und bis in die 1930er Jahre hinein spielte sein Regime eine internationale Vorreiterrolle. Sein Machtantritt 1922 wirkte sich auf das 1920 in Ungarn an die Macht gekommene Horty-Regime und 1923 in Bulgarien auf die Etablierung der Zankow-Diktatur ebenso aus wie 1926 auf die Errichtung der militärfaschistischen Diktatur unter General Carmona de Fragoso in Portugal. Die Putschpläne Francos wurden 1936 unter Leitung italienischer und deutscher Militärs und der Nutzung der militärischen Erfahrungen vor allem der Mussolini-Faschisten ausgearbeitet.


Nach Mussolinis Squadre d'Azione, den Sturmabteilungen, nannte Hitler seine SA

Besonders nachhaltig beeinflussten Beispiel und Erfahrungen des römischen Faschismus die Formierung des deutschen unter Hitler bis zu dessen Machtantritt in Deutschland. "Das Braunhemd", so räumte Hitler in seinen "Monologen im Führerhauptquartier" noch 1941 ein, "wäre vielleicht nicht entstanden ohne das Schwarzhemd". Er gestand ebenso, dass Mussolini einmal für ihn "eine ganz große Persönlichkeit" darstellte. Das Beispiel Mussolinis zeigte sich im direkten Einfluss auf Hitlers "Führerpersönlichkeit", auf die Strukturen seiner Bewegung und ihrer Kampfmethoden, besonders der sozialen Demagogie und des Terrors. Hitler nannte seine SA wörtlich nach Mussolinis Squadre d'Azione, den Sturmabteilungen. Er übernahm dessen Führertitel "Duce" und den "römischen Gruß", mit dem sich dieser mit erhobenem rechten Arm grüßen ließ. Ein unwesentlicher Unterschied bestand nur in der schwarzen bzw. braunen Farbe der Uniformhemden.


Deutsche Kapitalkreise forderten nach italienischem Vorbild "Marsch auf Berlin"

Ein Bericht der Münchener Polizei vermerkte, durch Mussolinis Machtergreifung habe die NSDAP "eine besondere Schwerkraft erlangt". Nach dem "Marsch auf Rom" begann die Mehrheit deutscher Kapitalkreise, die bis dahin - gestützt auf die Rechtsparteien und die militaristischen Verbände wie den Stahlhelm - die Monarchie wieder errichten wollten, sich auf eine bürgerliche Partei faschistischen Typs, wie sie Hitler im Begriff war aufzubauen, zu orientieren. Ruhrschwerindustrielle um Thyssen und Stinnes begannen, Hitler und Ludendorff finanziell kräftig zu unterstützen, damit dieser nach dem Vorbild Mussolinis einen ebenso erfolgreichen "Marsch auf Berlin" durchführen könnte. Thyssen äußerte bereits im September 1923, es müsse "ein Diktator gefunden werden, ausgestattet mit der Macht, alles zu tun, was nötig ist", um Hitler auf einem ähnlichen Weg an die Macht zu verhelfen, wobei der Schwerpunkt auf den SA-Terror zur Zerschlagung der Arbeiterbewegung gelegt wurde.


Streit um Südtirol

Hitlers Bewunderung für den "Duce" als Wegbereiter des Faschismus in Deutschland und anderen Ländern Europas ließ nach der eigenen Machtergreifung allerdings merklich nach. Die widerstreitenden Interessen mit Berlin zeigten sich als Erstes in der Österreichfrage. Der von Hitler angestrebte "Anschluss" beunruhigte Rom, das im Falle einer gemeinsamen Grenze um das deutschsprachige, früher österreichische Südtirol, seine Kriegsbeute aus dem Ersten Weltkrieg, fürchtete. Außerdem lag von Wien aus der Balkan in greifbarer Nähe, eine Einflusssphäre, die Italien für sich beanspruchte. Nach dem ersten Treffen am 14. Juni 1934 in Venedig bekundeten beide Faschistenführer noch, den Konflikt beigelegt zu haben. Doch am 25. Juli 1934 wollte die SS-Standarte in Wien nach der Ermordung von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß mit einem Putsch Berlin das Signal zum Einmarsch geben. Mussolini reagierte scharf, sicherte Österreich Unterstützung zu und schickte mehrere Divisionen an die Brennergrenze. In Berlin übergab der Botschafter des "Duce", Vittorio Cerruti, Außenminister von Neurath eine scharfe Protestnote. Hitler gab nach und verschob den Anschluss.


In Afrika wollte Mussolini "die Frage der Neuaufteilung der Welt stellen"

Mussolini fürchtete die Rivalität Hitlers auch in Afrika, wo Deutschland im Ersten Weltkrieg seine Kolonien verloren hatte und eine starke koloniale Fraktion ihre Rückgabe bereits unmittelbar nach dem Machtantritt von den Westmächten forderte. So forcierte Rom die bereits seit 1932 betriebene Vorbereitung der Eroberung Äthiopiens (damals Abessinien). Mit dem afrikanischen Kaiserreich wollte Italien zunächst sein ostafrikanisches Kolonialreich vollenden, um dann, wie der Generalsekretär der Italienischen Kommunistischen Partei (IKP), Palmiro Togliatti, auf dem VII. Weltkongress der Komintern einschätzte, "die Kolonialkarte Afrikas zu ändern und damit die Frage der Neuaufteilung der Welt praktisch zu stellen."


Paris gab dem "Duce" Carte blanche

Die Konfrontation mit Berlin in der Österreich-Frage führte zu einer zeitweiligen Annäherung Roms an Paris und London, die versuchten, Italien, den alten verbündeten des Ersten Weltkrieges, in eine Front gegen Deutschland einzubeziehen. Während eines Besuchs des französischen Außenministers Pierre Laval am 7. Januar 1935 in Rom sprachen sich beide Seiten für die Wahrung der Unabhängigkeit Österreichs aus. In einem Geheimvertrag wurde die Unterstützung der französischen Politik im Mittelmeer durch Italien vereinbart, während Frankreich der italienischen Annexion Äthiopiens zustimmte. London, das um seine angrenzenden Kolonien Kenia und Uganda sowie den anglo-ägyptischen Sudan fürchtete, versicherte Mussolini, dass "seine Interessen in Ostafrika nicht beeinträchtig würden". Nach Abschluss der Kriegsvorbereitungen und der Verschiffung einer Kolonialarmee von rund 400.000 Soldaten überschritten die italienischen Truppen ohne Kriegserklärung am 3. Oktober die Grenze zu Äthiopien.


Völkerbund überließ Äthiopien seinem Schicksal

Nach dem Überfall verurteilte der von Paris und London beherrschte Völkerbund am 7. Oktober 1935 Italien als Aggressor, verhängte danach jedoch nur wirkungslose wirtschaftliche und finanzielle Sanktionen und überließ sein Mitglied faktisch seinem Schicksal. Deutschland, das die Organisation bereits nach dem faschistischen Machtantritt verlassen hatte, erklärte sich formell neutral, verweigerte Zwangsmaßnahmen und interpretierte die italienische Aggression als einen "Rassenkonflikt" und "gerechten Kampf".


Deutsche Waffen für Haile Selassie

Hitler versuchte jedoch zunächst, Mussolini die ein Jahr vorher beim Versuch, in Österreich einzumarschieren, für Wien bezogene Position heimzuzahlen und lieferte Äthiopien, wenn auch in geringem Umfang, heimlich Waffen. Im Juli 1935 gingen auf Weisung Hitlers über anonyme Kanäle nach Addis Abeba 10.000 Mausergewehre, Maschinengewehre und -pistolen, 10 Millionen Patronen, Handgranaten sowie Medikamente. Ferner 30 Panzerabwehrkanonen Kaliber 3,7 cm mit Munition. Von den Waffen wurden die deutschen Firmenzeichen entfernt. In der Schweiz ließ das Heereswaffenamt 36 Örli-Kanonen kaufen und nach Äthiopien verschicken. Der Historiker Bruno Mantelli schrieb in "Kurze Geschichte des italienischen Faschismus" (Berlin 1998), das sei unter dem Aspekt geschehen: "Je schwieriger es für Italien wurde, seine Eroberungsträume zu verwirklichen, umso notwendiger wurde es, sich auf Deutschland zu stützen." Offiziell habe Berlin Italien versichert, so eine Studie des bundesdeutschen Historikers Manfred Funke "Sanktionen und Kanonen. Hitler, Mussolini und der internationale Abessinienkonflikt" (Düsseldorf 1970), dass "die Reichsregierung weder Waffenlieferungen an den Negus noch die Anwerbung deutscher Freiwilliger für Abessinien zulassen würde".


Italienische Kommunisten kämpften in der Armee Kaiser Selassies

Die italienischen Truppen identifizierten jedoch trotz der entfernten Firmenzeichen die Herkunft deutscher Waffen, die ihnen in die Hände fielen. Ob Offiziere der Wehrmacht in Äthiopien waren, konnte nie geklärt werden. Wenn ja, hätten sie dort auf italienische Kommunisten stoßen können, von denen 37 in der Armee Selassies gegen die Mussolini-Faschisten kämpften, unter ihnen der spätere Kommandeur der internationalen Garibaldi-Brigade in Spanien, Ilio Barontini.


Meinungsumschwung in Berlin

Der italienische Vormarsch scheiterte zunächst am unerwarteten starken Widerstand der äthiopischen Armee, die die Angreifer stellenweise sogar zurückwarf. Als der deutsche Botschafter in Rom, Ullrich von Hassel, am 17. Januar 1936 Hitler darüber informierte, kam es zu einem Meinungsumschwung in Berlin. Er war auch eine Reaktion auf das Angebot Mussolinis vom 6. Januar, "die italienisch-deutschen Beziehungen von der österreichischen Hypothek zu befreien". Nach der Niederschrift Hassels habe der "Führer" danach erklärt, dass "ein Zusammenbruch des Faschismus in Italien (...) im höchsten Grade unerwünscht" sei und "wir müssten alles tun, um zu vermeiden, dass sich die mannigfache Gegnerschaft der Welt gegen das autoritäre Regierungssystem auf uns als einzigen Gegenstand konzentriere". Die Eroberung Äthiopiens gelang Mussolini dann erst nach dem Einsatz von 350 Tonnen des Giftgases Yperit.

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Quelle:
© 2014 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2014