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MEMORIAL/171: Italien - Nach ihrer Regierungsbeteiligung verlor die PCI 1987 über sieben Prozent ihrer Wähler (Gerhard Feldbauer)


Nach ihrer Regierungsbeteiligung verlor die PCI 1987 mit einem Schlag über sieben Prozent ihrer Wähler

Es sollte heutigen ähnlichen linken Ambitionen als Warnung dienen

von Gerhard Feldbauer, 15. Juni 2017


Noch immer wollen die Rechten unter den Linken, ob in Frankreich, Griechenland oder wie derzeit gerade wieder in Deutschland sichtbar, für großbourgeoise Regierungen koalitionsfähig werden. Auf dem Parteitag "Die Linke" vergangene Woche ging es einmal mehr darum, ob die Partei sich nach den Bundestagswahlen im September an einer von der SPD geführten Regierung beteiligen sollte. Während Fraktionschefin Sahra Wagenknecht vor "rot-rot-grünen" Träumereien warnte, biederte sich Gregor Gysi, der 1889/90 die kommunistische SED der DDR in eine sozialdemokratisch orientierte Partei des demokratischen Sozialismus (PdS) umwandelte, wieder einmal bei der SPD, der zweiten Partei des Kapitals, die gern erste werden möchte, an und trompetete "an uns darf Rot-Rot-Grün nicht scheitern". Da scheint es nachgerade angebracht, auf das Schicksal der Kommunisten Italiens (der PCI) zu verweisen.

Was besagen die Lehren ihrer von Generalsekretär Enrico Berlinguer als "Historischer Kompromiss" seit 1976 bis Frühjahr 1979 verfolgten Regierungszusammenarbeit mit der Democrazia Cristiana (DC)? Kurz gesagt, von zirka 34 Prozent Wählerstimmen 1976 sank sie am 14. Juni 1987 bei den Parlamentswahlen auf 26,6 Prozent. Rund drei Millionen hatten sich enttäuscht von ihr abgewandt, weil keines der Wahlversprechen verwirklicht wurde. Es gab keine "demokratische Wende", sondern die politische Achse verschob sich nach rechts und die faschistische Gefahr nahm zu. Die PCI nahm nicht nur Abstand von ihren antimonopolistischen Forderungen, sondern anerkannte das kapitalistische System der Marktwirtschaft. Es gab keine Verbesserungen der sozialen Lage der arbeitenden Menschen. Im Gegenteil trug die PCI Sparmaßnahmen der Regierung mit, unterstützte die Lockerung des Kündigungsschutzes und wirkte mäßigend auf den Widerstand der Gewerkschaften dagegen ein. In der Wirtschaft stimmte sie der Privatisierung staatlicher und öffentlicher Betriebe zu. Die PCI sagte sich von Grundsätzen des Marxismus-Leninismus los, bekannte sich zu den "Spielregeln der bürgerlichen Demokratie" und ihrer Integration in deren Parteiensystem. Sie proklamierte nicht nur einen eigenen "Weg zum Sozialismus", sondern übernahm das bürgerliche Staatsmodell, für das sie lediglich eine "demokratische Transformation" forderte. Völlig absurd war, dass die PCI nicht nur erklärte, die Bündnisverpflichtungen Italiens zu respektieren, sondern obendrein bekundete, die NATO eigne sich unter bestimmten Voraussetzungen als "Schutzschild" eines italienischen Weges zum Sozialismus.

Dabei befand sich die PCI für eine Zusammenarbeit mit der DC in einer starken Position. Als zweitstärkste Fraktion belegte sie in der Abgeordnetenkammer 227 Sitze und stellte den Präsidenten, im Senat den Stellvertreter. Sieben Kommunisten leiteten Parlamentsausschüsse. In den Regionen (Ländern) beteiligte sich die Partei an fast der Hälfte der Regierungen. In allen Großstädten von Mailand über Rom bis nach Neapel verfügte sie über die Mehrheit in den Stadtparlamenten und regierte mit den Sozialisten zusammen. In 1.362 von 8.068 Städten stellte sie den Bürgermeister.

Zur Abwehr der faschistischen Gefahr in eine bürgerliche Regierung einzutreten, wäre durchaus gerechtfertigt gewesen. Jedoch wurden keine Vereinbarungen getroffen, wie der Gefahr Einhalt geboten werden sollte. Es hätte beispielsweise darum gehen müssen, das in der Verfassung festgeschriebene Verbot der Wiedergründung der Mussolini-Partei in Gestalt des MSI durchzusetzen, den Staatsapparat, besonders Armee und Geheimdienste, von faschistischen Elementen zu säubern, ein Verbot der offen betriebenen faschistischen Propaganda, darunter Aufrufe zum Sturz der verfassungsmäßigen Ordnung, wie sie das MSI unter der Losung einer "chilenischen Lösung" für Italien betrieb, zu erlassen. Nichts davon geschah jedoch.

Durch den Wahlerfolg erhielt die sozialdemokratische Strömung in der PCI Auftrieb und gewann bestimmenden Einfluss auf die Gestaltung des Historischen Kompromisses. Sie beherrschte vor allem den mächtigen parlamentarischen Apparat, der wiederum eng mit der Parteiführung verknüpft war. Ihre politisch-ideologische Grundlage bildete der sogenannte Eurokommunismus. Diese revisionistische Strömung entstand seit Anfang der siebziger Jahre in einigen KPs der westlichen Länder (vor allem Italiens, Spaniens, Frankreichs, der Linkspartei Kommunisten Schwedens). Während Spaniens PCE unter dem späteren Sozialdemokraten Santiago Carillo kaum über Deklarationen hinauskam und der PCF unter Georges Marchais zunehmend wieder auf Distanz ging, wurde die PCI unter Berlinguer zu seinem Protagonisten.

In abenteuerlicher Weise stimmte die PCI auch noch der Berufung Giulio Andreottis zum Ministerpräsidenten der von ihr zunächst parlamentarisch unterstützten Regierung zu. Als Mann der Amerikaner gehörte er zu dem Komplott des von CIA und ihrer geheimen Nato-Armee Gladio mit den Faschisten gebildeten Putschloge P2, die den Mord an Berlinguers Partner in der DC, dem linksliberalen Aldo Moro, inszenierte, mit dem von Anfang an Regierungszusammenarbeit mit der PCI zu Fall gebracht werden sollte. Als Instrument bei der Ermordung Moros am 9. Mai 1978 nutzte die CIA die von ihr unterwanderten "Roten Brigaden", deren Operation ihr eingeschleuster Agent Coarrado Simioni steuerte. In intriganter Weise wurde die PCI als Urheber für deren linksextremen Terror verantwortlich gemacht.

Unter diesem Vorwand ging der Repressionsapparat mit aller Wucht gegen Linke und die als linksradikal apostrophierte außerparlamentarische Linke vor. Der Jagd auf sie fielen ganze Universitätsfakultäten zum Opfer. In Padua fast der gesamte Lehrkörper für politische Wissenschaften. Der linke Professor Antonio Negri wurde angeklagt, Chef der Brigate Rosse zu sein und die Ermordung Moros organisiert zu haben. Tausende APO-Linke, viele von ihnen ohne sich eines Vergehens strafbar gemacht zu haben, wurden in die Gefängnisse geworfen, zirka 100.000 Personen von den polizeilichen Ermittlungen erfasst, rund 40.000 angeklagt, etwa 15.000 verurteilt.

Die Regierungsachse verschob sich nach rechts. In der DC erhielten rechte und mit den Faschisten paktierende Kräfte bestimmenden Einfluss. Der zur Führung der faschistischen P2 gehörende Silvio Berluconi konnte mit deren Hilfe sein Fernsehimperium aufbauen, das zu einem entscheidenden Instrument der Installierung seiner faschistoiden Regimes zwischen 1994 und 2011 wurde.

Entgegen den Revisionisten in der PCI-Führung, die trotz des Scheiterns der Historischen Kompromisses in der Regierung verbleiben wollten, setzte Berlinguer im Januar 1979 den Austritt aus der Parlamentskoalition durch. Nach seinem Tod 1984 rissen die Revisionisten in der PCI die Führung an sich, liquidierten ihre kommunistische Identität und wandelten sie auf ihrem letzten Parteitag im Januar/Februar 1991 in eine sozialdemokratische Partei der Demokratischen Linken (PdS) um. Bezeichnenderweise hatte sich Gregor Gysi, der im Herbst 1989 in einem Parteiputsch die Führung der SED übernommen hatte, im Januar 1990 bei ihnen Rat geholt, wie dieser Prozess auch in seiner nun in PdS umgetauften Partei am besten verwirklicht werden könnte.

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Quelle:
© 2017 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juni 2017

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