Schattenblick →INFOPOOL →GEISTESWISSENSCHAFTEN → GESCHICHTE

NEUZEIT/169: Bankencrash und Brüningsche Notverordnungen - Teil 1 (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 42 vom 17. Oktober 2008
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Marxistische Theorie und Geschichte
Bankencrash und Brüningsche Notverordnungen
Vom Konjukturverfall zur Krise (Teil 1)

Von Eberhard Czichon


In den bürgerlichen Medien wird in den letzten Tagen und Wochen immer wieder an die "große Depression", an den Crash an der Wallstreet vom 28. Oktober 1929 erinnert. An diesem Tag verlor der Dow Jones rund 13 Prozent, am nächsten Tag noch einmal 12 Prozent - Ausdruck der Weltwirtschaftskrise. Das deutsche Industrie- und Finanzkapital reagierte - auch aufgrund des Erstarkens der Arbeiterbewegung und vor allem der KPD - auf seine Weise.

Der Historiker Eberhard Czichon, der in seinem Buch "Die Bank und die Macht" (in überarbeiteter Fassung 1995 bei PappyRossa erschienen), die Rolle der Deutschen Bank vom Kaiserreich und ihre Verantwortung für die Machtübertragung an die Faschisten sowie für Krieg und Ermordung von Millionen von Menschen beleuchtete, untersuchte auch die Vorgänge in den Krisenjahren seit 1929. Wir dokumentieren in dieser und der nächsten Ausgabe der UZ Auszüge.


*


Bereits im Herbst 1928 zeichnete sich ein Konjunkturverfall ab. Er war gekennzeichnet durch stockenden Absatz an Konsumgütern und das Anwachsen von Lagerbeständen. Diese Depression verschärfte sich bis zum Sommer 1929. Die Arbeitslosenzahlen überstiegen die des Vorjahres, und der Absatz von Investitionsgütern blockierte. Gleichzeitig nahmen (im Gegensatz zu den USA) die Kursschwankungen an den deutschen Börsen zu. Dennoch wurden diese Symptome nicht als Krisenzeichen bewertet, wenn es auch nicht an Warnern gefehlt hat. Georg Solmssen jedenfalls, Mitglied des Vorstandes der DeDi-Bank und Vorsitzender des Centralverbandes des Deutschen Bank- und Bankiersgewerbes, hielt noch im Herbst 1929 die Lage für nicht so gefährlich und setzte unverdrossen auf die "Selbstregulierung der Wirtschaft". Nur vier Tage nachdem sich am 25.10.1929 in Berlin die Deutsche Bank und die Disconto-Gesellschaft in der Hoffnung zusammenschlossen, nunmehr wieder aktiv auf dem internationalen Kapitalmarkt wirksam werden zu können, waren in New York die Wertpapierkurse zusammengebrochen.

Dieser Kurssturz am New Yorker "schwarzen Freitag" signalisierte eine heranreifende Überproduktionskrise, die sich in den folgenden Monaten zu einer tiefgreifenden Weltwirtschafts- und Finanzkrise entwickeln sollte. Damit aber brachen für die DeDi-Bank die entscheidenden Voraussetzungen für die Möglichkeit weg, mit importiertem Kapital international operieren zu können.

Der Vorstand der DeDi-Bank stoppte auch sehr rasch jede weitere Kreditaufnahme. Hinsichtlich weiterer Maßnahmen, den Krisenauswirkungen in Deutschland zu begegnen, blieb er aber sehr zurückhaltend. Erst im Frühjahr 1931 brachte Oskar Wassermann auf der Generalversammlung der DeDi-Bank lediglich ein Unbehagen über die Höhe der deutschen Auslandsverschuldung zum Ausdruck. Diese Ignoranz gegenüber der Realität korrespondierte mit dem anhaltenden Ringen der DeDi-Bank mit den anderen Bank-Rivalen um Quoten und Führungsansprüche bei Konsortialgeschäften, wobei sich auch die Gegenseite nicht gerade zimperlich verhielt. Ungeachtet aller drohenden Wolken am Krisenhimmel versuchten Jacob Goldschmidt (Danat), aber auch Henry Nathan wie Herbert Gutmann (Dresdner Bank) sofort nach der Bankenfusion gegen den neuen "Riesen" eine Fronde der "kleineren" Großbanken zusammenzuzimmern, um das Übergewicht der DeDi zu begrenzen. Diese Rangelei ging bis in den Mai 1930, als die Dresdner Bank in Not geriet und das Gefecht gegen die Mauerstraße einstellen und kleinlaut vor der DeDi kapitulieren musste.

In der Zwischenzeit war nach der Baisse vom 29.10.1929, dem rapiden Sturz der Wertpapiere an der New Yorker Börse, keine Hausse mehr eingetreten, was den Konjunkturabschwung stimulierte und das US-Kreditsystem ebenso wie den internationalen Handel erschütterte. Der deutsche Außenhandel ging im Frühjahr 1930 weiter zurück. Mit ihm sank die Produktion, was zum Anstieg der Konkurse und zu einer schnellen Zunahme der Arbeitslosigkeit führte. Bis zum Sommer 1930 waren offiziell 3,1 Million Arbeitslose gemeldet.


Brüningsche "Notverordnungen"

Trotz der öffentlich demonstrierten Sorglosigkeit von Solmssen und Wassermann entstand für das deutsche Bank- und Finanzwesen eine zunehmend gefährliche Situation. Hinzu kam, dass die sozialdemokratische Reichstagsfraktion unter dem Druck der Gewerkschaften nicht bereit war, einen weiteren sozialen Abbau zu tolerieren, was zum Sturz der sozialdemokratisch geführten Reichsregierung, der "großen Koalition" unter Hermann Müller, führte. Das daraufhin gebildete Reichskabinett unter dem Zentrumspolitiker Heinrich Brüning versuchte, nunmehr den Weg einer verstärkten staatlich geförderten Kapitalbildungspolitik zu Lasten der Sozialausgaben zu gehen. Das war auch seitens des Reichsverbandes der deutschen Industrie auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung Anfang Dezember 1929 gefordert worden. Dadurch wollte man die anstehende kommerzielle Verschuldung wenigstens verlangsamen und der Beunruhigung der internationalen Gläubiger, die bereits zu ersten vorzeitigen Kreditkündigungen übergegangen waren, entgegenwirken.

Brüning will - seinen Erinnerungen folgend - schon zu dieser Zeit einen negativen Wirtschaftstrend gesehen haben. Er bestätigt, dass ihn als einziger Berater Werner Kehl vom Vorstand der DeDi-Bank darin unterstützt habe, während alle anderen für den Herbst 1930 eine "glänzende Wirtschaftsentwicklung" prophezeit hätten. Doch Brüning schreckte im Sommer 1930, als er mit seinem Konzept weiterhin auf den Widerstand des Reichstages stieß und für seine Pläne nicht die erforderliche Parlamentsmehrheit erreichte, nicht davor zurück, die parlamentarische Demokratie einzuschränken und den entscheidenden Schritt zur autoritären Regierungsführung zu gehen. Gestützt auf den Artikel 48 der Reichsverfassung löste er das widerspenstige Parlament auf und setzte sein sozialfeindliches Wirtschafts- und Finanzprogramm auf dem Wege der Notverordnung durch.


Die Krise verschärft sich

Dieser Kurs, unter Beschränkung der Funktion des Parlaments die wirtschaftliche Funktion des Staates zu Gunsten der Kapitalbildung zu verstärken, kam zweifellos dem Wunsch einflussreicher Kreise der Finanzoligarchie nach einer langfristigen Reorganisation der Sozial- und Lohnpolitik entgegen. Es war jedoch eine falsche Annahme, ein solches Konzept unter den Bedingungen einer wirtschaftlichen Depression leichter durchsetzen zu können. Denn statt der erwarteten Erleichterung in der wirtschaftspolitischen Entwicklung führte die notverordnete Finanz- und Wirtschaftspolitik zu nicht kalkulierten wirtschaftlichen Reaktionen und zu einer Verschärfung der Krise, obgleich Brüning sich umfassend bemühte, seinen kapitalbildungsfreundlichen Kurs mit möglichst vielen Bank- und Industrievertretern zu koordinieren.

Zu den von der Reichsregierung nicht erwarteten Reaktionen gehörten nicht nur Massenstreiks der Arbeiter, sondern eine verhängnisvolle Protesthaltung vor allem der kleinbürgerlichen Mittelschichten, die Hitlers Nationalsozialistischer Partei bei der Neuwahl des Deutschen Reichstags am 14. 9. 1930 einen durchschlagenden Wahlerfolg brachte. Dies stellte aus der Sicht des Auslands eine "Radikalisierung" des deutschen Parlaments dar und brachte ausländische Gläubiger dazu, deutsche Anleihen beschleunigt zu verkaufen und auch kurzfristig gewährte Kredite abzurufen. Allein im Verlauf der nächsten fünf Wochen verlor die Reichsbank 900 Millionen Reichsmark an Gold und Devisen. Die Berliner Großbanken mussten in diesem Zeitraum insgesamt 870 Millionen Reichsmark Kreditoren abgeben, wobei sie diesen Verlust über den Abbau ihrer Debitoren so schnell nicht ausgleichen konnten. Damit verschlechterten sie ihre Liquidität - die ohnehin unter dem Niveau der ausländischen Konkurrenzbanken lag - gefährlich. Spekulativ bleibt indes die Überlegung, dass die hohe kurzfristige Verschuldung Deutschlands bewusst ausgenutzt wurde, um eine sich anbahnende Rekonstitution einer deutschen Kapitalkraft rechtzeitig zurückzudrängen, zumal die deutschen Großbanken verwundbar waren. Diese hatten ihre Guthaben infolge einer risikobereiten Investitionspolitik zwar als kurzfristige Kredite vergeben, diese dann jedoch vielfach so verlängert, dass sie die Wirkung langfristiger Kredite gewannen. Zum anderen galt eine Reihe von Krediten infolge der Wirtschaftskrise und der sinkenden Massenkaufkraft als "eingefroren".

Eine andere Erscheinung der sich im Sommer und Herbst 1930 verschärfenden Wirtschaftskrise bestand darin, dass zugleich auch ein Kursverfall der Aktien und anderer Effekten eintrat. Das betraf vor allem die Wertpapierbestände der Banken. Besonders die Großbanken besaßen beträchtliche Aktienpakete von Bank- und Industrieunternehmen, um mit deren Kurswert die eigenen Debitoren zu decken. In dem Umfang, wie nun der Kurswert dieser Papiere rapide verfiel, verringerte sich sehr schnell einer der größten Aktivposten der Bankbilanzen. Die Effekten unter diesen Bedingungen zu veräußern, hätte jedoch das Verlustgeschäft nur noch vergrößert. Die DeDi-Bank besaß allein einen Effektenbestand von 144,5 Millionen RM, 21,3 Millionen RM schrieb der Bankvorstand Ende 1930 als Verlust ab. Ebenso verfuhren die anderen Banken. Doch die vorgenommenen Abschreibungen entsprachen bei weitem nicht den realen Kursverlusten, was die Bankbilanzen aushöhlte und die Krisenanfälligkeit der Geldhäuser erhöhte. Da zudem auch die Kurse der Aktien der Großbanken selbst verfielen, gingen diese dazu über, einen weiteren Verfall dadurch aufzuhalten, dass sie eigene Aktien aufkauften. Das musste sich angesichts der Entwicklung der Gesamtkrise ebenfalls verschärfend auf die Bilanzstabilität der Großbanken auswirken, weil sich sowohl deren Reinvermögen als auch ihr haftendes Kapital um den Betrag der aufgekauften Aktien verringerte und zusammen mit den Kreditverlusten weiter die Liquidität gefährdete. Das war nun schon keine Strategie mehr, sondern Panik. Die DeDi-Bank kaufte im Herbst 1930 insgesamt für 35 Millionen RM "schwimmend gewordene Beträge eigener Aktien" auf und setzte diesen Betrag in der Bilanz für 1930 ab. Sie verringerte damit ihr Aktienkapital auf 250 Millionen RM.

Brüning versuchte, der sich zuspitzenden Krise mit neuen Verhandlungen über die Reparationsfrage entgegenzuwirken.


Ziel: Revision der Reparationsbedingungen

In diesem Konzept kam das Streben einflussreicher Kreise zum Ausdruck, die Krise dazu auszunutzen, mit der Drohung - die Schacht offen ausgesprochen hatte -, "dass Deutschland über kurz oder lang seinen privaten Schuldverpflichtungen dem Ausland gegenüber nicht mehr gerecht werden könne", eine Revision der Reparationsbedingungen zu erreichen. Diese Haltung konnte schon als ein Konzept aufgefasst werden, das stark an die Katastrophenpolitik erinnerte, die Karl Helfferich nach 1918 als deutschnationaler Politiker unterstützt hatte, weshalb sie nicht nur in New York Besorgnis hervorrief.

Im Frühjahr 1931 ging die Produktion weiterhin rapide zurück, und die Absatzschwierigkeiten vergrößerten sich mit einer rasant zunehmenden Arbeitslosigkeit. Auch der Abfluss an Gold und Devisen hielt weiter an und erreichte die Grenzen der Belastbarkeit der Reichsbank ebenso wie die der Großbanken. Die hohe Rate an Fremdkapital bei den Großbanken, ihre geringe Liquiditätsquote und die Unbeweglichkeit ihrer Debitoren begründeten die Gefahr einer Bankenkrise. Dies war nun das "Unbehagen", das von Oscar Wassermann am 17. 4. 1931 auf der Generalversammlung der DeDi-Bank als ein gefahrdrohender Trend registriert worden war und aus dem heraus er die Warnung vor einer weiteren Überbeanspruchung des Kreditapparates aussprach. Diese Warnung war zwar berechtigt, aber sie kam nicht nur zu spät, sondern blieb auch zu kurzschlüssig und zu einseitig und machte deutlich, dass im Bankvorstand die Ursachen der krisenhaften Entwicklung lediglich in den "Unzulänglichkeiten der inneren Kapitalbildung" gesehen wurden. Das konnte als Kritik an Brüning verstanden werden, doch auch sie wäre realitätsfremd gewesen. Brüning hatte bereits alles unternommen, was einer beschleunigten inneren Kapitalbildung förderlich war: Er verantwortete einen scharfen Sozialabbau, leitete Staatssubventionen für die verschuldeten ostelbischen Junker ein, traf Vorsorge für eine eventuelle Staatshilfe gegenüber verschuldeten Konzernen oder Banken und strebte gleichzeitig eine Neuverhandlung der Reparationsverpflichtungen an.

Die Forderung nach einer Reparationsrevision stieß im Januar 1931 zunächst auf den entschiedenen Widerstand der britischen Regierung und der Londoner City, deren Geldhäuser ebenfalls in hohem Maße kurzfristige Kredite an deutsche Banken vergeben hatten. Brüning versuchte, sein Konzept damit durchzusetzen, dass er die Partner unter politischen Druck setzte. Zum einen ließ er im März 1931 das alte Projekt der Zollunion mit Österreich neu aushandeln, zum zweiten reaktivierte er die Rapallo-Politik und schloss mit der UdSSR ein neues 500 Millionen RM-Geschäft ab, mit dem der deutsche Außenhandel relativ stabilisiert und die Sowjetunion als ein wichtiges Absatzgebiet gesichert wurde. Doch weder die französische Regierung und schon gar nicht die Haute Finance waren bereit, dieser politischen Erpressung zu erliegen.


Eberhard Czichon arbeitete an der Akademie der Wissenschaften der DDR. Die erste Fassung seines Buches "Die Bank und die Macht. Hermann Josef Abs, die Deutsche Bank und die Politik" erschien 1970.

Nachfolgeband:
Eberhard Czichon, Deutsche Bank - Macht - Politik. Faschismus, Krieg und Bundesrepublik.
Broschur, 323 Seiten, EUR 18,50 [D]
ISBN: 978-3-89438-219-3
Köln 2001, PapyRossa Verlag


Glossar:

DeDi-Bank: Im Oktober 1929 schloss sich die Deutsche Bank mit der traditionsreichen Direction der Disconto-Gesellschaft zur DeDi-Bank zusammen.

Danat-Bank: Darmstädter- und Nationalbank

Baisse: Phase anhaltender starker Kursrückgänge an der Börse.

Hausse: Nachhaltiger Anstieg der Wertpapierkurse einzelner Marktbereiche oder des Gesamtmarktes über einen mittleren bis längeren Zeitraum.


*


Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 40. Jahrgang, Nr. 42,
17. Oktober 2008, Seite 15
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
Anschrift von Verlag und Redaktion:
Hoffnungstraße 18, 45127 Essen
Telefon 0201 / 22 54 47
E-Mail: redaktion@unsere-zeit.de
Internet: www.unsere-zeit.de

Die UZ erscheint wöchentlich.
Einzelausgabe: 2,40 Euro
Jahresbezugspreise:
Inland: 114,- Euro
Ausland: 117,- Euro
Ermäßigtes Abo: 65 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Oktober 2008