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WIRTSCHAFT/008: Handelsgeschichte - "Die Tollheit der Gewürze" (Südwind)


Südwind-Magazin 12/07

"Die Tollheit der Gewürze"

Von Gerhard Pfeisinger


Sie haben bei der Globalisierung des Handels eine wesentliche Rolle gespielt. Sie haben vor Jahrhunderten Entdeckergeist angefacht und zu Abenteuern verführt. Die Gier nach ihnen löste Kriege aus und kostete hunderttausenden Menschen das Leben. Damals exotische Gewürze sind heute selbstverständliche Ingredienzien der Küchen rund um den Globus. Den Hauch der weiten Welt haben sie nicht verloren.


Wer sich in der Vorweihnachtszeit von dem Geruchs- und Geschmacksangebot diverser Punschstände und duftender Lebkuchen verführen lässt, denkt kaum daran, dass die darin enthaltenen unentbehrlich gewordenen exotischen Gewürze nicht nur einen langen Weg in unsere Breiten zurückgelegt haben, sondern auch in einer langen, oft grausamen Geschichte mit Europa verflochten sind.

Gewürze gehören zu den ältesten Handelsgütern der Welt. Die indischen und chinesischen Gewürztraditionen und damit auch innerasiatische Handelsbeziehungen reichen mehr als 4.000 Jahre zurück. In Europa waren vor allem Pfeffer und Zimt seit den Feldzügen Alexanders des Großen bekannt und wurden in der römischen Antike rege gehandelt. Plinius d.Ä. zeigte sich in seiner naturalis historiae erstaunt darüber, dass Pfeffer so geschätzt wurde: "Während bei anderen Gütern der süße Duft anziehend oder das Aussehen einladend wirkt, empfiehlt den Pfeffer (...) nur seine Schärfe - und deswegen fahren wir bis nach Indien!"

Der Gewürzhandel mit Asien war über die Jahrhunderte ein lukratives Geschäft und intensivierte sich ab dem 10. Jahrhundert. Das internationale Netzwerk, das sich über Handelsniederlassungen von der ostafrikanischen Küste bis nach Indien und Malakka (Malaysia) erstreckte, lag fest in arabischer Hand. Daran änderten auch die Kreuzzüge und das Vordringen des Osmanischen Reiches nichts. Der Gewürzhandel Europas jedoch wurde fast zur Gänze über Venedig abgewickelt, das durch die großen Gewinnspannen enorm reich geworden war. Je weiter weg Pfeffer von den großen Stapelplätzen wie Alexandria gehandelt wurde, desto teurer wurde er: In Venedig kostete er das 60- bis 100-fache des Preises, der in Kalkutta bezahlt worden war; in Brügge oder London war sein Wert auf das 3-fache des Preises in Venedig gestiegen.

Zunehmend wurden auch andere Gewürze wie Zimt, Ingwer, Gewürznelken und Muskatnüsse für die europäischen KonsumentInnen interessant. Nicht weil man die gesundheitsfördernde Wirkung oder den die Speisen bereichernden Geschmack der Gewürze so sehr schätzte, sondern weil Gewürze zu dem exotischen Prestigegut schlechthin geworden waren. Die "Tollheit der Gewürze" nennt der französische Sozialhistoriker Fernand Braudel das unersättliche Verlangen der europäischen Eliten nach Luxus und Prahlerei. Nicht der verfeinerte Geschmack einer ausgewogenen Ernährung stand im Vordergrund, sondern eine Geltungssucht, die sich in der Überwürzung von Speisen und den kuriosesten Würzgewohnheiten ausdrückte.

Im Spätmittelalter galt jene Küche als die beste, die am meisten und bei jeder Gelegenheit Gewürze einsetzte. Gewürze waren der Inbegriff des Reichtums: Ein Pfund Muskatnüsse waren um 1400 so viel wert wie sieben ausgewachsene Ochsen; bei der Hochzeit des Herzogs von Burgund 1468 kamen insgesamt 190 kg Pfeffer auf die Tische, und im Jahr 1530 soll der Kaufmann Anton Fugger, der Inbegriff eines reichen "Pfeffersacks", die Schuldscheine Karls V. vor dessen Augen in einem Feuer aus Zimtstangen verbrannt haben.

Es ist nicht verwunderlich, dass auch andere europäische Mächte nichts unversucht ließen, am Erfolg des interkontinentalen Gewürzhandels teilzuhaben. Portugal wollte durch die Expansion entlang der afrikanischen Küste auf dem Seeweg zu den vielversprechenden "Gewürzinseln" vorstoßen. Als es Vasco da Gama tatsächlich 1499 gelang, von seiner Indienfahrt eine Ladung Gewürze nach Lissabon zu bringen, bedeutete dies das Ende des venezianischen und schließlich auch des arabischen Gewürzmonopols. Trotz der immer noch großen Handelsspannen waren die Gewürze aus Lissabon nunmehr aufgrund der Zeit- und Kostenersparnis sowie aufgrund der Ausschaltung des Zwischenhandels erheblich billiger als die bisher über Venedig gehandelten Spezereien.

Die portugiesische Krone war jedoch auf die Handelsbeziehungen und das Kapital der italienischen und mehr noch der deutschen Kaufleute angewiesen. Bereits in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts schloss der König mit einem internationalen Konsortium die so genannten "Pfefferverträge" ab. Dieses sollte die Ausstattung der Schiffe und die Kosten der Fahrt übernehmen sowie das Risiko eines unsicheren Preises. Die Gewinne müssen für beide Teile beträchtlich (bis zu 175%!) gewesen sein, denn innerhalb weniger Jahrzehnte wurde beinahe die Hälfte der gesamten asiatischen Gewürzproduktion in Europa gehandelt.

Dabei verfuhren die Portugiesen nicht gerade zimperlich und wandten zur Durchsetzung ihres Ziels, die arabische Handelsvormachtstellung zu zerstören und den monopolisierten Zugang zu den Quellen des Reichtums zu erhalten und zu sichern, die brutalsten Mittel an. So zerstörten sie an der afrikanischen Küste die Städte Mombasa und Kilwa (1505), führten mehrere Seekriege und beschossen Städte an der indischen Malabarküste, eroberten die Festung Malakka (1511) und bekämpften die islamischen Sultanate auf den südostasiatischen Inseln mit allen zu Gebote stehenden Mitteln.

Die Zentren der "europäischen" Weltwirtschaft waren nun nicht mehr die oberitalienischen Städte, sondern Lissabon und vor allem Antwerpen, in dem sich das Kupfer und Silber aus den deutschen Bergwerken sammelte, mit dem die Gewürze bezahlt wurden. Dieser frühe, international organisierte Gewürzhandel markiert damit unter anderem auch die Entstehung und Entwicklung der kapitalistischen Weltökonomie.

Auch der Konkurrent Portugals, Spanien, hatte mit der Ausstattung einer Flotte, die den westlichen Seeweg zu den reichen "Gewürzinseln" finden sollte, den Plänen des Columbus schließlich nachgegeben. Columbus erklärte das Ziel seiner Reise 1492 mit den Worten: "Nur wenn ich irgendwo viel Gold und Gewürze fände, würde ich mich aufhalten, um eine möglichst große Menge aufzuladen." Und nach der Erkundung einiger karibischer Inseln: "Ich werde meine weiteren Maßnahmen davon abhängig machen, was dort an Gewürzen und Spezereien zu finden ist." Er konnte aber nichts ihm Bekanntes entdecken und kehrte enttäuscht zurück.

Andere waren jedoch erfolgreicher. Um 1600 gründeten die Niederländer und Engländer Fernhandelsgesellschaften, die das Ziel verfolgten, das Monopol der Portugiesen zu brechen und zu übernehmen. Tatsächlich gelang es den Holländern im Laufe des 17. Jahrhunderts, die Portugiesen von den Gewürzinseln zu vertreiben und aus dem internationalen Gewürzgeschäft hinauszudrängen, wobei sie mit einer unbeschreiblichen Rücksichtslosigkeit und Brutalität vorgingen. Es ging ihnen nicht nur um das Handelsmonopol, sondern um die totale Kontrolle der Produktion: Um den hohen Verkaufspreis sicherzustellen, begannen die Holländer auf Dutzenden von Inseln der Molukken (Indonesien), systematisch die Muskat- und Nelkenbäume zu vernichten, die Bevölkerung von ihren Besitzungen zu vertreiben und zu versklaven sowie den Anbau und den Besitz von Gewürzen außerhalb der von ihnen kontrollierten Anbaugebiete zu untersagen. Diese mit Brachialgewalt durchgesetzten "Maßnahmen" kosteten insgesamt mehr als 60.000 Menschen das Leben.

Mittlerweile ging der Verbrauch der exotischen Gewürze in Europas Küchen zurück, allerdings nicht der Import der duftenden Spezereien, die man nun einer anderen Verwendung zuführte. Es wurde etwa Mode, faulende Äpfel mit reichlich geriebenem Zimt und Gewürznelken zu einer Paste ("Pomade") zu vermengen, die man sich in das Haar schmierte, um den Mangel an Hygiene zu überdecken.

In den ersten Jahren der englischen und niederländischen Gewürzhandelspolitik machte man den Fehler, durch übermäßige Importe den jeweiligen Konkurrenten zurückdrängen zu wollen. Dies führte bei Pfeffer zu einem enormen Preisverfall, da die europäische Nachfrage bei weitem überschätzt wurde. Durch den kontrollierten Anbau und den Handel von Nelken und Muskat auf den Molukken sowie von Zimt auf Ceylon konnten die Holländer aber ihr Monopol bis in das späte 18. Jahrhundert halten.

Als Franzosen und vor allem Engländer begannen, in ihren jeweiligen Einflusszonen auch die begehrten Gewürze anzubauen, sank allmählich ihre Bedeutung im Welthandel und in der Politik der Kolonialmächte. Während des 19. Jahrhunderts ging man nach und nach dazu über, die Gewürze plantagenförmig in allen nur möglichen wärmeren Weltgegenden zu kultivieren: Die Franzosen verpflanzten die Bäume auf die Seychellen, Réunion und Madagaskar; durch die massenhafte Gewürznelkenproduktion ist Sansibar (Tansania) zu einem der Hauptexporteure geworden; Pfeffer wurde von den Engländern nach Malaysia und Muskatbäume auf die kleine Karibikinsel Grenada gebracht.

Um 1850 fand der niederländische Physiologe Jacob Moleschott für die tragische "Tollheit der Gewürze" treffende Worte: "Wenn uns diese Gewürze fehlten, dann hätten die Völker Europas einen entbehrlichen, oft schädlichen Speisezusatz weniger und Spanier, Portugiesen und Holländer eine blutige Seite in ihrer Geschichte zu streichen." Die positiven Wirkungen und die Bereicherung des Geschmacks durch exotische Gewürze stehen heute angesichts einer neuerlichen "Gewürzoffensive", die einer ernsthafteren Auseinandersetzung mit asiatischen Küchentraditionen zu verdanken ist, außer Zweifel. Aber ebenso außer Zweifel steht die für viele tausende Menschen unglückselige Geschichte der Gewürze in der Weltwirtschaft.


Gerhard Pfeisinger ist Wirtschafts- und Sozialhistoriker, lebt und arbeitet in Wien. Er ist Mitherausgeber der Bücher "Kolonialwaren. Die Schaffung der ungleichen Welt", Lamuv Verlag, Göttingen 1989, und "Weltreisende. ÖsterreicherInnen in der Fremde", Verlag Promedia, Wien 1996, die beide auf einer Serie des Südwind-Magazins bzw. der Vorgängerzeitschrift, EPN, basierten.


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Quelle:
Südwind-Magazin 12/07 - Dezember 2007, Seite 35-39
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Februar 2008