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DILJA/078: Südafrika - Statthalterstaat des Imperiums - Teil 17 (SB)


Statthalter westlicher Hegemonialmächte auf dem schwarzen Kontinent - Südafrika vor, während und nach der Apartheid


Teil 17: Schon ein Jahr nach seinem zweiten, überwältigenden Wahlerfolg von 2004 steht der ANC vor einem unauflösbaren Dilemma - immer mehr Menschen kündigen ihm die Gefolgschaft

Der ANC brachte nach seinem klaren Wahlerfolg in den ersten freien und demokratischen Wahlen von 1994 und der Beinah-Zweidrittelmehrheit von 1999 das kleine Kunststück fertig, auch die Wahlen von 2004 deutlich für sich zu entscheiden; diesmal gewann der regierende ANC unter Präsident Thabo Mbeki sogar mit einer Zweidrittelmehrheit, die ihm Verfassungsänderungen gestatten würde. Angesichts der tiefgreifenden Misere, in der sich das Land und die Mehrheit seiner zur Hälfte in absoluter Armut lebenden Bewohner auch ein Jahrzehnt nach dem offiziellen Ende der Apartheid befinden, ist dies schon ein wenig erstaunlich und erklärungsbedürftig. Als absolut arm wurden im Jahre 2003 - also vor den Wahlen im Juni des darauffolgenden Jahres - 48,5 Prozent der Bevölkerung eingestuft, weil sie - und "sie" bedeuten in diesem Fall 21,9 Millionen Menschen - von weniger als 15 Rand (zwei US-Dollar) pro Tag leben müssen.

Der Wahlerfolg des ANC hätte mit fast 70 Prozent nicht so hoch ausfallen können, wenn die Armen und Ärmsten der Armen nicht zu einem keineswegs geringfügigen Anteil der amtierenden Regierung abermals ihr Vertrauen oder vielmehr ihre Hoffnungen ausgesprochen hätten. Sicherlich trug der ANC durch Wahlversprechen, wie er sie schon bei den Urnengängen zuvor in Stellung gebracht hatte, das Seine zu diesem Erfolg bei; gleichwohl wirkt es schon irritierend, daß eine Regierung, die so unverkennbar an den Interessen der Bevölkerungsmehrheit vorbei regiert, um es einmal vorsichtig auszudrücken, dessenungeachtet einen so großen Rückhalt in ihr zu finden scheint. Ohne die Schrecken der Apartheid, in der Südafrikaner nichtweißer Hautfarbe ihrer Würde ohnehin beraubt worden waren und sich ihres Wohlergehens und ihres Lebens niemals sicher sein konnten, würde der ANC kaum noch über einen solchen Bonus verfügen können. Er wird von vielen Menschen noch immer als die Befreiungsorganisation gesehen, auf die schon Jahrzehnte zuvor die Hoffnungen gesetzt worden waren, und so muß die nüchterne Erkenntnis, daß es sich in seinem Staat fast noch schlechter leben läßt als unter der verhaßten Apartheid, für viele gerade deshalb ein schmerzhafter Schock gewesen sein.

Der ANC seinerseits wußte die Karte "Antiapartheid" sehr gezielt zu zücken und auszuspielen, wenn es galt, die Gefolgschaft innerhalb der eigenen Organisation einigermaßen sicherzustellen, aber auch "die Masse Mensch da draußen" ruhig zu halten. Das Amt des Staatspräsidenten mag durch die Wahlerfolge des ANC legitimiert sein. Den Ansprüchen, die in westlichen Demokratien zumindest theoretisch an die "innerparteiliche Demokratie" gestellt werden (müßten), wird die hierarchisch von oben nach unten strukturierte Administration Südafrikas bei weitem nicht gerecht. In vertikaler wie in horizontaler Richtung ähnelt die international so hochgelobte "Demokratie" Südafrikas einem dirigistischen Zentralstaat, in dem von einer zentralen Position aus (dem Präsidenten) "durchregiert" werden kann, da faktisch die Regierung dem Präsidialamt nachgeordnet ist und die Parlamentsfraktion wiederum eher als Fußvolk der Regierung in Erscheinung tritt als ihr gegenüber tatsächlich weisungsbefugt zu sein.

Im Verhältnis zwischen dem Gesamtstaat und den Provinzen zeichnet sich dasselbe Dilemma ab. Die Provinzen gleichen französischen Departements. Sie haben keine eigenen Einkommensquellen und sind von Zuwendungen der Zentralregierung abhängig, was ihren politischen Gestaltungsspielraum faktisch auf Null bringt. Die relativ kleine, im Präsidialamt des Zentralstaates angesiedelte Elite, die die Fäden in ganz Südafrika spinnt, erwies sich gelinde gesagt als äußerst unsensibel im Verhältnis zu den Provinzen. Deren "Premiers" wurden oft gegen den erklärten Willen selbst der lokalen ANC-Strukturen ernannt; auch wurden Minister benannt, ohne die maßgeblichen Kräfte in den jeweiligen Provinzen zu konsultieren oder die dortigen Parlamente einzubeziehen. Dieser autoritäre Führungsstil konnte nicht ohne Folgen bleiben, und so begann es auch innerhalb der ANC-Strukturen in vielen Provinzen an der Basis zu brodeln. Jeder weitere Urnengang in den Provinzen wurde zu einer Zerreißprobe zwischen den lokalen Größen und den Statthaltern der Parteiführung, was Kgalema Motlanthe, den Generalsekretär des ANC, schließlich dazu brachte, die "Herausbildung rivalisierender Zentren der Macht" festzustellen.

Der Parteizentrale drohte ein Machtverlust innerhalb der eigenen Organisation infolge ihres eigenen, höchst undemokratischen Vorgehens. Dies hätte über kurz oder lang auch den Herrschaftsanspruch des ANC insgesamt in Frage stellen können, und so wurden ungeachtet des scheinbar überwältigenden Wahlerfolges von 2004 im darauffolgenden "Krisenjahr" 2005 diesbezügliche Maßnahmen ergriffen. Das heißt, sie hätten ergriffen werden sollen. Die Parteiführung legte auf dem "National General Council" (NGC), dem "kleinen Parteitag" und somit dem höchsten Parteigremium zwischen den nur alle fünf Jahre abgehaltenen Parteikongressen, der Ende Juni 2005 in Tshwane, dem früheren Pretoria, zusammentraf, eine Resolution vor, mit der der gesamte Parteiapparat wieder "auf Zack" gebracht sollte. Eine Gleichschaltung der einzelnen Provinzen und ihrer Parlamente mit der Partei- und wenn man so will Staatszentrale hätte durchgesetzt werden sollen - allein, die Basis des ANC verweigerte diesem Ansinnen auf dem kleinen Parteitag vollständig ihre Zustimmung.

Das Vorhaben scheiterte ebenso wie der Versuch, der desaströsen Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik der ANC-Regierung per Dekret zumindest innerhalb des ANC eine verläßliche Basis zu verschaffen. Die Parteiführung hatte dem kleinen Parteitag allen Ernstes eine Beschlußvorlage geliefert, die eine Intensivierung der neoliberalen Politik, nicht etwa deren sofortige oder zumindest mittelfristige Aussetzung zum Inhalt hatte. Die Partei- (und Staats-) Führung wollte die eigene Gefolgschaft glauben machen, die immense Arbeitslosigkeit könne reduziert - sprich: es könnten Arbeitsplätze geschaffen werden - durch eine "Deregulierung" des Arbeitsmarktes. Dabei hatten sich derlei Konzepte und Maßnahmen längst als kontraproduktiv erwiesen. Bei ihrem Amtsantritt 1994 hatte die Regierung Mandela noch behauptet, innerhalb einer Frist von fünf Jahren eine Million zusätzliche Arbeitsplätze schaffen zu wollen. Doch schon 1999 mußte sie konstatieren, daß eine halbe Million Arbeitsplätze vernichtet worden und bereits ein Drittel der Bevölkerung Südafrikas im erwerbsfähigen Alter arbeitslos war.

Dieser Trend setzte sich fort. Die "Wirtschaft" florierte und wies Wachstumszahlen auf, doch dies bedeutete eben nicht, daß es der in Armut lebenden Bevölkerung auch nur um ein Jota besser gegangen wäre. Die Arbeitslosigkeit stieg weiter und hatte bald die 40-Prozent-Grenze erreicht, was in absoluten Zahlen bedeutete, daß fünf Millionen Menschen ohne Arbeitseinkommen lebten. Die ANC-Regierung allerdings hatte seit ihrer Übernahme der Regierungsgeschäfte die Priorität darauf gelegt, die sich aus diesen unbewältigten Problemen möglicherweise ergebenden Sicherheitsprobleme zu managen, sprich "Konfliktlösung" zu betreiben, und nicht die Probleme selbst an ihrer Wurzel zu packen, weil dies eine vollständige und von den westlichen "Freunden" Südafrikas ganz gewiß nicht tolerierte Infragestellung der (wirtschafts-) politischen Grundsatzentscheidungen mit allen sich daraus möglicherweise noch ergebenden Konsequenzen bedeutet hätte.

Nach zehn Jahren (!) "bat" die ANC-Regierung die von ihr regierten, mehr und mehr murrenden Menschen um weitere Duldsamkeit. Fatima Noordien, Projektleiterin bei einer Organisation zur Konfliktlösung und -beratung, bemühte dabei eine Sachzwangslogik und argumentierte - wohlbemerkt im Jahre 2004 - folgendermaßen: "Wir müssen uns von der Vorstellung lösen, daß sich alles über Nacht verbessern kann." Nach zehn Jahren den Land- und Arbeitslosen, den Menschen ohne ausreichende Strom- und Wasserversorgung vorzuhalten, sie würden Verbesserungen quasi "über Nacht" einfordern, stellt eine verdeckte Verunglimpfung dieser Menschen dar. Sankie Mthembi-Mahanyele, stellvertretende ANC-Generalsekretärin und ehemalige Ministerin im ersten Mandela-Kabinett, argumentierte angesichts der verheerenden Zehn-Jahres-Bilanz mit demselben Tenor und warb um "Verständnis" für die zugegebenermaßen von der Regierung noch immer ungelösten Probleme. Und dann wurde sie deutlich und rekapitulierte das Kernversprechen kapitalistischer Gesellschaften: Die Wirtschaft müsse gestärkt werden, damit neue Arbeitsplätze entstünden, "die es den Menschen erlauben, für sich selbst zu sorgen und nicht von staatlichen Almosen abhängig zu sein".

Dabei hatte zu diesem Zeitpunkt die von der ANC-Regierung ausgegebene Devise, "unserer Wirtschaft" oberste Priorität einzuräumen, nicht zur Schaffung, sondern zur Vernichtung von Arbeitsplätzen - Zehntausende allein im Bergbau - geführt. Von einem Sozialstaat, einer angesichts einer Massenarbeitslosigkeit von 40 Prozent dringend erforderlichen Arbeitslosenabsicherung, war im Nachapartheid-Südafrika nie die Rede, was die ehemalige Ministerin mit ihrer Formulierung, daß Menschen von "staatlichen Almosen abhängig" sind, so sie sich nicht selbst versorgen können, indirekt bestätigt. In einem hochindustrialisierten Staat wie Südafrika wurden sehr viele Menschen, die zur Zeit der Apartheid aufgrund ihrer (schwarzen) Hautfarbe entrechtet, arm und ohne berufliche Qualifikationen geblieben waren, aus Sicht der Wirtschaftsunternehmen und damit letztlich auch der ANC-Regierung als wertlos im engsten Wortsinn angesehen. An ihnen besteht kein Verwertungsinteresse. Sie treten ausschließlich als Kostenverursacher in Erscheinung, weshalb der im Kapstaat vorherrschenden Sachzwangslogik zufolge diese Kosten bis an die Unerträglichkeitsgrenze heran reduziert werden müssen.

Nahezu makaber mutet die schon 1995, im ersten Amtsjahr Mandelas, ins Leben gerufene Regierungskampagne gegen die im Land angeblich grassierende Zahlungsunmoral an. Ausgestattet mit einem Etat von 30 Millionen Rand und einem erheblichen Werbeaufwand war die "Operation Masakhane" gestartet worden, um, wie es hieß, "die Kultur des Nicht-Zahlens" zu beenden. Die Kampagne sei "Teil des Weges, die Verwaltung und Lieferung der sozialen Dienstleistungen auf lokaler Ebene zu normalisieren", wurde verlautbart, und deshalb sollten die Menschen in Südafrika überzeugt und verpflichtet werden, "sich an diesem Prozeß zu beteiligen und für Mieten und Dienstleistungen zu bezahlen." Woher das Geld nehmen, wenn nicht stehlen, war eine Frage, deren Beantwortung die vielen Menschen, die unter Mandela zum Teil noch ärmer wurden, als sie es zur Zeit der Apartheid gewesen waren, den Werbebroschüren der Kampagne nicht entnehmen konnten.

Der ANC war so vollständig "im Kapitalismus angekommen", sprich hatte so rigoros innerparteiliche Säuberungen vorgenommen, daß nicht einmal mehr die Nachfolgerin der einst regierenden Apartheid-Partei, die "Neue Nationalpartei" (NNP), noch einen Zweck in ihrem eigenen Fortbestand sah. Anfang August 2004 hatten Marthinus van Schalwyk, Vorsitzender der NNP, und andere Parteigrößen ihren Übertritt in den ANC bekanntgegeben. Die NNP hatte schon zu diesem Zeitpunkt ihre Selbstauflösung beschlossen und bestand nur noch pro forma weiter, um ihren Abgeordneten bei den im Jahre 2005 bevorstehenden Kommunalwahlen als Sprungbrett zu dienen. Der Übertritt der NNP-Führung in den ANC als geschlossene Formation sagte unterdessen eine ganze Menge über den ANC aus, der es nicht einmal für erforderlich gehalten hatte, seine Partner in der mit der Kommunistischen Partei (SACP) sowie dem Gewerkschaftsbund COSATU gebildeten Dreierallianz in dieser politisch keineswegs unwichtigen Frage auch nur zu konsultieren.

Ebenfalls im August desselben Jahres war Fikile Mbalula zum Präsidenten der ANC-Jugendliga ("ANC Youth League", ANC-YL) gewählt worden. Er verkörperte persönlich den stramm antikommunistischen Kurs, der nun mit zunehmender Homogenität im ANC vorherrschte. Er sagte den Kommunisten im ANC den Kampf an und forderte von diesen ein offenes Bekenntnis "zum Kapitalismus" und propagierte sogar das "Recht auf Bereicherung". Dies hatten Spitzenfunktionäre des ANC längst ganz praktisch für sich in Anspruch genommen, und so konnte es nicht ausbleiben, daß der ANC von sogenannten Korruptionsskandalen tangiert wurde. Diese nahmen insbesondere im Juni 2005 recht spektakuläre Ausmaße an, doch muß dabei berücksichtigt werden, daß die Subsumtion der aufbrechenden Interessengegensätze zwischen der ANC-Führung, seiner Parteibasis und mehr noch dem Wahlvolk unter den Begriff "Korruption" bereits Bestandteil entsprechender Befriedungs- und Konfliktbereinigungsmanöver ist.

Solange (ausschließlich) von "Korruption" die Rede ist, mögen die zugrundeliegenden, das heißt publik gewordenen Fälle auch noch so gravierend sein und große Empörungswellen ausgelöst haben, werden die Grundlagen des ANC-Staates, die mit Ausnahme der Apartheidgesetze dieselben sind wie in der Apartheid-Ära, nicht in Zusammenhang gebracht mit den extremen Nöten der Bevölkerungsmehrheit. Sie werden nicht in Frage und schon gar nicht zur Disposition gestellt etwa in einem offenen Disput aller gesellschaftlichen Kräfte über die Zukunftsgestaltung des Landes. Im Juni 2005 wurde Südafrika eine "Korruptionsaffäre" präsentiert, die es in sich hatte, sprich an der sich die ohnehin erhitzten Gemüter abarbeiten konnten. Dieser Monat sollte als Krisenmonat in die Geschichte des ANC wie auch Südafrikas eingehen. Im Kern ging es darum, daß die landesweite Unzufriedenheit mit den auch nach dem Wahlerfolg von 2004 unerfüllt gebliebenen Wahlversprechen in eine das neue Staatsgefüge womöglich erschütternde Krise überzuwechseln drohte; dies umso mehr, da die ANC-Basis, so sie eben nicht in hochdotierte Regierungsämter aufgestiegen war, nicht dieselbe Distanz zu den Nöten der Bevölkerung aufbringen wollte und/oder konnte, wie es das neue schwarze Establishment in den zurückliegenden Jahren schon vollzogen hatte.

Dem ANC drohten, auf gut deutsch gesagt, die Felle wegzuschwimmen, und so wurden in einer geschickt aufeinander abgestimmten Reihenfolge Maßnahmen ergriffen, um dieser Gefahr zuvorzukommen, noch bevor sie einen bestimmten Siedegrad erreichen und überschreiten konnten. Der "kleine Parteitag" (National General Council, NGC) des ANC Ende Juni 2005 barg für Präsident Mbeki und seine Parteigänger das unkalkulierbare Risiko in sich, von der eigenen Basis die rote Karte gezeigt zu bekommen. Es lag auf der Hand, daß mit einer stereotypen Wiederholung bereits sattsam gebrochener Versprechen die Glaubwürdigkeitskrise nicht zu bewältigen sein würde. Außerparlamentarische Organisationen, um nur ein Beispiel zu nennen, drängten ultimativ auf eine Regierungskonferenz zur Landreform, damit endlich einmal Nägel mit Köpfen gemacht werden.

Wenige Wochen vor dem kleinen Parteitag, am 14. Juni 2005, wurde Vizepräsident Jacob Zuma von Präsident Mbeki entlassen. Dem war die Verurteilung des in Durban ansässigen Geschäftsmannes und Zuma-Finanzberaters Schabir Shaik zu 15 Jahren Haft vorausgegangen. Mit diesem Urteil in dem gegen Shaik angestrengten Betrugs- und Korruptionsverfahren, in dem die Richter die Verbindung Zuma-Shaik als "von Grund auf korrupt" bezeichnet hatten, wurde der Öffentlichkeit zugleich der sogenannte "Oil-Gate"-Skandal nahegebracht und zur allgemeinen Empörung angeboten. Dem lag folgendes zugrunde: "Imvume Management", eine BEE-Firma - ausgerechnet BEE, worunter viele ohnehin schon die Bereicherung einer nun eben schwarzen Elite verstanden - sollte im Ölgeschäft zwischen "PetroSa", der staatlichen Ölgesellschaft Südafrikas, und Zulieferern aus dem Ausland vermitteln.

Ende 2003, also ein halbes Jahr vor den Parlamentswahlen im Juni 2004, erhielt "Invume" von "PetroSa" 15 Mio. Rand, um einen Erwerb von Gaskondensat vorzufinanzieren. "Invume" allerdings bezahlte nicht den Gaslieferanten, sondern leitete 11 Mio. Rand direkt an den im Wahlkampf stehenden ANC. Damit "Invume" das Kondensat bezahlen konnte, schoß "PetroSa" noch einmal 15 Mio. Rand Staatsgelder nach. Im Klartext hieß das, daß der ANC seinen späteren Wahlerfolg mit Millionenbeträgen aus der Staatskasse finanziert hatte, weshalb eigentlich, würde man die im Westen dort, wo es ihm zweckdienlich erscheint, weit oben angelegte demokratische Meßlatte zum Einsatz bringen, die Wahlen von 2004 als undemokratisch bezeichnet und wiederholt werden müßten.

Ein klassischer Fall von Bestechung und Korruption, sollte man meinen. Schabir Shaik bewahrte sein gänzlicher Mangel an Unrechtsbewußtsein nicht vor der Verurteilung; er hatte in der nun folgenden Scharade die undankbare Rolle eines Bauern- oder vielmehr Bonzen-Opfers einzunehmen. Der Geschäftsmann, der Jakob Zuma "von früher" gut kannte, erklärte dem seinen Fall verhandelnden Gericht recht offenherzig, daß seine Beziehungen zum ANC über Jahrzehnte zurücklägen und daß es eine seiner vornehmsten Aufgaben gewesen sei, den ANC und insbesondere dessen Führungsmitglieder mit Geld zu versorgen. Die Naivität, die hier vorgehalten wird durch Shaiks an das Gericht gerichteten Einwand, er könne gar nicht verstehen, warum diese langjährige Praxis nun plötzlich illegal sein solle, schließlich müßten ANC-Größen wie Zuma ihren aufwendigen Lebensstil ja auch irgendwie finanzieren, scheint Teil der Befriedungsstrategie zu sein, mit der im Jahre 2005 die im ganzen Land hochgekochte Wut in verdauliche und für den Bestand des Regierungsapparates ungefährliche Portionen abgeleitet werden konnte.

Mit der Aburteilung Shaiks sowie der Entlassung Zumas im Juni 2005 schien der Beweis erbracht worden zu sein, daß das neue Südafrika zwar nicht frei von Problemen ist, diese jedoch souverän zu meistern verstünde insbesondere auch dann, wenn es um so heikle Fragen wie die Beteiligung der Regierung bzw. von Regierungsmitgliedern an "unsauberen" Geschäften geht. Der Denkfehler war allerdings, daß das Dilemma des Nachapartheid-Staates nicht primär in der Bestechlichkeit seiner Repräsentanten liegt, sondern in der fortgesetzten Zurichtung des ganzen Landes unter die Sachzwangslogik kapitalistischer und neoliberaler Gesellschaftsstrukturen, die dann mehr oder minder zwangsläufig solche Blüten wie die Shaik-Zuma-Affäre hervorbringt. Das Vorgehen gegen diese beiden vermeintlichen Bösewichter konnte den ihm zugedachten politischen Zweck voll und ganz erfüllen. Der "kleine Parteitag" des ANC Ende des Krisenmonats Juni 2005 geriet zum Schlachtfeld verbaler Schlagabtausche zwischen Zuma-Gegnern und -Unterstützern.

Gegen Zuma, der nach seiner Entlassung aus dem Amt des Vizepräsidenten auch als ANC-Vizepräsident zurücktrat, wurde wegen Korruption Anklage erhoben. Auf dem Parteitag war er, obwohl sein Fall nicht auf der Tagesordnung stand, Thema Nr. 1. Er verstand es, sich als "Volkstribun" und Opfer politischer Machenschaften zu präsentieren. Seine Unterstützer mutmaßten eine Kampagne gegen Zuma, die ihren Ursprung im Präsidialamt gehabt habe, und so wurde Zuma nach heftigen Diskussionen auf dem kleinen Parteitag mit großer Mehrheit und gegen den erklärten Willen seines Gegenspielers, Präsident Mbeki, zurück ins Amt des ANC-Vizepräsidenten gewählt. Seine Unterstützer, neben COSATU-Funktionären auch Mitglieder der SACP sowie der ANC-Jugendliga, bezeichneten das gegen den Geschäftsmann Shaik ergangene Korruptionsurteil als rassistisch und forderten - wohlbemerkt schon im Juni 2005 -, daß Zuma Mbeki im Amt des Staatspräsidenten beerben möge.

Fraglos ist Jacob Zuma im tiefsten Wortsinn der neue Hoffnungsträger des ANC und der Nachapartheidordnung Südafrikas. Zuma, der auf dem 52. Parteikongreß im Dezember 2007 in der ersten echten Kampfabstimmung der ANC-Geschichte zum neuen ANC-Präsidenten gewählt wurde und somit beste Aussichten hat, seinen Konkurrenten Mbeki 2009 im Amt des Staatspräsidenten abzulösen, wurde zum Wunschkandidaten der linken, von Mbeki offen angefeindeten Opposition innerhalb des ANC. Zuma kam beim Wahl- wie auch ANC-Volk im Gegensatz zu dem stets kühl und büroktratisch wirkenden Mbeki gut an, und so konnte durch die Personalisierung der Konflikte, die, wären sie politisch ausgetragen worden, den ANC wegen unüberbrückbarer Interessengegensätze buchstäblich hätten entzweien können, eine Entschärfung der 2005 inner- wie außerhalb des ANC hochexplosiven Lage erreicht werden.

Dabei wäre auch Jakob Zuma denkbar ungeeignet für einen tatsächlichen politischen Neuanfang. Seine engen Beziehungen zu Shaik, dem Chef der von 25 südafrikanischen und ausländischen Unternehmen gebildeten Nkobi-Holding, sowie die hohen Geldbeträge, die er im Zusammenhang mit der Abwicklung von Rüstungsgeschäften, bei denen es um milliardenschwere Bestellungen militärischen Geräts (Kampfflugzeuge, Zerstörer und U-Boote) aus Großbritannien, Frankreich und auch Deutschland gegangen sein soll, lassen vermuten, daß Zuma die Politik der Regierung Mbeki ungeachtet der öffentlich zur Schau getragenen Schaumschlägereien nahtlos fortsetzen wird. Über zwei Jahre später, nach seiner Wahl zum neuen ANC-Präsidenten, bestätigte Zuma bereits diese Annahme. Der "Mann des Volkes" konnte im Dezember 2007 - inzwischen lebt bereits die Hälfte der Bevölkerung Südafrikas in Armut und fast neun Prozent müssen mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen - die Kampfabstimmung gegen Mbeki gewinnen, weil er sich die Zustimmung der in den Townships und Arbeitergebieten lebenden Menschen sichern konnte; auch COSATU und SACP trugen maßgeblich zum Erfolg Zumas bei.

Dabei ist die Korruptionsaffäre um Zuma noch nicht einmal ausgestanden, was allerdings nur eine nachgeordnete Rolle spielt. Nur einen Tag nach dem Wahlerfolg Zumas erklärte der Chef der nationalen Strafverfolgungsbehörde Südafrikas, Mokotedi Mpshe, laut BBC, daß er über ausreichende Beweise gegen Zuma verfüge, um diesen wegen Korruption anzuklagen. Die Befürworter des neuen Hoffnungsträgers focht dies nicht an. Sie erklärten, die Anschuldigungen würden von Mbeki stammen und seien im übrigen gefälscht. Doch wie auch immer dem sei; in der Kernfrage der politischen Gestaltung geht Zuma vollkommen konform mit seinem vermeintlichen Widersacher. In den Monaten vor seinem Wahlerfolg hatte Zuma sich nicht nur überzeugend als "Mann des Volkes" dargestellt, er hatte auch die einheimische Klasse der Unternehmen für sich gewonnen. Wohlwissend oder -ahnend, daß ihm ohne die Zustimmung der nach wie vor überwiegend weißen Klasse der Besitzenden das höchste Partei- und damit Staatsamt niemals offenstünde, hat Zuma in der Dining Society wie auch im Rand Club deutlich gemacht, daß es unter seiner Verantwortung in den wichtigen Grundsatzfragen der Politik Südafrikas keine Umkehr geben würde. Auf Einladung der Citigroup traf er maßgebliche Geschäftsleute in Südafrika, um deren diesbezügliche Bedenken zu zerstreuen, desweiteren stellte er auch in Großbritannien und in Texas, USA, im Gespräch mit Repräsentanten der dort ansässigen, für Südafrika maßgeblichen Konzerne klar, daß es unter seiner Regentschaft keine Änderung der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen geben werde.

Der "Mann des Volkes" ist also ein Mann der nationalen wie internationalen Geschäftswelt und den Ansprüchen, die, damit sehr wohl in Zusammenhang stehend, die internationale politische Elite auf ihrem Wege nach planetenumspannender Kontrolle an Südafrikas neue Regierung richten würde, ebenso zugetan wie seine Amtsvorgänger Mbeki und Mandela. In seiner ersten öffentlichen Rede nach seiner Wahl zum neuen ANC-Präsidenten erklärte Zuma am 12. Januar 2008 am 96. Jahrestag der Partei, daß er mit der Regierung Präsident Mbekis reibungslos zusammenarbeiten wolle. Und als habe es nie zuvor tiefgreifende Auseinandersetzungen innerhalb des ANC gegeben, rief er die Parteimitglieder zur "Einheit" auf, denn dies sei seit ihrer Gründung im Jahre 1912 stets die Stärke des ANC gewesen.

Und er vergaß auch nicht, die Versprechen zu erneuern, die seinen Vorgängern kaum noch jemand abnimmt. Arbeitslosigkeit und Ungleichheit seien, so Zuma, "schwere Herausforderungen". Es sei ein zentrales Problem, daß die Einkommen reicher Südafrikaner schneller anwüchsen als der Durchschnittsverdienst. Im Kampf gegen die bei 40 Prozent liegende Massenarbeitslosigkeit wolle er sich, so versprach Zuma, für mehr öffentliche Gelder einsetzen. Desweiteren sollten die soziale Absicherung sowie das Bildungssystem verbessert werden - und so weiter und so fort. Medikamente, so versprach er in Hinsicht auf die in Südafrika grassierende Aids-Katastrophe, sollten bezahlbar - nicht etwa kostenlos - sein. Unter diesen Voraussetzungen hat Jakob Zuma tatsächlich die allerbesten Aussichten, Mbeki 2009 im Präsidentenamt abzulösen; schließlich müssen die Gesichter, die denselben Wein in alten Schläuchen feilbieten, immer wieder erneuert werden.

(Fortsetzung folgt)

6. März 2008