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DILJA/082: Südafrika - Statthalterstaat des Imperiums - Teil 21 (SB)


Statthalter westlicher Hegemonialmächte auf dem schwarzen Kontinent - Südafrika vor, während und nach der Apartheid


Teil 21: Südafrika, eine Diktatur in der Warteschleife. Als Vorwandslage kommt die "ausländerfeindliche Gewalt" wie gerufen

Seit dem 11. Mai 2008 sind in Südafrika in einem Zeitraum von drei Wochen 62 Menschen getötet und 670 verletzt worden. Zehntausende flohen aus Angst um ihr Leben in die Nachbarstaaten oder suchten Zuflucht in Polizeistationen, Kirchen und Gemeindehäusern. Die Zahl dieser Flüchtlinge wird von der südafrikanischen Regierung auf 35.000 geschätzt, das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) spricht sogar von 100.000 Vertriebenen. Bei ihnen handelt es sich um Ausländer aus anderen afrikanischen Staaten, so etwa aus Simbabwe, Mosambik, Somalia, Nigeria und Äthiopien, aber auch aus Pakistan, Indien und China. Sie berichten von anhaltenden Todesdrohungen und Einschüchterungen. Die Flüchtlinge wurden in ersten Notunterkünften untergebracht, in denen sie nach Einschätzung des UNHCR allerdings nicht ausreichend versorgt werden.

Die südafrikanische Regierung gerät zunehmend unter Druck, weil sie weder willens noch in der Lage zu sein scheint, die drangsalierten Menschen zu beschützen und ihnen ausreichende Unterkünfte zur Verfügung zu stellen - um von den heute mehr denn je drängenden sozialen Problemen im ganzen Land gar nicht erst zu reden. Präsident Mbeki sprach am 20. Mai - zu diesem Zeitpunkt waren bereits 22 Menschen getötet worden - zum ersten Mal zur südafrikanischen Bevölkerung. Er rief die "Anstifter der schändlichen und kriminellen Taten" auf, die Gewalt einzustellen, wobei allerdings nicht deutlich wurde, wen er für die pogromartigen Angriffe auf überwiegend aus anderen afrikanischen Staaten stammende Ausländer eigentlich glaubt verantwortlich machen zu können.

Die Vorsitzende der südafrikanischen Menschenrechtskommission, Jody Kollapen, forderte zu diesem Zeitpunkt bereits öffentlich, den Einsatz des Militärs zu erwägen und begründete dies damit, daß die Polizei bislang nur auf das Aufflammen von Gewalt reagiert, nicht aber mögliche Gefahrenherde ausgemacht habe. "Das klingt drastisch", so Kollapen, "aber wir haben es hier mit einer unberechenbaren Situation zu tun." Die Regierung ließ sich nicht lange bitten, zumal nicht nur Hilfsorganisationen und Oppositionelle, sondern auch der Ministerpräsident der Provinz Gauteng, in denen die besonders betroffenen Städte Johannesburg und Tshwane (ehemals Pretoria) liegen, ihre Zustimmung für einen Einsatz der Armee signalisiert hatten.

Die Polizei behauptete zwar, die Lage unter Kontrolle zu haben, forderte dennoch Verstärkung durch Eliteeinheiten an. Präsident Mbeki sprach von einer nicht zu akzeptierenden Anarchie im Lande und genehmigte am 21. Juni den von der Polizei beantragten Einsatz der Armee, die die regulären Sicherheitskräfte sowohl mit Truppen als auch mit Geräten unterstützen soll. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits 42 Menschen von einem wütenden Mob, der inzwischen in sieben von neun Provinzen in den Slums und Townships regelrecht Jagd auf Ausländer machte, dabei jedoch weißhäutige Menschen unbehelligt ließ, getötet worden. In den Armenvierteln von Johannesburg blieb es, nachdem Soldaten aufmarschiert waren, relativ ruhig; es gäbe, so erklärte die südafrikanische Polizeisprecherin Sally de Beer, "den Anschein von Normalität". Gleichwohl riet das Auswärtige Amt in Berlin angesichts der schwersten Unruhen seit dem Ende der Apartheid dringend davon ab, als Touristen die Innenstadt von Johannesburg oder die Randgebiete anderer Großstädte zu besuchen.

Und zum ersten Mal seit dem Ende der Apartheid wurde in Südafrika wieder ein Mensch vom Militär erschossen. "Wir hatten leider einen Zwischenfall, bei dem auf ein Mitglied der Bevölkerung geschossen wurde, weil es eine Feuerwaffe auf einen Soldaten richtete", so die von unabhängiger Seite bislang nicht bestätigte Darstellung von Armeesprecher General Kwena Mangope. In einer am Sonntag, dem 25. Mai, ausgestrahlten Fernseh- und Rundfunkansprache warnte Präsident Mbeki seine Landsleute vor einer Rückkehr in die von Gewalt geprägte Zeit der Apartheid. Die Gewalt gegen Ausländer, so Mbeki, könne Südafrika zurück in den brutalen Konflikt seiner Vergangenheit führen - "und das kann sich niemand von uns leisten". Diese Worte stellen eine kaum verhohlene Drohung dar, das Land zurück in eine Militärdiktatur zu führen, diesmal in so etwas wie eine "schwarze" Apartheid, in der die (überwiegend schwarze) Elendsbevölkerung durch die (überwiegend schwarze) Armee gewaltsam unter Kontrolle gehalten werden soll.

Da die jetzigen Morde nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand allesamt von Zivilisten begangen worden sind, können sie mit den Folterungen und Tötungen des Apartheidregimes nicht in Verbindung gebracht werden, da in jener Zeit die repressive Gewalt von den staatlichen Sicherheitsorganen, sprich von Polizei und Armee, mit höchster staatlicher Rückendeckung verübt wurden. Daß Präsident Mbeki nun den Eindruck zu erwecken versucht, als wäre der "mordende Mob" in den Townships so etwas wie eine Reinkarnation der mordenden Chargen des Apartheidregimes, begründet geradezu den Verdacht, daß "die Gewalt" in den Townships der Regierung durchaus willkommen sein könnte. Schließlich liefert sie eine ideale Vorwandslage und Letztbegründung für die Bereitstellung militärischer Gewaltmittel im Innern zur Niederschlagung künftiger Armuts- und Hungerrevolten, die angesichts der sich zuspitzenden weltweiten Mangellage unter den gegenwärtigen makropolitischen Bedingungen auch auf den Kapstaat unweigerlich zukommen werden.

Zum Zeitpunkt der kaum verhohlenen Drohung Mbekis vor einer Rückkehr in den "brutalen Konflikt der Vergangenheit" Südafrikas lag die Zahl der Toten schon bei über 50, die der Verhafteten bei rund 700. Um die Betreuung der zu diesem Zeitpunkt auf 25.000 geschätzten Flüchtlinge kümmerte sich neben privaten Initiativen in erster Linie das Rote Kreuz. In Simbabwe stellte Präsident Mugabe seinen aus Südafrika vertriebenen Landsleuten Land in Aussicht. In Mosambik, wohin rund 20.000 Mosambikaner geflohen waren, errichtete die Regierung in der Nähe der Hauptstadt Maputo drei Flüchtlingslager, um die vertriebenen Landsleute aufnehmen zu können. Die Regierung Südafrikas hingegen unternahm keinerlei Anstrengungen, um die völlig verängstigten Ausländer aufzuhalten und den bereits Vertriebenen eine sichere Heimstatt zu bieten, sie zur Rückkehr aufzufordern oder ihnen Entschädigungsleistungen anzubieten - weshalb auch die Schlußfolgerung, die Vertreibung der ausländischen Flüchtlinge käme der südafrikanischen Regierung gar nicht so ungelegen, schwer von der Hand zu weisen ist.

So scheinen die Sorgen der Regierung in erster Linie dem Ansehen des Landes in Hinsicht auf ausländische Investoren und Touristen zu gelten. Umwelt- und Tourismusminister Marthinus van Schalkwyk warnte angesichts der "Anarchie" im Land vor schweren Schäden für die Tourismusindustrie. "Wir sind ziemlich besorgt über die Auswirkungen dieser Übergriffe", erklärte er am 20. Mai. Im vergangenen Jahr war ein Besucherstrom von acht Millionen Menschen nach Südafrika gekommen: nun jedoch könnten infolge der Gewaltwelle Touristen aus anderen afrikanischen Ländern abgeschreckt werden. Das Interesse der Regierung, mit repressiven Mitteln - militärische ausdrücklich eingeschlossen - eine Befriedung der Lage herbeizuführen, ist eine nahezu zwingende Konsequenz aus der Festlegung des ANC-Staates auf neoliberale Wirtschaftskonzepte und eine dementsprechende Orientierung auf die von den nationalen, mehr noch den ausländischen und internationalen Unternehmen gestellten Ansprüche und Forderungen.

Die politische Führung der heutigen Republik Südafrika scheint infolge der wohl vom ANC selbst vor und während der sogenannten Übergangszeit von der Apartheid zur Demokratie mit den Repräsentanten des alten Regimes und westlichen Vermittlern getroffenen Absprachen zu glauben, existentiell davon abhängig zu sein, von ausländischen Unternehmen als attraktiver Investitionsstandort wahrgenommen zu werden. In ihrem am 26. Mai im Deutschlandfunk veröffentlichten Beitrag "Gewalt gegen Ausländer in den Townships Südafrikas" argumentierte auch die Autorin Corinna Arndt mit dem drohenden Vertrauensverlust, den Südafrika bei "internationalen Investoren" nun erleiden könnte:

Dabei hat die südafrikanische Nation viel zu verlieren - neben ihrem Gesicht vor allem die für 2010 geplante Fußball-WM, auch wenn das südafrikanische Organisationskomitee eilig versicherte, bis dahin hätten sich die Unruhen sicher gelegt. Zu verlieren hat Südafrika außerdem das Vertrauen der internationalen Investoren. Denn das steht spätestens dann auf dem Spiel, wenn soziale Instabilität zu politischer Instabilität wird.

Der letzte Satz enthält die gesamte Crux und Verlogenheit der westlichen Welt und vermeintlichen Wertegemeinschaft, die sich mit dem heutigen Image Südafrikas einer liebenswerten Regenbogennation schmückt und deren Symbolfigur Nelson Mandela über alle Maßen zu ehren bestrebt ist ganz so, als habe sie nie auch nur mit einem einzigen Fingerzeig, geschweige denn mit umfangreichen illegalen Waffenlieferungen, das Apartheidregime unterstützt und am Leben erhalten. "Soziale Instabilität" - hinter diesem Begriff verbirgt sich das ganze Elend der heutigen Armutsbevölkerung Südafrikas, von der inzwischen - man kann es gar nicht oft genug betonen - mindestens die Hälfte unterhalb der Armutsgrenze leben muß und vom sogenannten Arbeitsmarkt vollkommen ausgeschlossen ist, weil für sie nicht einmal die schlechtesten Jobs zur Verfügung stehen.

Die soziale Lage in einem - gemessen an den lebensbedrohlichen Verhältnissen in vielen anderen, von akuten wie dauerhaften Hungersnöten betroffenen Staaten des südlichen Afrikas - noch etwas bessergestellten Land darf nach Ansicht westlicher Experten und einheimischer Eliten "instabil" sein; sie darf allerdings nicht in "politischen Instabilität" umschlagen. Politische Stabilität, also ein funktionierendes Herrschaftssystem, das in der Lage ist, die notleidende Mehrheitsbevölkerung zugunsten der Sicherung der Interessen der Privilegierten unter Kontrolle zu halten, kann nur unter der Voraussetzung erwirtschaftet werden, daß sich die Armen Südafrikas gegeneinander sowie gegen die in anderen Ländern lebenden oder aus ihnen kommenden Menschen ausspielen lassen.

Schon das Apartheid-Regime machte sich das Herrschaftsprinzip des Teilens und Herrschens zunutze, in dem es die eigene, schwarze Bevölkerung immer wieder wissen ließ, daß es ihr im Vergleich zu anderen Schwarzen in Afrika noch gut ginge und daß die in Südafrika an die entrechteten schwarzen Arbeiter gezahlten Löhne noch immer höher wären als die, die Schwarze in anderen afrikanischen Staaten erhielten. Die jüngsten Pogrome gegen ausländische Flüchtlinge und Einwanderer, die zu so vielen Morden, gewaltsamen Angriffen, Vergewaltigungen und Vertreibungen geführt haben, werden unter anderem auch damit zu erklären versucht, daß in Südafrika viele Menschen der Meinung wären, die Ausländer würden ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen.

Von da aus ist es dann nur noch ein kleiner Schritt zu der Schlußfolgerung, die Armen Südafrikas über ihren Irrtum aufzuklären und sie über "Xenophobie" zu belehren. Sehr aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang eine Erklärung von Abahlali baseMjondolo (ABM), einer Basisbewegung aus den Armenvierteln Durbans, die in einer am 21. Mai 2008 veröffentlichten Presseerklärung zu den "ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Südafrika" Stellung genommen hatte:

Wir verurteilen die Angriffe, Vergewaltigungen und Morde, die sich in Johannesburg gegenüber Menschen aus anderen Ländern ereignet haben. Wir werden alles daran setzen, daß sich diese Vorfälle in der Provinz KwaZulu-Natal nicht wiederholen werden. Seit Jahren warnen wir davor, daß sich der Frust der Armen in viele Richtungen entladen kann. Diese Warnungen blieben ungehört, genau wie die Klagen über die Lebensbedingungen, denen wir unterworfen sind, über die Ratten und die Feuer, die fehlenden Toiletten, die menschlichen Sammelplätze, die Umsiedlungszonen genannt werden, die neuen Lager, die sie Übergangsorte nennen, und die korrupte, brutale und rassistische Polizei. (...)

Nun hören wir die politischen Kommentatoren und Forscher sagen, daß die Armen über die Xenophobie aufgeklärt werden sollen. Die Lösung lautet immer "educate the poor". Wenn wir Cholera kriegen, dann erklären sie uns, daß wir unsere Hände waschen sollen, statt uns sauberes Wasser zu geben. Wenn unsere Baracken abbrennen, erklärt man uns die Gefahr von offenem Feuer, statt die Stromversorgung zu verbessern. Es ist eine Form, die Armen selbst für ihre Probleme verantwortlich zu machen. Wir wollen Häuser und Boden in den Städten, wir wollen zur Universität gehen können, wir wollen Wasser und Strom. Wir wollen nicht dazu erzogen werden, wie wir unsere Armut besser ertragen können. Die Lösung kann nicht darin liegen, uns zu erklären, was Xenophobie bedeutet. Die Lösung muß darin liegen, den Armen das zu geben, was sie zum Leben brauchen, dann fällt es uns auch leichter, selbstlos und großherzig zu sein. (...)

Schließt das Abschiebelager in Lindela und entschuldigt euch für das mit ihm verbundene Leiden. Wir fordern, daß die Menschen, die jetzt in den Polizeistationen in Johannesburg festsitzen, Aufenthaltspapiere erhalten. In diesen schrecklichen Momenten brauchen wir eine aktive, gelebte Solidarität. Es ist Zeit, daß jede Familie und jede Community einen Flüchtling aufnimmt. Wir können die Leute nicht in den Polizeistationen lassen, wo zu befürchten ist, daß sie abgeschoben werden. Die Leitungen der Kirchen, der Gewerkschaften und der Parteien müssen sich zu den Menschen aus anderen Ländern begeben, solange die Gefahr noch anhält. (...)


(zitiert aus: "Elend und Gewalt", junge Welt vom 28.05.2008, Auszüge der ABM-Presseerklärung in einer Übersetzung von Romin Khan. Das englische Original ist im Internet unter www.abahlali.org/node/3582 zu finden.)

Die hier formulierte Position, mit den aus anderen Ländern geflohenen Menschen solidarisch zu sein und sich nicht gegen sie und nicht gegen andere Arme im eigenen Land ausspielen zu lassen, wird keineswegs von der ANC-Regierung vertreten oder propagiert. Sie stützt sich auf die Teilhabe-Interessen einer privilegierten, nun schwarzen Mittelschicht sowie die nach wie vor auch unter den Ärmsten bestehenden auf den ANC gerichteten Hoffnungen auf eine Verbesserung der Lage. Die extreme Verteuerung der Grundnahrungsmittel, die in diesem Frühjahr infolge des weltweiten Mangels auch auf die Armutsbevölkerung Südafrikas voll durchgeschlagen ist, so der weitverbreitete Erklärungsversuch der angeblich so unvorhersehbar ausgebrochenen Pogrome, habe dann zu extremer Gewalt, Brandschatzungen und Plünderungen gegen dunkelhäutige Ausländer geführt, obwohl sich diese eigentlich in einer nicht minder verzweifelten Lage befinden.

In Somalia beispielsweise, einem Land, aus dem ein großer Teil der Menschen stammt, gegen die sich der Zorn verarmter Südafrikaner nun in grausamster Weise - die Gejagten wurden in aller Öffentlichkeit verbrannt, erschlagen und erschossen - ersatzweise entlud, waren nach Angaben des Welternährungsprogramms und anderer Hilfsorganisationen im September vergangenen Jahres fast 300.000 Menschen infolge von Krieg und Vertreibung akut vom Hungertod bedroht. 80.000 flohen aus der Hauptstadt, 1,5 Millionen der insgesamt sieben Millionen Somalier waren schon damals auf Nahrungsmittelhilfen angewiesen. Da sich die Staaten der Europäischen Union hermetisch gegen das Flüchtlingselend auf dem afrikanischen Kontinent abschotten und viele der Bootsflüchtlinge, die dennoch ihr Heil in einer Flucht nach Europa suchen, dies mit dem Leben bezahlen müssen, hat Südafrika als Fluchtalternative mehr und mehr an Bedeutung gewonnen.

Dabei hat die vielgerühmte Regenbogennation, in der schon die eigene Bevölkerung ihrem Dilemma überlassen blieb und bleiben wird, solange Südafrika die Rolle eines Statthalters der imperialistischen Staatenwelt zu tragen bereit ist, konsequenterweise nicht im mindesten den Anspruch erhoben, als Wohltäter in der Region des südlichen Afrikas in Erscheinung zu treten und für eine Umverteilung nach ganz unten zu sorgen. Im Gegenteil: Der Nachapartheidstaat versucht wie der große Bruder Europäische Union durch rigide Einwanderungsgesetze den Flüchtlingszustrom zu unterbinden bzw. von vornherein in die Illegalität abzudrängen. Die nach der Apartheidära erlassenen Migrationsgesetze sind so streng, daß ein legaler Aufenthalt für Einwanderer so gut wie unmöglich ist. Wer dennoch ins Land kommt, ist auf gefälschte Papiere angewiesen und kann sich eigentlich nur durch Kontakte zu "kriminellen" Netzwerken, die illegale Jobs und Versorgungsleistungen vermitteln, am Leben erhalten.

Selbst wer eine vorübergehende Aufenthaltsgenehmigung erhält, darf nicht arbeiten und erhält keinerlei staatliche Unterstützung. Illegal in Südafrika lebende Flüchtlinge aus anderen afrikanischen Ländern sind ständig von Abschiebung bedroht und können sich dagegen, wenn überhaupt, nur durch die Zusammenarbeit mit ihrerseits kriminalisierten Organisationen schützen. Es versteht sich von selbst, daß Unternehmen und Arbeitgeber von der Beschäftigung illegaler Arbeiter profitieren, da diese völlig entrechtet sind und in ihrer Not noch die schlechtbezahltesten Jobs annehmen (müssen). Die ANC-Regierung hat für diese Grauzone im Wirtschafts- und Arbeitsleben Südafrikas durch die äußerst restriktiven Einwanderungsgesetze selbst die Grundlagen geschaffen. Daß damit das im Land eigentlich vorherrschende (schlechte) Lohnniveau noch weiter unterlaufen wird und die Arbeiterrechte ausgehöhlt werden, ist eine Entwicklung, die von der Regierung sehr wohl akzeptiert wird. So bestätigte der ANC-Abgeordnete Desmond Lockey vor kurzem, es gäbe keine Veranlassung, die Arbeiterrechte auf Zuwanderer zu übertragen.

Der Haß auf Einwanderer, der sich nun in extremer Weise Bahn brach und von Präsident Mbeki aufs Äußerste verurteilt wurde, so als habe seine Regierung nicht den geringsten Anteil an den vorherrschenden Zuständen und ihrer Zuspitzung, ist keineswegs so plötzlich ausgebrochen, wie es jetzt den Anschein hat. Die Polizei Südafrikas, gegenwärtig augenscheinlich damit befaßt, Ruhe und Ordnung in den Elendsvierteln wiederherzustellen, steht nicht von ungefähr selbst in dem Ruf, fremdenfeindlich zu sein. So berichten illegalisierte Flüchtlinge von Polizisten, die von ihnen bestochen werden wollen, ihnen Geld stehlen und ihnen die Papiere zerreißen. Lindela, ein Abschiebelager in der Nähe Pretorias, wird von Betroffenen als Hölle auf Erden beschrieben; hierher werden sogar Südafrikaner verfrachtet, die als "zu schwarz" eingestuft werden.

Ein kanadischer Politikwissenschaftler, Professor David McDonald vom Southern Africa Migration Project (SAMP), hat "Xenophobie", wie der Haß auf Einwanderer bereits genannt wird, in allen Gesellschaftsschichten Südafrikas festgestellt. Einer anderen Studie zufolge tragen die Medien Südafrikas eine große Mitverantwortung, weil in ihnen mehr oder minder offen der Haß auf Fremde - seltsamerweise nicht auf Weiße, die aufgrund ihrer Hautfarbe noch am ehesten Anlaß böten, mit der verhaßten Apartheid identifiziert zu werden - propagiert wird. Gewaltsame Übergriffe gegen schwarzhäutige Flüchtlinge und Zuwanderer sind in Südafrika keineswegs eine Erscheinung der vergangenen Wochen. So wurden in Kapstadt bereits im Jahre 2006 40 somalische Händler umgebracht. Auch in anderen Provinzen soll es schon viel früher zu fremdenfeindlichen Angriffen, die in diesem Frühjahr zum ersten Mal auf fast alle Provinzen des Landes gleichzeitig übergriffen, gekommen sein.

Die gegenwärtige, bislang beispiellose Welle der Gewalt kam für die ANC-Regierung keineswegs so überraschend, wie sie es zunächst darzustellen versuchte. Zwei Wochen nach Beginn der mörderischen Hetzjagden auf nicht-weiße Ausländer - zu diesem Zeitpunkt waren bereits 43 Menschen getötet worden - hatte die Regierung erklärt, sie sei von der Gewalt völlig überrascht worden. Dazu steht in unaufhebbarem Widerspruch, daß, wie die Zeitung "Saturday Star" berichtete, eine Gruppe afrikanischer Botschafter schon im April vor in Südafrika drohenden Pogromen gegen Zuwanderer aus anderen afrikanischen Staaten gewarnt hatte. Auch das Eingeständnis des Geheimdienstministers Ronnie Kasril, der am 24. Mai erklärt hatte: "Natürlich wußten wir, daß sich etwas zusammenbraut", widerlegt die offizielle Regierungslinie. Die vermeintliche Unfähigkeit der Behörden, dem mörderischen Treiben Einhalt zu gebieten, suchte er folgendermaßen zu erklären: "Aber es ist eine Sache, über ein soziales Problem Bescheid zu wissen, und eine andere, zu wissen, wann der Ausbruch sich ereignen wird."

Zwei Tage später waren, wie die Behörden mitteilten, 1340 Menschen festgenommen worden. Kasril betonte, die Sicherheitsbehörden würden nun schnell auf mögliche neue Gewaltausbrüche reagieren. Gleichwohl wurden gegen Präsident Mbeki Rücktrittsforderungen laut; ihm wurde nahegelegt, wegen "Führungsschwäche" zurückzutreten. Ihm wurde nicht nur die äußerst schleppende Reaktion der Regierung auf die schwersten Unruhen seit dem Ende der Apartheid vorgeworfen, sondern auch die von den Hilfsorganisationen beklagten schlechten Zustände in den Notunterkünften. Bei den von den Angriffen, Plünderungen und Brandschatzungen Betroffenen ließ Mbeki sich nicht blicken. Innerhalb des ANC wurde der Präsident offen wegen der ausbleibenden sozialen Verbesserungen und damit auch der Pogrome kritisiert. "Soziale Verbesserungen" werden, wie unschwer vorherzusagen ist, im ANC-Staat auch weiterhin ausbleiben, da eine Regierung nicht den Erwartungen und Forderungen einheimischer wie ausländischer Unternehmen und Großgrundbesitzer Priorität einräumen und zugleich für eine Umverteilung von oben nach unten sorgen kann.

(Fortsetzung folgt)

11. Juni 2008