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DILJA/088: Srebrenica oder die Zerschlagung Jugoslawiens - Teil 5 (SB)


Das "Massaker von Srebrenica" - nachgelieferte Letztbegründung für die gewaltsame Zerschlagung Jugoslawiens und Präzedenzfall der humanitär bemäntelten Kriegführung westlicher Hegemonialmächte


Teil 5: 1992-1993 - Fortgesetzte Überfälle bosnisch-muslimischer Truppen auf serbische Dörfer sollen einen Angriff der bosnischen Serben auf Srebrenica provozieren. Milosevic gelingt es, dies zu vereiteln

Der französische General Philippe Morillon kommandierte die in Bosnien in der Zeit von September 1992 bis Juli 1993 stationierte UN-Friedensmission und kann aufgrunddessen als sachkundiger, der pro-serbischen wie auch pro-muslimischen Parteinahme weitgehend unverdächtiger Zeuge bewertet werden, wenngleich ihm aufgrund der von ihm eingenommenen Position unterstellt werden kann, die Rolle der Vereinten Nationen in einem bestmöglichen Licht darstellen zu wollen. Umso aufschlußreicher und vielmehr beredter ist insofern das geballte Desinteresse, mit dem die führenden NATO-Staaten und mit ihnen die von deren Interessen offensichtlich dominierten westlichen Medien die Äußerungen des Generals vor französischen Abgeordneten quittierten.

Der frühere und inzwischen verstorbene jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic hingegen ließ sich diese Gelegenheit nicht entgehen und zitierte in dem gegen ihn vor dem Den Haager Siegertribunal angestrengten Schauprozeß am 12. Februar 2004 anläßlich der Vernehmung des Generals aus dessen vorherigen Äußerungen, bei denen es unter anderem um die "Massaker von Srebrenica", die nach westlicher Lesart im Sommer 1995 nach der Einnahme der Stadt durch bosnische Serben an deren muslimischen Bewohnern verübt worden waren, ging. Demnach hat General Morillon vor französischen Abgeordneten seine persönliche Einschätzung der Einnahme Srebrenicas durch Ratko Mladic, den damaligen Oberbefehlshaber der bosnischen Serben, wie folgt geschildert (*):

Ich sagte, daß Mladic in Srebrenica in einen Hinterhalt geraten war, in der Tat, in eine Falle. Er erwartete, auf Widerstand zu stoßen, aber es gab keinen. Er erwartete nicht, daß das Massaker geschehen würde, aber er unterschätzte völlig das Ausmaß an Haß, das entstanden war. Ich glaube nicht, daß er die Massaker anordnete, aber ich weiß es nicht. Das ist meine persönliche Meinung. - Ich war überzeugt, daß die Bevölkerung von Srebrenica Opfer eines höheren Interesses, einer Staatsräson war.

Wohlbemerkt bezieht sich diese Äußerung auf die Ereignisse in und um Srebrenica im Sommer 1995. Der Haß, von dem General Morillon sprach und der die anschließenden Massaker, sprich die Tötungen von Zivilisten und wehrlosen Gefangenen, begünstigt und hervorgebracht haben wird, geht somit auf die dem eigentlichen "Massaker" vorausgehende Zeit zurück. Dabei konnte die Frage, in welchem Umfang sie stattgefunden haben oder, wichtiger noch, wer sie tatsächlich zu verantworten hat, bis heute nicht geklärt werden. In der westlichen Welt allerdings ist inzwischen schon weitgehend in Vergessenheit geraten, daß es bereits im Frühjahr 1993, also zwei Jahre zuvor, fast zu einem Blutbad in Srebrenica gekommen wäre. Um die Vorgänge von 1995 mit unvoreingenommenem Blick bewerten und die von den NATO-Staaten erfolgte einseitige Schuldzuweisung an die bosnischen Serben und zugleich an den jugoslawischen Zentralstaat fundiert in Frage stellen zu können, ist es daher unerläßlich, auf die Entwicklung in und um Srebrenica in den Jahren zuvor einzugehen.

Wie bereits im vorherigen Teil geschildert, hatten die bosnisch-muslimischen Truppen unter dem Kommando ihres berüchtigten Kommandeurs Naser Oric im Frühjahr 1992 die zuvor von serbischen Bosniern eingenommene Stadt zurückerobert und zum Ausgangspunkt ihrer Überfälle und Angriffe auf die umliegenden serbischen Dörfer und Städte gemacht. In Srebrenica hatten 1991 nur etwa 6.000 Menschen gelebt. Deren Zahl war infolge der Kampfhandlungen sprunghaft angestiegen, da Zehntausende Menschen nun in ihr Zuflucht suchten. Da Naser Oric ihr Stadtkommandant war und seine Truppen zwischen 1992 und 1993 nach Angaben des Berichts des niederländischen Instituts für Kriegsdokumentation (Niod) insgesamt 192 serbische Dörfer zerstörten und deren Bewohner vertrieben oder massakrierten, dürften sich kaum serbische Flüchtlinge in Srebrenica aufgehalten haben.

Das Vorgehen Naser Orics wurde von General Morillon, der im Milosevic-Prozeß im Jahre 2004 als letzter Zeuge der Anklage (!) aussagte, in vollem Umfang bestätigt. Der Vertreter der Anklage, Groome, fragte den General, der in seiner Zeugenaussage die von Naser Oric befehligten Überfälle ausführlich beschrieben hatte, nach den Gesprächen, die er mit dem Stadtkommandeur Srebrenicas in jener Zeit geführt hatte. Groome wollte in Hinsicht auf den am orthodoxen Heiligen Abend (der Serben, am 6. Januar 1993) verübten Überfall wissen, ob er mit Olic über dessen Vorgehen und den Umgang mit Gefangenen gesprochen hätte. Darauf antwortete Morillon (*):

Ich traf Naser Oric erst viel später, im März, als ich direkt vor Ort intervenierte. Die Aktionen, auf die Sie verweisen, waren einer der Gründe für die Verschlechterung der Situation in diesem Gebiet, besonders im Monat Jänner. Naser Oric unternahm Überfälle während der orthodoxen Weihnachtsfeiertage und zerstörte Dörfer, wobei er alle Einwohner massakrierte. Das erzeugte ein ganz außerordentliches Ausmaß an Haß in der Region.

Der General führte desweiteren auf, daß Oric gar nicht den Versuch unternahm, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe abzustreiten. So wie Morillon sich erinnern zu können glaubte, habe der Kommandeur ganz offen den Standpunkt vertreten, daß man sich "mit Gefangenen nicht belasten könne". Der Kommandeur der in Bosnien stationierten UN-Friedenstruppen schilderte in diesem Zusammenhang auch noch, daß er von Serben in ein Dorf in der Nähe von Bratunac geführt wurde, um ihm den Abtransport der Leichen der Einwohner zu zeigen, die in eine Grube geworfen worden waren. Dieser, ihn angesichts der Haltung Orics nicht überraschende Anblick habe ihn das Ausmaß begreifen lassen, in dem "diese infernalische Situation von Blut und Vergeltung zu einer Situation geführt hatte, bei der ich persönlich fürchtete, daß das Schlimmste geschehen würde, würde es den bosnischen Serben gelingen, in die Enklaven und in Srebrenica einzudringen".

Die letzten größeren serbischen Dörfer in der Umgebung von Bratunac und Skelani waren am 7. Januar 1993 von Orics Truppen angegriffen und zerstört worden. Aus versprengten Truppenteilen der jugoslawischen Armee, die sich zurückgezogen hatte, konstituierte sich zu diesem Zeitpunkt eine bosnisch-serbische Armee, um eine Gegenoffensive zu starten. Diese richtete sich in letzter Konsequenz gegen Srebrenica, da die über so lange Zeit erfolgten und von niemandem verhinderten Überfälle der muslimisch-bosnischen Truppen auf serbische Ortschaften von dort aus gesteuert worden waren und noch immer wurden. Unter dem Kommando Ratko Mladics reorganisierte sich die bosnische Serbenarmee im Frühjahr 1993 zu einer militärischen Stärke, die es ihr ermöglichte, den Einflußbereich der gegnerischen Armee in der Region um Srebrenica auf rund 150 statt zuvor 900 Quadratkilometer zu reduzieren.

Im Zuge des Vormarsches der bosnisch-serbischen Armee flüchteten sich Zehntausende Menschen, Kriegshandlungen oder Racheakte fürchtend, nach Srebrenica, deren Einwohnerzahl infolgedessen sprunghaft auf 50.000 bis 60.000 anstieg. Die strategische Lage begünstigte die serbisch-bosnische Gegenoffensive, wobei der serbischen Seite zugute kam, über die Drina militärischen Nachschub aus der Republik Serbien bzw. Jugoslawien erhalten zu können. Da Srebrenica in einem langen, schmalen Talkessel liegt und die einzige Verbindungsstraße durch von Serben kontrolliertes Gebiet führte, führte die bosnisch-serbische Armee von November 1992 bis März 1993 eine Blockade Srebrenicas durch. Diese wirkte sich auf die mit Zehntausenden Flüchtlingen überfüllte Kleinstadt katastrophal aus. Die Lebensbedingungen in Srebrenica waren mehr als kritisch, da die Trinkwasser- und Stromversorgung zusammenbrach, Nahrungsmittel wie Medikamente extrem knapp wurden und keineswegs genügend Wohnraum vorhanden war, um die vielen Flüchtlinge beherbergen zu können.

Als UN-General Morillon der Stadt vom 11. bis 13. März 1993 besuchte, schockierten ihn die katastrophalen Verhältnisse der dort lebenden Menschen. Tausende Frauen und Kinder bedrängten ihn in ihrer großen Not und hinderten ihn an der Rückfahrt. Ganz unter dem Eindruck des unmittelbar Erlebten erklärte er die Stadt eigenhändig zur "UN-Schutzzone", was selbstverständlich nicht in seiner Kompetenz lag. Er gab den Bewohnern der Stadt das von ihm sicherlich ernst gemeinte Versprechen, die Stadt unter den Schutz der Vereinten Nationen zu stellen und ihre Bewohner nicht im Stich zu lassen. Doch was konnte er tun? Der damalige UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali wollte von einer UN-Schutzzone Srebrenica zunächst nichts wissen. Er begründete dies damit, daß eine solche Einrichtung gegen den Willen und die Einsicht der beteiligten Bürgerkriegsparteien unsinnig sei.

Das mag zwar zutreffend sein, der weitere Verlauf der Ereignisse legt jedoch den Verdacht nahe, daß führende NATO-Staaten an einer Eskalation der Situation interessiert waren und deshalb ein schlagkräftiges UN-Kontingent, das zwischen beiden Armeen positioniert die Blockade der Serben ebenso hätte aufbrechen wie die Oric-Truppen an weiteren Überfällen hindern können. Vor dem Den Haager Tribunal schilderte der französische General in dem Milosevic-Verfahren von 2004, wie er Ende März 1993 nach Belgrad gegangen sei, um mit der einzigen Person, von der er glaubte, sie könne das von ihm in Srebrenica befürchtete und vorausgesehene Blutvergießen noch verhindern, nämlich Milosevic selbst, zu sprechen. Sollten die bosnisch-serbischen Truppen Srebrenica einnehmen, so warnte Morillon, würde etwas geschehen, "das in der Meinung der Weltöffentlichkeit den Serben nicht vergeben werden würde". Milosevic teilte diese Auffassung und machte seinen politischen Einfluß, wie Morillon in Den Hang uneingeschränkt bestätigte, geltend, um einen solchen Einmarsch zu verhindern.

Morillon glaubte schon 1993 angesichts der drohenden und dann dank Milosevic abgewendeten Katastrophe Srebrenica, daß dies etwas Schreckliches gewesen wäre, das den ganzen Friedensprozeß blockieren würde. Daß seine Ängste und Befürchtungen sich zwei Jahre später dennoch bewahrheiten sollten, so der General, verfolge ihn noch immer. Auf die Frage des Anklagevertreters, worin denn dieses Schreckliche bestanden hätte, was der General zwei Jahre zuvor vorausgesehen habe, erklärte Morillon (*):

Ich fürchtete, daß die lokalen Serben, die Serben von Bratunac, diese Milizionäre, Rache für alles nehmen wollten, das sie Naser Oric zuschrieben. Es war nicht nur Naser Oric, an dem sie Rache nehmen wollten, sie wollten ihre Toten der orthodoxen Weihnachten rächen.

Auf Nachfragen von Richter Robinson, ob der UN-General damit sagen wolle, daß das, was dann 1995 geschah, eine direkte Reaktion auf das gewesen sein, was Naser Oric zwei Jahre zuvor den Serben angetan hatte, erklärte dieser mit großen Nachdruck: "Ja, Ja, Euer Ehren. Ich bin davon überzeugt." Als Milosevic schließlich an die Reihe kam, den Zeugen im Kreuzverhör zu befragen, bestätigte dieser ebenso unumwunden und uneingeschränkt, daß es die Vermittlungsbemühungen Milosevics und dessen politischer Einfluß waren, die 1993 die Katastrophe Srebrenica abgewendet hatten. Es widerspricht jeder Logik anzunehmen, daß Milosevic zwei Jahre später, so es ihm möglich gewesen wäre, nicht abermals die Einnahme der Stadt durch bosnisch-serbische Truppen zu verhindern versucht hätte. Bar jedes einleuchtenden Motivs, um von den fehlenden Beweisen gar nicht erst zu sprechen, versuchten die Den Haager Ankläger gleichwohl, ihn für die "Massaker von Srebrenica" juristisch verantwortlich zu machen.

Doch nicht nur UN-General Morillon, auch der damalige EU-Vermittler Lord Owen bestätigte das deeskalierende Handeln Milosevics in diesem Konflikt. Ungeachtet der zunächst ablehnenden Haltung von UN-Generalsekretär Boutros-Ghali hatte der UN-Sicherheitsrat durch die am 16. April 1993 beschlossene Resolution 819 Srebrenica zur UN-Schutzzone erklärt, woraufhin Boutros-Ghali zusätzliche 37.000 Blauhelmsoldaten zu ihrer Absicherung forderte. Nach einer Intervention der USA (!) bewilligte der Weltsicherheitsrat allerdings nur 7.500 UN-Soldaten, von denen tatsächlich zunächst 700, dann nur noch 300, in Srebrenica stationiert wurden. Dieses von niederländischen Soldaten gestellte UN-Bataillion "Dutchbat" war personell überhaupt nicht in der Lage, für einen wirksamen Schutz der in Srebrenica eingeschlossenen Bevölkerung zu sorgen und die gegnerischen Armeen voneinander fernzuhalten.

Aus Sicht der bosnischen Serben stellte die Stationierung dieses Bataillons eine Parteinahme der internationalen Gemeinschaft zugunsten der bosnischen Muslime dar, was nicht unbegründet ist, da eine vergleichbare Intervention in den vorausgegangenen Monaten, in denen die Oric-Truppen ungestört serbische Dörfer überfallen konnten, ausgeblieben war. Was aber hat die USA dazu bewogen, einen wirksamen Schutz der Bevölkerung Srebrenicas durch ihre Intervention im Weltsicherheitsrat zu unterbinden? Lag das dann zwei Jahre später erfolgte "Massaker von Srebrenica" in ihrem Interesse? Im März und April 1993 war es mit Unterstützung der Vereinten Nationen und dem Einverständnis der bosnisch-serbischen Armee zu Evakuierungen gekommen. Tausende muslimisch-bosnische Zivilisten konnten Srebrenica verlassen, was die später kolportierte Behauptung, die Serbenarmee unter Mladic hätte an der muslimischen Bevölkerung einen Völkermord begehen wollen, nicht eben plausibel macht.

Die Evakuierungsmaßnahmen wurden dann jedoch unterbrochen, weil die muslimisch-bosnische Führung in Sarajewo wegen der "ethnischen Säuberung", die dies ihrer Meinung nach darstellte, protestierte. Im Klartext bedeutete das, daß Izetbegovic im Frühjahr 1993 verhinderte, daß die Zivilbevölkerung Srebrenicas in Sicherheit gebracht werden konnte. Und so schien, allem Anschein nach von Izetbegovic und seinen US-amerikanischen und deutschen Freunden und Partnern gewollt, das weitere Verhängnis seinen Lauf zu nehmen. Am 13. April 1993 kündigte das bosnisch-serbische Militär gegenüber dem UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) einen Angriff auf Srebrenica an, sollte sich die bosniakische Armee nicht innerhalb von zwei Tagen ergeben. Als dieses Datum verstrichen war, am 16. April, erfolgte dann die Entscheidung des Weltsicherheitsrates, Srebrenica zur UN-Schutzzone zu erklären.

Daß es dennoch an diesem oder dem darauffolgenden Tag nicht zur gewaltsamen Einnahme der Stadt mit unabsehbaren Folgen für die vielen, noch immer in ihr eingeschlossenen Zivilisten gekommen ist, war nach Ansicht des EU-Vermittlers Lord Owen allein Milosevic zu verdanken. Dieser schrieb in seinem Buch, daß er am 16. April 1993 mit Milosevic telefoniert habe, um seiner Befürchtung Ausdruck zu verleihen, daß der Präsident der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, entgegen seiner vorherigen mehrfachen Zusicherungen doch den Befehl geben könnte, Srebrenica einzunehmen. Milosevic sei, so Lord Owen, aufgebracht und besorgt gewesen, weil auch er befürchtete, daß es bei einem Eindringen der bosnisch-serbischen Armee zu einem Blutbad in der Stadt kommen würde, weil zwischen beiden Armeen "extrem böses Blut" bestanden hätte.

Inwieweit Milosevic allein, wie von Lord Owen und General Morillon behauptet, durch seine Verhandlungsbemühungen die Katastrophe 1993 abwenden konnte und ob die Annahme, Karadzic hätte seinen vorherigen Zusicherungen untreu werden wollen, überhaupt den Tatsachen entsprach, ist bis heute nicht restlos erwiesen und eigentlich nachrangig gegenüber der völlig ungeklärten Frage, ob und wenn ja inwiefern die USA und/oder weitere NATO-Staaten ein aktives Interesse an den später von ihnen so titulierten "Massakern von Srebrenica" gehabt haben könnten.

(*) zitiert aus: Srebrenica und das Video, von Dr. Werner Sauer, Graz, begonnen am 18. Juli 2005,
www.labournetaustria.at/archiv41.htm

(Fortsetzung folgt)

4. September 2008