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DILJA/104: Srebrenica oder die Zerschlagung Jugoslawiens - Teil 21 (SB)


Das "Massaker von Srebrenica" - nachgelieferte Letztbegründung für die gewaltsame Zerschlagung Jugoslawiens und Präzedenzfall der humanitär bemäntelten Kriegführung westlicher Hegemonialmächte

Teil 21: 1999 - der unmittelbare Weg in den Krieg führt über Rambouillet. Die sogenannte Balkan-Kontaktgruppe inszeniert Scheinverhandlungen, um die serbisch-jugoslawische Seite endgültig ins Unrecht zu setzen


Die Sanktionen, die der Weltsicherheitsrat gegen die Bundesrepublik Jugoslawien 1992 (einseitig) verhängt hatte, waren nach dem unter maßgeblicher Unterstützung des damaligen serbischen und seit dem 15. Juli 1997 jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic beschlossenen Dayton-Abkommen 1996 aufgehoben worden. Ein Sitz in der UN-Generalversammlung wurde Jugoslawien jedoch weiterhin verwehrt. Die Bundesrepublik blieb Objekt etwaiger Maßnahmen und Sanktionen der Völkergemeinschaft, ohne ihr als vollwertiges und vollberechtigtes Mitglied angehören zu dürfen. Somit blieb Belgrad die Möglichkeit genommen, im Falle einer Bedrohung von außen den Weltsicherheitsrat um Schutz und Unterstützung anzurufen und zu diesem Zweck die Einberufung einer Dringlichkeitssitzung zu verlangen. Dies allen Ernstes zu kritisieren, hieße jedoch vollständig zu ignorieren, daß die führenden westlichen Staaten sich nicht nur der NATO und der OSZE als ihrer militärisch-politischen Instrumente bedienten, sondern auch die Vereinten Nationen ihrer Hegemonialpolitik längst unterworfen hatten; und so kommt es einem Treppenwitz der Geschichte gleich, auch nur die Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, ausgerechnet der Weltsicherheitsrat hätte im Frühjahr 1999 den heraufgezogenen Krieg verhindern können, wäre er von der jugoslawischen Regierung angerufen worden.

Die Europäische Union wie auch die Vereinten Nationen hatten bereits seit Mai 1998, nachdem es in der serbischen Provinz Kosovo zu zunehmend tödlich verlaufenden Auseinandersetzungen zwischen Kosovo-Albanern und serbischen Sicherheitskräften gekommen war, einseitige Boykottmaßnahmen gegen Belgrad verhängt, während die zunächst von den westlichen Staaten als "terroristisch" titulierte kosovo-albanische Untergrundarmee UCK mehr und mehr in den Rang eines akzeptablen Verhandlungspartners gehoben wurde. Sezessionswillige oder auch nur um eine weitgehende Autonomie kämpfende Unabhängigkeitsbewegungen in anderen europäischen Staaten - hier seien nur die kurdische PKK oder die baskische ETA erwähnt - können sich eigentlich nur höchst verwundert die Augen gerieben haben angesichts der Entwicklung, die die kosovo-albanische UCK in einer aus ihrer Sicht womöglich durchaus vergleichbaren Situation heraus nehmen konnte. So hat das US-amerikanische Außenministerium in einem am 21. Dezember 1998 veröffentlichten Tagesbericht folgende Feststellungen zur UCK getroffen [1], wobei es wohlbemerkt nicht um den Umgang dieser Organisation mit den Serben, sondern mit den albanischen Landsleuten ging:

Die UCK belästigt oder kidnappt jeden, der zur Polizei geht. (...) UCK Vertreter haben Dorfbewohnern mit dem Tode und dem Verbrennen ihrer Häuser gedroht, wenn sie nicht in die Reihen der UCK treten wollten. (...) Der Druck durch die UCK hat eine Intensität erreicht, daß die Bewohner von sechs Dörfern in der Region Stimlje bereit sind zu flüchten.

Das überaus rigorose Vorgehen der UCK scheint ihrer internationalen Aufwertung jedoch nicht nur nicht entgegengestanden, sondern sie geradezu befördert zu haben. Dabei gab es innerhalb der Kosovo-Albaner durchaus politische Strömungen und Bewegungen, die sich bis dahin des Wohlwollens des Westens erfreuen konnten wie beispielsweise Ibrahim Rugova, den international durchaus anerkannten "Präsidenten" des Kosovo und Vorsitzenden der "Demokratischen Liga des Kosovo" (LDK), mit dem unter Umständen eine politische Beilegung des Kosovo-Konflikts auf dem Verhandlungswege zu erreichen gewesen wäre, wenn dies nur von den westlichen Vermittlern tatsächlich gewollt worden wäre. Rugovas Partei vertrat die Interessen der albanischen Ober- und Mittelschicht, denen die serbische Regierung ungeachtet des 1990 aufgekündigten Selbstverwaltungsstatus‹ der Provinz einen gewissen Handlungsspielraum einzuräumen gewillt war.

Mit anderen Worten: Rugova und seine LDK versprachen keineswegs die kompromißlose Durchsetzung eines Eskalationskurses, wie dies begründetermaßen von der UCK anzunehmen war, wobei die eine Konfliktpartei, nämlich Serbien/Jugoslawien, sich zunehmend unter eine unmittelbare Kriegsandrohung gestellt sah, während die UCK ungehindert in die Stellungen nachrücken konnte, die infolge des Holbrooke-Abkommens vom Oktober 1998 von den serbischen Polizei- und jugoslawischen Sicherheitskräften in der Provinz Kosovo geräumt worden waren. Ende Januar 1999 wurde unter direkter zwangsdiplomatischer Verwendung der sogenannten Racak-Massaker, über deren Widersprüchlichkeiten im vorangegangenen Teil dieser Reihe berichtet worden ist, die Durchführung von Scheinverhandlungen durchgesetzt, die ihrem behaupteten Zweck, den "Frieden" in der Krisenprovinz Kosovo zu sichern bzw. wiederherzustellen, diametral entgegenstanden.

Ende Januar wurden die serbische Regierung wie auch Repräsentanten der Kosovo-Albaner zu einer Konferenz auf Schloß Rambouillet bei Paris eingeladen. Für die serbische Seite hätte die Nichtteilnahme den sofortigen Kriegsbeginn bedeutet, da die NATO am 30. Januar 1999 für den Fall beschlossen hatte, alle erforderlichen Maßnahmen, wie es hieß, zu ergreifen, was die zeitlich unbefristete Bombardierung Jugoslawiens ausdrücklich einschloß. Sowohl die nun noch unmittelbarere Kriegsdrohung als auch die Zwangsverhandlungen in Rambouillet waren seitens der NATO explizit mit "Racak" begründet worden, was die Annahme, die vermeintlich von serbischen Kräften begangenen Massaker seien durch ein Komplott, an dem die UCK, aber auch die OSZE und ihr Chef William Walker beteiligt gewesen sein könnten, eigens zu diesem Zweck medial in Szene gesetzt worden, nachträglich unterfüttert.

Vom 2. bis zum 23. Februar 1999 wurde in Rambouillet "verhandelt", danach gab es eine Verhandlungspause, bis die vermeintlichen Friedensbemühungen noch einmal vom 15. bis zum 18. März weitergeführt wurden. An diesem Tag geschah Entscheidendes, denn die albanische Verhandlungsdelegation, namentlich der LDK-Vorsitzende Rugova wie auch Hashim Thaci, der zum obersten UCK-Repräsentanten aufgestiegen war, unterschrieb den von den angeblichen Vermittlern vorgefertigten Vertrag, während die serbische Regierung dies verweigerte und nach Lage der Dinge auch verweigern mußte. Damit war der Weg in den Krieg endgültig frei, weil der Weltöffentlichkeit nun die Legende, der ewig störrische Milosevic habe die letzte Handreichung zum "Frieden" abgeschlagen, präsentiert werden konnte. Eine Woche nach der einseitig von den Kosovo-Albanern vollzogenen Vertragsunterzeichnung begann die NATO mit der Bombardierung Serbiens einschließlich der Provinz Kosovo. Im Zuge des 79 Tage währenden Luftkrieges wurden über 2.500 Menschen getötet, um von den weiteren Kriegsschäden für das im vergangenen Jahrhundert bereits zum dritten Mal von westlichen Staaten und namentlich Deutschland angegriffene Jugoslawien an dieser Stelle noch gar nicht zu reden.

Doch was hatte den Verhandlungen in Rambouillet und dem dort so heftig umstrittenen Vertragswerk tatsächlich zugrundegelegen? Hatte die serbische Regierung überhaupt eine echte Chance, durch ein Entgegenkommen gegenüber den Kosovo-Albanern die hochexplosive Situation zu entschärfen? Nach allem, was in der vorherrschenden Presse ignoriert, in alternativen Medien seitdem jedoch sehr wohl publiziert wurde, muß diese Frage verneint werden. Da wären zum Beispiel die höchst aufschlußreichen Sätze eines beteiligten westlichen Verhandlungsführers in Rambouillet. Wolfgang Petritsch, EU-Repräsentant und Botschafter Österreichs in Belgrad, hatte wie auch der russische Vizeaußenminister Boris Maiorsky und der US-amerikanische Botschafter in Mazedonien, Christopher Hill, in Rambouillet die Zuträger- und Vermittlerrolle zwischen den Konfliktparteien, die bis zuletzt voneinander getrennt blieben, eingenommen. Doch schon zu Beginn der vermeintlichen Friedensverhandlungen hatte Petritsch deren Ergebnis vorweggenommen. Gegenüber dem Spiegel erklärte er am 8. Februar 1999 [1]:

Da wird nicht mehr lange gepokert. 80 Prozent unserer Vorstellungen werden einfach durchgepeitscht. Zwei Dinge sind den Konfliktparteien definitiv verboten: Pressekontakte und vorzeitiges Abreisen. Alle bleiben interniert in einem Konklave. Am Schluß wird es sicher hart auf hart kommen und das Endergebnis wird wohl ein Diktat sein. Die Serben werden fauchen, aber eines garantiere ich: Vor Ende April wird der Kosovo-Konflikt entweder formal gelöst sein oder die NATO bombardiert.

An Deutlichkeit lassen diese Worte wenig zu wünschen übrig; einzig die Formulierung, der Kosovo-Konflikt wird entweder "formal gelöst sein" oder die NATO bombardiert, bedarf einiger Erläuterungen. Welche Bedingungen hatte die NATO an eine "formale" Lösung des Kosovo-Konflikts gestellt? Mit anderen Worten: Welche Bedingungen hatte welche Konfliktpartei zu erfüllen, um den offen angedrohten Krieg abwenden zu können? Wer sich unter dem Begriff "Friedensverhandlungen" vorstellt, daß sich zwei Konfliktparteien an einen Tisch setzen, einander ihre Forderungen unterbreiten und dann versuchen, womöglich unter Moderation Dritter, einen für beide Seiten annehmbaren Kompromiß zu erwirtschaften, sieht sich, was Rambouillet betrifft, gänzlich getäuscht. Hier führten nicht die Kontrahenten, sondern einzig und allein die westlichen Akteure mit massivsten Eigeninteressen und hegemonialen Bestrebungen Regie.

Dies zeigte sich schon daran, daß beiden Delegationen von der Balkan-Kontaktgruppe vorgefertigte Vertragsentwürfe vor die Nase gehalten wurden, deren für die serbische Seite unannehmbarsten Inhalte zudem der Öffentlichkeit noch lange Zeit vorenthalten worden waren. Zudem blieben beide Delegationen während der gesamten Verhandlungen strikt voneinander getrennt. Es kam in all der Zeit zu keinen direkten Gesprächen zwischen den verfeindeten Bürgerkriegsparteien bzw. ihren Repräsentanten, was im Umkehrschluß bedeutete, daß die westlichen Verhandlungsführer die völlige Kontrolle über Rambouillet hatten, indem sie zwischen kosovo-albanischen und serbischen Delegierten hin und her liefen. Die Delegationen ihrerseits hatten keinerlei Möglichkeit, auch nur zu überprüfen, ob die eigenen Stellungnahmen und etwaigen Verhandlungsangebote korrekt übermittelt wurden; sie waren den angeblich von einer neutralen Position aus geführten Vermittlungsbemühungen alternativlos ausgesetzt. Zudem hing über der serbischen, nicht jedoch über der kosovo-albanischen Seite von Beginn an die massive Drohung, daß im Verweigerungsfall die NATO ihren Bombenkrieg sofort beginnen würde. Dazu sollte einer der westlichen Verhandlungsführer, Wolfgang Petritsch, später scheinbar selbstkritisch anmerken [2]:

Daß NATO-Angriffe aber nur für eine Seite eine Drohung darstellten und der anderen unter Umständen sogar ins Kalkül passen könnten, machte dieses Friedensultimatum zu einer strittigen und viel diskutierten Entscheidung.

Tatsächlich jedoch war Petritsch wie wohl kein Zweiter daran beteiligt, der serbischen Delegation die Daumenschrauben anzulegen und sie in eine Situation zu manövrieren, in der jeder nur denkbare Schritt zu ihren Lasten vorausberechnet und in eine auf die politische Kapitulation Serbiens bzw. Jugoslawiens abzielende Gesamtstrategie eingebunden war. Dabei drängt sich sogar der Verdacht auf, daß in Rambouillet ein politischer Kompromiß zwischen den verfeindeten Parteien, so schwierig dieser auch zu erzielen gewesen sein mochte, um jeden Preis verhindert werden sollte, weil dies die von den führenden NATO-Staaten geplante Zerschlagung Jugoslawiens erschwert, wenn nicht verunmöglicht hätte. Warum beispielsweise wurde Ibrahim Rugova, der im Westen so wohlgelittene Kosovo-"Präsident", obwohl er der kosovo-albanischen Delegation angehörte, nicht zu deren Verhandlungsführer ernannt, wie dies allgemein erwartet worden war?

Den Verhandlungsvorsitz führte stattdessen mit Hashim Thaci ein UCK-Kommandeur, der die Garantie dafür bot, daß es zu keiner Einigung über den Verbleib einer autonomen Provinz Kosovo in Serbien kommen konnte. Thaci wie die UCK vertraten den Standpunkt, daß unterhalb der staatlichen Loslösung der Provinz von Serbien nichts zu machen sei. Die damalige US-Außenministerin Madeleine Albright brachte zudem den Friß-oder-Stirb-Standpunkt der NATO in dankenswerter Offenheit auf den Punkt, indem sie klarstellte, der Vertragsentwurf sei nicht verhandelbar; es ginge einzig darum, beide Seiten zur Unterschrift zu bringen. Mit welchem Mandat haben sich die USA bzw. die westlichen Verhandlungsführer und mit ihnen die NATO hier eine Position angemaßt, die alles anderes als friedensförderlich gewesen war?

Albright stellte die Folgen der sogenannten Verhandlungen in all ihren denkbaren Optionen ebenfalls klar. Unterschrieben Serben und Kosovo-Albaner den vorgefertigten Vertrag, würde die NATO, wie ihr darin ermöglicht, mit 30.000 Soldaten und schweren Waffen in die Provinz Kosovo einmarschieren. Unterschrieben nur die Serben, jedoch nicht die Albaner, bliebe es den Serben überlassen, was sie mit den Albanern täten. Unterschrieben nur die Kosovo-Albaner, werde Jugoslawien so lange bombardiert, bis es klein beigebe. Sollte keine der beiden Parteien unterschreiben, könnten "wir", so Albright, "gar nichts mehr tun". Dies wäre für die Menschen in dem in einen Zerfallsprozeß manövrierten Rest-Jugoslawien, einschließlich der im Kosovo lebenden Albaner, gewiß das Beste gewesen, weil dann die jugoslawische Regierung zumindest noch die Chance gehabt hätte, mit der auf dem ganzen Land liegenden schweren Last aus den Bürgerkriegen, dem ethnisch aufgeheiztem Haß zwischen den verschiedenen Volksgruppen und einem immensen Flüchtlingsproblem einen Neuanfang zu versuchen.

Doch selbstverständlich bestand diese Option in Rambouillet nicht, wiewohl es ausgerechnet die kosovo-albanische Seite war, die den eigentlichen Drahtziehern noch lange Zeit Kopfzerbrechen bereiten sollte. In dem politischen Teil des aufgezwungenen Vertragsentwurfs wurde die zwischen beiden Parteien nicht lösbare Frage nach der Zugehörigkeit des Kosovo bewußt offengelassen. Serbien wurde keine Garantie gegeben, daß die serbische Provinz Kosovo, zudem ein Nationalheiligtum der Serben, auf Dauer in Serbien verbleiben würde. Der Entwurf, sinnfälligerweise "Interimsabkommen" genannt, enthielt die Option, daß eine internationale Konferenz nach drei Jahren über den Status des Kosovo entscheiden würde. Aus serbischer Sicht bedeutete dies, die endgültige Abspaltung des Kosovo dann nicht mehr verhindern zu können. Die Annahme des Vertrags war jedoch für Belgrad aus einem zweiten, noch triftigeren Grund völlig unmöglich, enthielt er doch in seinem militärischen Teil die faktische Preisgabe der staatlichen Souveränität Jugoslawiens.

Einen solchen Passus hätte kein Staatschef der Welt je unterzeichnen können, ohne sich eines schwersten Verrats an den ihm obliegenden Pflichten schuldig zu machen. Mit dem militärischen Kapitel des Vertragsentwurfs von Rambouillet hatten die westlichen Kriegsplaner zunächst noch hinterm Berg gehalten. Bis dahin hatte die serbische Verhandlungsdelegation durchaus Kompromißbereitschaft signalisiert und lediglich darüber verhandeln wollen, wie die konkreten Einzelheiten der den Kosovo-Albanern in Aussicht gestellten Autonomie, die über die Eigenständigkeit der übrigen Teilrepubliken Jugoslawiens noch hinausgehen sollte, aussehen sollten. Am 12. Tag der Verhandlungen, in denen die kosovo-albanische Delegation einen eher desolaten und zerstrittenen Eindruck gemacht hatte, kam dann erst der militärische Teil des Vertrags auf den Tisch. Dieser enthielt nicht nur für die serbische Delegation, sondern mehr noch für die russischen Vermittler eine nicht vorhergesehene Option. Die NATO verlangte nicht weniger als die Erlaubnis, in ganz Jugoslawien militärisch operieren zu dürfen. Sie verlangte völlige Immunität für ihre Soldaten. Jugoslawien sollte, auf eigene Kosten, den fremden Truppen seine Infrastruktur zur Verfügung stellen. Der damalige russische Außenminister Igor Iwanow sollte gegenüber Newsweek am 26. Juli 1999 [2] dazu erklären:

Zu meiner Überraschung präsentierte Hill zwei zusätzliche Dokumente (...) mit Anhängen. Die beiden zusätzlichen Dokumente sind nie mit uns diskutiert worden. Es war klar, daß es mehrere Monate gedauert hatte, um sie zu formulieren. (...) General Clark hat vor dem Kongreß zugegeben, daß die Vorbereitungen für die militärischen Operationen im Juni 1998 begonnen hatten. Daher ist dieser Schritt in Rambouillet hinter unserem Rücken geschehen.

Die Tatsache, daß Rußland über diese Vorbereitungen nicht informiert worden war, um von der eigentlich gebotenen Einbeziehung in derart schwerwiegende Pläne ganz zu schweigen, unterstreicht, daß es der NATO nicht nur um die Zerschlagung eines sozialistischen Vielvölkerstaates gegangen ist, der nach dem Zusammenbruch des Sowjetsystems ein geradezu idealtypisches Vorbild für die vielen, vor einem möglichen Neubeginn stehenden Staaten Osteuropas bzw. des Warschauer Paktes gewesen war. Die Implementierung einer solchen Streitmacht der NATO in einem Teil Jugoslawiens sowie die Befugnis, im ganzen Land militärisch zu operieren, hätte die Kräfteverhältnisse zwischen dem westlichen Bündnis und den Nachfolgestaaten ihres einstigen Systemgegners eindeutig zu Lasten der letzteren, also auch Rußlands, verschoben. Ab dem Zeitpunkt, an dem die NATO mit dem militärischen Teil des Rambouillet-Vertrages endgültig die "Katze aus dem Sack" gelassen hatte, mußte für Belgrad, aber auch Moskau klar gewesen sein, daß der Krieg gegen Jugoslawien längst beschlossene Sache war und nur durch eine Komplett-Kapitulation wie eben den vorgelegten Vertrag hätte abgewendet werden können.

In Rambouillet wurden somit keine Friedensverhandlungen abgehalten, sondern mit militärischer Erzwingungslogik Schritte durchgeführt, die in den Krieg führen sollten und mußten. Daß die serbische Delegation dieses Machwerk nicht würde unterschreiben können, war vollkommen klar. Dennoch kam es aus westlicher Sicht zu Komplikationen, die den Erfolg der gesamten Inszenierung in Frage stellten, weil auch die kosovo-albanische Delegation sich zunächst weigerte zu unterschreiben, was jedoch für den weiteren Ablauf eine unverzichtbare Voraussetzung darstellte. Die UCK beharrte darauf, nach Ablauf der drei Jahre ein Referendum über die Zukunft der Provinz Kosovo abhalten zu können, was im Entwurf, der dafür eine internationale Konferenz bestimmt hatte, jedoch nicht vorgesehen war. Am 18. Februar 1999, nach dreizehntägiger Verhandlungsdauer, standen Petritsch und Co. vor dem Nullpunkt, hatten sie sich mit Hashim Thaci doch einen überaus halsstarrigen Delegationsleiter aufgebaut, der einfach nicht bereit war, die ihm in diesem Ränkespiel zugedachte Rolle zu spielen.

So verweigerten beide Seiten die Unterschrift unter einen Vertrag, der nach den von den vermeintlichen Vermittlern diktierten Bedingungen nur gültig werden konnte, wenn der politische und der militärische Teil akzeptiert werden würden. Dem militärischen Teil hätten die Kosovo-Albaner sofort zugestimmt, im politischen jedoch bestanden sie auf der Möglichkeit eines Referendums, das nach spätestens drei Jahren die Unabhängigkeit gebracht hätte. Die ursprünglich auf sieben Tage anberaumte Konferenz wurde um eine weitere Woche verlängert, blieb jedoch ergebnislos. Nun sollte per Ultimatum die Zustimmung erzwungen werden - die Zustimmung der Albaner, wohlbemerkt, denn nur auf diese, und zwar ausschließlich auf diese, kam es an, um die letzten Schritte in den Krieg vollziehen zu können. Weder der deutsche Bundesaußenminister Joseph Fischer noch seine US-amerikanische Amtskollegin Albright vermochten es jedoch, Thaci und die UCK zur Unterschrift zu bewegen.

Erst nach einem nächtlichen Vier-Augen-Gespräch unbekannten Inhalts, das Wolfgang Petritsch mit Thaci geführt hatte, kam am 23. Februar 1999 die entscheidende Wende. Vereinbart wurde, nachdem der albanische Verhandlungsführer im Prinzip zugestimmt hatte, eine Verhandlungspause, in der Thaci, wie es hieß, seinen Landsleuten die veränderte Situation verständlich machen sollte. Als die Verhandlungen auf Schloß Rambouillet am 15. März wieder aufgenommen wurden, wartete die serbische Delegation mit einem neuen, eigenen Verhandlungsvorschlag auf. In diesem waren Abstriche an den Passagen vorgenommen worden, die die (für Jugoslawien unannehmbare) Militärpräsenz fremder Truppen sowie die Einschränkung der staatlichen Souveränität betrafen. Für das angeblich eigentliche Problem, die Zukunft des Kosovo, enthielt er jedoch sehr weitgehende Autonomieregelungen für die albanische Bevölkerung. Das Papier wurde von den westlichen Verhandlungsführern jedoch nicht einmal zur Kenntnis genommen.

Am 18. März 1999 unterschrieben Thaci und Rugova in Rambouillet für die Kosovo-Albaner. Die Serben blieben bei ihrem Nein. Der US-amerikanische Sondergesandte Richard Holbrooke reiste fünf Tage später nach Belgrad, angeblich, um den "störrischen" Milosevic, dessen Kompromißbereitschaft er 1995 beim Zustandekommen des Dayton-Abkommens noch explizit gelobt hatte, doch noch, wie es hieß, zum Einlenken zu bewegen. Es war der Tag vor dem Beginn des ersten Krieges, den die NATO auf europäischen Boden gegen einen Staat führte, dessen faktische Souveränität und territoriale Größe durch eine von langer Hand geplante und durchgeführte Destabilisierungs- und Zersetzungsstrategie, bei der nicht unbedingt die an den ersten Abspaltungen, den bosnischen Bürgerkriegen und der anschließenden Kosovo-Krise beteiligten Akteure, sondern, wie zu vermuten steht, westliche Geheimdienst-, Militär- und Diplomatenkreise die Regie führten, schon erheblich eingebüßt hatten.

"Sie müssen sich im klaren sein, die Luftschläge werden schnell kommen, sie werden schwer und andauernd sein", soll Holbrooke Milosevic am Tag vor dem Beginn des 78tägigen Bombenkrieges noch gedroht haben [2]. Der jugoslawische Präsident antwortete vollkommen illusionslos: "Es gibt nichts mehr zu verhandeln. Sie werden uns bombardieren. Sie sind ein mächtiges Land. Wir können nichts dagegen tun." Milosevic sollte Recht behalten. Die Bedingungen des in Rambouillet alternativlos vorgelegten Knebelvertrages waren, diese Schlußfolgerung drängt sich auf, eigens so angelegt worden, daß Milosevic sie bei aller Bereitschaft, in der Kosovo-Frage zu einer die Situation deeskalierenden Lösung zu kommen, unmöglich akzeptieren konnte. Wolfgang Petritsch, ein profunder Kenner der Balkan-Länder und überdies ein Vertrauter des damaligen deutschen Außenministers Fischer, wird dies genau gewußt haben, und so liegt auf der Hand, daß die politische Schmierentragödie in Rambouillet ausschließlich inszeniert worden war, um die von Seiten der NATO längst gefällte Entscheidung für den Krieg gegen Jugoslawien hinter vorgeschützten Friedensofferten zu verbergen.

Anmerkungen:

[1] Schattenblick, POLITIK\REDAKTION, HISTORIE/104: Kriegschronik Jugoslawien - Konklave in Rambouillet. Zwangsdiplomatie zur Entmündigung des künftigen Kriegsgegners, 20.3.2000

[2] Zitiert aus: Das Bomben-Versprechen. Zehn Jahre "Rambouillet" - eine Friedenskonferenz, die den Krieg gegen Jugoslawien brachte, von Kurt Köpruner, junge Welt, 06.02.2009, S. 10

(Fortsetzung folgt)

27. Oktober 2009