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STANDPUNKT/017: Wie in Italien im Umfeld der radikalen Linken die Brigate Rosse entstanden - 2. Teil (Gerhard Feldbauer)


Wie an der Wende zu den 1970er Jahre in Italien im Umfeld der radikalen Linken die Brigate Rosse entstanden

Wie die Geheimdienste der USA und ihre italienischen Komplizen darauf von Anfang an Einfluß nahmen
Mit verheerenden, bis in die Gegenwart reichenden Folgen

Eine Spurensuche auf den Pfaden der Geschichte

von Gerhard Feldbauer, 31. August 2019


Zweiter Teil
Die Brigate Rosse unter dem Einfluss der CIA (1974/75 bis in die 80er Jahre)

Beginnen wir mit einem Witz, der schon kurz nach der Entführung Aldo Moros in Italien die Runde machte. [15] Am Morgen des 16. März kommt der Saaldiener im Montecitorio (dem Sitz der italienischen Abgeordnetenkammer) aufgeregt auf Giulio Andreotti zu: »Herr Ministerpräsident, soeben ist Aldo Moro entführt worden!« Andreotti: »Wieso? Ist es schon 9 Uhr?« [16] In zwei Sätzen brachte der Volksmund treffsicher die historische Wahrheit auf den Punkt, stellte den italienischen Hauptverantwortlichen an der Entführung und späteren Ermordung des christdemokratischen Parteiführers an den Pranger. Er richtete sich gegen die These, nach der die Brigate Rosse von der Politik und Justiz als die alleinigen Täter der Entführung und Ermordung Aldo Moros hingestellt wurden. In diesem Zusammenhang wirkt es seltsam, daß der Standpunkt von der Alleintäterschaft bis heute noch von einer Anzahl Brigadisten mit dem zweiten BR-Chef Mario Moretti an der Spitze bzw. ihren Sympathisanten vertreten wird. Andere Führungsbrigadisten wie die BR-Gründer Curcio und Franceschini distanzieren sich davon und verdächtigen Moretti gar, mit den Geheimdiensten kollaboriert zu haben. [17]

Nicht wenige Brigadisten meinen ihr Bekenntnis zur Alleintäterschaft sicher ehrlich. Es mag für die »Unbeugsamen« (wie sich diejenigen, die sich nicht lossagten bzw. nicht als Kronzeugen auftraten, nennen) vor den Gerichten und in den Gefängnissen auch ein moralischer Halt gewesen sein, für sich einen der größten politischen Terrorakte in der Geschichte des Anarchismus und des Linksradikalismus in Anspruch nehmen zu können. Gleichzeitig wird der Vorwurf zurückgewiesen, als »Werkzeug des Imperialismus« mißbraucht worden zu sein. Soviel zur Einleitung dieses zweiten Teils, um die Tatsachen sprechen zu lassen, wie es 1974/75 zur Etappe des blutigen Terrors kam und wie die CIA und ihre italienischen Komplizen das bewerkstelligten.

Manipuliert von Anfang an

Die CIA beobachtete bereits im Stadium seiner Entstehung intensiv das linksradikale Spektrum und begann, es für ihre Zwecke zu nutzen, das heißt, es zu unterwandern und zu manövrieren, seine Aktionen anzuheizen. Die »Stunde Null« der Spannungsstrategie schlug bereits im Mai 1965 auf einer Tagung des Heeresinstituts für Strategische Studien in Rom, auf der im Rahmen der sogenannten »unorthodoxen Kriegführung« beschlossen wurde, neofaschistische Terrorakte künftig unter einem »linken« Aushängeschild zu organisieren. Der Geheimdienstausschuß des Repräsentantenhauses der USA erhob das zur offiziellen Linie und orientierte dann 1968 alle Geheimdienstorgane darauf, bei ihren Aktionen stärker ultralinke Kräfte zu nutzen.

Die CIA betrat jedoch kein ausgesprochenes Neuland. Wie die Publizisten Roberto Faenza und Marco Fini schrieben, gründete der USA-Geheimdienst schon nach 1945 »links« getarnte rechte Organisationen, um eine linke Regierung aus Kommunisten und Sozialisten zu verhindern. Die Autoren veröffentlichten den Wortlaut eines Berichts des OSS-Chefs [18] in Italien, James Angleton, der darin über eine »Unabhängige Kommunistische Partei« informierte, als deren Vorsitzender ein gewisser Paolo Orlando fungierte. »Gibt sich zwar als kommunistische Organisation aus, wird aber von den Rechten finanziert und hat die Aufgabe, mit kommunistischer Propaganda (...) zu vergiften. Arbeitet mit dem römischen >Daily american< zusammen.« Für solche Mitarbeiter bekam der »Daily american« damals jährlich 37.500 Dollar. Später übernahm die CIA den Unterhalt der Zeitung. [19]

Das Field Manual 30-31

Während der Vorbereitung des Putsches, mit dem der Geheimdienstgeneral Giovanni De Lorenzo eine von Aldo Moro 1963 mit den Sozialisten gebildete Regierung stürzen wollte, sollte die faschistische Avanguardia Nazionale von Valerio Borghese Sprengstoffanschläge gegen die Gebäude der Confindustria, der Rundfunk- und Fernsehgesellschaft RAI und den Sitz der Democrazia Cristiana durchführen und die Spuren gegen die IKP lenken. Unter anderem sollten dazu Sprengstoffreste in Sektionen der Partei verborgen werden. [20]

Im Frühjahr 1970 gab der Geheimdienstausschuss der USA ein Feldhandbuch (Field Manual) 30-31 heraus, in dem sich ein ganzes Kapitel mit der Einschleusung von Agenten in linksradikale Organisationen befaßte. Die Undercoveragenten sollten den »linken Terrorismus« anheizen und zur gegebenen Zeit Operationen - von der Provozierung von Unruhen bis zu politischen Morden - auslösen, um so Vorwände zu liefern, ein Regime der »starken Hand« zu errichten.

»Le Monde«: zehn Prozent Linksradikale Geheimdienst-Agenten

Der Carabinieri-General Nicolo Bozzi sagt dazu später aus, daß unzählige Offiziere und Unteroffiziere sich zur Infiltration an den Universitäten in Rom, Turin, Mailand, Genua, Trento, Padua, Neapel und Pisa einschrieben und wie Studenten unter den Kommilitonen lebten. Sie besuchten die Vorlesungen, legten die Examen ab und nicht wenige machten dann ihren Doktor. Alle Kosten wie Miete, Studiengebühren usw. hätten sie bezahlt bekommen. [21] Die Pariser »Le Monde« schrieb 1972, daß mindestens zehn Prozent aller Mitglieder linksradikaler Vereinigungen Agenten der Polizei und der Geheimdienste seien. [22] Das FM 30-31 bildete auch die Operationsgrundlage für die Gladio-Truppe, die in Zusammenarbeit mit den italienischen Geheimdiensten und der Putschistenloge P2 die Spannungsstrategie umsetzte. Die in einer VIII. Division in 36 Legionen zusammengefaßten etwa 12.000 Gladiatoren wurden mit der SACEUR-Direktive der NATO bereits im Juni 1968 direkt der CIA unterstellt.

Die faschistische Putschloge Propaganda Due (P2)

Bei der P2 handelte es sich um die von der CIA Ende der 60er Jahre gebildete, als Freimaurerloge Propaganda Due getarnte faschistische Putschloge, die bei der Inszenierung des Komplotts zur Ermordung Aldo Moros als Führungszentrale fungierte. Offiziell stand der Altfaschist aus Mussolinis Zeiten, Licio Gelli, an der Spitze. Als wahrer Chef wurde jedoch der rechte DC-Politiker und mehrmalige Ministerpräsident Giulio Andreotti gesehen. Nachdem offen neofaschistisch ausgewiesene Putschversuche wie die unter De Lorenzo, Borghese und Miceli [23] gescheitert waren, wollte die CIA mittels eines »Colpo bianco«, eines kalten Staatsstreiches, einen als »demokratische Umgestaltung« getarnten Umsturz herbeiführen. An die Stelle bis dahin neofaschistisch-militärischer Führungszentralen trat die Freimaurerloge P2, die ihre Leute in einem gefährlichen Umfang in allen Bereichen der Gesellschaft unterbrachte.

Auch unter der Regie der P2 blieb, wie insbesondere im Fall Moro sichtbar wurde, der Sicherheitsapparat ein herausragendes Instrument, das sie über den hohen Anteil an Militärs und Geheimdienstlern unter ihren Mitgliedern zum großen Teil kontrollierte und beeinflußte. Unter ihren weit über 2500 Mitgliedern befanden sich, wie Sergio Flamigni 1996 publik machte, 47 Großindustrielle, 119 Bankiers und Leute der Hochfinanz, 43 Generäle, darunter die gesamte Führungsspitze der Geheimdienste der letzten 30 Jahre, der komplette Generalstab des Heeres, etwa 400 hohe Offiziere, drei Minister der amtierenden Regierung, drei Staatssekretäre, 18 hohe Justizvertreter, 22 Spitzenjournalisten, darunter ein Chefredakteur der staatlichen Rundfunk- und Fernsehgesellschaft RAI und der einer der größten Tageszeitungen, des Mailänder »Corriere della Sera«, 38 Parlamentarier aus den Regierungsparteien, weitere aus der neofaschistischen Partei Movimento Sociale Italiano (MSI). [24]

»Mani Rosse sulle Forze Armate« (Rote Hände über den Streitkräften)

Ein führender Stratege der Organisierung des »linksradikalen Terrors« war über zwei Jahrzehnte bis zu seiner Verhaftung 1974 der Topagent der CIA und des SID Guido Giannettini, ein enger Vertrauter Pino Rautis, der die Verbindungen zwischen den Geheimdiensten, der NATO und den italienischen Neofaschisten unterhielt. 1961 hielt er in Annapolis bei Washington an der Schule der US-Marines Vorlesungen über »Techniken und Möglichkeiten eines Staatsstreiches in Europa«. 1964 gründete Giannettini einen Apparato mondiale segreto di Azione revoluzionario (Weltweiter Geheimapparat für revolutionäre Aktionen), der neofaschistische Terroristen instruierte, pseudorevolutionäre Gruppen zu bilden und »links« getarnte Anschläge zu organisieren. Zusammen mit Rauti verfasste er eine Broschüre über »kommunistische Untergrundarbeit« in der Armee, die dem Offizierskorps vor Augen führen sollte, daß die Armee angesichts des »roten Terrors« zur Sicherung der Ordnung eingreifen müsse. In dem Machwerk, das den Titel erhielt »Mani Rosse sulle Forze Armate« (Rote Hände über den Streitkräften), hieß es, die Armee sei »kommunistisch unterwandert« und die »rote Machtergreifung« stünde unmittelbar bevor.

Nazifaschist auf Lehrgang der Bundeswehr

Als Journalist und Reserve-Offizier der Panzertruppe nahm er an Tagungen der NATO teil und ging in ihren Stützpunkten ein und aus. Im Vorfeld des geplanten Borghese-Putsches von 1970 nahm er zusammen mit Rauti im Herbst 1969 an einem Lehrgang für psychologische Kriegführung an der Bundeswehrschule der Panzertruppen in Euskirchen teil und besuchte anschließend das für einen Grenzabschnitt zur DDR zuständige Bundesgrenzschutzkommando Lübeck. Nachdem sie auf der Panzerschule den damals noch streng geheimen neuen Panzertyp der Bundeswehr »Leopard« besichtigt hatten, konnten sie auch noch die Produktionsstätten des neuen Kampfwagens in Münster besuchen. Mit ihren frisch erworbenen Kenntnissen über psychologische Kriegführung begaben sich Rauti und Giannettini von der Bundesrepublik direkt nach Reggio Calabria, wo anschließend die von den Neofaschisten entfesselten Bürgerkriegsauseinandersetzungen eskalierten. Der »Vorwärts« zitiert den Staragenten am 31. Oktober 1974 mit den Worten: »Ich bin Nazifaschist. Männer wie ich arbeiten, um in Italien zu einem Militärputsch zu kommen.«

Eine brisante Enthüllung

Am 14. Juni 1976 enthüllte der Chefredakteur der Wochenzeitschrift »Tempo«, Livio Januzzi, auf einer Pressekonferenz in Rom, dass auf dem NATO-Stützpunkt Cap Marrargiu auf Sardinien Undercoveragenten für Einsätze in den BR ausgebildet würden. [25] Ein Schwerpunkt sei, wie Kommandounternehmen zur Entführung und Ermordung von Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Justiz durchzuführen sind. Bei einer dieser Operationen war laut Januzzi zwei Wochen vorher der Genueser Oberstaatsanwalt Francesco Coco (siehe weitere Ausführungen) mit seinen zwei Begleitern ermordet worden. Die »Gefängnisse« der BR für entführte Personen würden vom SID vorbereitet, dessen Chef, General Miceli, habe den Plan, Operationen der Brigate Rosse geheimdienstlich zu steuern, bestätigt. Nach der Aufdeckung der geheimen NATO-Truppe Gladio und der Untersuchung ihrer verfassungswidrigen Tätigkeit durch eine Parlamentskommission wurden Januzzis Ausführungen später durch zahlreiche Aussagen, auch von Geheimdienstlern, bestätigt. [26]

Gestützt auf die Arbeit der Kommission und eigene Recherchen belegen A. und G. Cipriano unter anderem, daß in den 70er Jahren auf Marrargiu Tausende von Gladiatoren ausgebildet wurden, von denen viele als Undercoveragenten in linksextreme Gruppen eingeschleust wurden, in denen sie zu Terrorakten anstachelten. Der verantwortliche Gladio-Kommandeur auf Cap Marrargiu war ein Colonello Camillo Guglielmi, der sich zum Zeitpunkt der Entführung Moros am 18. März 1978 in der Via Fani befand. Dorthin hatte ihn SISMI-General Pietro Musemeci, ein P2-Mitglied, der durch einen eingeschleusten Agenten den Zeitpunkt des Überfalls kannte, beordert, um zu verfolgen, ob der Anschlag auch klappt. [27]

Bereits bei Gründung der BR dabei

Bereits in ihrer Gründungsphase standen die BR unter Beobachtung der Geheimdienste. Die Moro-Kommission des Parlaments stieß auf einen gewissen Corrado Simioni, der alle Merkmale eines zur Einflußnahme eingeschleusten Agenten aufwies. Von Beruf Lehrer war er bis 1965 Mitglied der Sozialistischen Partei (ISP) und persönlich eng mit Bettino Craxi befreundet, den die P2 später als einen »neuen Duce« an die Macht bringen wollte, indem sie ihm Millionen Dollar an Bestechungsgeldern zukommen ließ. Er war neben dem Medienmonopolisten Berlusconi (dessen Partei Forza Italia (FI) sie ebenfalls finanzierte), Mitglied im Dreierdirektorium der P2. Flamigni geht davon aus, dass Simioni bereits in der ISP und bei Craxi persönlich Spitzeldienste geleistet hat. Denn als er 1965 aus der Partei ausgeschlossen wurde, kam er sofort beim amerikanischen Kulturinstitut United States Information Service und danach bis Anfang 1968 in München bei Radio Free Europe, bekanntermaßen ein CIA-Sender, unter. Bei Ausbruch der Studentenunruhen tauchte er in Italien auf und versuchte zunächst zu Lotta Continua und anderen linksradikalen Gruppen Kontakt aufzunehmen, wurde aber wegen seiner abenteuerlichen Pläne abgewiesen. Lotta Continua beschäftigte sich mit dem Vorleben Simionis näher und enttarnte ihn schon Anfang der 70er Jahre als CIA-Agenten.

Drei NATO-Generäle ermorden

Ganz auf der Linie des Field Manuell 30-31 näherte Simioni sich bereits im Vorfeld der Brigate-Gründung Curcio an. Er wandte sich sofort gegen dessen »moderate« Linie der »bewaffneten Propaganda« in den Fabriken und legte einen bis ins kleinste Detail ausgearbeiteten Plan für eine Serie von Terroranschlägen vor. Er schlug vor, drei NATO-Generäle zu ermorden, was exakt das Terrain für den im Dezember 1970 geplanten Borghese-Putsch und das Eingreifen der NATO bereitet hätte. In einem anderen Fall wollte er, wie Curcio schreibt, »einen Koffer voller Sprengstoff am Eingang des US-Konsulats in Mailand abstellen.« [28]

Im August 1970 kam es auf der BR-Gründungstagung in Pecorile zur Auseinandersetzung über Simionis Konzeption, der gleichzeitig, unterstützt von seinen Anhängern Duccio Berio, Vanni Mulinaris, Prospero Gallinari und Mario Moretti, die er mit in die Organisation gebracht hatte, die Führung der BR beanspruchte. Als Simioni scheiterte, verließ er mit seinen Anhängern die BR und gründete eine »besonders geheime Gruppe«, die sich Superclan nannte. Moretti verblieb in den BR, nahm aber insgeheim an der Arbeit des Superclans teil.

Pariser CIA-Zentrale Sammelpunkt der Linksradikalen

In Paris beteiligt sich Simioni am Aufbau eines Sprach-Instituts Hyperion, das der Gründer und langjährige Chef des vatikanischen Geheimdienstes Pro Deo, Pater Felix Andrew Morlion, der gleichzeitig im Dienst der CIA stand, ins Leben gerufen hatte. Mit Sprachen befaßte man sich in der Schule, die in einem der besten Häuser am Quai de la Tournelle untergebracht war, weniger, denn das Hyperion war von der CIA als ein Treffpunkt der Linksradikalen aus ganz Westeuropa aufgebaut worden. Unter anderem wurden hier Waffenlieferungen für linksradikale Gruppen, darunter für die Brigate Rosse, organisiert. Simioni und die BR-Mitglieder Duccio Berio und Vanni Mulinaris wurden an dem Institut »als Professoren« angestellt. Moretti ging dort ein und aus.

Seltsamerweise hinderte die politische Ausrichtung des Hyperion einflußreiche Unternehmer nicht, ihm beträchtliche finanzielle Mittel zukommen zu lassen, die aber vielleicht eher von Langley aus gesteuert wurden. Denn am Quai de la Tournelle war, wie die römische »La Repubblica« am 29. Januar 1983 berichtete, »das wichtigste Büro der CIA-Vertretung in Europa« untergebracht. Wichtig vor allem unter dem Gesichtspunkt, daß hier direkt oder verdeckt Einfluß auf die Steuerung und Unterwanderung des Linksradikalismus in Westeuropa, besonders auf sein breites Spektrum in Italien, darunter auf die Brigate Rosse, genommen wurde. Deshalb war es auch nicht verwunderlich, schreibt Giorgio Galli, daß »der Polizei gut bekannte Gruppen von Extremisten in Paris diese Schule mit wohlwollender Duldung der französischen Geheimdienste gründen konnten.«

CIA-Waffen für BR und RAF

Der Untersuchungsrichter Carlo Mastelloni stieß 1990 darauf, daß die CIA und der SISMI über das Hyperion-Institut Waffenlieferungen inszenierten, die angeblich von der PLO kamen und an die BR, die RAF und die baskische ETA gingen. Im SISMI hatte General Santovito, Mitglied der P2, der später Chef des Dienstes wurde, eine Arbeitsgruppe gebildet, die der Leiter des Nahostbüros des SISMI, Oberst Giovannone, ebenfalls P2-Mitglied, leitete. Giovannones Stellvertreter, Oberstleutnant Silvio Di Napoli, der die Sendungen im Nahen Osten auf den Weg brachte, sagte vor der Moro-Kommission aus, daß er die CIA persönlich über die laufenden Aktionen informiert habe. Der Offizier kam danach auf mysteriöse Weise ums Leben.

Auf die Verbindungen des Hyperion-Instituts zu den BR ist auch der Paduaer Untersuchungsrichter Pietro Calogero im Frühjahr 1979 gestoßen. Als er eine Durchsuchung anstrengte, warnte der zur P2 gehörende SISDE-General Giulio Grassini seine Kollegen in Paris vor der zu erwartenden Aktion. Das Institut wurde daraufhin geräumt. [29] Die Enthüllungen über die Verbindungen zwischen dem Hyperion-Institut und den Geheimdiensten bestätigte vor der Parlamentskommission zur Untersuchung des Terrorismus der römische Staatsanwalt Rosario Priore [30], der ferner erklärte, die Sprachschule habe auch ein Schloß in der Normandie besessen, in dem »Ausbildungskurse« veranstaltet wurden. [31]

Agenten-Karrieren

Den Höhepunkt ihrer Aktionen erreichten die BR unter der Führung Curcios und Franceschinis mit der Entführung des Genueser Gerichtsvorsitzenden Mario Sossi am 18. April 1974. Zu dieser Zeit waren bereits mehrere Polizei- und Geheimdienstagenten in die BR-Leitung eingeschleust worden. Einer von ihnen war ein in langjähriger Agentenarbeit erfahrener Silvano Girotto, der im September 1974 die Verhaftung Curcios und Franceschinis bewerkstelligte. Die Zeitschrift »Giorni« enthüllte 1977 in ihrer Nr. 32/33 die Karriere dieses Topagenten, der sich als Sohn eines Carabiniere-Offiziers in Algerien als Fremdenlegionär verdingte, danach als Franziskanermönch getarnt in Südamerika für die CIA arbeitete, die ihn in die Guerillabewegung einschleuste. Unter anderem denunzierte er den bolivianischen Guerillaführer Jaime Paz Zamora, der daraufhin 1972 in La Paz festgenommen werden konnte. Nach dem Militärputsch in Chile leistete er der Pinochet-Junta Spitzeldienste. Seine Reiseroute zurück nach Italien führte über die Schweiz, wo in der CIA-Station in Bern Frederico D'Amato vom Spionagebüro des Innenministeriums in Rom für die Einschleusung von Agenten in die BR zuständig war. In Italien angekommen, wurde Girotto ein begehrter Interviewpartner großbürgerlicher Zeitungen, in denen er als »Fratello Mitra« (Bruder Maschinenpistole) vorgestellt wurde, mit seinen Guerillaerfahrungen prahlen und seine Bewunderung für die Brigate Rosse propagieren durfte. Zu den Zeitungen, die so die Einschleusung Girottos in die BR vorbereiteten, gehörten der P2-geführte »Corriere della Sera« und die theoretische Zeitschrift der neofaschistischen MSI-Partei »Il Borghese«. Trotz dieser sich selbst entlarvenden Lancierungskampagne habe man in der BR-Führung »keine Anhaltspunkte, ihn zu verdächtigen«, gesehen, da er »in allen Szenen der Linken die Runde« machte und »mit großer Wertschätzung aufgenommen« worden sei, so Moretti. [32]

Es sei dahingestellt, ob Moretti, der hier auf dümmste Weise die Aufnahme Girottis in die BR verteidigt, als Agent der Geheimdienste handelte. An der Überprüfung Girottis war angeblich ein ganzes »Kollektiv« von Brigadisten beteiligt. Welches politische Niveau muß hier geherrscht haben, welche Abgehobenheit und Isolierung von der Realität des Klassenkampfes, daß man auf eine derartig primitive »Anmache« der neofaschistischen und rechten Medien hereinfallen und die nicht im geringsten überprüften »Erzählungen« des Agenten für bare Münze nehmen konnte, bloß weil sie den pseudorevolutionären Vorstellungen vom »klandestin inmitten des Volkes leben« entsprachen? [33] Ganz konkret zeigt sich hier nochmals, welch verhältnismäßig leichtes Spiel es Polizei, Geheimdienste und Neofaschisten angesichts deren übersteigerten Revolutionarismus hatten, in die BR einzudringen, sie zu instrumentalisieren, ihre Aktionen anzuheizen und den »bewaffneten Kampf« ins Extrem zu steigern.

Als zweiter Agent, der sich bereits zu dieser Zeit in den BR befand, ist ein Francesco Marra, genannt Rocco, bekannt geworden. Es handelte sich um einen Fallschirmjäger, der auf Sardinien eine Spezialausbildung in der Handhabung mit Sprengstoff und des »Schießens in die Beine« (eine später unter Moretti gegenüber Personen des Repressionsapparates praktizierte Methode) erhalten hatte. Sergio Flamigni bezeichnete das als »eine Ausbildung, die für Gladio-Angehörige, bevor sie in die BR eingeschleust wurden, typisch war«. [34]

Rocco war 1971 zunächst Mitglied der IKP geworden, um sich dann den BR anzunähern. Um ihr Vertrauen zu gewinnen, hatte er in Mailand in dem von den Neofaschisten beherrschten Viertel Quarto Oggiaro das Auto des dortigen MSI-Chefs in Brand gesteckt und ein Flugblatt mit der Bezeichnung »Francesco Marra, Avanguardia Comunista di Quarto Oggiaro« hinterlassen. Marra gehört dem von Franceschini geleiteten Kommando an, das Sossi entführte. Der Chef des Geheimdienstes Servicio Informazione Difesa (SID), General Vittorio Miceli, wurde persönlich durch den Agenten von Anfang an darüber informiert, wo der Genueser Richter versteckt gehalten wurde und was die BR planten.

Über seine Agenten versuchte der SID im Fall Sossi, erstmals deren Vorgehen zu beeinflussen. Die BR forderten im Austausch gegen Sossi die Freilassung von acht Häftlingen der linksextremen Gruppe XXII. Oktober, die der Richter zu langjährigen Haftstrafen, den Leiter sogar zu lebenslänglich, verurteilt hatte. Die Justizbehörden gingen auf die Forderungen ein, aber die Freilassung der Häftlinge scheiterte (unter anderem daran, daß die BR kein Aufnahmeland fanden. Kuba lehnte, auf Betreiben der IKP, nach einer anfänglichen Zusage ab). Nach dem Scheitern des Austausches forderten Marra und Moretti, den Richter umzubringen. Curcio und Franceschini lehnten das ab. Franceschini verstand es, Sossi zur Zusammenarbeit zu bewegen. Der Richter schrieb einen Brief an die Staatsanwaltschaft, die Suche nach dem Entführungskommando einzustellen (was auch geschah) und zu verhandeln. Zu Sossi ist zu sagen, dass er nicht nur unerbittlich gegen Linksradikale vorging, sondern auch gegen illegal arbeitende Waffenhändler ermittelte, die ihre Geschäfte in Abstimmung mit dem SID über den Hafen von Genua abwickelten.

SID-Chef Miceli plante in dieser Situation, sowohl die moderaten Brigadisten des Entführungskommandos mit Franceschini an der Spitze als auch den unbequemen Richter zu beseitigen. Wie die Zeitschrift »Tempo« am 20. Juni 1976 enthüllte, sollte das Versteck durch ein Spezialkommando gestürmt werden und dabei Sossi und die Brigadisten »alle ums Leben kommen«. Der Terrorismus der Spannungsstrategie sollte, so Flamigni, »durch >blutrünstige< Brigate Rosse« neuen Auftrieb erhalten. [35] Micelis Plan konnte nicht mehr ausgeführt werden, weil Sossi nach fünf Wochen Geiselhaft freigelassen wurde. Wie Franceschini in seinem 1990 erschienenen Buch »Das Herz des Staates treffen« schrieb, wirkte Sossi noch an seiner Freilassung mit. Er schlug vor, sich zu verkleiden (lange Koteletten, Spitzbart und neue Frisur) und erhielt einen falschen Ausweis mit neuem Bild, den die BR anfertigten.

Er regte auch an, ihn in Mailand auszusetzen, da im Falle eines Prozesses wegen seiner Entführung dann das dortige Gericht zuständig wäre, an dem die Bedingungen günstiger als in Turin seien. Sossi mußte später erfahren, daß seine Kollegen sich über solche formalrechtlichen Grundsätze ohne viel Skrupel hinwegsetzten und den Prozeß in Turin führten. Franceschini schrieb, Ausgangspunkt der Entscheidung, Sossi freizulassen, sei die Überzeugung gewesen, »daß seine Freilassung den Staat in noch größere Schwierigkeiten bringen würde: sie würde seine Widersprüche auf die Spitze treiben«. [36] In gewisser Weise traf das auch zu. Sossi war in Zukunft nicht mehr jener bedingungslose Erfüllungsgehilfe beim Vorgehen »gegen links«, der er vorher war.

Darauf dürften die erwähnten Enthüllungen des »Tempo«-Chefredakteurs Januzzi über die Ausbildung von Agenten durch die NATO zur Einschleusung in die BR beigetragen haben. Jedenfalls schrieb Sossi nach der Entführung Moros über seine eigene Gefangenschaft bei den BR ein Buch. Darin sprach er vom »künstlichen Charakter unserer revolutionären Guerilla« und hielt fest: »Ich habe nicht den geringsten Zweifel, daß die Strategen dieser Operationen Geheimdienstagenten fremder Staaten sind«. [37]

In der Brigadeführung hatte der Ausgang der Sossi-Aktion zur Folge, daß der für rücksichtslose Tötungsaktionen eintretende Moretti aus der Leitung ausgeschlossen wurde. Für die Organisatoren der Spannungsstrategie war das letzter Anlaß, die »moderaten« Brigadechefs Curcio und Franceschini auszuschalten, um den Weg freizumachen für einen ihrer Linie entsprechenden Mann. Der Agent Girotto begann, die Falle zur Ausschaltung der beiden Gründer der BR zu stellen.

Die Ausschaltung der »moderaten« BR-Gründer

Mit dem Mißlingen der Übernahme der Führung durch Simioni waren zunächst die Pläne der Spannungsstrategen gescheitert, direkten Einfluß auf die BR zu nehmen und deren Aktionen zu verschärfen. Nachdem Moretti bei der bereits geschilderten Sossi-Entführung im April 1974 sich mit seiner von dem Agenten Marra unterstützten Forderung, den Richter zu töten, nicht durchsetzen konnte, als Konsequenz dessen auch noch aus der strategischen Brigadeleitung ausgeschlossen wurde, gingen die Geheimdienste nunmehr daran, die moderaten BR-Führer der Gründergeneration, Curcio, seine Frau Mara Cagol und Franceschini, auszuschalten.

Am 8. September 1974 gerieten Curcio und Franceschini in eine Falle des Agenten Girotto und wurden von den Carabinieri verhaftet. Ein BR-Kommando unter Mara Cagol befreite Curcio im Januar 1975 aus der Haftanstalt in Casale Monferrato. Im Juni darauf wurde Mara Cagol selbst nach einer Entführung gestellt. Als sie floh, wurde sie, ohne daß dazu ein Anlaß bestand, durch gezielte Schüsse getötet. Im Januar 1976 wurde Curcio erneut verhaftet und dabei durch einen Schulterschuß verwundet. Curcio vermutete, daß die Carabinieri versuchten, »mich umzubringen«. Ein Geheimdienstoberst, der sicher auf Kollaboration setzte, verhindert das. [38]

Zwei Monate später wurde ein weiterer Gründer der BR, das Leitungsmitglied Giorgio Semeria, verhaftet. Er beschuldigte Moretti, ihn an die Polizei verraten zu haben. Curcio selbst erklärte: »Ich bin überzeugt, daß Moretti ein Spion ist, der meine Verhaftung organisiert hat.« Der Untersuchungsrichter Giancarlo Caselli deutete gegenüber dem verhafteten Franceschini ebenfalls an, daß Moretti mit den Behörden zusammenarbeitete. »Überlegen Sie einmal, warum man gerade Sie zusammen mit Curcio verhaftet hat«, sagte Caselli und zeigte Franceschini ein Foto, auf dem der Agent Girotto mit dem in Freiheit belassenen Moretti zu sehen war. [39] Mit der Bemerkung, daß Curcios zweite Verhaftung »genauso wie seine erste und die Franceschinis 1974 zustande kam«, bestätigte 1990 der Geheimdienstgeneral Romeo die Rolle, die eingeschleuste Agenten dabei spielten. [40]

Strategischer Kurswechsel

Moretti bestritt, Agentendienste geleistet, Kontakte zu den Geheimdiensten gehabt oder nach seiner Verhaftung mit den Ermittlungsbehörden zusammengearbeitet zu haben. Als Pentito ist er, offiziell, nicht aufgetreten. Unbestreitbar ist jedoch, daß mit der Ausschaltung Curcios und seiner Anhänger und damit der Leitung der BR nicht nur ein Führungswechsel, sondern gleichzeitig ein strategischer Kurswechsel erfolgte, der den Vorstellungen der Spannungsstrategen und ihrer im Feldhandbuch 30-31 konzipierten Linie des Anheizens der Terrorakte entsprach. Aufschlußreich war, daß General Miceli, zu dieser Zeit Chef des SID, 1974 zu Beginn der Piazza Fontana-Prozesse diesen Kurswechsel regelrecht ankündigte: »Von nun an werdet ihr nichts mehr vom rechten Terrorismus hören, sondern nur noch von dem anderen«. [41]

Mit der Ausschaltung der Gründerführung ging eine Rechnung auf, die der Einflußagent Corrado Simioni bereits 1970, als er mit seiner Tötungslinie scheiterte, beim Verlassen der BR gemacht hatte: Curcio schreibt, Simioni habe vorausgesagt, daß die BR »schnell identifiziert würden«, und angekündigt, er und sein Anhang würden eine »extrem klandestine Struktur aufbauen, die in einem zweiten Moment als bewaffnete Gruppe in Aktion treten sollte. Und zwar zu einem Zeitpunkt, von dem sie glaubten, daß wir, desorganisiert, wie wir nach der chaotischen Übergangssituation waren, alle auf einmal festgenommen worden wären.« [42] In einer nach der Ermordung Moros 1979 vorgelegten Studie »Über den Terrorismus und den Staat« bestätigte der Politologe Gianfranco Sanguinetti, daß »durch bestimmte Verhaftungen im richtigen Augenblick oder durch die Ermordung der ursprünglichen Führer, die im allgemeinen bei einem bewaffneten Zusammenstoß mit den >Ordnungskräften< passiert, die von einer solchen Operation durch die eingeschleusten Elemente benachrichtigt werden, (...) die Geheimdienste ganz nach ihrem Belieben über ein voll wirksames, aus naiven oder fanatischen Militanten gebildetes Organ verfügen, das nur geführt werden will.« [43] Das mag bezüglich der Brigate Rosse etwas verabsolutiert scheinen, trifft aber im Kern der Sache zu. Wenn von »naiven oder fanatischen Militanten« die Rede ist, dann dürfte unter diesem Aspekt vor allem Moretti, wenn man ausschließt, dass er ein angeworbener Agent war, zu analysieren sein.

CIA-Agent Simioni leitet verdeckt die BR

Und was Simioni betrifft, trat er, kaum daß Curcio zum zweitenmal verhaftet worden war, wie angekündigt »in Aktion«. Die römische Zeitschrift »Europeo« befasste sich mit der Rolle Simionis und führte an, dass auch die Moro-Kommission des Parlaments zu dem Schluß kam, daß es sich bei ihm um einen Agenten handelte. Sie stellte fest, daß gegen diesen trotz des schwerwiegenden Verdachts der Beteiligung an dem Komplott gegen den DC-Vorsitzenden nie ermittelt wurde. SISMI-Chef und P2-Mann Santovito, dessen Beteiligung an der Verschleppung der Fahndung nach den Entführern zur Sprache kam, habe bei der Befragung die Anschuldigungen nicht im geringsten entkräften können und musste einräumen, daß der SISMI unter seiner Leitung »nichts, rein gar nichts« zur Aufklärung der Entführung und Ermordung Moros beigetragen hat.

Simioni selbst blieb nach der Ausschaltung Curcios und Franceschinis im Hintergrund, aber seine Leute aus dem Superclan kehrten in die BR zurück. Angesichts des nach dem schweren Schlag gegen die Brigadeführung eingetretenen Schocks war es für sie relativ leicht, Moretti an die Spitze zu bringen. Clan-Mitglied Graziano Sassatelli gestand gegenüber »Panorama« (25. Mai 1986), dass »den Kopf der Brigate Rosse« nun »die Superclanspitze« bildete, die von Moretti und einem eingeweihten Kreis auch »la Ditta« (die Firma) genannt wurde. Sergio Flamigni bemerkte in dieser Zeit »eine sonderbare Übereinstimmung mit einer Anzahl Verschwörer des sogenannten >Borgheseputsches< und anschließend desselben der >Windrose< [44], die ebenfalls den Decknamen >La Ditta< benutzten, hinter dem sich eindeutig eine umstürzlerische Organisation verbarg.« Die Angaben Sassatellis zur Funktion des Superclans bestätigte 1993 vor dem Untersuchungsrichter Pierluigi Dell'Osso der Brigadist Silvano Larini, der aussagte, daß Corrado Simioni »der tatsächliche Chef der Brigate Rosse« war. [45]

Moretti führte in die BR eine geheime Struktur ein, in der die Mitglieder der verschiedenen Kolonnen kaum noch etwas voneinander wussten und selbst Teilnehmer an Operationen sich nicht mehr kannten. Das konnte mit der Notwendigkeit konspirativer Arbeit begründet werden, ermöglichte aber (wie im Fall Moro später bekannt wurde), Agenten in solche Operationen einzuschleusen, ohne daß die Brigadisten das bemerkten. Vor allem brachte Moretti, zweifelsohne unter dem Gesichtspunkt, die geplante Operation Moro allein in der Hand zu haben, die römische Kolonne unter seine Kontrolle. Er war ihr einziger Vertreter im Exekutivkomitee der BR, dem die strategische Leitung, die über die bewaffneten Aktionen entschied, unterstand. Als Stellvertreter Morettis fungierte aus der Ditta Prospero Gallinari, der dann auch neben diesem angeblich als einziger Zugang zum »Volksgefängnis« Moros hatte. Sergio Flamigni analysierte, daß sich während der Vorbereitung und Durchführung der Operation Moro, die sofort nach der Übernahme der Führung durch Moretti begann, »die effektive Führungsgewalt in den Händen der beiden aus dem Superclan kommenden Brigadisten Moretti und Gallinari befand und von den beiden Moretti der Chef war«. Selbst »die Chefs der einzelnen Kolonnen waren nichts weiter als Ausführende und die römische Kolonne, welche die Hauptlast der Operation Moro trug, hatte keine Entscheidungsbefugnis in der Frage der Entführung, sondern übte lediglich eine untergeordnete Funktion aus.« [46]

Beginn der blutigen Phase

Unter der Regie des Superclans begann die abenteuerliche, blutige Phase der BR, vor der Curcio gewarnt hatte. Am 8. Juni 1976 startete die erste Tötungsaktion. Auf offener Straße wurden der Genueser Oberstaatsanwalt Francesco Coco und sein Fahrer sowie ein weiterer Sicherheitsbeamter erschossen. Der Ermordung Cocos folgten allein acht weitere Richter. Andere Opfer waren Wirtschaftsmanager, Politiker, Journalisten. Sprunghaft stiegen auch die blutigen Aktionen anderer ultralinker Gruppen an, denen 1977, die Opfer der BR eingeschlossen, 42 Tote und 377 Verletzte angelastet wurden.

Als am 16. März 1978, dem Tag der Entführung Moros, eine Regierung mit kommunistischer Unterstützung ihr Amt antrat, stiegen die Terrorakte weiter an. Nach den Berichten der italienischen Medien [47] ereigneten sich bis Ende des Jahres über 2.300 Terrorakte, bei denen mehr als 30 Menschen ums Leben kamen und über 400 zum größten Teil schwer verletzt wurden. 871mal fanden bewaffnete Überfälle auf Personen statt, und 45mal wurden Personen entführt. Darunter befanden sich 19 Industrielle und Manager, zwei Bankiers, sieben DC-Politiker, ebenso viele Kommunisten und Vertreter anderer linker Organisationen, zwei Mitglieder rechter Gruppen, fünf Journalisten, drei Universitätsprofessoren, sechs Angehörige der Justiz, sieben Gefängniswärter und vier Ärzte. Zwei Drittel der Überfälle wurden unter dem Zeichen der Brigate Rosse begangen. 333 Anschläge galten Parteibüros und Gewerkschaftssitzen, 111mal wurden Kasernen und 33mal Polizeistationen angegriffen. Der Terror diente dazu, Angst und Schrecken zu verbreiten, die öffentliche Sicherheit zu zerrütten, die parlamentarische Ordnung und ihre Exekutive als unfähig auszuweisen und so dem Ruf nach einer Regierung der »starken Hand«, die »Ordnung schafft«, Nachdruck zu verleihen. Der Gladio-Offizier Roberto Cavallaro, der für den SID-Chef Miceli arbeitete, sagt gegenüber »Panorama« (4. November 1990), daß ein »guter Teil dieser Anschläge (...) auf direkte Weisungen oder Einflußnahme der Geheimdienste« zurückging.

Fragwürdig waren auch die Motive, nach denen die BR unter Moretti die Opfer ihrer Tötungsaktionen auswählten. Daß Coco nicht nur gegen Linksradikale ermittelte, wurde bereits erwähnt. Er untersuchte aber auch den brisanten Fall der Ermordung des Journalisten Mauro De Mauro. Der Staatsanwalt war dabei auf die Rolle der CIA und der Mafia beim Anschlag auf den Erdölindustriellen Mattei gestoßen. Möglicherweise hatte er bereits entsprechende Schritte eingeleitet. Fünf Monate nach Coco, am 16. November 1978, wurde der stellvertretende Chefredakteur der Turiner »Stampa«, Carlo Casalegno, Opfer eines Feuerüberfalls, an dessen Folgen er am 29. des Monats verstarb. Auf einem Flugblatt begründeten die BR, daß er ein »verachtenswerter Staatsdiener« war. Oberflächlich betrachtet, paßte das ins grobe Raster. Ein Journalist der FIAT-Zeitung, die gegen die Linken zu Felde zieht, wird »bestraft«. Das Problem lag bei Casalegno indessen tiefer. Er hatte nicht gegen den »linken Terror« schlechthin geschrieben, sondern über dessen Hintermänner und Drahtzieher. In einem Artikel hat er vom »gezielten Linksterror« geschrieben und von den dahinter stehenden »Inspiratoren und Koordinatoren«.

Wer Simioni auf der Spur war, wurde umgebracht

War Casalegno Simionis Superclan auf der Spur und wurde deshalb umgebracht? Diese Frage tauchte gut drei Jahre später erneut auf, als am 17. Mai 1980 der Journalist der »Repubblica« Guido Passalaqua erschossen wurde. Er kannte sich im Geheimdienstmilieu aus und hatte in seiner Zeitung die Aussagen des Kollaborateurs Peci (siehe weitere Ausführungen) analysiert. Dabei war er offensichtlich auf den über den BR stehenden Superclan Simionis gestoßen. Am 12. April schrieb er in der »Repubblica«: »Es gibt jemanden weiter oben, eine, zwei, drei Personen, die über die >Kampagnen des Terrorismus< entscheiden. Jemand, der weitaus mehr zu sagen hat als die strategische Leitung der Roten Brigaden. Jemand, der kein Gesicht hat, dessen Name deshalb von Patricio Peci nicht genannt werden kann, weil er ihn nicht kennt. Dieser jemand ist die wahre politische Leitung der Roten Brigaden. Eine mit Sicherheit undurchdringliche Leitung, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die einzige Verbindung zu den Aktivisten durch Moretti hergestellt wird.« Mit diesem Wissen teilte er das Schicksal des zehn Monate vorher erschossenen Herausgebers des »Osservatore Politico« Mino Pecorelli (auch dazu weitere Ausführungen). [48]

Wechsel der Zielperson - von Andreotti zu Moro

Aufschlussreich ist der Wechsel der Zielperson des Anschlags im Frühjahr 1978. Unter Curcio plante die BR-Leitung, eine herausragende Persönlichkeit der regierenden DC zu entführen, um einen entscheidenden Schlag gegen »das Herz des Staates«, wie Franceschini es nannte, zu führen. Zielperson für Curcio, Franceschini und Mara Cagol war Giulio Andreotti. Franceschini charakterisierte ihn prägnant als »Schlüsselfigur des neogaullistischen Planes« einer »reaktionären Wende« und verwies auf die engen Verbindungen zwischen ihm und dem damaligen Chef des Montedison-Konzerns und Präsidenten des Industriellenverbandes Confindustria, Eugenio Cefis, einen der führenden Finanziers der Neofaschisten. Mit der »Achse Cefis-Andreotti«, so Franceschini weiter, wäre »der große Politiker« getroffen worden, »die Aufdeckung eines Komplotts zwischen Wirtschaft und Politik« gelungen. Im Frühjahr 1974 war Franceschini bereits nach Rom übergesiedelt, »um die Entführung Giulio Andreottis vorzubereiten«. [49]

Nachdem Moretti die Führung übernommen hatte, wechselte mit dem Beginn der Tötungsaktionen nicht nur der Brigade-Kurs, sondern auch die Zielperson des »entscheidenden Anschlags«. Sie hieß nun Aldo Moro. Zunächst sei man »aus purem Zufall auf ihn« gekommen, versuchte Moretti diesen strategischen Wechsel in seiner simplen Weise zu erklären. Man habe Andreotti und Moro als »Zwillinge« gesehen. Damit offenbarte er, daß die Führungsbrigadisten der »zweiten Generation« nicht in der Lage gewesen seien, innerhalb der politisch herrschenden Klasse zu differenzieren. Unterschiede, »wenn es sie gab«, seien »zu jener Zeit nicht leicht zu erfassen« gewesen, behauptete Moretti im Gegensatz zu Franceschini, räumte aber ein, »vielleicht haben wir uns in der Einschätzung geirrt, das kann ich nicht völlig bestreiten.« [50]

Im Ergebnis dieses »nicht völlig bestrittenen Irrtums« wurde an Stelle des bedingungslosen Gefolgsmannes der Amerikaner und Exponenten des rechten Flügels der Democrazia Cristiana, als der Andreotti jedem einigermaßen politisch engagierten Linken bekannt war, der linksliberale bürgerliche Reformer und Gegner der rücksichtslosen Einmischung der USA in Italien, Aldo Moro, laut Kissinger der »Allende Italiens« und »gefährlicher als Castro«, Objekt des Anschlags »auf das Herz des Staates«. Bei der Analyse dieses Wechsels und des folgenden Anschlags gegen Moro stößt man zwangsläufig wieder auf den Einfluß des Agenten Corrado Simioni und seines Superclans. »Zu offensichtlich nutzte die Ausschaltung Moros seinen Gegnern, den rechten Christdemokraten um Andreotti und seinen amerikanischen und NATO-Verbündeten, als daß eine Beteiligung der Geheimdienste, vor allem der direkt an die CIA gebundenen geheimen Gladiostruktur, nicht überzeugend wäre«, schrieb Regine Igel. [51]

Franceschini: Wir haben uns »verschaukeln lassen«

In »La Repubblica« schätzte Franceschini am 31. Dezember 1990 ein, daß in den BR »andere Kräfte mitmischten« und erklärte: »Für mich gibt es heute keine Zweifel mehr: die Brigate Rosse wurden instrumentalisiert, nur ein Teil >unserer Aktionen< waren wirklich >unsere<.« Sie hätten sich »damals verschaukeln lassen«, meinte er und geht davon aus, daß »ein geheimes Leitungszentrum« zur Steuerung des Linksradikalismus existierte, das er unter anderem mit dem Hyperion identifizierte. Moretti charakterisierte er als einen Brigadechef, der sich aufführte, als wenn »die Organisation ihm gehöre, ihm allein«, und er verwies auf »seine Irrtümer, seine Doppelzüngigkeit, seinen schäbigen Ehrgeiz«. [52]

Agenten, Agenten

Neben Silvano Girotto und Francesco Marra gab es eine Reihe weiterer Agenten in den BR, die offen enttarnt bzw. bei den Ermittlungen von nicht in die Spannungsstrategie einbezogenen Richtern überführt wurden. Dazu gehörte ein Marco Pisetta, der sich in der Studentenbewegung der Universität von Pisa »der erste Revolutionär Italiens« nannte und seit Anfang der 70er Jahre in den BR aktiv wurde. Bereits 1972 führte der Agent in einem Bericht an den Geheimdienst namentlich alle Chefs der BR, darunter auch Mario Moretti, auf und beschrieb ihre Kolonnenstruktur. In einem Gespräch mit der Zeitung »Il Sabato«, das am 15. Dezember 1990 erschien, sagte Alberto Franceschini zu den Folgen der Arbeit des Agenten: »In diesem Jahr gab es viele Verhaftungen und wenn man gewollt hätte, wäre es schon 1972 möglich gewesen, die BR zu zerschlagen. Aber das geschah nicht.« Als Pisetta in den Brigaden enttarnt wurde, tauchte er mit Hilfe der Polizei unter und reiste später in die Bundesrepublik aus. Pisetta denunzierte viele linke Studenten, Professoren und Arbeiter, bezichtigte sie krimineller Aktivitäten und trat vor Gericht gegen angeklagte Brigadisten auf.

Der SID-Oberst Antonio Cornacchia verfügte während der Moro-Entführung über einen Agenten in den BR namens Paolo Santini, der jedoch für die Ermittlungen nicht aktiviert wurde. Als er Ende 1978 zufällig verhaftet wurde, sorgte Cornacchia unverzüglich für seine Freilassung. [53] Giorgio Galli berichtete über einen in die BR eingeschleusten Spitzenagenten Giovanni Senzani, einen studierten Kriminologen und früheren Berater im Justizministerium. Senzani war wegen Mafia-Kontakten mit dem Gesetz in Konflikt geraten.

Ex-CIA-Agent Philip Agee enthüllte

Leute, die »wegen früherer strafrechtlicher Verfolgung oder krimineller Verwicklungen« erpreßbar sind, eignen sich besonders zur Einschleusung als Agenten, zitierte der »Espresso« am 30. Januar 1976 den langjährigen CIA-Operations-Mitarbeiter Philip Agee. »Sie dienten zur Informationsbeschaffung, aber auch für alle provokatorischen Operationen und die Organisation von spektakulären Gewaltaktionen wie zum Beispiel die des Anschlags auf den Italicus-Expreß und auf der Piazza Fontana«, so Agee, der mit der CIA gebrochen hatte. Senzani erfüllte alle diese Voraussetzungen. Seit 1970 in den BR aktiv, zählte er schon bald zu den engsten Vertrauten Morettis und nahm an der Planung der Operation Moro teil. Er gehörte zu denen, die fanatisch die Tötungsaktionen vorantrieben, und war persönlich an der Ermordung mehrerer Richter beteiligt. Aus Berichten der Zeitschrift »Panorama« (26. Januar 1981 und 4. November 1990) ging hervor, daß Senzani viermal in Verhaftungsaktionen geriet, darunter einmal kurz nach der Entführung Moros, und jedes Mal unmittelbar danach als einziger wieder freigelassen wurde. Als Moretti im April 1981 verhaftet wurde, trat Senzani seine Nachfolge als BR-Chef an. [54]

Die Parlamentskommission zum Fall Moro befaßte sich mit dem CIA-Agenten Ronald Stark, der Kontakte zu der ultralinken Azione Rivoluzionaria unterhielt. »Nebenbei« befaßte er sich mit Drogenhandel, was ihn 1975 ins Gefängnis brachte. Er wurde in Pisa in dasselbe Gefängnis eingeliefert, in dem auch Renato Curcio und andere Mitglieder des »historischen Kerns« der BR einsaßen. Stark gab sich als Vertrauensmann der Palästinenser aus, unterbreitet den Brigadisten Fluchtpläne und bot seine Hilfe bei der Beschaffung von Waffen und Ausbildung in PLO-Lagern sowie in Libyen an. Der Agent soll umfangreiche Informationen über die BR und ihre Aktivitäten beschafft haben und beim Abfassen von Dokumenten beteiligt gewesen sein. Curcio bezeichnet das zu »90 Prozent als Märchen«. [55] Aber schon zehn Prozent dürften keine schlechte Ausbeute gewesen sein. Dafür sprach auch, daß Stark regelmäßig von amerikanischen Konsularbeamten besucht wurde, die offensichtlich seine Informationen entgegennahmen. Stark wurde 1979 freigelassen und reiste in die USA aus. Als nach der Ermordung Moros gegen ihn ermittelt und seine Auslieferung beantragt wurde, teilte Washington nach wiederholten Anfragen 1984 mit, der Beschuldigte sei verstorben. [56]

Geringe Strafen für Pentiti

Franceschini äußerte sich zur umstrittenen Rolle der Pentiti (Kronzeugen), denen für die Zusammenarbeit mit der Justiz, das heißt für Informationen und anschließende Aussagen über alle Vorgänge in den Organisationen und dann Aussagen dazu in den Prozessen, Strafminderung, oft sogar Straffreiheit gewährt wurde. Insgesamt gab es in den Verfahren gegen die radikale Linke 35 Kronzeugen. Es gab Fälle, daß »reuige« schwere Straftäter straffrei ausgingen, während Angeklagte, gegen die sie aussagten, wegen vergleichsweise geringerer Delikte lange Haftstrafen erhielten. Der Brigadist Antonio Savasta, Leiter der Kolonne in Venetien, gestand mehrere Morde, wurde aber nach knapp zwei Jahren auf Grund seiner Zusammenarbeit mit den Carabinieri aus der Haft entlassen. [57]

Nicht wenige Pentiti wurden verdächtigt, daß sie sich bereits als Brigadisten für die Zusicherung von Straferlaß oder auch Straffreiheit zur Mitarbeit bzw. auch für regelrechte Agentendienste anwerben ließen. Ein solch außerordentlich wertvoller Informant war für die Geheimdienste der bereits erwähnte Patricio Peci, Chef der Turiner Kolonne, einer Spitzengruppe der BR, der als Mitglied der strategischen Leitung weitreichende Kenntnisse über Struktur und Operationen der BR insgesamt hatte. Unter anderem war er eingehend über die Vorbereitung und Durchführung der Entführung und Ermordung Moros informiert und wußte, daß Moretti die Operation leitete. Während Moretti die Agentenrolle Pecis abstritt und in ihm lediglich einen Pentito, wenn auch einen »Superpentito«, sah, der erst nach seiner Verhaftung im Februar 1980 mit der Justiz zusammengearbeitet habe, meinten Franceschini und andere Brigadisten dagegen, daß es sich um einen schon seit längerer Zeit aktiven »Infiltranten« handelte.

Das bestätigte auch Roberto Peci, der Bruder Patricios. Die Carabinieri hätten seinem Bruder »eine gewisse Summe« und »ein neues Leben im Ausland« versprochen. Daraufhin habe er seine Genossen verraten. Roberto Peci wurde trotz seiner Distanzierung angeblich aus Rache an dem Verrat seines Bruders von den BR erschossen. [58] Sergio Flamigni schätzte aus seiner Arbeit in der Moro-Kommission ebenfalls ein, daß Patricio Peci bereits während seiner Brigadezeit angeworben wurde. Peci habe zu den Brigadisten gehört, die von Moretti nach der Übernahme der Führung in die BR aufgenommen wurden. Nach seiner Verhaftung habe Peci gestanden, acht politische Morde begangen zu haben, sei aber nur zu zehn Jahren Haft verurteilt worden und durfte das Gefängnis bereits 1983 verlassen. [59]

50 Brigadisten den Geheimdiensten denunziert

Die nach seiner Verhaftung in den Medien großaufgemachten Aussagen Pecis, die 70 Seiten umfassten und die Namen von 50 Brigadisten und anderen Linksradikalen enthielten, waren demnach den Geheimdiensten seit langem bekannt. Dass jetzt energisch zugeschlagen wurde, ergab sich daraus, dass die BR ihre Rolle bei der Liquidierung Moros und der Verschiebung der Regierungsachse nach rechts ausgespielt hatten, und zum anderen, um das Versagen der Ermittlungsbehörden vergessen zu machen und das ramponierte Ansehen der Sicherheitsbehörden wiederherzustellen. Die meisten der von Peci denunzierten Brigadisten wurden jetzt verhaftet. Vier der verratenen Mitglieder der Genueser Kolonne wurden nachts in ihrem Stützpunkt überfallen und im Schlaf erschossen. Ohne Zweifel wollte man unliebsame Mitwisser ausschalten. Der Anwalt Eduardo Arnaldi, den Peci der Komplizenschaft mit den BR beschuldigte, erschoß sich bei der Festnahme. [60]

Hunderte unschuldige Opfer der Spannungsstrategie

Der so angeheizte Terror der Spannungsstrategie führte zu einer von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr zunehmenden Zahl von Attentaten, die das ganze Land erfassten und oft mit Massenmord endeten. Von 150 Anschlägen 1969 stieg ihre Zahl 1978 auf fast 2400 an. In dieser Zeit kamen Hunderte unschuldige Menschen ums Leben, wurden Tausende verletzt. Zwischen 1969 und 1984 forderte der von den Spannungsstrategen mit aktiver Teilnahme der Neofaschisten entfesselte Terror allein in der »roten Emilia«, wo Kommunisten und Sozialisten die Landesregierung bildeten und die meisten Städte und Gemeinden beherrschten, 140 Tote und ein vielfaches an Verletzten. 85 Tote und über 200 Verletzte gab es bei nur einem einzigen Attentat, jenem auf dem Hauptbahnhof in Bologna im August 1980.

(wird fortgesetzt)


Fußnoten:

[15] Der Autor war von 1973 bis 1979 Korrespondent der
Nachrichtenagentur ADN der DDR in Rom.

[16] Der Zeitpunkt des Überfalls und der Entführung Aldo Moros am 16. März 1978.

[17] Die Meinungen, ob Moretti ein angeworbener Agent war oder er in die Falle der Geheimdienste geriet, sich dessen dann bewusst wurde, gar meinte, in seinem fanatischen Hass auf die IKP die Manipulierung nutzen zu können, sind geteilt. Auskunft darüber gibt das erwähnte Interview-Buch von Rossana Rossanda und Carla Mosca. Diese divergierenden Ansichten werden bei den Darlegungen zu Moretti reflektiert.

[18] Office of Strategic Service, Vorläufer der CIA.

[19] Roberto Faenza, Marco Fini: Gli Americani in Italia. Mailand 1976, S. 263.

[20] Daniele Barberi: Agenda nera, Trent'Anni di Neofascismo in Italia. Rom 1976, S. 89.

[21] Flamigni: Convergenze parallele, S. 115.

[22] Antonio und Gianni Cipriano: Sovranita limitata. Storia dell'eversione atlantica in Italia. Rom 1991, S. 201 f.

[23] Versuchte 1973/74 mit NATO-Hilfe und der MSI ein faschistisches Regime nach dem Vorbild Pinochets in Chile zu errichten.

[24] Sergio Flamigni: Trame atlantice. Storia della Loggia massonica segreta P2. Mailand 1996, S. 425 ff.

[25] Der Autor war anwesend. Die danach nicht dementierten Ausführungen Januzis wurden u. a. später durch Antonio und Gianni Cipriano bestätigt.

[26] Nach der Aufdeckung im Oktober 1990, über die La Repubblica erstmals am 24. des Monats berichtete, arbeiteten viele ehemalige Offziere von Gladio mit der Justiz zusammen und traten in den Medien mit Enthüllungen auf. Darin spiegelte sich auch eine Entladung des Frusts wider, dass sie sich dem Druck der CIA- und der NATO- Einmischung auf Italien unterordnen mussten und jetzt eine Gelegenheit sahen, das offen darzulegen.

[27] Flamigni: Trame atlantice, S. 247.

[28] Curcio: Mit offenem Blick. Berlin 1997, S.59.

[29] Flamigni: La Tela del Ragno. Il Delitto Moro. Mailand 1993, S. 170 ff.

[30] Priore wurde seit 1992 durch seine aufsehenerregenden Ermittlungen über den Abschuß einer italienischen Passagiermaschine vom Typ DC 10 durch NATO-Jäger bekannt. Das Flugzeug wurde für eine libysche Maschine gehalten, in der sich Staatschef Ghaddhafi befand, dem der Anschlag im Juni 1980 galt. Drahtzieher des Attentats war die CIA, die über zwei Jahrzehnte die wahren Ursachen des Absturzes vertuschte und ihn als Unfall ausgab. Dreizehn Zeugen, die genaue Kenntnisse von dem Terroranschlag hatten, darunter ein General der italienischen Luftwaffe, kamen auf typisch mysteriöse Weise ums Leben.

[31] Flamigni: Convergenze parallele, S. 274 f.

[32] Ebd. S. 96.

[33] Gino Doni: Mein Blut komme über Euch. Moro oder die Staatsraison. München 1978, S. 65.

[34] Flamigni: Convergenze parallele, S. 99.

[35] Flamigni: Convergenze parallele, S. 101.

[36] Franceschini: Das Herz des Staates treffen. Wien 1990, S. 84 ff.

[37] Mario Sossi: Nella prigione dell popolo. Mailand 1979, S. 59.

[38] Curcio: Mit offenem Blick, S. 119.

[39] Franceschini: Das Herz des Staates treffen. Wien 1990, S. 98 f.

[40] Flamigni: Convergenze parallele, S. 112.

[41] Sergio Zavoli: La Notte della Repubblica. Mailand 1992, S. 133.

[42] Curcio, S. 59 f.

[43] Gianfranco Sanguinetti: Über den Terrorismus und den Staat. Hamburg 1981, S. 55.

[44] Unter diesem Code gab es 1973/74 mit NATO-Hilfe faschistische Putschversuche.

[45] Flamigni: La Tela del Ragno, S. 175.

[46] Flamigni: Convergenze parallele, S. 119, 237.

[47] Der Autor hat diese Angaben den italienischen Medien entnommen. Er befasste sich auch später weiter mit der Entwicklung in Italien.

[48] I Veleni di »OP«. Le »Notizie riservate« di Mino Pecorelli, Hg. Francesco Pecorelli (Bruder des Ermordeten) und Roberto Sommella, Vorwort Sergio Flamigni. Mailand 1994.

[49] Franceschini, S. 86.

[50] Mario Moretti, a.a.O., S. 139 f.

[51] Regine Igel: Andreotti. Politik zwischen Geheimdienst und Mafia. München 1997, S. 140.

[52] Franceschini, a.a.O., S. 178.

[53] Flamigni: Convergenze parallele, S. 114.

[54] Galli, a.a.O., S. 283, auch Flamigni: Convergenze parallele, S. 264 ff., 277 ff.

[55] Curcio, a.a.O., S. 121 f.

[56] Flamigni: Trame atlantice, S. 369.

[57] Franceschini, a.a.O., S. 179, 203.

[58] Seifert, a.a.O., S. 134.

[59] Flamigni: La Tela del Ragno, S. 205, Franceschini, S. 201.

[60] Flamigni, ebd. S. 294.

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Quelle:
© 2019 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. September 2019

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