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FRAGEN/001: Ihr fürchtet Euch vor Euch selbst (planet)


planet° - zeitung der grünen bildungswerkstatt Nr. 47 - Dezember 2006, Jänner 2007

Ihr fürchtet Euch vor Euch selbst

Das Gespräch führten Daniela Ingruber und Herbert Langthaler


Der Philosoph Franz Martin Wimmer beschäftigt sich seit vielen Jahren mit interkultureller Philosophie. planet sprach mit ihm über das Fremde, nachhaltige kulturelle Veränderungen, interkonfessionelle Dialoge und philosophische Auswege.


planet: Was ist das Fremde? Und wann wird es zum Politikum?

Franz Martin Wimmer: Die Frage ist unbeantwortbar. Das Fremde kann alles außerhalb meiner Haut sein. Es beginnt manchmal hinter dem Haus.

Keine der agierenden Parteien in Österreich ist schlechthin fremdenfeindlich. Ich habe nie gehört, dass ein politischer Repräsentant nachhaltig gegen Manager internationaler Konzerne aufgetreten wäre, obwohl auch sie fremd sind, teilweise nicht Deutsch lernen oder sich integrieren wollen. Auch Touristen, sie kommen, schauen uns an und gehen wieder. Aber um sie geht es nie.

Fremdenfeindlichkeit richtet sich nicht gegen alle, sondern gegen gewisse. Es geht um Fremde, die in irgendeiner Weise bedrohlich sein sollen. Bei Afrikanern scheint mir die "Bedrohung" rassistisch begründet. Man spricht zwar von "kulturell anders", "kulturell nicht integrierbar". Gemeint ist aber "schwarz". Würde "kulturell" wirklich ernst gemeint sein, könnte man auch nicht Kamerun, Sudan und Äthiopien in einen Topf geben.

Eigentlich ist es Armenhass oder Armenfeindlichkeit. Bedrohlich wirkt, dass sich eine Parallelgesellschaft entwickelt - mit allen Merkmalen einer Diaspora-Gesellschaft, wie Konservativismus oder wenig Diskurs.

planet: Warum gibt es diese Angst vor Parallelgesellschaften?

Wimmer: In meinem Dorf hat man mir erklärt, die Telfser Pläne, ein Minarett zu bauen, seien beängstigend. Es gibt zwar eine Moschee in der Umgebung, die ist aber nicht als solche erkennbar. Es scheint, man kann das tolerieren, solange es niemand sieht. Man sagte mir, ich müsse mir einmal vorstellen, dass seit 700 Jahren der Kirchturm steht, und nur der Kirchturm. Das Symbol bedeute für alle die Zugehörigkeit. Wenn da jetzt ein Minarett stünde, wäre das unerträglich. Ich sagte ihnen: Ihr fürchtet euch vor euch selbst! Es ist fehlendes Selbstbewusstsein, wenn das Minarett solch eine Bedeutung hat.

planet: Ist es die Angst vor dem Verlust der eigenen Kultur?

Wimmer: Ich glaube, dass andere Faktoren die herkömmlichen Verhaltensweisen sehr viel stärker beeinflussen und verändern als die Zuwanderung. Mir ist aufgefallen, dass es gewisse Brauchtumsarten gibt, die sich durch den Tourismus und keineswegs durch Bosnier oder Türken verändert haben.

Etwa der alpine Almabtrieb: Er hat immer Elemente enthalten, die die Einheit von Menschen und Tieren symbolisiert haben. Im Pinzgau wurden die Kühe nicht geschmückt, wenn eines der Tiere im Sommer gestorben ist. Und man hat sie dunkelblau oder schwarz geschmückt, wenn einer der Menschen gestorben ist. Beide Symbole gibt es nicht mehr. Es ist nur das Bunte übrig geblieben. Das ist vollkommen sinnentleert, ein Konsumenten-Brauchtum. Und das hat nichts mit der Zuwanderung zu tun.

Brauchtum ist ein Bereich, in dem der Eindruck erweckt werden soll, es gebe nichts Neues. Tatsächlich sind Bräuche entstanden und entstehen immer wieder. Als ich in der Schule war, ist der erste Schützenverein im Salzburgischen gegründet worden. Es ist unglaublich, wie schnell Vollbärte wachsen und wie schnell der Eindruck entsteht, das habe es immer schon gegeben. Dabei war es ein Import aufgrund eines Tourismusnachteils.

planet: Es gibt heute oft eine faktische Gleichsetzung von Kultur und Religion. Woher kommt das?

Wimmer: Selbst im offiziellen Katechismus der katholischen Kirche ist dauernd vom Verhältnis zu anderen Kulturen die Rede an allen Stellen, wo es tatsächlich um interkonfessionelle Beziehungen geht.

Und wenn Zuwanderer von sich selbst reden, sagen sie sehr oft "unsere Kultur und Religion". Dieses "und", der Unterschied, verschwindet aber dann praktisch.

planet: Wird Religion wieder wichtiger?

Wimmer: Ich habe stark den Eindruck, dass es in den verschiedensten Bereichen, auch in den Medien, ohne Religion scheinbar nicht mehr geht. Priester sind heute wieder Experten.

Es hat natürlich ein oder zwei Generationen gegeben, die gesagt haben: Religion ist privat. Wenn du religiös bist, red' bitte nicht darüber.

planet: Aber die SchülerInnen sind in Schulmessen geschickt worden, in den Schulen hängt das Kreuz, etc.

Wimmer: Das Gemenge von Kultur und Religion war immer da: die Kreuze in den Schulstuben, der Eid auf die Bibel. Bei was schwört man als konfessionsloser Mensch? Ich musste einmal bei einer Zeugenaussage schwören. Da habe ich gesagt: "Ich kann nicht sagen, ich schwöre bei Gott, denn das ist unzuverlässig."

planet: In den USA gibt es eine heftige Debatte, weil der erste islamische Abgeordnete im US-Kongress auf den Koran statt auf die Bibel schwören will.

Wimmer: Das ist ein interessanter Fall, denn es wäre ernst zu nehmen, wenn er auf sein heiliges Buch schwören will. Dann wäre es für ihn viel verbindlicher.

planet: Brauchen wir mehr Dialog zwischen den Religionen?

Wimmer: Wenn von staatlicher oder von kirchlicher Seite ein Dialog propagiert wird, sprechen Repräsentanten mit Repräsentanten über Konfessionsfragen. Und über die Frage, wo die Religionen in der modernen Gesellschaft stehen. Worüber sie aber nicht sprechen oder was zumindest nicht berichtet wird, sind die Dogmen, das, was sie im Glauben unterscheidet.

planet: Kann ein Dialog zwischen Repräsentanten geführt werden?

Wimmer: Nein. Von der Idee des Dialogs oder auch des Polylogs her müssen sie sich als Gleiche anerkennen und können sich nicht auf etwas zurückziehen, worüber nicht zu diskutieren ist. Repräsentanten haben aber immer eine Verpflichtung gegenüber anderen, die nicht da sind.

planet: Bringen die "Dialoge" etwas im Abbau der Ängste oder Fremdheit?

Wimmer: Wahrscheinlich nicht viel. Sie haben eher symbolische Bedeutung, und zwar innerkonfessionell.

planet: Gibt es aus philosophischer Sicht einen Ausweg aus der Fremdheit, der Angst vor dem Anderen?

Wimmer: Die akademische Philosophie hat da ihr eigenes Problem: dass man in der Tradition immer starke Grenzen gezogen hat. Philosophie im strengen Sinne des Wortes gebe es nur bei den Griechen und neuzeitlich-europäischen Völkern. Wenn Texte aus Indien, China, Afrika auftauchten, in denen Fragen, wie "Was ist Wahrheit?", "Ist die Welt endlich oder unendlich?" gestellt werden, hat man bis zur postkolonialen Debatte unisono behauptet, das sei nicht Philosophie. Insofern können wir uns als Philosophen am Wochenende damit beschäftigen, in der Pension oder im Urlaub, für das Gemüt - aber nicht ernsthaft.

Wenn man diese Texte, wie die Upanishaden oder afrikanische Texte, anschaut, kommt man nicht umhin zuzugeben, dass es Philosophie im strengen Sinne ist. Heute kann man diese Traditionen nicht mehr ignorieren, man muss sich mit ihnen auseinandersetzen. Vielleicht ist das, was dabei herauskommen kann, nicht nur für die Philosophie von Relevanz, sondern auch für andere. Im besten Fall kann, wenn tatsächlich Dialoge praktiziert werden, nicht nur ein besseres Verstehen herauskommen, sondern dass man in offenere und vielseitigere Diskurse eintritt. Ob das in Bereichen wie der Entwicklungspolitik etwas bringen kann, weiß ich nicht, weil da die Gleichheitsannahme illusorisch ist. Aber vielleicht liegt darin eine Möglichkeit etwas zu verstehen.

Ich plädiere daher für den Versuch einer interkulturellen Philosophie, als Polylog.

Das reine Modell des Polylogs ist zwar in der realen Welt ganz unmöglich. Aber in der realen Welt kann auch nicht stattfinden, dass eine einzelne Position, ohne Auseinandersetzung mit den Anderen, mit Sicherheit die Wahrheit hat.

Die menschliche Vernunft hat eben keine Hautfarbe, kein Geschlecht und keinen bestimmten religiösen Hintergrund.


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Quelle:
planet° - zeitung der grünen bildungswerkstatt Nr. 47,
Dezember 2006/Jänner 2007, S. 12
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juni 2007