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DISSENS/001: Ferienakademie der Rosa Luxemburg Stiftung - kein offener Kanal für Rassisten (Witt-Stahl)


Ferienakademie - kein offener Kanal für Rassisten

Linke Stipendiaten der Rosa Luxemburg Stiftung proben den Aufstand gegen »antideutsche« Neocons

Von Susann Witt-Stahl


Unter den Stipendiaten und Ehemaligen der der LINKEN nahestehenden Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) ist ein ausufernder Streit um die Programmgestaltung ihrer diesjährigen Ferienakademie entbrannt. Kritische Linke beklagen vor allem, dass mit den neokonservativen »antideutschen« Autoren Stephan Grigat, Thomas von der Osten-Sacken und Sebastian Voigt ausnahmslos rigorose Befürworter von völkerrechtswidrigen Angriffskriegen als Referenten der Ferienakademie zum Themenkomplex Israel-Palästina-Iran zu Wort kommen. Voigt ist führender Kopf im BAK Shalom der Linksjugend Solid, welcher im Januar für die Bombardierung des Gaza-Streifens demonstriert hatte.

Die Referenten »vertreten nationalistisch-chauvinistische Ansätze in ihrer bedingungslosen Unterstützung der rechtskonservativen Staatspolitik Israels«, begründen die Arbeitskreise (AK) Rechtspolitik und Menschenrechte sowie Internationalismus in der RLS ihre Forderung, die »antideutschen« Neokonservativen auszuladen. Bereits in den Vorjahren sei diese Gruppierung in der RLS durch ein »dominantes ausgrenzendes Auftreten« gegenüber Andersdenkenden aufgefallen und habe versucht, sie durch willkürliche Antisemitismusvorwürfe mundtot zu machen. Es sei auch immer wieder zu »offen rassistischen und kriegstreiberischen Äußerungen« gekommen. Auf der Ferienakademie 2007 hätten die »Antideutschen« sogar den militärischen Erstschlag gegen den Iran gefordert.

Die Initiatoren der umstrittenen Veranstaltungen schmettern die Kritik kategorisch ab. Sie basiere auf »Unwissenheit und Fehlanalyse« oder »Demagogie«, so der AK Antisemitismus in der RLS. Unterstützung erhielten sie von einzelnen Stipendiaten, die darauf hinwiesen, dass es für die Veranstaltungen der »Antideutschen« schließlich »keinen Besuchszwang« gebe. Auch nach Ansicht des RLS-Studienwerks und des AK Ferienakademie sollte diesen »innerlinken Positionen« Raum gegeben werden.

Hasstiraden auf der Achse des Guten

»Es ist beschämend, dass hier offensichtlich versucht wird, ein Recht auf rassistische und imperialistische Artikulationen für weiße Männer durchzusetzen, und Menschen, die dagegen protestieren, als Störenfriede und Problemmacher stilisiert werden«, empört sich der Politikwissenschaftler Kien Nghi Ha und verweist auf das politische Milieu, in dem sich die »superdeutschen« RLS-Referenten tummeln: Grigat und Osten-Sacken schreiben nicht nur für das Hardliner-Organ Bahamas, dessen Redakteure den französischen Faschisten Jean-Marie Le Pen für seinen Kampf gegen den Islam würdigen. Beide - wie auch Sebastian Voigt - publizieren in dem Online-Netzwerk Die Achse des Guten, das sich durch seine antikommunistischen und (kultur)rassistischen Hasstiraden einen Namen im neokonservativ-rechten Spektrum gemacht hat.

Minimalkonsens Antirassismus

In Gegenwart dieser Personen könne er sich »als jüdisch-israelischer Linksaktivist« nicht mehr »sicher fühlen«, schreibt der Publizist Yossi Bar-tal und kündigt an, der Veranstaltung fern zu bleiben. Vorwiegend sind zwar arabische und dunkelhäutige Menschen Ziel »antideutscher« Aggressionen. Aber wenn es um israelische Kommunisten geht, dann ist Stephan Grigat - der findet, der Judenstaat »ist zu liberal«, und ein Knesset-Verbot für »islamistische arabische Israelis« fordert -, alles andere als zimperlich: Im Ankündigungstext seines Vortrags für die Akademie wirft er der israelischen KP vor, sich mit dem »Mufti gegen den Zionismus« verschworen und während der Pogrome von 1929 bis 1948 »Aufklärungsverrat« begangen zu haben - jüdische Kommunisten als Komplizen von Judenmördern?

Die Bundestagsabgeordneten der LINKEN Monika Knoche, Hüseyin Aydin, Norman Paech und Wolfgang Gehrcke halten die Einladung von Grigat, Osten-Sacken und Voigt angesichts deren Ansichten für unvereinbar mit den emanzipatorischen Grundsätzen der Stiftung und fragen RLS-Geschäftsführer Florian Weis in einem gemeinsamen Schreiben: »Wie kommt es, dass ihr hier nicht protestiert?« Und weiter: »Unserem Verständnis nach ist die Rosa-Luxemburg-Stiftung kein 'Offener Kanal', in dem alle alles verbreiten können. Eine linke Stiftung, die sich ausdrücklich auf Rosa Luxemburg bezieht, hat u.E. politische Referenzpunkte, die den minimalen Konsens aller im Rahmen der Stiftung Agierenden darstellt und die die Grundlagen ihres politischen Handelns bilden...« Die Unterzeichner halten es für »selbstverständlich«, dass Aktivitäten der Rosa-Luxemburg-Stiftung nicht »zur Plattform« für Personen werden, die politische Prämissen wie »Antirassistisch, antikolonialistisch, emanzipatorisch, pazifistisch« nicht teilen.

»Pluraler Meinungsstreit besser als Zensur«

Der angesprochene Florian Weis beruft sich in einer Stellungnahme darauf, dass die Stipendiaten ihre Workshops in Eigenregie organisieren und findet, einen »pluralen Meinungsstreit« in Gang zu bringen, sei »besser als Zensur und eine autoritäre Ansage 'von oben'«. Offenbar will die Stiftung dem Treiben der Neocons nun aber doch Grenzen setzen: Wie Marcus Hawel, Referent des RLS-Bildungswerks, gestern gegenüber ND verlautbarte, sei beschlossen worden, Osten-Sacken, Grigat und Voigt kritische Koreferenten zur Seite zu stellen und den Organisatoren aufzugeben, für zukünftige Ferienakademien Qualitätskontrollen einzuführen.

Erstveröffentlicht in Neues Deutschland vom 15.07.2009


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Aufruf der RLS-StipendiatInnen für Ferienakademie 2009

Es folgt der Aufruf der AK Rechtspolitik und Menschenrechte & Internationalismus:

Quelle:
http://rifkah.blogsport.de/images/Aufruf_Ferienakademie20092.pdf


Gemeinsamer Aufruf anlässlich des Programms der Ferienakademie 2009

Wir Stipendiat_innen der Rosa Luxemburg Stiftung sind beunruhigt über die sehr einseitig dominierte inhaltliche Gestaltung der Ferienakademie und möchten den vielfältigen Protest und Erklärungen von Stipendiat_innenseite aufgreifen. Wie wir aus dem Programm der Ferienakademie 2009 der Stipendiat_innen entnehmen können, sind drei Workshops angesetzt, zu denen Mitglieder/Autoren des BAK Shalom (Sebastian Voigt) und der Zeitschrift Bahamas (Stephan Grigat, Thomas von der Osten-Sacken) als Referenten eingeladen wurden bzw. sich angemeldet haben. Die politischen Positionen, die von den eingeladenen Referenten vertreten werden, stehen Vorstellungen von linker und emanzipatorischer Politik in solch einer Weise entgegen, dass wir sehr irritiert über Sinn und Zweck dieser Veranstaltung im Rahmen der RLS sind.

Unsere Verwunderung resultiert aus folgenden Positionen, die von den jeweiligen Referenten in unterschiedlicher Ausprägung vertreten werden. Diese Positionen können unter anderem den Artikeln der Zeitschrift Bahamas und dem Grundsatzdokument des BAK Shalom entnommen werden:

Sie vertreten offen nationalistisch-chauvinistische Ansätze in ihrer bedingungslosen Unterstützung der rechtskonservativen Staatspolitik Israels

Sie unterdrücken kritische Diskussionen über die Außenpolitik des Staates Israel. Antinationalistische und antiimperialistischer Argumente werden mit dem Vorwurf des Antisemitismus tabuisiert

Sie argumentieren rassistisch durch ihre anti-arabische Positionierung

Sie identifizieren sich mit dem rechten politischen Spektrum in Israel und diskreditieren die Positionen linker/progressiver Menschen aus dem Nahen Osten

Radikale Kapitalismuskritik wird in einen Topf mit verkürzter rechtspopulistischer "Kapitalismuskritik" geworfen und als Antisemitismus diffamiert

Sie ordnen Linke, die antiimperialistische Kritik an der amerikanischen Außenpolitik äußern oder Solidarität mit den Menschen in Palästina kundtun, dem Nazi-Spektrum zu

Im Folgenden wollen und werden wir uns nicht mit diesen Positionen auseinandersetzen, da sie in keiner Weise kompatibel mit antirassistischen, antinationalistischen und kapitalismuskritischen Positionen sind, die international linke Theorie und Praxis ausmachen.

Die von den Referenten vertretenden Standpunkte entsprechen einer absolut eurozentristischen Denkweise, da linke/progressive Standpunkte betroffener Menschen aus den jeweiligen Ländern völlig ausgeklammert werden. Diese Herangehensweise ist durch eine arroganten Haltung geprägt und äußert sich darin, dass o.g. Protagonist_innen eine Deutungshoheit für sich darüber beanspruchen, was Demokratie und Menschenrecht in den betroffenen Ländern eigentlich ausmacht.

Als Stipendiat_innen und Ehemalige der RLS unterstützen wir die politische Zielsetzung der Rosa Luxemburg Stiftung - unser Engagement in diesem Sinne ist eine "selbstbestimmte gesellschaftliche politische Aktivität, Engagement für Frieden und Völkerverständigung, für soziale Gerechtigkeit und ein solidarisches Miteinander" (Quelle: http://www.rosalux.de/cms/index.php?id=stiftung).

Wir wünschen uns daher, dass die Positionen der israelischen und arabischen Linken in der Diskussion um den Nahostkonflikt nicht nur im Zentrum unserer Diskussionen stehen, sondern wir auch weiterhin solche Diskussionen als Möglichkeiten nutzen um voneinander lernen zu können.

Als Stipendiat_innen und Ehemalige möchten wir uns weiterhin dafür einsetzen, dass die RLS ein Ort ist und bleibt an dem Menschen unabhängig von Geschlecht, Herkunft etc. sich frei und ohne Ausgrenzung austauschen können. Ebenfalls werden wir auch weiterhin unseren Teil dazu beitragen, dass Menschen, die in ihren Heimatländern Unterdrückung aufgrund ihrer linken/ progressiven Gesinnung etc. erfahren haben, sich unserer Solidarität sicher sein können. Nach mehreren Jahren der wenig fruchtbaren Auseinandersetzung mit der oben genannten Strömung innerhalb der so genannten "Antideutschen", ihren offen rassistischen und kriegstreiberischen Äußerungen (auf der FA im Jahre 2007 wurde der Erstschlag gegen den Iran gefordert, was massiv von Stipendiat_Innen kritisiert wurde) und ihrem dominanten und ausgrenzenden Auftreten halten wir es nicht für gerechtfertigt, diesen Positionen weiterhin derart viel Raum in unseren Strukturen zu geben. Nicht zuletzt auch deswegen, weil die Zahl derer, die ihnen zugeordnet werden kann, sich zwar sehr präsent zeigt, aber real sehr gering ist. Gerade weil uns Werte wie Meinungsvielfalt (siehe gemeinsame Erklärung des Studienwerkes und des AK Ferienakademie), Internationalismus und Solidarität am Herzen liegen, schlagen wir den o.g. Referenten vor sich ein Publikum zu suchen, dass ihre Standpunkte schätzt. Den Vorstand der Stiftung fordern wir dazu auf, zu dieser aktuellen Problematik Stellung zu beziehen. Wir plädieren aufgrund des vielfältigen Protests der StipendiatInnen dafür diese Referenten auszuladen und gemeinsam den dadurch entstehenden Freiraum zu nutzen, um Veranstaltungen anzubieten, die einen größeren Teil der Stipendiat_innenschaft anspricht und zugleich mit den politischen Gründsätzen einer sich als links und progressiv verstehenden Stiftung wie der RLS kompatibel ist.

Wir bitten alle Stipendiat_innen und Arbeitskreise, sich unserem Aufruf anzuschließen. Wir laden das Studienwerk, den AK Ferienakademie und allen Interessierten ein, auf einem Treffen über Alternativen nachzudenken.


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Quelle:
© Susann Witt-Stahl, Juli 2009
mit freundlicher Genehmigung der Autorin
stahlpress Medienbüro Hamburg
Osterfeldstraße 79 b, 22529 Hamburg
Internet: www.stahlpress.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juli 2009