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HEINRICH BÖLL STIFTUNG/233: Iran-Report Nr. 8 - August 2009


Iran-Report der Heinrich-Böll-Stiftung - Nr. 8 - August 2009


Mit dem iran-report stellt die Heinrich-Böll-Stiftung der interessierten Öffentlichkeit eine Zusammenfassung ihrer kontinuierlichen Beobachtung relevanter Ereignisse in Iran zur Verfügung.

Nach der von der Heinrich-Böll-Stiftung im April 2000 veranstalteten Berlin-Konferenz und verstärkt infolge der Anschläge am 11. September stellen die Entwicklungen in Iran und der Region einen zentralen Arbeitsschwerpunkt der Stiftung dar.

Der iran-report erscheint monatlich (Nr. 09/2009 Anfang September) und wird einem breiteren Interessentenkreis aus Politik, Wissenschaft und Medien zur Verfügung gestellt.

Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin, im August 2009


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Liebe Leserinnen und Leser,

viele von Ihnen haben die kommentierte chronologische Darstellung der Ereignisse nach der Präsidentenwahl vom 12. Juni begrüßt. Da sich die Lage im Iran dramatisch zugespitzt hat, werden wir auch in dieser Nummer versuchen, Ihnen einen Überblick über die Entwicklung der letzten Wochen zu geben. Daher werden die beiden Rubriken Wirtschaft und Außenpolitik entsprechend etwas kürzer ausfallen als üblich.


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Innenpolitik
Vorbereitungen auf den 9. Juli
"Reporter ohne Grenzen": Erneute Festnahmen in Iran
Moderate Geistliche melden Zweifel an Ahmadinedschads Sieg an
Massenhinrichtung
US-Korrespondent frei gelassen
Chamenei verwahrt sich gegen Einmischung des Westens
Proteste vor der deutschen Botschaft in Teheran
Konservativer Kandidat warnt vor Kollaps Irans
Wichtige Fatwa von Ayatollah Montaseri
Brief an den verborgenen Imam
Mussavi kündigt Gründung einer neuer Partei an
Rafsandschanis Predigt
Chatami fordert Referendum
Ahmadinedschad gerät schwer in Bedrängnis
Staatskrise weitet sich aus
Protestbewegung gibt nicht nach, Mussavi auf Konfrontationskurs
Chamenei ordnet Schließung von Gefängnis an

Wirtschaft
Atomstreit
Obama: G-8-Staaten werden "nicht ewig" auf Einlenken Irans warten
Zweifel an einem "Stern"-Bericht
Salehi neuer Chef der Atomenergiebehörde

Außenpolitik
Russland: Weitere Sanktionen gegen Teheran "kontraproduktiv"
Saudi-Arabien hält angeblich Luftraum offen
EU erwog Reisebeschränkungen im Iran-Konflikt
Biden: USA würden israelischen Angriff auf Iran nicht verhindern
Kriegsschiffe zur Piratenbekämpfung
US-Militär übergibt iranische Gefangene
Jüdischer Weltkongress fordert härteren Kurs gegen Iran
Frankreich will Wahl Ahmadinedschads anerkennen

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Innenpolitik

Vorbereitungen auf den 9. Juli

Obwohl im Iran bereits eine Pogromstimmung herrschte, kündigte die Opposition für den 9. Juli eine landesweite friedliche Demonstration an. Der 9. Juli erinnert an die großen Studentenunruhen vor zehn Jahren. Damals wurden die Unruhen, die von der Hauptstadt Teheran ausgingen und sich im ganzen Land verbreiteten, durch das Verbot einer liberalen Zeitung ausgelöst.

Das Regime versuchte mit allen Mitteln eine erneute Auflage von Massenversammlungen zu verbieten. Es wurde berichtet, dass Bürgerinnen und Bürger per Telefon darauf hingewiesen wurden, dass die Teilnahme an jeder unerlaubten Versammlung verboten sei und jeder, der das Verbot missachte, mit harten Strafen zu rechnen habe.

Die ganze Propagandamaschine der Machthaber, sämtliche staatlich monopolisierten Medien, Freitagsprediger und die Sicherheitsorgane, hatten sich darauf konzentriert, die Protestbewegung als von außen gesteuert darzustellen. Demnach seien die Unruhen von langer Hand geplant gewesen. Die inzwischen weltweit bekannt gewordenen Morde an der Studentin Neda Agha Soltan sowie an anderen Demonstranten seien das Werk in- und ausländischer Agenten gewesen. Selbst Videoaufnahmen, auf denen Basidji-Milizen zu sehen waren, die von den Dächern auf Demonstranten geschossen hatten, wurden als gesellt bezeichnet. Es sollen Agenten gewesen sein, die Basidji-Uniformen getragen hätten. "Es ist nicht schwer, sich als Basidji zu kleiden", sagte ein Justizsprecher. Auch die Verhaftung britischer Botschaftsangehöriger sollte den Nachweis erbringen, dass das Ausland die Hand mit im Spiel hatte.

Die Zahl der bei den Demonstrationen Inhaftierten wurde offiziell mit 500 angegeben, unabhängige Beobachter sprachen von über 2000. Gerüchte über Folterungen waren im Umlauf. Es gab bereits auch Videoaufnahmen, die im staatlichen Fernsehen gezeigt werden sollten, auf denen "geständige" Gefangene zugeben, dass sie im Auftrag ausländischer Geheimdienste die Unruhen geschürt hätten. Doch jeder im Iran weiß, dass solche Geständnisse nur durch Folter zustande kommen.

Die rechten Medien richteten ihre Angriffe gegen den bei den Wahlen unterlegenen Mir Hossein Mussavi und den ehemaligen Präsidenten Mohammad Chatami. Der ranghohe Berater des Revolutionsführers, Hossein Schriatmadari, bezeichnete Mussavi in der Tageszeitung Kayhan als einen Agenten und forderte, ihm wegen "schrecklicher Verbrechen und Hochverrat" den Prozess zu machen. Mussavi habe "den Tod unschuldiger Menschen zu verantworten", er habe einen Aufruhr veranstaltet, mit Ausländern kollaboriert und als Amerikas fünfte Kolonne im Land agiert", schrieb Schariatmadari am 3. Juli. Paramilitärische Organisationen und Schlägertruppen verlangten Mussavis und Chatamis Tod. Alles deutete auf die Absicht, demnächst Schauprozesse gegen führende Oppositionelle zu veranstalten. Justizchef Mahmud Schahrudi forderte die Gerichte auf, die Rolle von "feindlichen Fernsehprogrammen", die über Satellit empfangen werden, zu überprüfen. Wer mit diesen Programmen zusammenarbeite oder im Internet an organisierten Kampagnen aktiv teilnehme, solle hart bestraft werden.

Trotz dieser Repressalien forderten Mussavi und auch der ebenfalls unterlegene Kandidat Mehdi Karrubi die Bevölkerung auf, weiterhin Widerstand zu leisten. "Wenn wir schweigen, wird die Lage noch schlimmer", sagte Karrubi. Mussavi machte den Vorschlag, die bislang weitgehend spontane Protestbewegung in einer großen Organisation mit hunderttausenden Mitgliedern zusammenzufassen. Inzwischen hatten auch einige Großayatollahs die Protestbewegung unterstützt. Ayatollah Yussef Sanei schrieb in einer am 3. Juli veröffentlichten Erklärung, die Bürger sollten weiterhin ihre Rechte verteidigen. Und gerichtet an die Ordnungskräfte meinte er, es sei eine Sünde, Befehle auszuführen, die sich gegen Menschen richten, die ihr Recht verlangen. Zwei weitere Ayatollahs, Abdolkarim Mussawi Ardebili und Hossein-Ali Montazeri, kritisierten das Vorgehen der Ordnungskräfte. Dass so viele Menschen gewagt hatten, die Aufforderung zur Teilnahme an Pro testkundgebungen zu befolgen, zeigte, dass der Widerstand längst nicht gebrochen war. Die Taktik der Demonstranten war, sich nicht an einem, sondern an mehreren Plätzen zu versammeln, mit der Folge, dass die Ordnungskräfte sich auf die ganze Dreizehn-Millionen-Stadt verteilen mussten, was ihre Schlagkraft erheblich reduzierte. Auch aus anderen Städten des Landes wurden Unruhen gemeldet. Die allabendlichen Rufe "allah o akbar" (Gott ist mächtig) und "nieder mit dem Diktator", waren im Vergleich zu den letzten Tagen erheblich stärker geworden.

Dennoch schien den Protestierenden klar zu sein, dass der Kampf auf den Straßen nicht beliebig lang fortgesetzt werden konnte, zumal jede Demonstration, wie auch die am 9. Juli, mit weiteren Opfern und Festnahmen von Aktivisten verbunden war. Es mussten also andere Wege gefunden werden, einmal mit dem Ziel, zu zeigen, dass der Widerstand nicht gebrochen ist und nach wie vor die Mehrheit der Bevölkerung die Wahl und damit die Regierung Ahmadinedschads nicht akzeptiert. Zum anderen ging es darum, die Proteste auf die Fabriken und den Bazar auszuweiten. Um diese Ziele zu erreichen, wurden zahlreiche phantasievolle Vorschläge verbreitet, wie zum Beispiel der, in verschiedenen Städten oder Teherans Stadtbezirken zu einer bestimmten Stunde sämtliche Elektrogeräte einzuschalten.

Dieser Vorschlag hätte nur dann Erfolg, wenn die überwiegende Mehrheit der Bewohner mitmachen würde. Tatsächlich fiel an verschiedenen Abenden in einigen Städten sowie Stadtbezirken der Hauptstadt für eine Stunde der Strom aus. Einem anderen Vorschlag zufolge stiegen am 10. Juli zehtausende grüne Luftballons gen Teherans trüben Himmel.


"Reporter ohne Grenzen": Erneute Festnahmen in Iran

Die Menschenrechtsorganisation "Reporter ohne Grenzen" verurteilte scharf die neuen Festnahmen in Iran, insbesondere die des iranischen Menschenrechtsanwalts Mohammad Ali Dadchah.

Der politische Weggefährte der Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi sei am 9. Juli mit einigen seiner Kollegen vor seinem Büro in Teheran verhaftet worden, teilte die Organisation am 10. Juli in Berlin mit. Sein Aufenthaltsort sei unbekannt.

Dadchah und Ebadi haben gemeinsam das iranische Human Rights Defenders Center in Teheran aufgebaut. Die Inhaftierung Dadchahs reiht sich in eine Verhaftungswelle in Iran ein. Nach Informationen von Reporter ohne Grenzen wurden 35 Journalisten und Blogger in Gewahrsam genommen.

Zwei Tage zuvor war zudem der Journalist Mohammad Resa Jasdan in seinem Haus in Teheran festgenommen worden, Sein Aufenthaltsort wurde, wie bei vielen Festgenommenen, nicht bekannt gegeben. Jasdan arbeitete für reformierte Zeitungen und betrieb einen eigenen Blog.


Moderate Geistliche melden Zweifel an Ahmadinedschads Sieg an

Eine Gruppe moderater Geistlicher ging im Streit um die Präsidentenwahl auf Distanz zur Führung des Landes und zweifelte die Legitimität des Ergebnisses an. Die Klerikergruppe aus der heiligen Stadt Ghom warf am 5. Juli dem für die Prüfung des Wahlergebnisses zuständigen Wächterrat vor, nicht unparteiisch gehandelt und die Beschwerden der Opposition unter Mir Hossein Mussavi ignoriert zu haben. Angesichts dessen stelle sich die Frage, ob die offiziell verkündete Wiederwahl von Amtsinhaber Ahmadinedschad als legitim betrachtet werden könne.


Massenhinrichtung

Ungeachtet der politischen Krise wurden am 4. Juli in einem Gefängnis nahe der Hauptstadt Teheran 20 Todesurteile vollstreckt. Wie die Nachrichtenagentur Fars meldete, wurden die zwischen 35 und 48 Jahre alten Gehenkten wegen Drogenhandels zum Tode verurteilt. Die Verurteilten wurden demnach im Gefängnis von Karadsch hingerichtet. Damit wurden im Iran seit Jahresbeginn mindestens 161 Menschen hingerichtet, wie aus einer Zählung der Nachrichtenagentur AFP auf Basis von Presseberichten hervorging. Im vergangenen Jahr lag die Zahl der Hinrichtungen in Iran demnach bei 246, die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hatte sogar 346 Hinrichtungen im vergangenen Jahr gemeldet.

Im Iran wurden in den vergangenen Jahren mehr und mehr Todesurteile vollstreckt. Das hing mit einer durchgeführten Kampagne zusammen, die die Sicherheit im Land verbessern sollte.

Die Todesstrafe steht unter anderem auf Mord, Vergewaltigung und Ehebruch. Die Europäische Union hat die Hinrichtungen verurteilt. Die EU-Ratspräsidentschaft verurteile die in den vergangenen Tagen vollstreckten Todesurteile scharf, insbesondere die 20 Hinrichtungen in Karadsch, erklärte die schwedische Ratspräsidentschaft am 5. Juli. Sie forderte die iranischen Behörden auf, die Todesstrafe vollständig abzuschaffen.


US-Korrespondent freigelassen

Knapp zwei Wochen nach seiner Festnahme ließen die iranischen Behörden einen US-Korrespondenten wieder frei.

Trotz beruflicher Verstöße sei der Journalist aus "humanitären Gründen" auf freien Fuß gesetzt worden, teile Außenamtssprecher Hassan Ghaschghawi am 5. Juli auf der Webseite des staatlichen Fernsehens IRIB mit. Angeblich soll der Korrespondent der US-Hauptstadtzeitung "Washington Times" trotz Verbots über die Oppositionsproteste in Iran berichtet haben.

Für den Mann griechisch-britischer Abstammung hatten sich auch die iranische Botschaft in Athen und das iranische UN-Büro in New York vermittelnd eingeschaltet, wie es hieß. Er war bereits früher "aus beruflichen Gründen" in Iran zur unerwünschten Person erklärt worden, durfte dann aber doch zur Berichterstattung über die Präsidentschaftswahl einreisen, wie Ghaschghawi hinzufügte.


Chamenei verwahrt sich gegen Einmischung des Westens

Revolutionsführer Ali Chamenei warnte den Westen erneut vor einer Einmischung in die Angelegenheiten Irans. Die "Führer der arroganten Staaten" müssten wissen, dass das iranische Volk in diesem Fall eine geballte Faust zeigen werde, sagte Chamenei in einer Fernsehansprache am 6. Juli. "Achtung, die iranische Nation wird reagieren", sagte Chamenei und warnte westliche Führer, die derzeitige Lage in Iran auszunutzen. Teheran hatte vor allem den USA und Großbritannien vorgeworfen, die Proteste gegen das Ergebnis der Präsidentenwahl geschürt zu haben.


Proteste vor der deutschen Botschaft in Teheran

Eine Gruppe von Studenten protestierte am 11. Juli gegen den Umgang mit Muslimen in Deutschland. Vor der deutschen Botschaft versammelten sich zunächst ein Dutzend Menschen, um ihren Unmut über die tödliche Messerattacke auf eine Muslimin in Dresden kundzutun. Die Demonstranten riefen Parolen wie: "Nieder mit Deutschland" und "Nieder mit den rassistischen Europäern".

Mehrere Polizisten postierten sich vor dem Botschaftsgebäude, um Ausschreitungen zu verhindern. Die Botschaft selbst war geschlossen. Am Vortag hatte die iranische Regierung dem deutschen Botschafter in Teheran eine Protestnote übergeben. Der Hintergrund: Am Dresdener Landgericht hatte ein Angeklagter am 1. Juli die schwangere Ägypterin Marwa S. während eines Berufungsprozesses erstochen. Der junge Mann war in der Vorinstanz aufgrund einer Anzeige der Muslimin zu einer Geldstrafe verurteilt worden.

Vor einem Jahr hatte der Täter die Ägypterin, die ein Kopftuch getragen hatte, auf einem Dresdener Spielplatz als "Terroristin" und "Islamistin" beschimpft.

Präsident Ahmadinedschad persönlich nahm zu dem Fall Stellung. "Der Richter, die Schöffen und die deutsche Regierung sind in diesem Fall verantwortlich", zitierte die Internetseite des staatlichen Rundfunks Ahmadinedschad am 12. Juli. Auch warf er dem US-Präsidenten Barack Obama, UNGeneralsekretär Ban Ki Moon und anderen politischen Führern vor, zu der Tat geschwiegen zu haben. "Wir fordern sie auf, Deutschland zu verurteilen", sagte der Präsident und setzte hinzu: "Bei kleinen Vorfällen in Ländern, die sich ihnen widersetzen, verabschieden sie Resolutionen, aber sie achten nicht die Mindestrechte der Menschen in ihren eigenen Ländern."

In einem Schreiben an Ban Ki Moon forderte Ahmadinedschad den Generalsekretär auf, Deutschland wegen Mordes an der Ägypterin zu verurteilen. "Warum sollten manche Staatsoberhäupter angesichts ihrer unmenschlichen Taten Immunität genießen?", heißt es in dem Schreiben. Ban Ki Moon solle seinen "rechtlichen, historischen und menschlichen Pflichten nachgehen". "Wenn Sie das nicht tun, werden größere Katastrophen passieren und mehr unschuldige Menschen Opfer von Ungerechtigkeit und Diskriminierung werden." Der Mord an der Ägypterin sei ein "Anzeichen von radikalem Rassismus innerhalb Teilen der Bundesregierung und der deutschen Justiz", heißt es weiter in dem Brief. "Es ist jedoch nicht verwunderlich, da ja manche der deutschen Politiker sogar ihr eigenes Volk und ihre eigene Jugend gegenüber den Zionisten stets demütigen und sie dazu zwingen, von den Zionisten bis zur Ewigkeit erpresst zu werden."

Ahmadinedschad hatte Tage zuvor der Regierung in Berlin unterstellt, der Mord in Dresden sei "programmiert" gewesen, da ansonsten nicht erklärlich sei, wie ein Mann in einem Gerichtssaal und in Gegenwart von Polizeibeamten achtzehn Mal auf eine Frau einstechen könne.

Politische Beobachter sehen in den offenbar von der Regierung bestellten Protesten einen Versuch zur Ablenkung von inneren Problemen des Landes. Auch die Festnahmen von ausländischen Journalisten und Botschaftsangehörigen sollten die Aufmerksamkeit nach außen lenken bzw. die Darstellung der Staatsführung bestätigen, die Proteste seien von außen gesteuert.

Die Bundesregierung wies die Kritik zurück, nach der Tat zu lange geschwiegen zu haben. Regierungsvertreter hätten verdeutlicht, dass in Deutschland "kein Raum" für Fremdenfeindlichkeit sei, sagte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm am 13. Juli. Es sei ausdrücklich deutlich gemacht worden, dass "in unserem Land kein Raum ist für Fremdenfeindlichkeit". Es werde zudem seit Jahren intensiv alles getan, "damit solche Taten keinen Nährboden finden".


Konservativer Kandidat warnt vor Kollaps Irans

Der konservative Politiker und Drittplatzierte bei der Präsidentenwahl, Mohsen Resaie, warnte vor einem Kollaps des islamischen Staatssystems. Zu diesem werde es kommen, wenn nichts an der derzeitigen Situation geändert werde, teilte Resaie auf seiner Internetseite am 12. Juli mit. Es würden Entgegenkommen und Bruderliebe benötigt.

Die Menschen und ihre Rechte müssten akzeptiert werden. Resaie kritisierte die Vorgänge vor und nach der Wahl als Missmanagement der öffentlichen Wünsche und Proteste. Dieses habe zu der Krise geführt, die der Westen jetzt ausschlachten könne.

Resaie zufolge muss die Islamische Revolution fortgesetzt werden. Einige Reformen auf der politischen Ebene seien nötig. Dafür sollten der Gewinner und die Verlierer der Wahl zusammenarbeiten. Iran benötige mehr nationale Einigkeit, um erfolgreich aus den Verhandlungen mit den Nuklearmächten hervorzugehen und um sich vor einem Angriff Israels zu schützen.


Wichtige Fatwa von Ayatollah Montaseri

Der Geistliche Mohsen Kadivar hatte Anfang Juli Ayatollah Hossein-Ali Montaseri in Anbetracht der Vorgänge nach der Präsidentenwahl einige Fragen gestellt, Fragen, die nach seiner Meinung "das aufrechte und unterdrückte iranische Volk heute seinen religiösen Führern stellt".

Ayatollah Montaseri gehört zu den einflussreichsten Großayatollahs in Iran. Er war ein enger Weggefährte Ayatollah Chomeinis, der ihn zu seinem Nachfolger designierte. Doch kurz vor Chomeinis Tod fiel Montaseri in Ungnade, weil er die häufigen Verletzungen der Menschenrechte und Massenhinrichtungen kritisierte. Diese Kritik setzte er auch nach Chomeinis Tod an dessen Nachfolger Ali Chamenei fort und bekam deshalb für Jahre Hausarrest. Heute gilt Montazeri für viele Schiiten in Iran als Instanz. Die Fatwa ist ein religiöses Gutachten, auch eine Anweisung, zu deren Befolgung alle Gläubigen verpflichtet sind, die die Instanz nachahmen.

Die Fragen von Kadivar lauteten: Was müsse getan werden, wenn ein Amtsträger bestimmte Prinzipien wie Gerechtigkeit, Vertrauenswürdigkeit oder Führungsfähigkeit nicht erfüllt und die Mehrheit ihn nicht mehr unterstützt? Welche Pflicht bestehe der Scharia zufolge im Umgang mit solchen Amtsträgern, die fortwährend gegen die Gebote der Religion verstoßen? Kann die Herrschaft eines Amtsträgers, der Unschuldige töten lässt bzw. sie auf den Straßen mit Waffen und brutaler Gewalt einzuschüchtern versucht, der die Menschen ihrer Freiheit beraubt und sie zu Zugeständnissen zwingt, eines Amtsträgers, der lügt und falsches Zeugnis ablegt, Menschen, die ihr Recht einklagen als ausländische Spione und Söldner verleumdet und dem Islam schadet, indem er der Welt ein besonders grausames, irrationales, abergläubisches und tyrannisches Bild dieser Religion vermittelt, als tyrannisch bezeichnet werden? Darf sich ein Amtsträger auf das Prinzip "Der Erhalt des Systems ist höchste Pflicht" berufen, um gegen die legitimen Rechte des Volkes zu verstoßen und zahlreiche moralische Grundsätze und klare religiöse Gebote und Vertrauenswürdigkeit mit Füßen zu treten? Welche religiöse Pflicht ergibt sich für die Gläubigen, wenn ein Amtsträger seine persönlichen Interessen mit dem Erhalt des Systems verwechselt? Welches sind die Belege dafür, dass eine tyrannische Herrschaft gegeben ist? Und wenn sie als solche erkannt wird, wie haben die Gelehrten und die Gläubigen darauf zu reagieren?

Es ist nicht zu übersehen, dass die Fragen auf den Revolutionsführer Chamenei gemünzt sind. Montaseris Antwort lässt an Deutlichkeit nichts vermissen. Seine Fatwa beginnt mit einem Zitat aus dem Koran: "Diejenigen, die Unrecht tun, werden erkennen, welche Wendung es mit ihnen nehmen wird" (Koran 26:227)

"Sobald eine der genannten Voraussetzungen nicht länger erfüllt wird, führt dies zwangsläufig und unmittelbar zum Verlust der Autorität, und die (von jener Instanz) erlassenen Befehle besitzen keine Verbindlichkeit mehr - unabhängig davon, ob eine Absetzung (der Amtsträger) bereits erfolgt ist oder nicht", schreibt Montaseri. Erhält ein Amtsträger nicht die Unterstützung der Mehrheit des Volkes, verliert er seine Autorität und Legitimität, fährt Montaseri fort. In diesem Fall dürfe er sein Amt nicht länger ausüben. Sollte er jedoch "mit Gewalt und Betrug versuchen, sich im Amt zu halten", seien die Menschen verpflichtet seine "Absetzung auf diejenige Art und Weise" zu fordern, "die am effektivsten ist und so wenig Opfer wie möglich fordert". "Dies ist eine Pflicht, der alle Menschen, unabhängig von ihrer gesellschaftlichen Position, und entsprechend ihrem Wissen und ihrer Fähigkeiten, unterliegen, und der sich niemand unter einem Vorwand entziehen darf." Besonders seien die Gebildeten gefordert. Sie müssten "sich einigen, Parteien und Organisationen gründen sowie private und öffentliche Versammlungen abhalten, um so ihre Mitmenschen aufzuklären und ihnen den Weg aufzuzeigen".

Sünden zu begehen und darin zu verharren sei "eines der deutlichsten und unzweifelhaftesten Merkmale der Tyrannei und Ungerechtigkeit". Solchen Sünden hafteten "zusätzlich zu ihrem eigenen Übel auch das der Täuschung sowie der Schädigung der Religion, der Gerechtigkeit und des Gesetzes an".

Bezüglich der Frage nach dem Systemerhalt schreibt Montaseri: "Das System hat keinen Wert an sich und sein Erhalt ist keine unbedingte Pflicht, insbesondere dann nicht, wenn mit dem 'System' eine Person gemeint ist." Es sei außerdem offensichtlich, dass ein islamisches System nicht mit Tyrannei und nicht mit Maßnahmen gerettet oder gestärkt werden kann, die im Widerspruch zum Islam stehen.

Montaseri fährt fort: "Eine Obrigkeit, die auf Knüppeln, auf Ungerechtigkeit und Rechtsverletzungen basiert, die sich der Wahlstimmen bemächtigt und diese manipuliert, die mordet, verhaftet und wie im Mittelalter und mit stalinistischen Methoden foltert, die ein Klima der Unterdrückung schafft, Zeitungen zensiert, Kommunikationswege stört, die gebildete Eliten der Gesellschaft unter absurden Vorwänden inhaftiert und falsche Geständnisse erpresst, eine solche Obrigkeit ist aus religiöser Sicht und in den Augen eines jeden Vernünftigen zu verurteilen und besitzt keinen Wert."

Dem iranischen Volk seien Methoden der Erpressung aus der Geschichte faschistischer und kommunistischer Staaten wohl bekannt, schreibt Montaseri. Jeder, der an Folterungen und erpressten Geständnissen beteiligt sei, sollte wissen, dass er sich religiös und weltlich strafbar mache. Doch auch Menschen, die die Tyrannei und Ungerechtigkeit spüren, sollten sich dafür verantwortlich fühlen und dagegen vorgehen. Keiner dürfe sich herausreden, Angst haben, zögern oder die Dinge vor sich herschieben. Gott habe mit den Gelehrten, insbesondere mit Religionsgelehrten, einen festen Bund geschlossen, dass sie niemals unter Tyrannei schweigen dürfen.

(Sämtliche Zitate sind der deutschen Übersetzung von Armin Eschraghi entnommen. Die Übersetzung der gesamten Fatwa erschien in der Süddeutschen Zeitung vom 14. Juli 2009)


Brief an den verborgenen Imam

Der Oberkommandierende der iranischen Streitkräfte, General Hassan Firuzabadi, schrieb am 12. Juli einen offenen Brief an den verborgenen Imam, der nach schiitischem Glauben irgendwann wieder auftauchen und auf Erden Gerechtigkeit walten lassen werde. "Wir sind standhaft und werden mit aller Kraft den islamischen Staat schützen", heißt es im dem Brief.

Firuzabadi ist seit zehn Jahren auf dem höchsten militärischen Posten, den die Islamische Republik zu vergeben hat. Gleichzeitig ist er Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats.

Der General lässt in seinem Brief die dreißig Jahre Islamische Republik Revue passieren, erinnert an den iranisch-irakischen Krieg, an die Unruhen der Gründungszeit des islamischen Staates und erklärt mit Stolz, dass es den Streik- und Ordnungskräften immer wieder gelungen sei, Gefahren abzuwenden, Feinde zurückzuschlagen und Verräter zu entlarven. Auch die derzeitige Protestbewegung sei ein weiteres Glied in der Kette von Verschwörungen gegen das Land. Die Demonstranten hätten "gegen das Volk rebelliert" und ihre Waffen, die sie von den USA, von Israel und Großbritannien erhalten hätten, auf unschuldige Bürger gerichtet, damit sie mit Hilfe ausländischer Medien die Ordnungskräfte als brutal darstellen können.

Die Ordnungskräfte hätten bei den Demonstrationen keinerlei Waffen getragen, schrieb Firuzabadi. Das sei eine kluge Entscheidung gewesen. Es sollte vermieden werden, dass bei den Auseinandersetzungen irgendjemand verletzt werden würde. Die Mitglieder der Basidschis und der Najda (beide Milizorganisationen) seien verprügelt, verletzt und getötet worden, man habe sie brutal mit dem Auto überfahren. Doch sie hätten eine bewundernswerte Geduld aufgebracht und hätten das Volk erfolgreich geschützt. Umso unverschämter sei es gewesen, dass die Demonstranten die Toten und Verletzten beklagt und für sie Trauerfeiern veranstaltet hätten.

Trotz allem sei es gelungen, schreibt Firuzabadi, die Verräter und Agenten ausländischer Feinde zu isolieren und die Geschlossenheit des Volkes wieder herzustellen.


Mussavi kündigt die Gründung einer neuen Partei an

Der unterlegene Präsidentschaftskandidat Mir Hossein Mussavi will nach Angaben eines engen Mitarbeiters ein neues politisches Bündnis gründen. Die Gründung einer "politischen Front" werde bald bekannt gegeben, zitierte die reformorientierte Zeitung "Sarmajeh" den Mussavi-Mitarbeiter Aliresa Beheschti am 15. Juli. Einzelheiten zu dem geplanten Bündnis nannte Beheschti nicht.

Der Bruder des früheren Präsidenten Akbar Haschemi Rafsandschani sicherte den Mussavi-Plänen indirekt seine Unterstützung zu: Es herrschten "die politischen und sozialen Bedingungen" für ein derartiges Bündnis, sagte Mohammad Haschi der Zeitung "Sarmajeh". Die Menschen, die bei der Präsidentenwahl für Mussavi gestimmt hätten, stellten "eine immense Kraft" dar. Bei den Mussavi-Anhängern handele es sich vor allem um Hochschulmitarbeiter und Studenten, fügte er hinzu.

Ein Vertreter der Konservativen, Hamid Resa Taraghi, machte für die Anerkennung eines Mussavi-Bündnisses zur Bedingung, dass der Oppositionsführer die "Legitimität" Ahmadinedschads anerkenne.

"Wenn Mussavi die Legitimität der Regierung anerkennt und die Zulassung seiner Partei beantragt, wäre das ein positives Signal, das wir positiv aufnehmen würden", sagte er "Sarmajeh". Andere Konservative und Ultra-Konservative und ihre Medien hielten dagegen, Mussavi stehe es nicht zu, ein politisches Bündnis zu gründen.


Rafsandschanis Predigt

Es gibt in der Geschichte Augenblicke, die für das Schicksal eines Landes von entscheidender Bedeutung sein können.

Seitdem bekannt war, dass der ehemalige Staatspräsident Haschemi Rafsandschani am 17. Juli beim Freitagsgebet in der Teheraner Universität die Predigt halten wird, wurde im Iran und auch im Ausland darüber gerätselt, was er wohl sagen könnte und würde. Der Machtmensch Rafsandschani wird als eigentlicher Drahtzieher der jüngsten Unruhen gesehen. Der gewiefte Politiker, der als Pragmatiker bekannt ist, hat nie versucht, Konflikte offen auszutragen. Wird er den Mut aufbringen, den Wahlbetrug anzuprangern und Neuwahlen zu fordern, wird er das brutale Vorgehen gegen Demonstranten, die friedlich ihre Stimme zurück verlangten, verurteilen und die Freilassung der Gefangenen fordern? Oder wird er klein beigeben, als Schlichter, als Retter des Gottesstaates, auftreten und die Fronten, die sich feindlich gegenüberstehen, zur Versöhnung auffordern?

Mit jedem Tag wuchs die Spannung, alle, die an den Protesten teilgenommen hatten, knüpften ihre Hoffnung an die Worte eines Mannes, der eigentlich wie kein anderer im Iran verhasst ist, der jedoch mächtig genug wäre, zu sagen, was gesagt werden muss, um damit das Blatt zugunsten der demokratischen Bewegung zu wenden.

Rafsandschani stand unter schwerem Druck, sowohl seitens der Machthaber als auch seitens der Protestbewegung.

Die gesamte rechte Presse warnte ihn vor den Folgen einer möglichen Stellungnahme zugunsten der Opposition, drohte ihm und seiner Familie auch mit gerichtlicher Verfolgung. Warnungen gab es sicher auch hinter den Kulissen. Doch hätte er zu allem, was in den letzten Wochen vorgefallen war, geschwiegen, hätte er seine Autorität völlig verloren. Er fand eine Zwischenlösung.

Die Predigt fiel besser aus als befürchtet, aber auch nicht so gut wie erhofft. Im ersten recht allgemein gehaltenen Teil seiner Predigt ging Rafsandschani auf die Grundwerte des Islam ein, auf Gerechtigkeit, Frieden und die Liebe zu den Menschen. Der Prophet Mohammed habe seine Regierung als einen Vertrag zwischen der Führung und dem Volk verstanden, sagte Rafsandschani.

Ihm seien die Bedürfnisse der Menschen immer heilig gewesen. Er habe niemals Gewalt gegen Unzufriedene eingesetzt und niemals versucht, das Volk zu spalten. Die Staatsführung im Islam sei immer auf die Einheit bedacht gewesen und habe jeden Schritt, der zu einer Spaltung im Volk hätte führen können, vermieden.

All dies war selbstverständlich auf den Revolutionsführer Ali Chamenei gemünzt. Er war es, der vermutlich die Wahlfälschung angeordnet und damit das Stimmrecht von Millionen missachtet hatte. Er war es auch, der den Protestierenden mit Gewalt gedroht und diese gegen sie einzusetzen befohlen hatte. Im zweiten Teil der Predigt, der sich dem Brauch gemäß mit sozialen und politischen Fragen beschäftigt, wurde Rafsandschani deutlicher. Er sprach von einer Staatskrise, die zur Spaltung der Bevölkerung geführt habe und betonte, dass das Vertrauen zwischen Volk und Staat gestört sei. Er forderte die Freilassung der politischen Gefangenen ebenso wie die Aufhebung des Monopols auf die Presse durch den Staat.

Doch zu den Wahlen selbst gab es keine eindeutigen Aussagen von ihm. Er hat nicht von der eklatanten Wahlfälschung gesprochen und nicht die Annullierung der Wahl und Neuwahlen gefordert. Er sagte nur, die Kritik der Wähler müsse berücksichtigt und geprüft werden.

Trotz vieler Zweideutigkeiten der Predigt kann man davon ausgehen, dass die zehntausende Demonstranten, die sich auf den umgebenden Straßen versammelt hatten, mit den Äußerungen Rafsandschanis zufrieden waren. Denn bei dem Pragmatiker Rafsandschani, der genauso machtbesessen ist wie der amtierende Präsident Ahmadinedschad, konnte man nicht viel mehr erwarten, zumal mit Sicherheit davon auszugehen ist, dass er die Predigt nur unter bestimmten Auflagen halten durfte. Auch sein Vorredner, der Leiter des Rats der Freitagsprediger Reza Taghawi, der zu den Hardlinern gehört, warnte, jeder, der die Erlaubnis erhält, beim Freitagsgebet zu predigen, habe die Aufgabe, "das Band zwischen den Gläubigen und dem Führer" zu festigen. Jede Abweichung von den Anweisungen des Revolutionsführers zugunsten einer Partei oder Gruppe oder jede Meinung, die von dessen Anweisungen abweiche, sei strikt untersagt.

Die Rede Rafsandschanis wurde immer wieder von Anhängern Ahmadinedschads, die wohl die Mehrheit unter den Zuhörern bildeten, unterbrochen. Sie skandierten Parolen wie: "Das Blut, das in unseren Adern fließt, opfern wir unserem Führer" oder "Wir sind keine Verräter, wir lassen Ali (Chamenei) nicht allen", wohl eine Anspielung auf jene Gruppe, die den Schwiegersohn des Propheten Mohammeds und dessen Nachfolger Ali verriet.

Es gab aber auch andere Teilnehmer, die Rafsandschani unterstützten und ihn baten, für Gerechtigkeit zu kämpfen und nicht nachzugeben. Außerhalb der Universität hatten sich auf umliegenden Straßen zehntausende Demonstranten eingefunden.

Der Auftritt Rafsandschanis zeigte noch einmal die tiefe Kluft in der islamischen Staatselite. Dass er als Prediger auftreten durfte, war ein erstes Zugeständnis der Machthaber, namentlich des Revolutionsführers Chamenei, an die Protestbewegung. Es machte deutlich, dass die radikalen Islamisten sich politisch in einer schwachen Position befinden und zur Bewältigung der Krise nicht imstande sind. Es zeigte aber auch, dass selbst der massive Einsatz von Gewalt die Protestierenden nicht zum Schweigen zu zwingen vermochte. Obwohl es bei den Demonstrationen der vergangenen Wochen zahlreiche Opfer gegeben hatte und obwohl mehr als zweitausend Menschen sich in Haft befanden und gefoltert und zu Geständnissen gezwungen wurden, waren wieder allein in der Hauptstadt Hunderttausende versammelt. Ahmadinedschad war übrigens am Tag von Rafsandschanis Auftritt mit seinem gesamten Kabinett in die heilige Stadt Maschad umgezogen.

Wie das Land nun aus dieser wohl einschneidenden Krise herausfinden soll, kann schwer vorausgesagt werden. Theoretisch kämen zwei Möglichkeiten in Frage. Entweder werden alle militärischen und paramilitärischen Kräfte um Chamenei und Ahmadinedschad gegen die Mehrheit der Bevölkerung mobilisiert und die Verwandlung der Islamischen Republik in eine Militärdiktatur wird in Kauf genommen, oder zumindest Ahmadinedschad wird zurücktreten und den Weg für Neuwahlen frei machen.

Die Predigt Rafsandschanis wurde von den Radikalkonservativen stark kritisiert. Er habe beim Freitagsgebet "unlogische und unbegründete Anschuldigungen" zum Ablauf der Wahl geäußert, schrieb die Zeitung Keyhan am 19. Juli. Der Ex-Präsident habe nicht die wahren Gründe für die Unzufriedenheit im Volk genannt. Wenn das Volk Zweifel hege, "dann bezüglich des Ursprungs der Krawallmacher und (deren) Hintermänner".

Die Zeitung warf Rafsandschani vor, die regierungskritischen Proteste der vergangenen Wochen mit mindestens 20 Todesopfern offen unterstützt zu haben. "Er hätte die Ermordung unschuldiger Menschen, die Plünderung ihres Besitzes und Feuer in öffentlichen Gebäuden verurteilen müssen", schrieb Keyhan. Statt von einer Krise müsse derzeit von einer Verschwörung gegen die Führung im Land gesprochen werden.


Chatami fordert Referendum

Die einzige Rettung aus der Krise sei, das Volk in einem Referendum über die Legitimität der Regierung abstimmen zu lassen, sagte der frühere Staatspräsident Mohammad Chatami am 19. Juli in Teheran bei einer Versammlung der Organisation "Rohaniyat-e Mobarez" (Kämpfende Geistlichkeit). Nur so ließe sich das Vertrauen, das durch den großen Betrug bei der Präsidentschaftswahl erschüttert worden sei, zurückgewinnen.

Das Referendum müsse von einer unabhängigen Instanz, wie etwa dem Schlichtungsrat, durchgeführt werden, forderte Chatami. "Wir müssen die Menschen im Land fragen, ob sie mit der gegenwärtigen Lage zufrieden sind. Sollte die Mehrheit dem Wahlergebnis zustimmen, werden wir uns fügen."

Die gleiche Forderung stellte auch die "Kämpfende Geistlichkeit", der neben Chatami eine ganze Reihe renommierter Geistlicher angehören. In einer am 19. Juli veröffentlichten Erklärung warnte sie, die beiden Säulen des Staates, "das Republikanische und der Islam" seien "ernsthaft in Gefahr". Der vom Staatsgründer Ayatollah Chomeini aufgestellte Grundsatz, es gelte der Wille des Volkes, sei in eklatanter Weise beschädigt worden. Dem Volk sei nicht nur durch den Wahlbetrug das Wahlrecht geraubt worden. Auch das durch die Verfassung verbriefte Recht, gegen eine Wahl friedlich zu demonstrieren, sei mit der brutalen Niederschlagung der Proteste eklatant verletzt worden. Man sei mit Gewalt gegen friedliche Demonstranten vorgegangen, die Menschen seien geschlagen, getötet und in den Kerker gesteckt worden. Man habe versucht, die Protestbewegung als von außen gesteuert darzustellen. Damit habe man nicht nur die Protestierenden zutiefst beleidigt, sondern auch der Revolution, dem islamischen Staat und dem Ruf des Landes im Ausland einen großen Schaden zugefügt. Das Volk müsse seine Rechte wieder zurückgewinnen und über sein weiteres Schicksal selbst entscheiden.

Die Forderung nach einer Volksabstimmung geht weit über die Vorschläge hinaus, die Rafsandschani beim Freitagsgebet vorgelegt hatte und die hatten bereits den Rahmen gesprengt, über den sich bislang keiner aus dem islamischen Establishment hinaus gewagt hatte. Rafsandschani hatte von einer tiefen Staatskrise gesprochen und die sofortige Freilassung der politischen Gefangenen, Pressefreiheit und Überprüfung der Wahlen gefordert und damit wütende Wortführer der radikalen Rechten auf den Plan gerufen. Ayatollah Mohammad Yazdi, Mitglied des Wächterrats, warf Rafsanschani vor, sich in Angelegenheiten der Justiz einzumischen.

"Wer bist du überhaupt, dass du dir erlaubst, die Freiheit der Gefangenen zu verlangen", sagte Yazdi. Die Proteste gegen die Wahl seien wertlos, denn letztendlich gelte das Wort des geistlichen Führers, der seine Legitimation nicht durch die Zustimmung des Volkes, sondern durch den Willen Gottes erhalte.

Das ist genau die These, die über den Wahlbetrug hinaus den ideologischen Hintergrund der gegenwärtigen Auseinandersetzungen zwischen den Radikalislamisten und den Reformern darstellt. Was die Radikalen anstreben, ist ein rein islamischer Staat ohne jeglichen republikanischen Zusatz. Daher vermeiden sie den Begriff Republik und sprechen stets vom islamischen Staat. Demgegenüber vertreten die Reformer die Ansicht, dass der vor dreißig Jahre gegründete Staat nur Bestand haben könnte, wenn ein Gleichgewicht zwischen islamischen und republikanischen Grundsätzen hergestellt werde.

Mit den Ereignissen der letzten Tage gewann die seit der Wahl spontan begonnene Protestbewegung allmählich klare Konturen. Die Forderungen wurden eindeutiger. Mit dem Auftritt von Rafsandschani und Chatamis Vorstoß scheinen sich auch diese beiden wichtigen Akteure der Führung, die bislang die beiden unterlegenen Kandidaten Mehdi Karrubi und Mir Hossein Mussavi innehatten, angeschlossen zu haben. Auch die Demonstranten begannen allmählich ihre Reihen zu einer organisierten Bewegung zu schließen. Was zunächst wie eine abebbende Welle aussah, entwickelte sich zu einem Sturm, der offensichtlich mit purer Gewalt nicht mehr gebändigt werden konnte.


Ahmadinedschad gerät schwer in Bedrängnis

Der Stuhl des am 17. Juli ernannten Vizepräsidenten Esfadiar Rahim Maschai begann schon nach wenigen Tagen zu wackeln. Offenbar schien Präsident Mahmud Ahmadinedschad den Ernst der Lage noch nicht begriffen zu haben. Er hatte zwar am 17. Juli, als hunderttausende seiner Gegner die Straßen der Hauptstadt säumten und sein Erzrivale Haschemi Rafsandschani beim Freitagsgebet seinen großen Auftritt hatte, sich aus dem Staub gemacht und war mit seinem ganzen Kabinett nach Maschad, der heiligen Stadt im Nordosten, gezogen. Doch spätestens dort hätte er merken müssen, dass immer mehr Menschen die Legitimität seiner Regierung anzweifeln. Denn anders als früher fiel der Empfang in Maschad auffallend mager aus. Zwar wurden Leute mit Bussen aus der Provinz herbeigeholt und Schüler zur Teilnahme an der inszenierten Kundgebung angewiesen. Aber die Größen der Stadt, allen voran der mächtige Verwalter der religiösen Stiftungen und graue Eminenz des islamischen Staates, Ayatollah Waez Tabasi, weigerten sich, an dem Empfang teilzunehmen.

Aber der Präsident ließ es sich nicht anmerken. Siegesgewiss wegen der angeblich gewonnenen Wahl, kündigte er die ersten Schritte zur Neubildung seines Kabinetts an und ernannte Maschai zu seinem ersten Vizepräsidenten. Maschai gehört zu den engsten Vertrauten des Präsidenten, seine Tochter ist mit dem Sohn Ahmadinedschads verheiratet. Nun ist Maschai unter den Hardlinern und Konservativen eine höchst umstrittene Figur. Als früherer Verantwortlicher für Tourismus und Kulturerbe hatte er mit seinen Äußerungen immer wieder Wellen von Empörung ausgelöst. Zum Beispiel sagte er einmal, die Iraner seien "Freunde aller Völker, auch der Israelis". Während sein Präsident gegen die USA wütete, sagte er, in den USA lebe "eines der besten Völker der Welt". Seine häufigen Tritte ins Fettnäpfchen waren so peinlich, dass selbst Revolutionsführer Ali Chamenei gegen ihn einschreiten musste.

Warum Ahmadinedschad gerade diesen Mann zu seinem ersten Stellvertreter ernannte, bleibt ein Rätsel. Selbst seine engsten Anhänger fanden dafür keine Erklärung und forderten ihn öffentlich auf, die Wahl zurückzunehmen. Es sei wie "eine Ohrfeige für die Wähler", sagte der konservative Teheraner Freitagsprediger Chatami. Und der Hardliner Hossein Schariatmadari schrieb in der Tageszeitung Kayhan, die Ernennung habe "eine Welle der Überraschung, vermischt mit Bedauern und Sorge" hervorgerufen. Er forderte den Präsidenten auf, die Ernennung schnell zurückzunehmen. Zwei Tage später kursierten bereits Gerüchte über einen angeblichen Rücktritt Maschais, doch er dementierte und schrieb auf seiner Internetseite, es handele sich um "ein Gerücht und eine Lüge", die von "Feinden der Regierung" verbreitet worden sei. Fühlte sich Ahmadinedschad wirklich so stark, dass er meinte, sich auch mit den eigenen Leuten anlegen zu können? Er blieb jedenfalls hart und hielt fest an seinem Vize, lobte ihn als integren, fähigen, tüchtigen und staatstreuen Politiker, auf den man stolz sein sollte.


Staatskrise weitet sich aus

Die Krise, die die Islamische Republik seit der Präsidentschaftswahl vom 12. Juni heimgesucht hatte, weitete sich nahezu vom Tag zu Tag aus. Inzwischen hatte sich fast alles, was in der Politik Rang und Namen hatte, der Protestbewegung angeschlossen. Die renommierte Geistlichkeit, die Großayatollahs, waren entweder zu der herrschenden Macht still auf Distanz gegangen oder sie haben sie direkt öffentlich kritisiert. Und nun schien sich mit der Ernennung des neuen Vizepräsidenten Rahim Maschai durch den Regierungschef Mahmud Ahmadinedschad auch ein Machtkampf innerhalb der Radikalislamisten und namentlich zwischen dem Präsidenten und dem Revolutionsführer Ali Chamenei anzubahnen. Ahmadinedschad weigerte sich, der Anweisung des Revolutionsführers und der Aufforderung des Parlaments Folge zu leisten und die Ernennung zurückzunehmen.

Chamenei hatte im Zuge der Wahlen seine Position als oberste Instanz der Islamischen Republik, die unabhängig sein sollte, verlassen und eindeutig für Ahmadinedschad Partei ergriffen. Damit machte er sich zur eigentlichen Zielscheibe der Protestbewegung. Sein Engagement für den angeblich gewählten Präsidenten ging sogar soweit, dass er nicht nur jede Kritik an der Wahl zurückwies und als von außen gesteuert bezeichnete. Er brachte nicht einmal ein Wort des Bedauerns zu den zahlreichen Toten und Verletzten, das von ihm als Landesvater erwartet wurde, über die Lippen.

Offenbar war Chamenei davon ausgegangen, dass sein Schützling sich als dankbar erweisen und ihm voll hörig sein werde. Doch dieses Kalkül erwies sich als Trugschluss. Siegestrunken glaubte Ahmadinedschad, sich auf militärische und paramilitärische Kräfte stützen und seine eigene Macht ausbauen zu können. Nun standen sich die bis vor wenigen Tagen miteinander verbündeten Führer des Landes gegenüber, und die Frage war, wer von beiden nachgeben und zuerst das Feld räumen musste. Nach tagelanger Kraftprobe musste der angeblich frisch gewählte Präsident einlenken und Maschais Ernennung zurücknehmen.

Chamenei hatte alle Geschütze auffahren lassen, um den trotzigen Staatspräsident zu zwingen, die Ernennung Maschais zu widerrufen. Dabei ging es weniger um den umstrittenen Vize. Jeder im Land sollte wissen, dass Chamenei immer noch Herr der Lage und imstande sei, seinen Willen durchzusetzen. Parlamentsabgeordnete, Freitagsprediger, auch die Militärs erklärten ihm ihre Loyalität und die rechten Zeitungen wiesen darauf hin, dass die Teilnahme von mehr als achtzig Prozent der Wahlberechtigten an der Wahl nichts anderes bedeute als die Zustimmung des Volkes zur islamischen Staatsordnung und zu seinem Führer Chamenei. Das sollten sich nicht nur die Reformer und die Millionen Demonstranten, die seit Wochen auf den Straßen sind, hinter die Ohren schreiben, sondern auch der Staatspräsident, der angeblich in seinem Amt bestätigt wurde. Gerade der Präsident sollte sich von dem Sieg nicht täuschen lassen und durch eine öffentliche Brüskierung spüren, wer der Herr im Haus ist.

Doch der Regierungschef ignorierte zunächst die Proteste. Da musste der Revolutionsführer persönlich einschreiten. "Es ist notwendig, dass die Ernennung widerrufen wird", verordnete er in einem kurzen Schreiben am Freitag, den 24. Juli, an den Präsidenten.

Die Berufung sei "gegen die Interessen der Regierung", sie werde "Zwietracht und Frustration" unter ihren Anhängern hervorrufen. Ahmadinedschad blieb kein anderer Ausweg als diese erste Niederlage nach seiner angeblichen Wiederwahl einzustecken. Am Samstag, den 25. Juli, erklärte Maschaie: "Nach der Anweisung des Obersten Führers betrachte ich mich nicht mehr als erster Vizepräsident."

Aber der trotzige Präsident wollte die Niederlage nicht ohne Widerstand hinnehmen. In einer ungewöhnlich kurzen Mitteilung schrieb er am 29. Juli an den Revolutionsführer: "Ihre Anweisung wurde gemäß Artikel 57 der Verfassung ausgeführt." Der Artikel erlaubt dem Revolutionsführer, in allen Angelegenheiten des Staates die letzte Entscheidung zu treffen. Zudem ernannte Ahmadinedschad wenige Stunden später Maschaie zu seinem Berater und Bürochef. Doch die Verzögerung der Rücknahme der Ernennung hat der Position des Regierungschefs enormen Schaden zugefügt.

Nicht nur moderate Konservative, sondern auch ein Teil seiner radikalen Anhänger werfen ihm vor, die gemeinsame Front mit Chamenei an der Spitze verlassen und sich auf Abwege begeben zu haben. Die Treue zum Führer sei weit wichtiger als das Votum des Volkes, sagte ein Parlamentsabgeordneter. Und genau diesen Maßstab werde man bei der Vorstellung des neuen Kabinetts nach der Vereidigung des Regierungschefs in der ersten Augustwoche anlegen. Das ist die nächste schwere Hürde, die Ahmadinedschad zu überwinden hat. Am 27. Juni feuerte er seinen Geheimdienstminister Gholamhossein Mohseni-Ejeehi. Auch Kulturminister Mohammad Hossein Saffar-Harandi sollte entlassen werden. Doch in diesem Fall müsste das ganze Kabinett erneut im Parlament bestätigt werden, denn nach dem Gesetz müsste ein Regierungschef, der im Verlauf seiner vierjährigen Amtszeit mehr als die Hälfte seiner Minister austauscht, erneut die Vertrauensfrage stellen. Warum Ahmadinedschad kurz vor Toresschluss seine Minister nach Hause schickte, ist nicht klar. Ohnehin deutet alles, was er in den letzten Wochen unternommen hat, auf Nervosität und Unberechenbarkeit. Allem Anschein nach öffnet sich eine neue Front, die dabei ist, Ahmadinedschad zu demontieren.

205 Abgeordnete schickten einen Brief an den Staatspräsidenten, in dem sie ihn scharf kritisierten, weil er zu lange gezögert habe, die Anweisung des Revolutionsführers auszuführen. Ein Abgeordneter erläuterte, es sei auch höchst fraglich, warum Ahmadinedschad seinen Vize nach der Absetzung zu seinem ersten Berater und Bürochef ernannt habe. Das Verhalten des Regierungschef sei besorgniserregend, es scheine, dass er allmählich von den "Prinzipientreuen" (das Lager der Konservativen) Abstand nehme und eigene Wege einschlage.


Protestbewegung gibt nicht nach, Mussavi auf Konfrontationskurs

Am 25. Juli kam es in Teheran und einigen anderen Städten abermals zu Zusammenstößen zwischen Anhängern der Reformbewegung und Sicherheitskräften. Augenzeugen berichteten, Zivilbeamte und Angehörige der Bassidsch-Miliz seien gewaltsam gegen friedlich protestierende Demonstranten vorgegangen. Dabei seien Knüppel und Tränengas eingesetzt und wieder einige Demonstranten, darunter auch Verletzte, festgenommen worden.

Wo die rund 2000 Gefangenen, die seit der Wahl festgenommen wurden, untergebracht sind, ist in den meisten Fällen nicht bekannt. Immer wieder werden Familien aufgefordert, die Leichen ihrer Angehörigen abzuholen. Es handelt sich offenbar um Gefangene, die zu Tode gefoltert wurden. Auch der 25-jährige Sohn eines Beraters des gescheiterten Präsidentschaftskandidaten Mohsen Resai kam, wie am 25. Juli bekannt wurde, im Gefängnis ums Leben.

Das brutale Vorgehen gegen Demonstranten war auch Anlass für einen offenen Brief führender Reformer an die geistlichen Instanzen. Man mache sich große Sorgen um den physischen und psychischen Gesundheitszustand der Verhafteten, hieß es in dem Brief, der unter anderem von den früheren Staatspräsidenten Mohammad Chatami, Parlamentspräsidenten Mehrdi Karrubi und Ministerpräsidenten Mir Hossein Mussavi unterzeichnet wurde. Sie forderten die schiitischen Großayatollahs auf, nicht mehr zu den Vorgängen im Land zu schweigen.

Zudem haben Karrubi und Mussavi zum Gedenken an die Toten eine Trauerfeier für den 30. Juli beantragt. Die Feier soll, wie der religiöse Brauch vorschreibt, zum 40. Tag nach dem Tod der ersten Opfer auf dem Mossalla-Gelände in Teheran stattfinden.

Indes erklärte Mussavi seine Entschlossenheit, den Kampf um Reformen fortzusetzen. Am 27. Juli rief er die Führung des Landes auf, die Verfassung zu respektieren und die beantragte Trauerkundgebung zu genehmigen. "Der Kampf um Reformen geht weiter", erklärte er auf seiner Internet-Seite. Der Ausgang der Wahl werde auch Revolutionsführer Chamenei beschädigen. Die Menschen hätten sich in der Islamischen Revolution von 1979 für Freiheit erhoben. "Wo ist diese Freiheit jetzt? Diese Situation wird jeden zerstören und das System beschädigen", warnte Mussavi.

Auch Festnahmen könnten die Bewegung nicht aufhalten. "Ein Land mit 70 Millionen Menschen kann nicht zum Gefängnis werden."


Chamenei ordnet Schließung von Gefängnis an

Offenbar unter dem Druck der Öffentlichkeit ordnete Revolutionsführer Chamenei am 28. Juli die Schließung eines Gefängnisses an, in dem auch oppositionelle Demonstranten inhaftiert sind. In der Haftanstalt würden die nötigen Standards hinsichtlich der Rechte der Gefangenen nicht eingehalten, begründete der Vorsitzende des Nationalen Sicherheitsrats, Said Dschalali, nach Angaben des staatlichen Senders Press TV vom 28. Juli die Anordnung. Chamenei habe befohlen, dass es keine "Ungerechtigkeiten" gegen Demonstranten geben dürfe, die im Zuge der Proteste verhaftet wurden. Über den Standort des Gefängnisses wurden keine Angaben gemacht, auch nicht darüber, wohin die Gefangenen gebracht werden.


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Wirtschaft

Neue Frist im Atomstreit

Im Atomstreit mit Iran gaben die sieben führenden Industrienationen und Russland (G-8) Teheran eine Frist bis September. Bis dahin müsse die Islamische Republik entscheiden, ob sie zu Verhandlungen bereit sei, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am 9. Juli auf dem G-8-Gipfel im italienischen L'Aquila. Die Staatengruppe verurteilte zudem Nordkoreas jüngsten Atomwaffentest.

"Iran muss bis September entscheiden, ob er den Verhandlungsweg wählen will oder ob die Weltgemeinschaft doch wieder über Sanktionen nachdenken muss", sagte Merkel. Die G-8-Staaten setzten auf Verhandlungen, da Sanktionen "das schlechtere Mittel" seien. Iran habe laut Merkel eine "historische Chance", weil US-Präsident Barack Obama seine Offenheit für Gespräche mit Teheran gezeigt habe. Bereits am Vorabend hatte Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy Iran eine Frist für Verhandlungen bis zum G-20-Gipfel in September in Pittsburgh gestellt. Vor allem Russland hatte in der Vergangenheit gezögert, Druck auf Iran auszuüben.

In einer gemeinsamen Erklärung kritisierten die G-8-Teilnehmer, dass Irans Staatschef Mahmud Ahmadinedschad den Holocaust wiederholt in Zweifel gezogen hatte. Zudem äußerten die Gipfelstaaten ihre "ernsthafte Besorgnis" über die Gewalt in Iran nach dem umstrittenen Ausgang der Präsidentschaftswahl vom 12. Juni. Einmischung in die Berichterstattung, das ungerechtfertigte Festhalten von Journalisten und die jüngsten Festnahmen von Ausländern seien "inakzeptabel".

Als Reaktion auf die Stellungnahme des G-8-Gipfels erklärte die iranische Regierung, sie werde keinerlei Zugeständnisse machen. Präsident Mahmud Ahmadinedschad sagte nach Angaben der Staatsmedien am 9. Juli: "Die neue Regierung wird den Feinden der iranischen Nation keinen Vorteil einräumen".

Obama: G-8-Staaten werden "nicht ewig" auf Einlenken Irans warten Mit deutlichen Worten hat US-Präsident Barack Obama Iran im Streit um sein umstrittenes Atomprogramm zum Einlenken aufgefordert. Die G-8-Staaten würden "nicht ewig warten" und es Iran erlauben, Atomwaffen zu entwickeln, sagte Obama am 10. Juli zum Abschluss des G-8-Gipfels in L'Aquila. Er hoffe, die iranische Regierung sehe sich die Abschlusserklärung des G-8-Gipfels an und erkenne, dass "die Haltung der Welt eindeutig" sei.

"Wir habe Iran einen Weg gezeigt, um seinen rechtmäßigen Platz in der Welt einzunehmen", sagte Obama. "Aber mit diesem Recht gehen Pflichten einher, und wir hoffen, Iran entscheidet sich, diese Pflichten zu erfüllen." Sollte Iran die Einladung zum Dialog nicht annehmen, seien weitere Schritte nötig.

Gleichzeitig machte Obama klar, dass auf dem Gipfel keine endgültigen Entscheidungen bezüglich des Atomstreits gefasst worden seien und die iranische Position beim G-20-Gipfel im September in den USA erneut überprüft werde.

Mit Blick auf die Unruhen nach der umstrittenen Präsidentschaftswahl in Iran sagte Obama, die Staats- und Regierungschefs der G-8-Staaten seien über die Lage in Iran "ernsthaft besorgt". Die Ereignisse nach der Wahl bezeichnete Obama als "furchtbar". Teherans Reaktion auf die Drohung lässt alle Fragen offen. Ein Vorschlagspaket sei zurzeit in Vorbereitung, sagte Außenminister Manuchehr Mottaki am 12. Juli. Dieses werde "eine gute Basis" für künftige Gespräche sein. Über den Inhalt des Pakets machte Mottaki keine konkreten Angaben. Die Frage ist, ob es wieder die übliche Verzögerungstaktik ist, die das Regime seit Jahren anwendet, oder ob in Teheran der Ernst der Lage erkannt worden ist. Fest steht, dass die jüngsten Unruhen die Regierung von Präsident Mahmud Ahmadinedschad erheblich geschwächt haben. Eine Regierung, die von der Mehrheit der eigenen Bevölkerung abgelehnt wird, kann sich wohl kaum starke Auftritte im Ausland leisten. Sie gerät leicht in Abhängigkeit. Das genau ist das Schicksal aller Diktaturen in den Entwicklungsländern, die dann eher den Interessen einer Großmacht dienen als den ihres eigenen Landes.

Es kann aber auch durchaus sein, dass Ahmadinedschad allen Gefahren zum Trotz seinen radikalen Kurs fortsetzt und sich in ein Abenteuer begibt, das nicht nur für den Iran, sondern für die ganze Region schwere Folgen haben würde.

Wie auch immer die Entscheidung ausfallen wird, die Folgen wird das Volk tragen müssen. Es sei denn, dem Widerstand im Iran gelingt es, die Machthaber, die ihre Position nur noch durch nackte Gewalt behaupten können, davon zu jagen.

Am 13. Juli erklärte ein Sprecher des Teheraner Außenministeriums, das Paket mit Gesprächsvorschlägen für den Westen enthalte nichts zu dem Atomstreit. Es gehe vielmehr um die globale atomare Abrüstung, die weltweite Wirtschaftskrise, kulturelle Probleme sowie um globale Sicherheitsfragen. Ein ähnliches Angebotspaket war im vergangenen Jahr im Westen kaum beachtet worden, da auch hier der Atomstreit nicht erwähnt wurde. Teheran beharrte darauf, Gespräche nur auf Basis seiner eigenen Agenda zu führen. Ahmadinedschad sagte, Iran werde mit den fünf Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats und Deutschland nicht mehr über atomare Fragen reden, sondern nur noch über globale Probleme.


Zweifel an einem "Stern"-Bericht

Das Magazin "Stern" zitierte in einem Bericht über das iranische Atomprogramm einen ungenannten Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND), Iran könne binnen kurzer Zeit eine Atombombe herstellen und ähnlich wie Nordkorea einen unterirdischen Test ausführen. "Wenn sie wollen, können sie in einem halben Jahr die Uranbombe zünden ... Dieses Thema ist durch", sagte der Beamte. Iran beherrsche inzwischen die komplette Anreicherungstechnologie und verfüge über genügend Zentrifugen, um waffentaugliches Uran herzustellen. Zudem arbeite die Islamische Republik verstärkt an Raketen, die Atombomben zu Zielen auch in Europa transportieren könnten. Dies geschehe "zurzeit massiv", zitierte der Stern am 15. Juli einen BND-Regierungsinspektor.

Demgegenüber erläuterte ein BND-Sprecher, dass Iran noch Jahre bräuchte, um eine Atombombe zu bauen. Dieser Annahme läge aber viel Unsicherheit zugrunde und der Zeitrahmen könne kürzer sein. Unter idealen Bedingungen wäre Iran in der Lage, eine Uranbombe im Labor in weniger als fünf Jahren zu realisieren. Der Bau einer einsatzfähigen Atombombe würde aber wohl wesentlich länger dauern.

Auch Diplomaten mit Kontakten zur Internationalen Atomenergiebehörde in Wien äußerten Skepsis, dass Iran wirklich in einem halben Jahr im Besitz einer Atombombe sein könnte. "Die Informationen, die ich kenne, würden nicht unbedingt darauf hinweisen - das würde mich überraschen", sagte ein europäischer Diplomat am 15. Juli in Wien der dpa. Offiziell wollte sich die IAEA nicht zu dem Stern-Bericht äußern. Die UN-Behörde hatte es stets vermieden, sich zu Spekulationen zu äußern, wie schnell Iran eine Atombombe haben könnte.

Aus den vergangenen IAEA-Berichten geht hervor, dass das gesamte niedrig angereicherte Uran unter der Kontrolle der Behörde steht. Die Atomexperten überwachen die Urananreicherung zu zivilen Zwecken in der Anlage im iranischen Natans unter anderem per Kamera. Für eine Atombombe braucht die Regierung in Teheran jedoch hoch angereichertes Uran. Um das im für eine Atombombe ausreichenden Maße in wenigen Monaten herzustellen, müsste das Land nach Einschätzung von Experten noch eine zusätzliche, geheime Uran-Anreicherungsanlage besitzen. Die zweite Möglichkeit wäre, dass Iran alle Atominspektoren ausweist und seine Anlage in Natans umrüstet. Diesem Vorgehen würden Israel und wahrscheinlich auch die USA nicht tatenlos zusehen.


Salehi neuer Chef der Atomenergiebehörde

Neuer Chef der iranischen Atomenergiebehörde wurde Ali Akbar Salehi. Der frühere Gesandte bei der Internationalen Atomenergiebehörde übernahm nach dem Bericht der Nachrichtenagentur IRNA am 17. Juli das Amt des zurückgetretenen Gholam Resa Aghasadeh. Dieser leitete die Behörde seit zwölf Jahren.

Beobachter vermuteten einen Zusammenhang des Rücktritts mit der umstrittenen Präsidentenwahl vom 12. Juni. Aghasadeh galt als Vertrauter von Oppositionsführer Mir Hossein Mussavi. Aghasadeh hat als Behördenchef das international umstrittene Atomprogramm vorangetrieben.


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Außenpolitik

Russland: Weitere Sanktionen gegen Teheran "kontraproduktiv"

Russlands Präsident Dmitri Medwedew lehnt zusätzliche Sanktion gegen Iran als "kontraproduktiv" ab. In einem vom italienischen Fernsehsender Rai am 4. Juli ausgestrahlten Interview sagte Medwedew, nach seinem Verständnis seien die USA bestrebt, "offenere und direktere" Beziehungen zu Teheran zu schaffen. Moskau unterstütze sie dabei. Weitere Strafmaßnahmen gegen Iran könnten dabei nur schaden. Der russische Außenminister Sergej Lawrow hatte bereits Ende Juni beim Treffen der G-8-Außenminister im italienischen Triest erklärt, Iran zu isolieren sei der "völlig falsche Ansatz".


Saudi-Arabien hält angeblich Luftraum offen

Saudi-Arabien soll Israel nach einem britischen Zeitungsbericht die Zustimmung zum Überfliegen seines Luftraums im Falle eines künftigen Angriffs auf die iranischen Atomanlagen signalisiert haben. Die britische Zeitung "Sunday Times" schrieb, der Chef des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, Meir Dagan, habe in der Frage geheime Gespräche mit saudi-arabischen Repräsentanten geführt. Das Büro des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu wies den Bericht am 4. Juli als "fundamental falsch und absolut haltlos" zurück. Der israelische Außenminister Avigdor Lieberman hatte einen Monat zuvor auch betont, Israel plane keinen Angriff auf Iran.

Der Mossad-Chef hat Netanjahu laut Bericht der "Sunday Times" versichert, Saudi-Arabien werde israelische Kampfjets ignorieren, sollten diese auf dem Weg zu einem Luftschlag in Iran seinen Luftraum durchfliegen. Das Blatt zitierte einen ehemaligen israelischen Geheimdienstmitarbeiter mit der Einschätzung, Saudi-Arabien sei angesichts einer möglichen iranischen Aufrüstung mit Atomwaffen noch besorgter als Israel.

Die israelische Zeitung "Maariv" schrieb unterdessen am 4. Juli unter Berufung auf ausländische Berichte, ein israelisches U-Boot sei Ende Juni im Golf von Akaba gesichtet worden. Es sei dorthin vermutlich mit ägyptischer Zustimmung vom Mittelmeer aus durch den Suez-Kanal gefahren, hieß es. Das U-Boot des aus Deutschland gelieferten Typs Delphin soll von Israel als Atomwaffenträger umgerüstet worden sein.

Daher sei die Fahrt in das Rote Meer, von dem aus das Tauchboot in die Nähe des Persischen Golfs gelangen könnte, als mögliche Drohung an Iran zu werten, schrieb das Blatt.

Saudi-Arabien wies den Bericht der Sunday-Times zurück. "Das stimmt natürlich nicht. Wir haben keinerlei Beziehungen zu den Israelis", sagte der Sprecher des Außenministeriums in Riad, Usama Nugali.


EU erwog Reisebeschränkungen im Iran-Konflikt

Nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" vom 5. Juli erwog die EU neue Sanktionen gegen Iran, falls die Teheraner Führung ihren Umgang mit Regimegegnern nicht ändert.

Diese sehe ein Stufenmodell vor, das die politischen Direktoren der EU-Staaten vereinbart hatten, berichtete das Blatt. Nach der Einbestellung der iranischen Botschafter in allen 27 EU-Staaten am 3. Juli seien als nächster Schritt Einreiseverbote für iranische Regimevertreter möglich. Ein Rückzug aller europäischen Diplomaten aus Iran werde als dritter Schritt erwogen.

Am 3. Juli hatten alle EU-Mitgliedsstaaten die jeweiligen iranischen Botschafter einbestellt und gefordert, zwei inhaftierte Mitarbeiter der britischen Botschaft in Teheran freizulassen. Wenn der diplomatische Appell nicht fruchtet, wolle die EU laut Spiegel Reisebeschränkungen vorbereiten. Dazu würden Listen mit Namen wichtiger Vertreter Irans erstellt, die dann keine Visa für die Einreise in die EU erhalten.

Erst in der dritten Stufe wollten sich die EU-Außenminister wieder mit der Frage befassen, ob sie ihre Botschafter geschlossen abziehen sollten. Deutsche Diplomaten hätten jedoch gewarnt, dass Europa mit dieser Methode keine guten Erfahrungen gemacht habe: Nach dem Rückruf aller EU-Botschafter 1989 (Mordaufruf gegen Salman Rushdi) und 1997 (Attentat im Berliner Lokal "Mykonos") hätten einzelne EU-Staaten schon nach wenigen Wochen ohne Absprache ihre Diplomaten zurückgeschickt, um ihre Beziehungen zu Teheran nicht zu beschädigen - die Deutschen hätten jeweils zu den letzten Rückkehrern gezählt. Inzwischen sind die Briten wieder auf freiem Fuß.


Biden: USA würden israelischen Angriff auf Iran nicht verhindern

Ein israelischer Angriff auf den Iran würde nach Worten von US-Vizepräsident Joe Biden nicht am Widerstand Washingtons scheitern. Israel könne für sich selbst entscheiden, was in seinem Interesse sei, sagte Biden in einem am 5. Juli ausgestrahlten Interview mit dem Fernsehsender ABC. Die USA könnten einem souveränen Land nicht vorschreiben, was es zu tun habe.

US-Generalstabschef Michael Mullen warnte hingegen vor einer Militäraktion gegen Iran. "Ich bin seit einiger Zeit in Sorge vor einem Militärschlag gegen Iran", sagte er am 5. Juli dem US-Sender CBS. "Schon ein Schlag könnte nicht nur an und für sich destabilisierend wirken, sondern auch noch unbeabsichtigte Konsequenzen haben", sagte er. Allerdings sei auch er der Ansicht, dass Teheran nicht über Atomwaffen verfügen sollte. Das gefährde die Stabilität ebenfalls. Er sei "besorgt" über die Vorgänge in Iran.

Iran droht für den Fall eines israelischen Angriffs auf seine Atomanlagen mit Vergeltung. "Sowohl die USA als auch Israel sollten sich den Folgen einer falschen Entscheidung bewusst sein", sagte der Vorsitzende des Parlamentsausschusses für Nationale Sicherheit und Außenpolitik, Alaeddin Burudscherdi, am 6. Juli während eines Besuchs in Tokio. "Ich denke, unsere Antwort wäre effektiv und entschlossen."

Die US-Regierung versuchte Bidens Äußerung zu relativieren. "Ich würde ganz bestimmt keiner Art von Militäraktion grünes Licht geben wollen", sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, Ian Kelly, am 6. Juli in Washington. Allerdings sei es durchaus die Haltung der US-Regierung, dass Israel ein souveränes Land sei und die USA ihm seine Handlungen nicht diktieren könnten, sagte er.

Kelly betonte, die USA fühlten sich der Sicherheit Israels verpflichtet und die Regierung teile die Sorge über das iranische Atomprogramm. "Aber wenn es sich um die Frage dreht, wie sie (die iranische Regierung) damit umgeht, muss ich auf die israelische Regierung verweisen", sagte der Außenamtssprecher. Präsident Obama bestritt, dass die USA mit den Äußerungen Bidens grünes Licht für einen Militärschlag gegen Iran gegeben hätten. Es sei die Strategie der USA, den Konflikt über das iranische Nuklearprogramm per Diplomatie auf friedlichem Weg zu lösen, sagte Obama am 7. Juli während seines Russland-Besuchs in einem Interview mit den Fernsehsender CNN. Die USA könnten zwar anderen Ländern nicht deren Sicherheitsinteressen vorschreiben. Seine Regierung habe der Regierung Israels jedoch direkt gesagt, wie wichtig es sei, das Problem auf internationalem Weg zu lösen, ohne einen schweren Konflikt im Nahen Osten auszulösen.

Indes forderte Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy Israel auf, von einem Atomschlag gegen Iran abzusehen. "Ein einseitiger Angriff wäre eine absolute Katastrophe" warnte Sarkozy am 9. Juli vor Journalisten am Rand des G-8-Gipfels. "Israel sollte wissen, dass es nicht alleine dasteht und sollte in Ruhe verfolgen, was passiert."

Zugleich betonte Sarkozy, dass dem Westen im Streit mit Iran die Geduld langsam ausgehe. "Seit sechs Jahren haben wir unsere Hand ausgestreckt und gesagt, stoppt euer Atomprogramm. Wollen sie nun Diskussion oder wollen sie keine? Wenn nicht, dann wird es Sanktionen geben", sagte er.


Kriegsschiffe zur Piratenbekämpfung

Iran beteiligt sich staatlichen Medienberichten zufolge mit zwei Kriegsschiffen an der Bekämpfung der Piraterie vor der somalischen Küste. Die Schiffe sollten im Golf von Aden iranische Frachter und Öltanker beschützen, erklärte der stellvertretende Oberbefehlshaber der Marine, Gholamreza Khadam, laut einer Meldung der staatlichen Fernsehsenders Press TV. Der Bericht erschien am 6. Juli auf der Webseite des englischsprachigen Senders. Somalische Piraten hatten im November einen iranischen Frachter gekapert.


US-Militär übergibt iranische Gefangene an irakische Behörden

Das US-Militär hat fünf iranische Gefangene an die Behörden vor Ort übergeben. Der Schritt sei Teil des Sicherheitsabkommens zwischen den USA und dem Irak, teilte die US-Regierung am 9. Juli mit. Die Männer seien nach zweijähriger US-Gefangenschaft zunächst an die irakische Regierung und anschließend an die iranische Botschaft in Bagdad übergeben worden. Ein Sprecher des Außenministeriums in Teheran sagte: "Ich habe mit ihnen gesprochen und ihnen die Glückwünsche von Präsident Ahmadinedschad übermittelt."

Die USA hatten den Iranern vorgeworfen, während der Hochphase des Irak-Krieges schiitische Milizen ausgebildet und bewaffnet zu haben. Iran hat die Vorwürfe bestritten. Die Festnahmen hatten das ohnehin gespannte Verhältnis zwischen den USA und Iran weiter belastet. Die Freilassung der fünf Iraner wurde daher als Geste des guten Willens des US-Präsidenten Barack Obama bewertet, um die Beziehungen zu Iran zu verbessern und die Islamische Republik zurück an den Verhandlungstisch in Sachen Atomprogramm zu holen.


EU-Kommissarin erwägt neue Sanktionen gegen Iran

EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner sprach sich für neue Sanktionen gegen Teheran aus, sollte Iran zum Dialog und zur Einhaltung demokratischer Grundrechte nicht bereit sein. Die Regierung in Teheran habe nach den Wahlen bisher nicht die erhoffte Bereitschaft zum Dialog gezeigt, sagte Ferrero-Waldner am 9. Juli am Rande eines Besuchs der Vereinten Nationen in New York.

"Wenn nichts passiert, wird die Frage nach Sanktionen und einer Verschärfung der Sanktionen wieder aufkommen - auch von europäischer Seite", sagte die Kommissarin. "Wenn wir Iran zeigen wollen, dass er bestimmte Grenzen nicht überschreiten sollte, dann muss die internationale Gemeinschaft zusammenstehen." Die Kommissarin betonte erneut, sie sei "sehr besorgt" über die Vorgänge in Iran seit der umstrittenen Präsidentenwahl.

Die Regierung müsse die Meinungs- und Versammlungsfreiheit sicherstellen und zumindest einen internen Dialog beginnen, um die Meinungsverschiedenheiten über das Wahlergebnis beizulegen.


Jüdischer Weltkongress fordert härteren Kurs gegen Iran

Der jüdische Weltkongress (WJC) hat die EU aufgerufen, härter gegenüber Iran aufzutreten. "Europa sollte die nukleare Gefahr ernster nehmen", sagte WJC-Präsident Ronald S. Lauder am 16. Juli laut Mitteilung in Brüssel, wo er mit EU-Chefdiplomat Javier Solana und dem Präsidenten der EU-Kommission, José Manuel Barroso, zusammenkam. Die EU müsse mehr tun, um das Land daran zu hindern, Atomwaffen bauen zu können. Lauder kritisierte europäische Regierungen und Unternehmen, aber auch China und Russland, die Geschäfte mit Iran machten. Sie hätten sich entweder von Iran irreführen lassen oder den eigenen wirtschaftlichen Vorteil in den Vordergrund gestellt. Der jüdische Weltkongress vertritt jüdische Gemeinschaften in 92 Staaten.

Indes äußerte der israelische Vize-Präsident und Minister für regionale Zusammenarbeit, Silvan Schalom, die Befürchtung, Iran werde nach dem vollständigen Abzug der US-Truppen aus dem Irak in das geräumte Gebiet einmarschieren. "Iran will eine schiitische Kontinuität in der Region schaffen", sagte Schalom am 23. Juli vor Journalisten in Tel Aviv.

"Wir vergeuden wichtige Zeit damit, darauf zu warten, dass der UNSicherheitsrat Sanktionen gegen Iran verhängt", sagte Schalom. Er rechne nicht mit der Unterstützung Russlands und Chinas für einen solchen Vorstoß. "Es ist notwendig, Schritte gegen Iran zu unternehmen. Die Zeit läuft ab." Israel könne eine Aufrüstung Irans mit atomaren Waffen nicht akzeptieren, betonte Schalom.

Die iranischen Revolutionsgarden haben für den Fall eines israelischen Angriffs auf das Land mit einem Vergeltungsschlag gegen Israels Atomanlagen gedroht. "Sollte das zionistische Regime Iran angreifen, würden wir mit Sicherheit einen Schlag mit unseren Raketen gegen seine Nukleareinrichtungen führen", sagte der Kommandeur der Elite-Einheiten, Mohammad Ali Dschafari, am 25. Juli dem staatlichen Fernsehsender Al-Alam. Ganz Israel liege in Reichweite der iranischen Raketen.


Frankreich will Wahl Ahmadinedschads anerkennen

Frankreich will die umstrittene Wahl von Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad anerkennen. Paris habe keine andere Wahl, sagte der französische Außenminister Bernard Kouchner am 16. Juli vor dem Senat in Paris. "Ich fürchte, dass er nicht der Erste ist, den man anerkennen muss." Kouchner sprach sich aber gleichzeitig dafür aus, weiter Kontakte mit der Bewegung zu halten, die Ahmadinedschads Wahl anficht.

"Wir sind Zeugen einer Bewegung, die eine Zukunft innerhalb des iranischen Volkes zu haben scheint", sagte Kouchner. In der schiitischen Herrschaftshierarchie gebe es erstmals seit drei Jahrzehnten große Meinungsverschiedenheiten". Es sei ein "Machtkampf" im Gange, "der sich durch das ganze Land mit unterschiedlichen Reaktionen fortsetzt".


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Hrsg.: Heinrich-Böll-Stiftung
Autor: Bahman Nirumand
Redaktion: Vera Lorenz
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8. Jahrgang


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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. August 2009