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ABENTEUER/002: Das geheime Gold am Witwatersrand (SB)

Goldbarren, © 2011 by Schattenblick

Das geheime Gold am Witwatersrand


Es gibt Geschichten, die berichten davon, daß vor sehr langer Zeit die Königin von Saba und der biblische König Salomon Krieger und Sklaven aussandten, um in das ferne Afrika zu reisen. Dort sollten sie Gold schürfen und nebenbei auch noch andere Schätze suchen. Die Ausgesandten durften erst dann in ihre Heimat zurückkehren, wenn sie so viel Gold gefunden hatten, wie die Schiffe faßten. Und obwohl es damals phantastische Mengen des begehrten Metalls gab und die Männer außerdem auch Elfenbein, Affen und andere Schätze erbeuteten, dauerte es drei Jahre, bis die Schiffe wieder von der afrikanischen Küste in See stechen konnten.

Diese Reisen wurden des öfteren wiederholt. Aber eines Tages schien es, als seien die Goldvorkommen restlos erschöpft. So lange die Sklaven auch schürften, fanden sie doch nicht mehr als kleine Klümpchen, die sie achtlos in die aufgewühlte Erde zurückwarfen. Denn es war besser, gar nichts zu finden, als diese kleinen Teilchen, für die sie vermutlich bis an ihr Lebensende hätten graben müssen, um eine Last zusammenzubekommen, die einen Schiffsrumpf füllen konnte. Die Soldaten langweilten sich, denn außer die Sklaven zu bewachen, hatten sie nichts zu tun. So lange Zeit fern der Heimat vermißten sie ihre Freunde und ihre Familien. Schließlich sahen sie ein, daß es keinen Sinn mehr hatte, noch länger in diesem Land zu bleiben, in dem scheinbar nichts mehr zu holen war. So kehrten die Soldaten und die übriggebliebenen Sklaven wieder in die Heimat zurück.

Raute

Jahrhunderte vergingen und viele Fürstentümer, König- und Kaiserreiche entstanden und verschwanden wieder. Doch die wenigsten von ihnen schickten ihre Untertanen zur Goldsuche auf lange Reisen. Sie führten Kriege, Kreuzzüge und schlugen Schlachten, doch sie bauten keine Schiffe, um das ferne Afrika zu erkunden. Die erforderlichen Strecken ihrer Feldzüge legten sie meist zu Fuß zurück.

Es ist möglich, daß die Menschen damals die Geschichten von der Königin von Saba vergessen hatten, oder einfach kein Herrscher wagte, aufgrund einer Legende ein kostbares Schiff in unbekannte Gewässer zu schicken. Vielleicht hatten sie aber auch ganz andere Probleme als den Verheißungen uralter Märchen nachzugehen - jedenfalls dauerte es noch einmal mehrere Jahrhunderte, bis das Afrika südlich der Sahara den europäischen Herrschern wieder in den Sinn kam. Allerdings ging es ihnen bei den Reisen, die sie im 15. Jahrhundert unternahmen, nicht in erster Linie darum, auf den Spuren der berühmten Königin zu wandeln. Ihnen ging es um die Eroberung ganzer Kontinente - doch das ist eine andere Geschichte.

Vierhundert Jahre nach diesen Eroberungsreisen hatten sich überall rings um die Küste Afrikas portugiesische, spanische, französische, deutsche, holländische und britische Siedlungen gebildet. Doch von den Menschen des 19. Jahrhunderts wußte fast niemand mehr etwas von den alten Geschichten. Nur in der Phantasie existierte noch eine Ahnung von verborgenen Schätzen und märchenhaften Reichtümern. Wahrscheinlich zog es deswegen immer wieder Abenteurer in die einsamen, wilden Gefilde im Inneren Afrikas.

Raute

Im südlichsten Zipfel Afrikas, das inzwischen Kapkolonie hieß, - dort, wo vielleicht auch die Sklaven der Königin von Saba gruben - wurde tatsächlich immer mal wieder etwas Gold entdeckt. Doch es war so wenig, daß sich der aufwendige Bergbau nicht lohnte. Die Kosten der Förderung verschlangen mehr Geld, als dann durch die Funde verdient wurde. Trotzdem gaben die Menschen den Traum von dem mattschimmernden Metall nicht auf ...

1853 trat eine Wende ein. Damals begab sich ein Mineraloge ins Landesinnere. Seinem Beruf gemäß kannte er sich gut mit Gesteinen und Mineralien aus.

Nun war es aber so, daß damals das Land, das später einmal Südafrika heißen würde, von zwei verschiedenen Volksgruppen besiedelt wurde: den Buren und den Briten. [BUREN nannten sich die Nachfahren holländischer Bauern, Deutscher und Hugenotten, die das südliche Afrika zu ihrer Heimat gemacht hatten.]

Da sie jedoch immer wieder miteinander in Streitigkeiten gerieten, lebten sie in unterschiedlichen Gebieten und hatten eigene Republiken gegründet.

Der Mineraloge war Engländer und entdeckte tatsächlich Gold am Witwatersrand. Der Witwatersrand aber - eine Gegend einige hundert Kilometer im Landesinneren - gehörte zum Territorium der Buren. Und das paßte einfach nicht zusammen. Die Buren fanden, daß ein Brite nichts in dieser Gegend verloren hätte. Schon gar keiner, der Gold suchte und damit auch noch Glück hatte. Sie wußten genau, was passieren würde, wenn sich sein Fund herumsprach - ihr Grund und Boden würde von Fremden nur so wimmeln - und so brachten sie den Engländer mit einer Polizeieskorte bis an die Grenze des Gebietes, wo seine Landsleute lebten.

Spätestens von diesem Zeitpunkt an wußten die Buren, daß es Gold in ihrem Land gab, unabhängig von den Geschichten und Legenden, die sie vielleicht schon vorher gehört hatten. Obwohl sie vorhatten, das Geheimnis des wiederentdeckten Goldes zu hüten, dauerte es nicht mehr lange, bis erneut Schürfer an den Witwatersrand kamen. Woher sie wohl die Stelle kannten, an der sie suchen mußten? Seltsamerweise hatten auch sie bald Glück und fanden das gelbe Metall. Es kam wie mit allen Geheimnissen, von denen zu viele Menschen etwas wissen: sie hören auf, Geheimnisse zu sein.

Jetzt geriet die Lawine unaufhaltsam ins Rollen: Abenteurer, Glücksritter und auch ganz normale Leute strömten aus weiten Teilen Südafrikas zusammen. Andere kamen sogar aus Europa und Amerika. Jeder war auf der Suche nach Glück und Reichtum. Einige Zeit lebten sie am Witwatersrand provisorisch in Zelten oder einfachen Hütten. Als sie dann aber feststellten, daß sich die Funde nicht so schnell wie an vielen anderen Orten der Welt erschöpften, begannen sie, feste Häuser zu bauen und den Grundstein für eine Stadt zu legen, die schließlich die Hauptstadt Südafrikas werden sollte: Johannesburg.

Raute

Die Goldvorräte um Johannesburg herum erwiesen sich als die größten auf der ganzen Welt. So zog es immer mehr Menschen an diesen Ort, um in den rasch wachsenden Bergwerken Arbeit zu finden. Johannesburg wuchs schnell und nahm für Afrika höchst ungewöhnliche Ausmaße an. Heute gehört Johannesburg nach Kairo, der Hauptstadt Ägyptens, zu den größten Städten des gesamten afrikanischen Kontinents. Viele Besucher sagen, daß Johannesburg eher so aussieht wie New York und weniger so, wie man es von einer afrikanischen Stadt erwartet.

Noch in unseren Tagen ist Südafrika der größte Goldlieferant der Welt. Allerdings muß immer tiefer gegraben werden, um dem Erdreich lohnenswerte Mengen des edlen Metalles abzuringen. Die Zeiten, in denen ein Schürfer mit Spitzhacke und Sieb losziehen konnte, gehören schon lange der Vergangenheit an.



Erstveröffentlichung im Schattenblick 10. Dezember 1997

25. Januar 2011